Schere Arm-Reich
Nicht zu übersehen ist auch, dass in unserem Land die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Früher baute sich diesbezüglich die Bevölkerung wie eine Pyramide auf, also unten viele mit wenig Geld, darüber ein kleinerer Teil, der zur sogenannten Mittelschicht zählte, und ganz oben recht wenige, die als reich galten. Heute sieht die Verteilung ganz anders aus. Denn die Mittelschicht ist inzwischen stark ausgedünnt und auch der Abstand zwischen Arm und Reich hat sich vergrößert.
So redet man heute bei reichen Menschen nicht mehr von Millionären sondern bereits von Milliardären. Gleichzeitig hat ein großer Teil der Bevölkerung gerade genug, um nicht zu verhungern und sich einfachste Kleidung zu leisten. An Urlaub oder größere Anschaffungen ist für diese Menschen nicht zu denken. Etwa vierzig Prozent der armen Leute haben heute proportional weniger zur Verfügung als noch vor zwanzig Jahren
In Deutschland gibt es aktuell etwa 150 Milliardäre. Jeder von ihnen besitzt so viel, wie 2.5000.000 Menschen im Monat als Grundbetrag erhalten, wenn sie von Arbeitslosengeld II leben. Der Einfachheit wegen, habe ich bei dieser Berechnung angenommen, dass jeder dieser Milliardäre „nur“ eine Milliarde Euro besitzt. Sind es hingegen zwei Milliarden, verdoppelt sich die Zahl, sind es zehn Milliarden, ist sie zu verzehnfachen.
Rund fünf Millionen Menschen sind hier im Land direkt von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) abhängig. Je nach Sichtweise, also ob Familienmitglieder, Aufstocker und andere mitgezählt werden oder nicht kommt man auch zu einer zweistelligen Millionenzahl an Bürgern, die auf diese Hilfe angewiesen sind. Allein der Vergleich des immensen Reichtums auf der einen Seite, der in der Hand nur sehr weniger Menschen liegt, und der großen Zahl an armen Menschen zeigt, wie weit die Kluft inzwischen ist.
Gleichzeitig sehen wir ein stetes Abschmelzen der Mittelschicht. Hierzu zählten früher die meisten Selbstständigen und Freiberufler. Doch bei vielen dieser Berufe konnte sich der Status, den man früher durch seinen Verdienst im Beruf hatte, nicht halten lassen. So gibt es heute Ärzte, die trotz viel und verantwortungsreicher Arbeit gerade mal so viel verdienen, dass sie ihre Praxis nicht schließen müssen. Doch es bleibt fast nichts zum Leben hängen. So hört man daher auch immer wieder von Medizinern, die einen Zweitjob ausüben, gerne auch im Ausland, weil dort offenbar mehr zu verdienen ist. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Selbstständigen ist heute darauf angewiesen, sein Einkommen mit den Leistungen nach Hartz IV aufzustocken, um überleben zu können. Auch viele Rechtsanwälte leben nur knapp über dem Existenzminimum, kleine, inhabergeführte Geschäft mit Besitzern aus der Mittelschicht gibt es kaum noch.
Gleichzeitig gibt es unter den Ärzten auch einige wenige Spezialisten, für die genau das Gegenteil gilt. Sie verdienen mit ihrer Arbeit soviel, dass man sie schon fast zu den reichen Menschen in unserer Pyramide zählen kann. Solche Beispiele lassen sich für viele Berufsgruppen aus der ehemaligen Mittelschicht finden. An vielen Stellen sieht es so aus, als ob es nur noch die Möglichkeiten arm oder sehr reich geben würde, wobei für fast alle Menschen unseres Landes das Pendel eher in Richtung der Armut ausschlägt.
Doch dadurch, dass sogar schon in der Mittelschicht zu sehen war, dass man auch trotz der eigentlich unterstellten sozialen Sicherheit Gefahr laufen kann, in Armut zu fallen, gab es neben der kleinen Spitze aus Reichen niemand mehr, der sich sicher fühlen konnte. Auch die Teile der Mittelschicht, die noch gut leben konnten, sahen die Gefahr näher kommen, dass es auch sie betreffen könnte. Und auch sie begannen das anzuzweifeln, was bisher als sicheres System gegolten hatte.
