TEIL 1
Vorstellung der zwei Schriften
und Handhabung der thematischen
Gegenüberstellung
1. EINFÜHRUNG IN DIE MATERIE
DER AUSGANGSPUNKT
Die Schöpfung ist ein klares Zeichen (arab. āya) einer schöpferischen Intelligenz, die wir auf Deutsch „Gott“ und auf Arabisch „Allāh“ nennen. Dennoch bleibt der Schöpfer selbst uns Menschen ein Mysterium. Unsere Endlichkeit beeinträchtigt unser Verständnis von dem Ewigen, der außerhalb von Zeit und Raum das Weltall beherrscht. Der Schöpfer des Universums kann letztlich nicht von Seinen Geschöpfen ergründet werden.
Menschliche Traditionen, Weltanschauungen, Überzeugungen, Erfahrungen und der religiöse Hintergrund formen jedoch unsere Vorstellung von einem höheren Wesen, sei es die Vorstellung eines Supermanns, die eines Strafrichters oder die eines gleichgültigen Gottes, dem unser Schicksal letztendlich egal ist. Wie weit unser Gottesbild von der göttlichen Wirklichkeit entfernt ist, kann nur an dem gemessen werden, was der ewige, allmächtige Schöpfergott uns Menschen über sich selbst offenbart.
Die Bibel und der Qur'ān einigen sich darüber, dass es nur einen Gott gibt. Beide Bücher verstehen sich als Offenbarungen Gottes bzw. Allāhs. Dieses Buch präsentiert eine Gegenüberstellung dieser Offenbarungen, die mancherlei Übereinstimmung zeigen, oftmals aber sehr konträr sind. Sie, liebe Leserinnen und Leser, ziehen Ihre eigenen Schlüsse über Inhalt, Form und Glaubwürdigkeit der beiden Schriften.
Lesen Sie die Texte nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit unvoreingenommenem Herzen, denn „man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ (Antoine de Saint-Exupéry aus Der kleine Prinz).
DAS KONZEPT DIESES BUCHES
Dieses Buch ist keine Gegenüberstellung von Auslegungen oder Kommentaren über die beiden Schriften, sondern lässt die Texte beider Bücher größtenteils für sich sprechen. Um die sechzig Prozent des Buches besteht daher aus thematisch geordneten biblischen und quranischen Texten. Was sind die Grundaussagen beider Glaubensrichtungen? Sind sie gleichartig, gleichwertig? Wo finden wir Übereinstimmungen und worin liegen ihre fundamentalen Unterschiede?
Einander thematisch zugeordnete Kapitel aus Bibel und Qur'ān eignen sich durchaus auch für eine gemeinsame Betrachtung mit gegenseitigem Austausch zwischen interessierten Muslimen und Christen.
DER NENNWERT DER BEIDEN ZWEI BÜCHER
Die Bibel, auch das Buch der Bücher genannt, gilt weltweit als das meistgekaufte Buch und ewiger Bestseller. Der Qur'ān steht laut Die Besten Bücher aller Zeiten (2017) auf Platz drei. Beide Bücher werden von ihren Anhängern wertgeschätzt und geliebt, doch von Kritikern heftig umstritten. Unzählige Buchbände wurden über und zu den beiden Schriften verfasst. Milliarden von Menschen weltweit gründen ihren Glauben, ihre Weltanschauung und ihre Hoffnung auf sie.
DIE ZEITLICHE EINORDNUNG DER ZWEI SCHRIFTEN
- Abraham/Ibrāhīm lebte um 2000 v. Chr.
- Mose/Mūsā, dem Gott die Thora/Taurat offenbarte, lebte circa 1520 bis 1400 v. Chr.
- König David/Dāwūd, der Verfasser vieler Psalmen/Zabūr, regierte in Israel zwischen 1011 und 971 v. Chr.
- Die Bücher der alttestamentlichen Propheten wurden zwischen ca. 1000 - 445 v. Chr. offenbart und niedergeschrieben.
- Die abgeschlossene Form des AT existiert seit etwa 445 v. Chr.
- Zwischen 200 - 100 v. Chr. entstand die erste Übersetzung des AT in die griechische Sprache, die sog. Septuaginta LXX.
- Jesus/'Īsā lebte von ca. 6-4 v. Chr. bis 30 n. Chr.
- Die Niederschrift des NT entstand zwischen ca. 60 - 90 n. Chr.
- Muammad lebte von 570 bis 632 n. Chr.
Der Qur'ān wurde unter dem dritten Kalifen Uthman 650 n. Chr. redigiert.
HERAUSFORDERUNGEN DER GEGENÜBERSTELLUNG
Ungleichmäßige Schwerpunktlegung der Bücher
Es wird Ihnen schnell ins Auge fallen, dass beide Schriften gewisse Themen nicht gleichermaßen gewichten. Einige für das eine Buch sehr bedeutsame Themen werden in dem anderen weniger oder gar nicht angesprochen.
