Führung kann nicht jeder
In die Entwicklung der Führungskräfte wird viel Aufwand gesteckt, trotzdem sind die Fortschritte bescheiden. Die meisten Mitarbeiter sind mit ihren Vorgesetzten unzufrieden. Das ist besonders negativ, weil die Freude an der Arbeit und somit auch der Arbeitseifer wesentlich vom direkten Vorgesetzten abhängt. Er hat auf das Ergebnis seiner Mitarbeiter, ob in der Linie oder im Projekt, erheblichen Einfluss.
Warum stimmt das Verhältnis von Aufwand und Nutzen nicht? Meiner Meinung gibt es zwei Gründe. Zum einen werden oft die falschen Mitarbeiter für die Führungslaufbahn ausgewählt. Eine Person, die fachlich gut ist, ist deshalb nicht unbedingt ein guter Vorgesetzter. In vielen Fällen sind fachliche Koryphäen an Führungsaufgaben weniger interessiert. Um ihn aber für seinen Einsatz zu belohnen, wird er in eine Führungsposition befördert. Die wenigsten Firmen bieten eine Fachlaufbahn an, die entsprechende Anreize bietet, nicht hierarchisch, sondern fachlich aufsteigen zu wollen. Fachlich hervorragende Mitarbeiter werden weniger geschätzt und niedriger entlohnt als durchschnittliche Linienvorgesetzte.
Zum zweiten wird bei der Ausbildung der Führungskräfte an der falschen Stelle angesetzt. Es werden Führungsmethoden gelehrt, die aus einem Mitarbeiter eine perfekte Führungsmaschine machen sollen. Tatsächlich müsste die zukünftige Führungskraft zuerst einmal sich selbst und ihre eigenen Motive kennenlernen, um andere führen zu können. Es stimmt natürlich, dass eine Firma keine Psychotherapie-Einrichtung ist, trotzdem sollte sie ein Interesse an der Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter zeigen, allein aus Eigennutz, denn zufriedene Mitarbeiter arbeiten besser und bringen mehr Geld.
Führung, Leitung, Management
Diese drei Begriffe gehen nicht nur im alltäglichen Sprachgebrauch wild durcheinander, auch Profis sind sich da nicht einig. Deshalb möchte ich eine möglichst schlüssige Definition anbieten. Ob sie wirklich allgemein gültig ist, wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall habe ich die Begriffe in der Vergangenheit erfolgreich so verwendet und werde es auch in Zukunft tun.
Ich verwende den Begriff „Leitung“ für strategische, „Führung“ für operative und „Management“ für administrative Aufgaben. Da die drei Tätigkeiten oft schwierig auseinanderzuhalten sind und sich zum Teil auch überschneiden, verwende ich als übergeordneten Begriff „Führung“.
Ich weiß, dass unter einem Manager im deutschsprachigen Raum eine Spitzen-Führungskraft verstanden wird, benutze aber lieber die ursprüngliche angelsächsische Definition.
Ich bin mir außerdem bewusst, dass eine Führungsaufgabe nie rein strategisch, operativ oder administrativ ist. Es kommt immer zu Überschneidungen, was einen eindeutigen Gebrauch der Begriffe erschwert. Aber man kann fast immer sagen, welche der Aufgaben gerade vorrangig zu erfüllen ist.
Führung kommt von unten?
Mit dieser Definition ist auch meine Aussage „Führung kommt von unten!“ einfacher zu verstehen. Mitarbeiter, die operative Aufgaben erfüllen, haben in der Regel auch das Fachwissen dazu. Dem Leiter, der sich um die Strategie kümmern sollte – und oft nicht dazu kommt – fehlt dieses Wissen in der Regel, und es darf ihm auch fehlen. Überlässt nun der Leiter seinen Mitarbeitern das operative Geschäft und führt ein Assistent die Administration, also das Management, kann er sich um seine eigentliche Aufgaben kümmern.
Mischt er sich hingegen zu sehr in das operative Geschäft ein, macht er seine Mitarbeiter unselbstständig und überlastet sich selbst. Denn er braucht dazu viel Fachwissen, das schnell veraltet und aufgefrischt werden müsste, was aber aus Kapazitätsgründen nicht geleistet werden kann. Der Leiter trifft dann operative Entscheidungen, die praxisfern sind und sich auf ein veraltetes Fachwissen stützen und deshalb seine Mitarbeiter verzweifeln lassen.
Seien Sie sich also immer bewusst, was Sie gerade tun, und überprüfen Sie immer wieder:
- Tue ich das Richtige?
- Ist es meine Aufgabe oder wurde sie mir „von unten“ delegiert?
- Ist die Aufgabe gerade jetzt zu erledigen?
Und wenn Sie eine dieser Fragen mit „Nein“ beantworten, dann zeigen Sie Mut, delegieren Sie die Aufgabe oder streichen Sie sie!
