Elisabeth und die historische Wahrheit
Elisabeth und Erzherzogin Sophie
Die im Jahr 2008 von der Kunsthistorikerin Gabriele Praschl-Bichler veröffentlichten Briefe der Erzherzogin sollen beweisen, dass Sophie gar nicht so böse war. Die Autorin glaubt nun die Wahrheit herausgefunden zu haben. Das "Verhältnis zwischen den beiden Damen", schreibt sie, "hätte nicht besser und inniger sein können". Sie stellt in mehreren zitierten Briefen der Erzherzogin, ein familiäres und fast idyllisches Bild zwischen den beiden Frauen dar. Sie wählte deshalb auch den Buchtitel "Unsere liebe Sisi", weil das die Erzherzogin manchmal in ihren Briefen so schrieb. Manchmal schrieb sie aber auch "arme Sisi". Jedenfalls soll die Erzherzogin keineswegs so streng gewesen sein, wie in den Biographien und Filmen dargestellt. Sie hat sich immer wieder über die Anwesenheit von Sisi gefreut und ihre Schönheit bewundert. Sie war immer auch ganz entzückt von ihren Kindern.
Gabriele Praschl-Bichler meint, dass mit ihrer Publikation, "die Biographien Kaiserin Elisabeths und Erzherzogin Sophies neu geschrieben werden müssen" (S. →). Man fragt sich nur, wie dann die anderen Biographen, Historiker und Historikerinnen zu ihrer negativen Meinung über die Erzherzogin kamen und warum das nicht schon früher so wie es Praschl-Bichler beschreibt, gesehen wurde. Angeblich hat ja Caesar Conte Corti sogar mit Nachfahren gesprochen. Und warum hat keiner von ihnen schon nach der Marischka-Trilogie, wo die Erzherzogin streng und herrschend dargestellt wird, heftigst dagegen protestiert? Warum soll jetzt die Geschichte umgeschrieben werden?
Schon als es darum ging für den Kaiser eine Braut zu suchen, zog sie ihre Fäden. Mit ihrer Schwester Ludovika machte sie aus, dass deren Tochter Helene dem jungen Franz Joseph zugeführt werden soll. Dass es dann anders kam, verärgerte sie und sie konnte es ihr Leben lang nicht überwinden, dass die andere selbstbewusste und wenig manipulierbare Tochter Elisabeth des Kaisers Gemahlin wurde. Sie bemühte sich, nachdem sich der Kaiser bei der ersten Begegnung 1853 für Sisi entschieden hatte, "ihre Enttäuschung über die Wahl Sisis statt Nenés zu verbergen und so zu tun, als hätte sie ihrem Sohn völlig freie Wahl gelassen" (Corti, S. →, im Beitext).
Nach der Hochzeit bestellte die Erzherzogin für die junge Sisi eine enge Vertraute: Sophie Esterházy. Sie war praktisch Sisis erste Gouvernante und "Erzieherin", was das höfische Zeremoniell betraf und eine sittenstrenge Frau. Sisi hatte von Anfang an eine tiefe Abneigung gegen sie. Auch andere am Hof, wie der kaiserliche Flügeladjutant Weckberger, waren von ihr nicht begeistert (Hamann, S. →). Als Sisi später selbstbewusster wurde, hatte sie die Gräfin abgesetzt – das war 1862. Ihre Cousinen durfte Sisi nicht mehr küssen. Keine Gefühlsregungen, keine Herzlichkeiten waren mehr erlaubt (Thiele, S. →).
Als Sisi wenige Wochen nach der Hochzeit schwanger war, hatte ihr die Erzherzogin sogar verboten sich mit ihren Tieren, vor allem mit ihren Papageien, zu beschäftigen, "damit sie sich nicht 'versah' und ihr Baby Ähnlichkeit mit einem Papagei" bekommen könnte (Hamann, S. →; Corti, S. →; Sophie an Franz Joseph am 29. Juni 1854).
"Sophie ist keineswegs die warmherzige und liebevolle Frau, als die sie sich selbst in ihren zahlreichen Briefen an Verwandte darstellt. Wer das behauptet, verkennt die zähe, machtbewusste und durchsetzungsfähige Energie der Erzherzogin, die keine Nachgiebigkeit erlaubt, vielmehr äußerste Zielstrebigkeit verrät. Doch so wenig Sophie im nachhinein zur verkannten Sympathieträgerin stilisiert werden kann, so wenig lässt sie sich nur als hartherzig, gefühlskalt, ja bösartig veranlagt hinstellen", schreibt Johannes Thiele (S. →). Gerade in den ersten Jahren der Verlobung und der Ehe mit Franz Joseph zeigte sich die Erzherzogin hartherzig und gefühlskalt gegenüber der jungen Braut und der jungen Kaiserin.
