1. Profitmaximierung
»Wenn eine Wissenschaft des Haushaltens auf den sparsamen, vernünftigen, effizienten
Umgang mit Ressourcen – vor allem mit Arbeit und Natur – abzielt, dann existiert bislang
gar keine Ökonomie«
Raul Zelik, 20096
1.1. Der Boden – vom Gemeingut zum Spekulationsobjekt
Als die Menschen noch Jäger und Sammler waren, gehörte ihnen, den Tieren und den Pflanzen der gesamte Erdball als Gemeingut noch gemeinsam. Mit der Erfindung des Säens und Erntens und der daraus folgenden Sesshaftigkeit fing aber der Mensch an, erste Teile des Gemeingutes Erde der freien Verfügbarkeit aller zu entziehen, zu rauben, zu »privatisieren«. Er zäunte, um »wilde« Tiere und nicht zum Klan gehörende Mitmenschen fernzuhalten, sein Grundstück ein und entfernte unliebsame Pflanzen. Durch das Bevölkerungswachstum wird die für jeden zur Verfügung stehende Fläche immer kleiner und wertvoller, und damit zum immer idealeren Spekulationsobjekt.
Mit der Zeit landeten immer größere Teile der Ressourcen und der sich entfaltenden Infrastruktur in die Hände einer immer kleineren aber umso mächtiger werdenden »Elite«. Es ist der Kapitalertrag, die Basis des Kapitalismus, der zusätzlich zum Arbeitsertrag hinzukam und bei einem Teil der Menschen auch ausschließliche Einkommensquelle wurde. Er führte zu einer Umverteilung des Reichtums von unten nach oben, von Süd nach Nord, von öffentlicher in private Hand.
Um den Kapitalismus abzuschaffen, wird es erforderlich sein, diesen Kapitalertrag aus der Welt zu verdrängen und den Globus wieder zum Gemeingut zu machen. Dass dies möglich ist, hat Peter Drucker7 für die USA aufgezeigt, indem Fonds der kapitalgedeckten Alterssicherung in der Lage wären, durch Investition in die Industrie innerhalb von 50 Jahren zwei Drittel der Infrastruktur und der Ressourcen der USA zu erwerben. Allerdings werden solche Fonds von kapitalistischen Managern bestimmt und der Rentensparer kann keinen Einfluss auf Investition und Kapitalertrag nehmen. Dies könnte aber beispielsweise über Genossenschaften realisiert werden.
1.2. Liberalismus, Kapitalismus und Marktwirtschaft
Dass sich Geld aus sich selbst heraus (selbstreferentiell) vermehren kann, bezeichnete schon Aristoteles als das Widernatürlichste, das er sich vorstellen konnte. Durch den Kapitalismus wurden die Märkte der Hanse von der Marktwirtschaft abgelöst und der Markt bzw. die Vermehrung des Geldes, der Mehrwert, ins Zentrum der Gesellschaft gerückt. Gestützt wurde diese Entwicklung von der Entfaltung liberaler und neoliberaler Ideologie, die tief im abendländischen Denken verwurzelt ist und die Entwicklung unserer Gesellschaft und unserer Ökonomie maßgeblich geprägt hat und prägt. Ein vom Kapital massiv unterstütztes weltweites Netz von Think Tanks wurde errichtet. Es stellt quasi einen »Deep State«, einen Staat im Inneren der Staaten, und in der Summe ein »globales Schattenreich« dar.8
Geolitiko meint: »Vorgedacht wird in Teilen des »Deep State« – vor allem in den unkontrollierten Thinktanks amerikanischen oder europäischen Ursprungs. Dort wird entschieden von Menschen, die nicht gewählt wurden. Dort werden die Institutionen erdacht, welche die Freiheit zukünftiger Entwicklung beschneiden sollen, um größenwahnsinnige, konstruktivistisch zusammengebastelte Strukturen zu ermöglichen.«9
Wie bei Platon der Staat aus drei Ständen besteht, hat nach seiner Ansicht auch die Seele jedes einzelnen Menschen drei Bestandteile10: »[…] Aus diesen Gründen dürfen wir offenbar nun behaupten, daß es vornehmlich drei Arten von Menschen gebe: eine wissbegierige, eine siegbegierige, eine gewinnbegierige.«11
Nach Kant will der Mensch, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen verschaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen kann.«12
Scheidler spricht in diesem Sinne von den drei Tyranneien, der physischen Macht, der strukturellen Gewalt und der ideologischen Macht.
- Die physische Macht erscheint in Form der Waffengewalt und konsolidiert sich unter anderem im militarisierten Staat.
- Die strukturelle Gewalt beruht auf einer systematisch ungleichen Verteilung von Rechten, Besitz, Einkommen und Prestige. Zu ihrer Aufrechterhaltung bedarf sie der ideologischen und physischen Macht.
- Die ideologische Macht reicht von der Beherrschung der Schrift über religiöse, moralische oder wissenschaftliche Ideologien bis zur modernen Expertokratie und der Beherrschung der Massenmedien. Sie dient zur Legitimierung der beiden anderen Mächte.13
In der physischen Macht ist wohl der Siegbegierige Platons und die Herrschsucht bei Kant, in der strukturellen Gewalt der Gewinnbegierige Platons und die Habsucht bei Kant sowie in der ideologischen Macht der Wissbegierige Platons und die Ehrsucht bei Kant wiederzufinden.