Die passende Führung
Immer den gleichen Führungsstil zu verwenden, ist schädlich. Es gibt verschiedene Führungsstile und Führungsverhalten, die man situativ anwenden sollte. Welchen davon man anwendet, muss vom Geführten abhängen, aber es wird immer auch die Persönlichkeit und das bevorzugte Verhalten des Führenden eine wesentliche Rolle spielen. In meinem Buch „Projekte sind auch nur Menschen“ bin ich näher darauf eingegangen, ich möchte es hier nur noch einmal kurz zusammenfassen. Danach gehe ich auf die Einteilung des Führungsverhaltens ein, wie es die CEO-Coach Kim Scott vorgeschlagen hat.
Der vom Geführten abhängige Führungsstil
Es ist sinnvoll, den Führungsstil an den Kenntnisstand, das Können und die Erfahrung des Geführten anzupassen:
- Bei geringem Können ist Vormachen und Anweisen angebracht. Ein hoher (Steuerungs-)Aufwand ist notwendig, denn es besteht die Gefahr, dass der Mitarbeiter sich überschätzt.
- Begrenztes Können erfordert Training, denn der Mitarbeiter weiß zwar schon einiges, hat aber noch nicht genug Erfahrung. Er muss motiviert werden, denn gerade in dieser Phase ist die Frustrationsgefahr hoch.
- Haben wir einen qualifizierten Mitarbeiter vor uns, reicht bedarfsgerechte Unterstützung und motivierende Anerkennung. Wir müssen darauf achten, diese guten Mitarbeiter nicht zu überlasten.
- Hochqualifizierten, selbstständigen Mitarbeitern dürfen wir Aufgaben delegieren. Jede darüber hinausgehende Führung wäre demotivierend. Der Mitarbeiter wird durch Dank bestärkt und motiviert. Doch auch hochqualifizierte Mitarbeiter sind nicht auf allen Gebieten gleich gut. Sind sie mit einer Aufgabe, die nicht aus ihrem Spezialgebiet kommt, erkennbar überfordert, müssen sie anders geführt werden.
Der vom Führenden abhängige Führungsstil
Man sollte sich selbst nicht „verbiegen“ müssen, nur um einen bestimmten Führungsstil anzuwenden. Wenn er nicht zur Persönlichkeit des Führenden passt, ist dessen Führung suboptimal.
- Der Patriarch ist der Herr im Haus, sein Führungsstil ist geprägt von Autorität und Güte. Doch ein echter Dialog mit ihm ist nicht möglich, die Kommunikation läuft von oben nach unten.
- Der Charismatiker erreicht durch seine persönliche Ausstrahlung Begeisterung bei seinen Mitarbeitern. Aber auch hier fehlt die Kommunikation.
- Der Autokrat setzt auf Strenge und Gehorsam, er weist eher an als zu führen. Er strahlt Autorität aus und besitzt Fachwissen, allerdings kann er seine Mitarbeiter kaum begeistern.
- Der Bürokrat führt über vorgeschriebene Abläufe und Regeln. Er erreicht bei seinen Mitarbeitern eine hohe Effektivität, allerdings werden die Abläufe nicht hinterfragt. So mangelt es an Flexibilität und Effizienz.
Wir werden natürlich nie einen Führungsstil in Reinform finden, jeder wird mehr oder weniger Anteile des einen oder anderen haben.
Führungsverhalten
Den eigenen Führungsstil zu ändern ist fast unmöglich, denn dazu müsste man die eigene Persönlichkeit ändern, was nur mit hohem Zeitbedarf und großem Aufwand möglich ist. Was man aber ändern kann, ist das Führungsverhalten, denn ein nicht zielführendes Verhalten ist leichter abzulegen als einen persönlichen Stil.
CEO-Coach Kim Scott hat vier verschiedene Führungsverhalten gefunden, die sie zweidimensional beschreibt (siehe Grafik). Die Dimensionen sind die Zuwendung, die der Vorgesetzte bereit ist, seinen Mitarbeitern zukommen zu lassen und die Direktheit des Kommunikationsstils, den er pflegt. Sie nennt das "herausfordernde Direktheit".
Sie geht dabei von zwei Einschärfungen aus, das sind Ge- oder Verbote, die wir in der Kindheit unbewusst gelernt haben. Sie beeinflussen bis ins Erwachsenenalter unser Führungsverhalten, und sie schränken wie jede Einschärfung die Bandbreite unseres Verhaltens ein. Sie lauten, in die deutsche Kultur übertragen:
- „Sei nett, halte Dich mit Kritik zurück!“
- „Sei professionell, gib Deine Emotionen am Werkstor ab.“
Daraus leiten sich die vier Führungsverhalten ab, von denen drei zwar häufig angewendet, aber meist ineffektiv und destruktiv sind. Das vierte findet man nicht sehr häufig, obwohl sie meist zielführend ist.
- Unerträgliche Aggressivität: Niedrige Zuwendung, hohe Direktheit
Dieses Verhalten führt vielleicht kurzfristig zu guten Resultaten, langfristig „pflastern aber Leichen seinen Weg“. Es folgt konsequent der zweiten Einschärfung, kann aber kurzfristig zur Beherrschung von Katastrophen und Paniksituationen notwendig sein.