Zentrale Themen beider Bücher sind Gott bzw. Allāh, Glaube, Himmel und Erde, das Böse, Sünde, Werke bzw. Taten, das menschliche Herz und die Ewigkeit. Eine auf Wortfrequenzen basierte Studie der Gewichtung wesentlicher Themen verdeutlicht, dass die Gemeinsamkeiten der thematischen Schwerpunkte dann doch weit auseinander gehen.
Im NT steht Jesus Christus, der auch als
Sohn Gottes, Menschensohn, Messias, Herr, Meister und
Lehrer betitelt wird, eindeutig im Mittelpunkt. Knapp 2500 Mal wird er mit Namen oder Titeln genannt. Der Qur'ān, hingegen, erwähnt al-Masīh 'Īsā namentlich nur 25 Mal. Mu
ammad, der
Warner, Gesandte und
Prophet, nimmt im Qur'ān zwar eine prominente Stellung ein, aber bei weitem nicht in dem Umfang wie Jesus im NT.
Göttliche und zwischenmenschliche Liebe ist ein weiteres Schlüsselkonzept, das das gesamte NT durchflutet. Im Kontrast dazu liegt der Schwerpunkt im Qur'ān auf der Furcht vor Allāh. Die Liebe zu Allāh und den Mitmenschen wird im Qur'ān nicht thematisiert. Auch Hölle und Strafe werden in beiden Büchern ungleich gewichtet. Im NT gibt es insgesamt nur 20 Vorkommnisse im Vergleich zu den 246 Angaben im Qur'ān.
Die ausführliche Wortfrequenz-Studie mit Auswertung der Gewichtung finden Sie im Anhang I. Unterschiedlicher Umfang der Bücher
Eine weitere Herausforderung einer fairen Gegenüberstellung der Bücher ist der unterschiedliche Umfang beider Bücher. Die Bibel ist als Gesamtbuch etwa zehnmal so umfangreich wie der Qur'ān. Um eine auf Fakten beruhende und relativ ausgewogene Darstellung beider Schriften zu den vielfachen Themen beider Bücher zu gewährleisten, stammen in dieser Nebeneinanderstellung ca. 40% der zitierten Texte aus dem Qur'ān, im Vergleich zu ca. 60% aus dem Alten und Neuen Testament der Bibel.
Unterschiedliches Verständnis gleicher Begriffe
Der zweite Teil des Buches und die Anhänge bieten einige kontextuelle und historische Hintergrundinformationen und Einsichten, die die Denk- und Glaubensweise des Anderen darlegen. Diese weichen oft stark voneinander ab. Es ist wichtig, die Glaubensinhalte des Anderen aus der Sicht ihrer Religion und ihres Kontexts zu betrachten.
DIE DEUTSCHEN ÜBERSETZUNGEN DER ZWEI SCHRIFTEN
Da die Urtexte des AT der Bibel in der hebräischen, die des NT in der griechischen und die des Qur'ān in der arabischen Sprache verfasst wurden, sind wir auf deutsche Übersetzungen angewiesen. Zum Zweck dieses Buches wurde aus der Reihe verfügbarer deutscher Qur'ān- und Bibelübersetzungen der Schwerpunkt auf die Genauigkeit, Verständlichkeit und Lesbarkeit der Texte gelegt. Beim Qur'ān fiel die Wahl auf die von Saudi-Arabien getragene Übersetzung Der edle Qur'an von Frank Bubenheim (Abdullah as-Samit) und Nadeem Elya (Bubenheim & Elyas, 2003). Diese islamische Übersetzung erstrebt, deutschsprachigen Muslimen zu einem besseren Verständnis des Textes zu verhelfen. Es sollte aber beachtet werden, dass aus islamischer Sicht eine Übersetzung grundsätzlich nicht mehr als eine Deutung des Qur'ān darstellt und keineswegs den arabischen Qur’ān ersetzen kann.
Bibelzitate aus dem NT stammen, wenn nicht anders angegeben, aus der Neue Genfer Übersetzung (NGÜ). Diese legt Wert darauf „so urtextgetreu wie möglich zu sein, ohne dabei die Verständlichkeit zu vernachlässigen“ (www.ngue.info). Da das Alte Testament der NGÜ noch nicht erschienen ist, wurden alttestamentliche Texte weitgehend aus der Gute Nachricht Bibel (GNB) zitiert. Die kommunikative Übersetzungsmethode der GNB ermöglicht eine klare und leichte Verständlichkeit der Texte.
DIE BEGRIFFE „GOTT“, „HERR“ UND „ALLĀH“
Allāh, das arabische Wort für Gott, wurde schon in der vorislamischen Zeit gebraucht und wird bis heute noch von arabischsprachigen Christen und Juden verwendet. Sprachlich gesehen, tragen die Worte „Allāh“ und „Gott“ dieselbe Bedeutung.
Die deutsche Bibel übersetzt sowohl das hebräische Wort Elohim (pl. von Eloah) als auch das griechische Wort theùs mit „Gott“. Das im hebräischen Urtext benutzte Wort Jahweh (alternativ auch als Jahwe oder Jahve geschrieben) hin...