Brigitte Hamann schreibt, dass "Sisis späteren Klagen, das Kind sei ihr gleich nach der Geburt abgenommen worden … mit einigen Vorbehalten begegnet werden" muss. "Ganz so schlimm kann es – wenigstens in den ersten Wochen der Geburt – gar nicht gewesen sein" (Hamann, S. →). Sie beruft sich dabei auf einen Brief von Sisi an eine Verwandte in Bayern schon drei Wochen nach der Geburt ihres ersten Kindes, in dem sie schrieb: "Meine Kleine ist wirklich schon sehr nett und macht dem Kaiser und mir ungeheuer viel Freude." Sie habe ihre Kleine den ganzen Tag bei ihr, "außer wenn sie spazieren getragen wird, was bei dem schönen Wetter oft möglich ist" (an Therese von Bayern am 22. März 1855). Das war vielleicht ein seltenes Glück mit ihrem ersten Kind. Die Klagen folgten Jahre später als sie mehrere negative Erfahrungen, auch mit ihren anderen Kindern, gemacht hatte. Denn "selbstverständlich musste sich die junge Mutter dem Regiment der Schwiegermutter widerspruchslos fügen – ebenso wie es der Kaiser von Kindheit an zu tun gewöhnt war" (Hamann, S. →).
Die Autorin Praschl-Bichler meint, dass Sisi 1855, nach der Geburt ihrer ersten Tochter, nicht von Wien nach Bayern geflohen ist (Unsere liebe Sisi, S. →, →). Tatsächlich war aber die junge Kaiserin im Juni 1855, drei Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes, in Possenhofen. Der Kaiser hatte ihr angeblich zu der Reise geraten; er bestand sogar darauf. Sisi wird aber "die Kleine", das Kind, "nicht zu lange verlassen" (Franz Joseph am 9. Juni 1855, Laxenburg; Schad, Kaiserin Elisabeth und ihre Töchter, S. →). Auch die Erzherzogin begrüßte diese Reise, da "die heimatliche Luft ihr sehr gut thun werde" (Praschl-Bichler, S. →f.) Sisi wollte angeblich gar nicht abreisen, sie weinte nur, weil der Kaiser nach Galizien reisen musste und so wollte sie die lange Wartezeit mit einem Besuch bei ihrer Familie überbrücken. Es besteht aber der Verdacht, dass Elisabeth mit ihrer kleinen Tochter in Laxenburg nicht alleine den Schikanen der Erzherzogin ausgesetzt sein wollte. Elisabeth reiste am 18. Juni "mit einem Gefolge von sechs Wagen auf dem Postwege über Ischl und Salzburg nach Possenhofen", berichtete die "Morgen-Post" am Tag darauf.
Am 2. Juli war sie wieder in Wien. Der Kaiser kam am 9. Juli von Galizien zurück ("… eingetroffen von der Rückreise von Galizien", schrieb die "Wiener Zeitung" am 12. Juli 1855). Offenbar war es die große Sehnsucht nach ihrem Kind und dem Kaiser, dass Sisi nicht länger wegbleiben wollte. Ausgemacht waren 8 Tage in Possenhofen (Sophie an ihren Sohn Karl Ludwig, Schönbrunn, 10. Juni 1855); insgesamt war Elisabeth 14 Tage fort. Man darf nicht vergessen, dass die junge Kaiserin nicht einfach so abreisen konnte und sie irgendeinen Vorwand brauchte, um wenigstens einige Tage von der Erzherzogin wegzukommen. Einerseits wollte sie ihr Kind nicht verlassen, andererseits ist sie wohl doch "geflüchtet".
Schon als junge Braut maßregelte die Erzherzogin sie, weil sie in Laxenburg einfach den Wunsch äußerte zu Franz Joseph zu fahren; es sei unschicklich für eine Kaiserin, ihrem Mann nachzulaufen (Hamann, S. →; Thiele, S. →). In Laxenburg traf Elisabeth immer wieder auf spielende Kinder und lud sie zu sich ins Schloss ein, gab ihnen Milch und Schokolade und Geschenke. Der Erzherzogin gefiel das gar nicht. Es sei für eine Kaiserin nicht passend sich unters Volk zu mischen (Thiele, S. →). Schon am 8. Mai 1854 schrieb Elisabeth ihr legendäres Gedicht von der Freiheit. Im Juni 1859 schrieb der Polizeiminister Kempen in sein Tagebuch, zwischen der Kaiserin und der Erzherzogin bestehe eine eisige Kluft (Hamann, S. →f; Tagebuch des Polizeiministers Kempen, 6. Juni 1859, S. 516).
