B. Grundlagen der
Künstlersozialversicherung
Selbständige sind im Wesentlichen aus dem System der Sozialversicherung ausgenommen. Sie werden als regelmäßig wirtschaftlich nicht schutzbedürftig typisiert; der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass es Selbständigen regelmäßig möglich ist, sich gegen die von der Sozialversicherung abgedeckten Risiken privat abzusichern. Ein Versicherungspflichttatbestand in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist gem. § 5 Abs. 5 SGB V bei (hauptberuflich) Selbständigen nicht gegeben. Sie müssen6 sich privat krankenversichern, § 193 Abs. 3 VVG, oder als freiwillige Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung beitreten, § 9 SGB V. Auch die Absicherung im Alter und gegen Erwerbsminderung wird der Gruppe der Selbständigen grundsätzlich privat aufgebürdet. Sie wird grundsätzlich nicht erzwungen und im Umlageverfahren finanziert, vgl. § 2 SGB VI.
Völlig fremd ist der Sozialversicherung die Mitgliedschaft Selbständiger indes nicht. Sieht der Gesetzgeber aufgrund von Indizien eine besondere wirtschaftliche Schutzwürdigkeit, so unterwirft er auch (hauptberuflich) Selbständige der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 2 SGB VI. Die Beitragslast verbleibt aber bei den versicherten Personen alleine. Hierdurch entlastet der Gesetzgeber den Träger der Sozialhilfe von der Tragung des Letztrisikos im Falle des Fehlens einer eigenen Absicherung bei Erwerbsunfähigkeit oder Alter. Immer häufiger entwickelt sich die Selbständigkeit während des Erwerbslebens zu einem wesentlichen Risikofaktor für Altersarmut.
I. Allgemeines zum versicherten
Personenkreis
§ 1 KSVG unterwirft selbständige Künstler und Publizisten der
- erwerbsmäßig und
- nicht nur vorübergehend ihre künstlerische oder publizistische Tätigkeit ausüben und
- - als Ausschlusstatbestand - im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen. Nicht zu diesen Arbeitnehmern zählen Beschäftigte zur Berufsausbildung oder geringfügig Beschäftigte im Sinne des § 8 SGB IV.
Versicherungspflicht nach dem KSVG, sofern sie
Eine bloß vorübergehende künstlerische oder publizistische Tätigkeit liegt vor, wenn nicht bereits im Vorhinein die Absicht besteht, sie dauerhaft auszuüben. Jenseits des allgemeinen Sprachgebrauchs und angelehnt an § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV ist der Tatbestand der „Dauerhaftigkeit“ erfüllt, wenn die Tätigkeit mindestens zwei Monate andauert.7
Ausnahmsweise als nicht schutzwürdig werden Künstler und Publizisten qualifiziert, die eine starke Arbeitgeberstellung innehaben.8
Eine solche starke Stellung wird bei Beschäftigung mehr als eines Arbeitnehmers angenommen, sofern es sich bei diesen nicht um Berufsauszubildende oder geringfügig Beschäftigte gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelt.
Liegen alle Voraussetzungen vor, besteht grundsätzlich Versicherungspflicht für alle Zweige der Sozialversicherung. Tatbestände der Versicherungsfreiheit regeln die §§ 3 – 5 KSVG. § 3 KSVG stellt Künstler und Publizisten von allen Zweigen der Sozialversicherung frei, die aus dieser Tätigkeit ein geringfügiges Arbeitseinkommen erzielen. Dabei entspricht die Geringfügigkeitsgrenze nach dem KSVG allerdings nicht der Minijob-Grenze des § 8 SGB IV. Der Versicherungsschutz entfällt nicht bei jedem Unterschreiten der Geringfügigkeitsgrenze, sondern nur dann, wenn sie mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren nicht erreicht wird. Hierfür ist eine rückwirkende Betrachtung anzustellen, wobei ein Berufsanfängerzeitraum außer Betracht bleibt, Abs. 2.9 § 4 KSVG enthält daneben Regelungen zur Versicherungsfreiheit in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Es handelt sich insoweit jeweils um Konstellationen in denen der Gesetzgeber die Schutzbedürftigkeit hinsichtlich einer Absicherung durch die Gesetzliche Rentenversicherung nicht sieht. Ebenfalls mangels Schutzbedürftigkeit stellt § 5 KSVG mehrere Tatbestände auf, in denen eine Versicherungsfreiheit in der Gesetzlichen Krankenversicherung angenommen wird. Die Regelung dient auch der Missbrauchsabwehr gegen Personen, die das Nichtbestehen der (wirtschaftlich günstigen) Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung dadurch zu umgehen versuchen, dass Sie sich künstlerisch oder publizistisch betätigen, bspw. § 5 Abs. 1 Nr. 2 KSVG. Ergänzt wird § 5 KSVG durch die Befreiungsmöglichkeiten der §§ 6 ff. KSVG auf Antrag. Ist eine Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht gegeben, gilt dies gem. § 5 Abs. 2 KSVG auch für die Soziale Pflegeversicherung. Trotz Befreiung bzw. Freiheit von der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung verbleibt es aber bei der allgemeinen Versicherungspflicht hinsichtlich dieser Risikobereiche, die dann – im Vergleich teurer - durch eine freiwillige Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung oder durch Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrags zu erfüllen ist, vgl. §§ 193 Abs. 3 VVG, 9 SGB V. Letzteres kann – insbesondere, wenn der Betroffene hiermit nicht rechnet – schnell existenzbedrohend werden!