Das macht perspektiv- und mutlos. Man weiß natürlich ganz genau, dass man es nie zu einem ganz reichen Menschen bringen wird, doch früher gab es ja auch noch etwas dazwischen. Man konnte dorthin gelangen, wenn man lange in einem Unternehmen arbeitete und entsprechend darin aufstieg. Das gibt es heute fast gar nicht mehr, und so werden die Menschen hoffnungslos. Man glaubt, in vielen Fällen auch zu Recht, dass man es nie aus dieser Armut herausschaffen wird.
Hier gibt es also ein großes Potential, dass dadurch Protestwähler entstehen. Denn Perspektivlosigkeit ist ein nachvollziehbarer Grund, mit der aktuellen Lage und damit auch mit dem aktuellen System unzufrieden zu sein. Dass dies bei armen Menschen mit einfacher oder keiner Ausbildung der Fall ist, liegt auf der Hand und ist auch für alle nachvollziehbar. Doch wir haben hier ja auch gesehen, dass viele Menschen, die früher dem Mittelstand angehörten, heute trotz möglicherweise sechzig Arbeitsstunden in der Woche gerade mal so über die Runden kommen. Friseure, Bäcker, Anwälte und viele andere müssen heute jeden Monat fürchten, dass das Geld für die gemieteten Räume nicht mehr zusammenkommt. Auch hier gilt das Gesagte zur Perspektivlosigkeit. Auch diese Menschen können also Protestwähler werden. Und hier haben wir dann auch einen Grund dafür, dass es auch nicht wenige gut ausgebildete Akademiker gibt, die solchen Parteien, wie aktuell der AfD zusprechen.
Noch verstärkend kommt dazu, dass diese für viele so wichtigen Themen der Armut, wenn überhaupt nur selten in Wahlkämpfen angesprochen wird. Und dies hat einen ganz einfachen Grund: Die Wahlbeteiligung ist bei reichen Leuten deutlich höher als in den armen Teilen der Bevölkerung. So weiß man, dass in den Villenvierteln größerer Städte oft siebzig Prozent der Bewohner ihr Kreuz machen, manchmal ist der Anteil der Wählenden sogar noch höher, teilweise sogar bei neunzig Prozent. Im Gegensatz dazu liegt die Wahlbeteiligung in Vierteln, die man gelegentlich auch als Wohnghetto bezeichnet, häufig deutlich unter fünfzig Prozent, es gibt sogar solche Viertel in denen noch gerade mal jeder Fünfte wählen geht.
Praktisch alle Parteien wählen also ihre Wahlkampfthemen passend zu den Bevölkerungsgruppen aus, bei denen eine größere Wahlbeteiligung zu erkennen ist. Das sind also besser gestellte Leute und für diese spielt das Thema Armut in ihrem Alltag keine Rolle. Auch das Wort Umverteilung hören viele vermögende Menschen nicht gerne. Daher schweigen die Parteien vor einer Wahl dazu. Doch gerade dies führt natürlich bei den sowieso schon perspektivlosen Menschen dazu, dass sie sich noch mehr ausgegrenzt und von der Politik weder verstanden noch unterstützt fühlen. Das verstärkt die Neigung, die scheinbaren Systemkritiker aus Protest zu wählen. Und da es gerade bei den Zukurzgekommenen noch immer sehr viele Nichtwähler gibt, ist zu befürchten, dass vielleicht auch Teile dieser Menschen künftig dazu mobilisiert werden könnten, wieder wählen zu gehen und dabei natürlich dann ihr Kreuz bei einer Protestpartei zu hinterlassen.
Und jetzt hat es eine Partei geschafft, dass auch die armen Menschen wieder an die Wahlurne gehen. Doch wählen sie natürlich nicht die etablierten Parteien, die die Interessen der armen Menschen in der Vergangenheit vorsätzlich nicht vertreten haben. Dies haben sich diee Parteien natürlich selbst zuzuschreiben, haben sie doch in der Vergangenheit bewusst nur auf den vermögenden Teil der Bevölkerung geachtet.