Später, 1860, floh sie mit ihrer knapp vierjährigen Tochter Gisela, zwei Jahre nach der Geburt von Rudolf, wieder nach Possenhofen, nachdem sie die ewigen Auseinandersetzungen mit der Erzherzogin nicht mehr ausgehalten hatte (Thiele, S. →; Hamann, S. →). "Im Juli 1860 kam es zu so schweren Differenzen zwischen dem Kaiserpaar, dass Elisabeth Wien verließ und mit der kleinen Gisela nach Possenhofen fuhr – zum erstenmal seit fünf Jahren" (Hamann, S. →). Am 19. Juli 1860 berichtete die "Wiener Zeitung" von der Abfahrt der Kaiserin vom Westbahnhof, die laut der "Salzburger Zeitung" vom 16. Juli am Tag davor, am 15. Juli, erfolgte. Sisi benützte die neue Bahnstrecke zwischen Wien und Salzburg, die künftig "Kaiserin-Elisabeth-Westbahn" heißen sollte, noch vor der offiziellen Eröffnung. Tausende Schaulustige begrüßten die Kaiserin in Salzburg. Am 3. August schrieb sie an den Grafen Grünne, dass die Pferde ihres Bruders nicht mehr "ihren hohen Ansprüchen" genügten (Grünne, Possenhofen, 3. August 1860).
Elisabeth hatte keine Eile nach Wien zurückzukehren – auch nicht zum Kaisergeburtstag. Der Kaiser folgte ihr am 12. August, dem Tag der offiziellen Eröffnung der Bahnstrecke, bis nach Salzburg und weiter nach München. Am 14. August reisten beide nach Possenhofen, wo sie den Geburtstag des Kaisers feierten. "München, 14. August. Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin sind heute von hier nach Possenhofen abgegangen und werden dem Vernehmen nach bis zum 19ten dort verweilen", schrieb die "Wiener Zeitung" am 17. August 1860. Am 19. August fuhren beide über Salzburg nach Wien zurück ("Wiener Zeitung", 20. August 1860).
Ihrer Hofdame Marie Festetics klagte Elisabeth im Jahr 1873 in Laxenburg ihr Leid. "Hier habe ich viel geweint, Marie. Allein der Gedanke an diese Zeit presst mein Herz zusammen. Hier war ich nach meiner Hochzeit … Ich fühlte mich so verlassen, so einsam …" Der Kaiser konnte tagsüber nicht bei ihr sein, bis er kam war sie den ganzen Tag allein "und hatte Angst vor dem Augenblick, da Erzherzogin Sophie kam. Denn sie kam jeden Tag, um jede Stunde zu spionieren, was ich tue. Ich war ganz à la merci dieser ganz bösartigen Frau. Alles war schlecht, was ich tat. Sie urteilte abfällig über jeden, den ich liebte. Alles hat sie herausbekommen, weil sie ständig gespitzelt hat. Das ganze Haus hat sie so gefürchtet, dass alle zitterten. Natürlich haben sie ihr alles mitgeteilt. Die kleinste Sache war eine Staatsaffäre" (Hamann, S. →; Festetics, 16. Juni 1873). Aus Madeira schrieb Sisi im Jahr 1861 an den Grafen Grünne: "An die E... denke ich nur mit Schaudern, und die Entfernung macht sie mir nur noch zuwiderer", (Hamann, S. →; Grünne, Funchal, 19. Dezember 1860).