1. Künstler- und Publizistenbegriff
a. Allgemeines zur Definition des Künstlers
Gem. § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Der Begriff der künstlerischen Tätigkeit ist aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen.10
Der Gesetzgeber verzichtet damit im Wortlaut des Gesetzes auf eine konkrete Definition des Künstlerberufs.11 Insbesondere gibt es keine Aufzählung bestimmter Berufsbezeichnungen vor.12 Er beschränkt sich auf abstrakt-formale Eingrenzung in Form von Ausübungsfeldern künstlerischer Betätigung. Die Zurückhaltung des Gesetzgebers ist auch sachgerecht; einer definitorischen Eingrenzung des Künstlerbegriffs stehen die Vielfalt, die Komplexität und vor allem die Dynamik der künstlerischen Tätigkeit entgegen.13 Die Gesetzesmaterialien14 nehmen allerdings Bezug auf den Künstlerbericht der Bundesregierung von 1975.15 Der Gesetzgeber hat damit einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten Kunstbegriff vorgegeben, der in aller Regel dann erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines bestimmten Kunsttyps entspricht. Bei diesen Berufsfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird.
Der Gesetzgeber hat bei der Konzeption des KSVG darauf verzichtet, im Wege der Aufzählung von Berufsbezeichnungen die künstlerische oder publizistische Tätigkeit im Einzelnen zu definieren, da einer solchen Definition Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer und publizistischer Berufstätigkeit entgegenstehen. Auf diese Motive des Gesetzgebers lassen die Materialien zum KSVG, insbesondere der Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe, sogenannter Künstlerbericht, aus dem Jahr 1975, schließen […]. Der Gesetzgeber unterstellt das soziale Schutzbedürfnis der dort erfassten Berufsgruppen, ohne dass es auf die Qualität der künstlerischen Leistung im Einzelfall ankommt oder eine bestimmt Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird.
Bei der Beurteilung der Künstlereigenschaft ist insoweit die Tatsache, dass deren eigenschöpfersicher Entfaltungsspielraum […] eingeschränkt wird bzw. werden kann, unerheblich. […] Bei der Zuordnung zum Zwecke der Abgabenerhebung nach dem KSVG [ist] nicht die künstlerische Qualität der jeweiligen Arbeiten zu bewerten ist, sondern vielmehr als maßgebend anzusehen, in welchem Tätigkeitsbereich und gesellschaftlichem Umfeld die einzelnen Leistungen erbracht werden. Wer sich auf dem herkömmlichen Berufsfeld eines Handwerks bewegt, wird auch nicht dadurch zum Künstler im Sinne des KSVG, dass seine Leistungen einen eigenschöpferischen, gestalterischen Charakter aufweisen, weil ein solcher bei diesen Handwerksberufen typisch ist. Als Künstler ist er vielmehr erst dann einzuordnen, wenn er das typische handwerkliche Berufsfeld verlässt, sich mit seinen Produkten in einem künstlerischen Umfeld bewegt und in künstlerischen Kreisen als gleichrangig anerkannt wird. [Dem] steht [auch] nicht das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21. Februar 2007 (L 9 KR 132/04) entgegen, das die Beurteilung der Tätigkeit als Location Scout zum Gegenstand hatte. Nur weil es sich bei dieser Tätigkeit nicht um eine anerkannte künstlerische Tätigkeit im Sinne der so genannten künstlerischen Katalogberufe nach dem Künstlerbericht handelt, ist zu prüfen, ob die einzubringenden eigenschöpferisch-künstlerischen Elemente von übergeordneter Bedeutung sind und dem Schaffen des Location Scout das Gepräge gegeben haben.
(Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. Januar 2015 – L 3 R 323/12 Rn. 26)
Als Anhaltspunkt für die Künstlereigenschaft kann auch der sogenannte Künstlerkatalog der Künstlersozialkasse selbst dienen.16 Klar ist dabei, dass es bei der Bestimmung der Künstlereigenschaft nicht auf die Qualität der künstlerischen Betätigung ankommen; wie schon der Volksmund weiß, ist diese nicht objektiv bestimmbar, sondern liegt im „Auge des Betrachters“.
Grundsätzlich erfolgt die Einordnung stets aufgrund einer Gesamtbetrachtung der Tätigkeit, nicht unter Herausgreif...