- Nachteiliges Mitgefühl: Hohe Zuwendung, niedrige Direktheit Das Verhalten folgt konsequent der ersten Einschärfung. Es führt zur Unverbindlichkeit und zu Ungerechtigkeiten, denn es versucht, niemanden zu verletzen und somit auch Fehlverhalten nicht zu tadeln. Der Vorgesetzte führt nicht, er mach sich bei seinen Mitarbeitern „lieb Kind“.
- Manipulative Unaufrichtigkeit: Niedrige Zuwendung, niedrige Direktheit
Beide Einschärfungen werden befolgt. Der Vorgesetzte sucht entweder seinen politischen Vorteil oder er ist es satt, sich um irgendjemanden zu kümmern, sich für jemanden einzusetzen oder mit jemandem zu streiten.
- Radikale Offenheit: Hohe Zuwendung, hohe Direktheit
Das einzige Verhalten, bei dem die Einschärfungen keine Rolle spielen. Bei diesem Verhalten sorgt die Führungskraft für ihre Mitarbeiter, fordert sie aber gleichzeitig heraus. Dieses Verhalten ist selten, aber sehr zielführend und, trotz hohen Anforderungen, sehr mitarbeiterfreundlich.
So wünschenswert es auch ist, man wird diesem vierten Verhalten leider nicht immer folgen können. Man kann mit diesem Schema aber leichter abschätzen, was passiert, wenn man Fehler in der einen oder anderen Richtung macht.
Denken Sie immer daran, (gelingende) Führung ist eine Frage der Persönlichkeit. Sie kann nicht gelernt werden, wohl aber achtsam ausgeübt und immer wieder geübt werden. Mit der Zeit wird jeder besser, wenn er sich bemüht, aber das geht leider nicht von heute auf morgen. Eine gute Führungskraft ist bereit, sich selbst immer wieder zu beobachten, ihre Schwachpunkte zu erkennen, ihren blinden Fleck zu minimieren und ihre Einschärfungen und Glaubenssätze zu bearbeiten.
Das Ansehen einer ganzen Branche zerstört
Man sollte meinen, langsam wäre genug über VW und seine Trickserei mit den Abgaswerten und der elektronischen Motorsteuerung geschrieben worden. Aber immer noch wird meiner Meinung nach zu wenig über die beiden eigentlichen Ursachen des Skandals nachgedacht: schlechte Gewohnheiten in einer Branche und die Angst der Mitarbeiter vor dem Chef.
Bestimmte Branchen tricksen gezielt und legal
Was VW vorgeworfen wird, ist in einem anderen Zweig der Branche Gang und Gäbe: bei Motorrädern. Dort öffnen und schließen elektronische Steuerungen Klappen in der Auspuffanlage so, dass genau in den Drehzahlbereichen die Auspuffgeräusche besonders niedrig sind, in denen nach der Prüfnorm die Geräusche gemessen werden. Im übrigen Drehzahlbereich erzeugt der offene Auspuff einen "kernigen Klang", mit anderen Worten Krach. Hier wird also ganz legal getrickst.
Auch bei Prüfungen von Automobilen wird getrickst. Haben Sie schon einmal versucht, die offiziellen Verbrauchswerte Ihres Autos zu erreichen? Mir ist das noch nicht gelungen, was da gemessen wird, hat wohl mit der täglichen Fahrpraxis wenig zu tun. Die Lobbyisten haben erreicht, dass die Prüfungen so gemacht werden, dass die Industrie ihre Produkte möglichst einfach den gesetzlichen Anforderungen angleichen kann. Aus Sicht der Verbraucher sind also unwahre Messwerte – oder sagen wir vorsichtiger, Messwerte, die mit der Praxis wenig zu tun haben – die Regel. Und die Verbraucher haben sich daran gewöhnt, und keiner nimmt die Angaben mehr für bare Münze.
Menschen gewöhnen sich an Gesetzesbruch
Sogar die Entwicklungsabteilungen haben sich daran gewöhnt. Der Abstand zwischen dem eigenen Tun und der Illegalität wird scheinbar immer geringer. Warum sollte man diese Grenze nicht noch weiter ausdehnen? Es ist wie in den Zeiten der Prohibition in den USA: fast jeder trank Alkohol, es war also gesellschaftlich akzeptiert, dieses Gesetz zu übertreten. Das Alkoholverbot wurde nicht mehr als gerechtes Gesetz, sondern als Schikane angesehen. Und so gewöhnte sich fast jeder daran, ein Gesetzesbrecher zu sein, fast die ganze Bevölkerung der USA war korrumpiert, Verbrecher waren Stars. Es hat lange gebraucht, bis nach Abschaffung der Prohibition auch vernünftige Gesetze wieder geachtet wurden.
Gegen eine solche Akzeptanz der Illegalität helfen nur auch für Laien durchschaubare Gesetze und praktikable Prüfrichtlinien, die nicht von Lobbyisten, sondern vom Gesetzgeber gemacht sind. Ein frommer Wunsch, ich weiß! Das klappt ja auch bei den Steuergesetzen nicht.
Lügen aus Angst vor dem Chef
Auch über den zweiten Grund wird wenig gesprochen: die Angst der Mitarbeiter vor den Chefs! VW ist – so sagen jedenfalls ...