Aristoteles mahnt: »Man muß dafür sorgen, daß der Gegensatz der Reichen und Armen sich möglichst ausgleicht oder daß der Mittelstand wächst. […] Namentlich muß man bedacht sein, durch Gesetze die Verhältnisse so zu regeln, daß niemand aufkommen kann, der allzu übermächtig ist durch Anhang oder Reichtum; und gelingt dies nicht, so muß man solche Leute ins Ausland verbannen.«14 Da es in einer globalisierten Welt kein Ausland mehr gibt, müssen für solche Maßnahmen wohl die Gefängnisse herhalten.
Aber die ideologische Macht des Liberalismus und Neoliberalismus war, gestützt auf die physische und die strukturelle Macht, in der Lage, unsere Realität zu erobern und unseren Alltag bis ins Detail hinein zu gestalten.
Nach Kaufmann hat die Globalisierung die Welt zu einem einzigen Betrieb gemacht: »Senkt ein Land die Unternehmenssteuer, müssen andere mitziehen. Senkt ein Land die Lohnstückkosten, werden dadurch andere zu teuer. Will ein Land eine Vermögenssteuer erheben, kann es dies nicht tun, weil sonst das Kapital dorthin flieht, wo es steuerfrei bleibt.«15
1.2.1. Klassischer Liberalismus
»Man muß, wenn von Freiheit gesprochen wird, immer wohl achtgeben, ob es nicht
eigentlich Privatinteressen sind, von denen gesprochen wird.«
Georg Wilhelm Friedrich Hegel16
Das liberale Gedankengut hat viele historische Wurzeln. Einen ersten ideologischen Grundstein legte Johannes Calvin (1509-1564). Nach ihm waren die Menschen von Gott schon vor der Erschaffung der Welt in Auserwählte und ewig Verdammte unterteilt. Das deutlichste Zeichen, zu den Auserwählten zu gehören, war nach Calvin wirtschaftlicher Erfolg. Die Armen sind die von Gott Verworfenen, die Reichen die Auserwählten. »In Calvins Lehre verbindet sich die apokalyptische Tradition mit dem kapitalistischen Projekt. Die Spaltung der Menschheit in Auserwählte und Verdammte, wie sie die Johannes-Offenbarung verkündet, wird auf das Wirtschaftsgeschehen projiziert, göttliche Ordnung und Marktlogik werden eins.«17 Diese Lehre legitimierte die soziale Spaltung und entzog sie bis heute einer grundlegenden gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung.
Thomas Hobbes forderte 1651 einerseits uneingeschränkte Freiheit jedes Menschen als Naturrecht und andererseits einen Leviathan als übergeordnete Macht: »Unter dem Naturrecht, von den Gelehrten gewöhnlich ius naturale genannt, versteht man die Freiheit jedes Menschen, seine Kräfte nach seinem eigenen Ermessen zu gebrauchen, um für seine Selbsterhaltung, d. h. für die Sicherung seines Lebens zu sorgen – und folglich auch seine Freiheit, alles zu tun, was ihn seinem Urteil und seinen Überlegungen zufolge dieses Ziel am besten erreichen läßt.«18 Jeder muss sich also gegen alle anderen durchsetzen. Deshalb Hobbes weiter: »Das Zusammenleben ist den Menschen also kein Vergnügen, sondern schafft ihnen im Gegenteil viel Kummer, solange es keine übergeordnete Macht gibt, die alle im Zaum hält«19
»Es bedurfte nicht erst eines Pinochet, um zu beweisen, daß blutige Diktatur, Polizeistaat und Todesschwadronen sehr gut vereinbar sind mit konsequentem Wirtschaftsliberalismus und freier Marktwirtschaft.«20
Bernard Mandeville überträgt 1723 die Spaltung der Ökonomie auf Bildung und Ausbildung in sehr zynischer Form: »Gedeihen und Glück jedes Staats und Königreichs erfordern […], dass die Kenntnisse der arbeitenden Armen auf den Bereich ihres Berufes beschränkt bleiben und niemals über das hinausgehen, was mit ihrer Tätigkeit verbunden ist. Je mehr ein Schäfer, Pflüger oder sonstiger Landmann von der Welt weiß und von Dingen, die seiner Arbeit oder Beschäftigung fremd sind, umso weniger wird er geeignet sein, ihre Strapazen und Härten heiter und zufrieden zu ertragen.«21
Mandeville vertrat bereits die Ansicht, dass die Menschen ohne »Arbeit gebende« Kapitalisten unfähig wären, »nach Maßgabe ihrer Bedürfnisse und Fähigkeiten Häuser zu bauen, Kunstwerke anzufertigen usw. Er setzt damit bereits jene totale »Privatisierung der Welt« voraus, deren Kehrseite die ebenso totale Lohnabhängigkeit der Massen ist. Der Selbstzweck der Kapitalverwertung schiebt sich zwischen Mensch und Natur, enteignet die Kooperationsfähigkeit und überträgt sie auf die Kapitalform, sodass sich die Individuen daran gewöhnen sollen, nichts mehr für sich und füreinander tun zu können ohne Dazwischenkunft eines 'Geldverdienens'.«22
1758 veröffentlichte der Physiokrat François Quesnay, Leibarzt Ludwig des XV. und der Madame Pompadour sein berühmtes »Tableau économique«, dessen Eingangsworte aufhorchen lassen: »Wir brauchen weder etwas zu suchen noch etwas zu finden, denn alle menschlichen Verhältnisse werden von bewunderungswürdigen Ge...