Die Kaiserin wäre durchaus "ihrer Erziehung und Persönlichkeit nach" eine mildtätige "Mutter des Volkes" geworden, meint Brigitte Hamann (S. →). "Dass ihre besten Eigenschaften nun mit Gewalt unterdrückt wurden, ist dem strengen ´System´ der Erzherzogin Sophie und deren übertriebener Auffassung vom Gottesgnadentum der Habsburger zuzuschreiben", so Hamann. Die Erzherzogin hatte stets eine Stellung wie Sisi als junge Kaiserin angestrebt. Sie musste zusehen, wie die sechzehnjährige Sisi nun ihren Platz einnahm. "Auf die ganz offensichtlichen Depressionen Sisis ging Sophie gar nicht ein, ja sie nahm sie nicht ernst. Sie sah nur die glückstrahlende Miene ihres verliebten ´Franzl" (Hamann, S. →) oder "Franzi", wie in den Briefen der Erzherzogin zu lesen. Während der Schwangerschaft mit Sophie nötigte die Erzherzogin ständig Sisi, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. "Kaum war sie da, schleppte sie mich schon hinunter in den Garten und erklärte, es sei meine Pflicht, meinen Bauch zu produzieren, damit das Volk sehe, dass ich tatsächlich schwanger bin. Es war schrecklich, Dagegen erschien es mir als Wohltat, allein zu sein und weinen zu können", sagte Sisi später zu ihrer Hofdame Marie Festetics (Hamann, S. →; Festetics, 14. Juni 1873). Die Erzherzogin bestimmte, dass die "Kindskammer" in ihrer Nähe eingerichtet wurde, "nicht in der Nähe des Kaiserpaares" (Hamann, S. →). Auch bei der Wahl der Kinderfrau hatte Elisabeth nicht mitzureden. Die Erzherzogin bestimmte die Baronin Welden, die Witwe des Feldzeugmeisters. Man hatte Sisi tatsächlich die ersten drei Kinder weggenommen, wie sie selbst sagt (Hamann, S. →; Festetics, 26. Juni 1872).
Man fragt sich ja wirklich, wenn das Verhältnis angeblich so harmonisch gewesen sein soll, wieso dann die Kaiserin am 27. August 1865 das Ultimatum stellen musste (Hamann, S. →), bezüglich der Erziehung ihrer Kinder, nachdem sie von der zu strengen Behandlung ihres Sohnes Rudolf in der Militärakademie erfahren hatte. Selbst als Sisi der Erzherzogin die letzte Ehre erweisen musste, tat sie das nicht aus Liebe. Sie raste mit einer Kutsche zur Hofburg und war besorgt, dass es keinen Unfall geben möge, "weil sie sonst gesagt hätten - ich hätte es absichtlich getan, um bei Sophie nicht anwesend sein zu müssen, weil ich sie hasse. So sehr hasse ich sie" (Hamann, S. 305; Festetics, 17. April 1872). Die Dominanz der Erzherzogin am Hof war derart groß, dass es bei der Beisetzung geheißen hat "wir haben jetzt unsere Kaiserin begraben" (Hamann, S. 306). Die "Erzherzogin Sophie ist gewöhnt, mit ihrer ausgesprochen energischen Persönlichkeit die Individualität aller Menschen um sich herum zu brechen", schreibt Corti (S. →). Ihren geistesschwachen und epileptischen Schwager, Kaiser Ferdinand I., den "Gütigen" bezeichnete Sophie kurzerhand als "Trottel" (Hamann, S. →; Nachlass Corti, Sophie an die Fürstin Metternich).
Nach dem die Erzherzogin, "diese geistesmächtige Frau", wie Graf Crenneville schrieb, am 27. Mai 1872 starb, meinte Elisabeths Hofdame Marie Festetics: Sophie "wollte den Einfluss der Kaiserin auf den Kaiser brechen" (Hamann, S. →; Festetics, Ungarn, 2. Juni 1872). Die Kaiserin sagte zur Gräfin vier Jahre nach der Geburt ihrer Tochter Valérie: "Erst jetzt weiß ich, welche Glückseligkeit ein Kind bedeutet. Jetzt habe ich schon den Mut gehabt, es zu lieben und bei mir zu behalten. Meine anderen Kinder hat man mir sofort weggenommen. Es war mir nur dann erlaubt, die Kinder zu sehen, wenn Erzherzogin Sophie die Erlaubnis dazu gab. Sie war immer anwesend, wenn ich die Kinder besuchte. Endlich gab ich den Kampf auf und ging nur selten hinauf" (Hamann, S. →; Festetics, Ungarn, 26. Juni 1872). Wenn eine Mutter sagt, man habe ihr die Kinder weggenommen, dann kann man ihr das schon glauben. Es war nicht ein wirkliches Entziehen, es waren die damals in Adelskreisen und Herrscherhäusern durchaus üblichen Maßnahmen zur Erziehung der Nachkommen, die nicht den Eltern vorbehalten waren, sondern eigens dafür ausgesuchten Personen. Für die freiheitsliebende und ohne besonderen Zwang aufgewachsene Elisabeth war diese Methode aber schmerzlich, verletzend und unverständlich.
Die Erzherzogin "erreichte es nicht, Elisabeth nach ihren Vorstellungen zu erziehen. Durch den langen erbitterten Kampf aber entzog sie der Monarchie und der kaiserlichen Familie eine vielversprechende, begabte Persönlichkeit und trieb Elisabeth in die Isolation" (Hamann, S. →). Erzherzogin Sophie galt als "der einzige Mann" am Hof (Hamann, S....