Wer nicht glauben will, dass es die Armut und die Perspektivlosigkeit in Deutschland gibt, der sollte mal mit dem Fahrrad durch Mecklenburg-Vorpommern fahren, ein Bundesland in dem inzwischen rund ein Viertel der Menschen die Protestpartei AfD wählt. Wer so unterwegs ist, ist langsam genug, um seine Umgebung auch in ihrem Wesen aufzunehmen, gleichzeitig aber mobil genug, um auch mehr als nur einen oder zwei Orte zu sehen.
So wird es auf dieser Fahrt immer wieder vorkommen, dass man durch Dörfer fährt, in denen es drei Geschäfte gibt. Zwei sind abgehängt und suchen einen Nachmieter, im dritten befindet sich ein Klamottendiscounter mit Billigstangeboten. Die wenigen Menschen, die man dort überhaupt auf der Straße sieht, schlurfen lust- und freudlos umher. Hier ist die Armut großflächig angekommen und wenn die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderklaffen sollte, was leider für die Zukunft zu befürchten ist, wird es noch mehr solcher Landstriche geben, auch in allen anderen Bundesländern. Dann wird es noch mehr Perspektivlosigkeit und nachfolgend fast zwangsläufig noch mehr Protestwählern geben.
Deutschland Ost und West
Bis 1989 war Deutschland geteilt. Es gab kaum Berührungspunkte im praktischen Leben zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Lediglich den Westbewohnern war es möglich, überhaupt in den anderen Teil des Landes zu kommen, doch geschah dies nicht sehr häufig und wenn, dann waren es meistens Tagesbesuche. Den Ostdeutschen war es nicht möglich den Westen zu besuchen. Lediglich Menschen denen eine dauerhafte Ausreise bewilligt worden war oder die schon 65 Jahre alt waren, sahen den anderen Teil Deutschlands. Viele kannten den Westen daher nur von den Bildern, die sie im Westfernsehen sehen konnten.
Ende der 80er-Jahre wuchs die Unzufriedenheit in der DDR so stark, dass die Menschen auf die Straße gingen. Viele gingen auch ins benachbarte Ausland Osteuropas und besetzten dort die westdeutsche Botschaft, um so ihre Ausreise in den Westen zu erzwingen. Die Menschen fühlten sich eingesperrt, arm und bevormundet. Sie wollten auch ein Leben, wie sie es immer wieder im Fernsehen von den Menschen im Westen sahen. Schließlich gab es riesige Demonstrationen, und man konnte deutlich erkennen, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung hinter dieser Bewegung stand.
Ende 1989 war der Druck dann so stark, dass die Grenzen geöffnet wurden. Sicher war es nicht auf diese Art geplant, aber wenn man nicht Gewalt gegen das eigene Volk anwenden wollte, wie es einige Monate zuvor in Peking geschah, dann musste etwas geschehen, um Ruhe in die Lage zu bringen. Gleich von der ersten Minute der Öffnung an strömten Unmengen an Menschen in den Westen.
Begrüßt wurden die Menschen herzlich und obendrauf gab es für jeden noch ein Begrüßungsgeld in Höhe von 100 Westmark. So konnten sie gleich einen Eindruck bekommen, welcher Wohlstand hier wohl herrschen muss, dass man sich das leisten konnte. Man hatte den Eindruck, dass man für die richtige Sache gekämpft hatte und wähnte sich am Ziel.
Als dann der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl auch noch von blühenden Landschaften sprach, die im Osten auferstehen würden, war das Glück scheinbar perfekt. Kohl wiederholte dies sogar und prophezeite, dass man schon nach drei oder vier Jahren die Erfolge der westlichen Politik in Ostdeutschland erkennen werde. Einen Effekt hatte diese Ankündigung sicher, denn ohne eine solche Aussage wären sicher noch mehr Menschen aus dem Osten in den Westen umgezogen, weil sie in ihrer alten Heimat keine Zukunft für sich gesehen hätten. So blieben sie, weil sie ihm glaubten und wurden bitter enttäuscht.
Schon ein Jahr später schlossen sich die beiden Länder zusammen. Genaugenommen trat die DDR der BRD bei, verschwand also als eigenständiges Land. Auch damals gab es erste Diskussionen dazu, und es wurde angemahnt, dass nach diesem einseitigen Beitritt auch einiges verloren gehen würde, was es auch in der DDR an positiven Dingen gegeben hätte. Doch es handelte sich um eine Minderheit, und so wurden sie professionell überhört. Auch viele Bewohner des Ostens verstanden die Kritik nicht und glaubten stattdessen weiter an die blumigen Versprechungen.
In den nächsten Jahren war zu beobachten, dass es viele Menschen gab, die Anspruch auf Eigentum im Osten erhoben. Sie gaben an, dass ihre Vorfahren durch die frühe DDR enteignet worden seien. Häufig verloren Menschen so ihr Zuhause, indem sie nun schon einige Jahrzehnte wohnten.
Gleichzeitig wurden von den eingesetzten Abwicklungsbehörden viele Unternehmen stillgelegt. Viele Menschen wurden also arbeitslos. So zogen immer mehr Menschen in den Westen, weil sie sich dort mehr für die eigene Zukunft versprachen. In manchen Orten war es so, dass mehr als ein Drittel der Bewohner „rübermachten“, wie man es damals nannte.
Das war in etwa der Stand als die vom ehemaligen Kanzler Kohl avisierten drei bis vier Jahre vorbei waren. Nichts war zu sehen von den blühenden Landschaften, es gab noch nicht einmal Vorzeigeobjekte. Stattdessen gab es hohe Arbeitslosigkeit, verlassene Städte und Dörfer und wenn man Pech hatte noch eine Wohnung, die einem von Westbewohnern weggenommen wurde. Der Unmut über die Verhältnisse und nicht eingehaltenen Versprechen wurde immer deutlicher vernehmbar.
So ging es weiter, viele Jahre lang. Zwar wurde die Infrastruktur auf den neuesten Stand gebracht, aber sonst passierte nicht viel. Vor allem für die Menschen tat man nichts. Trotz Förderungen fand sich kaum ein Unternehmen, das sich dort ansiedelte. Man hatte erkannt, dass die besser ausgebildeten Menschen inzwischen in den Westen abgewandert waren und fürchtete, nicht genug qualifiziertes Personal zu finden.
Auch heute, über ein Vierteljahrhundert nach der Maueröffnung hat sich an all diesen Dingen kaum etwas geändert. Neben dem Beschriebenen, das alles noch vorzufinden ist, verdienen die Menschen dort weniger bei gleichen Lebenshaltungskosten. Die Renten sind niedriger und bei noch einigen anderen Dingen stehen sich die Bewohner dort schlechter als im Westen. Wer beispielsweise aufmerksam durch manche Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen fährt, wird keine Schwierigkeiten haben, die Trostlosigkeit zu sehen. Wenn die Bewohner dort das Wort Sozialstaat hören, wird ihnen immer wieder bewusst, wie wenig es diesen für sie gibt.
Zufriedenheit und Hoffnung sind in diesen Gegenden praktisch nicht mehr auszumachen. Die Menschen hören immer wieder die überaus positiven Meldungen von der Entwicklung der deutschen Wirtschaft und sehen dazu tagtäglich ihr eigenes Elend. Einige gehen inzwischen sogar soweit, sich die alte DDR zurückzuwünschen. Man hatte in diesem Vierteljahrhundert noch nicht einmal das Niveau des Westens erreicht, in vielen Bereichen sogar seit der Einheit verloren – wie weit sind da also erst die blühenden Landschaften entfernt?
Auch die Parteien und politischen Vertreter genossen kein Vertrauen mehr. Immer weniger Stimmen bekamen sie im Osten bei Wahlen, wenn man überhaupt noch mitwählte. Lediglich Parteien, hinter denen man Protest gegen die etablierten Parteien vermutete, erhielten noch gute Ergebnisse. Nur indem man sich durch ein solches Wahlverhalten Gehör verschaffte, hatte man noch eine geringe Hoffnung, dass sich vielleicht doch mal irgendwann etwas ändern würde. Man wäre ja schon mit kleinen sichtbaren Schritten zufrieden, die „blühenden Landschaften“ hatte man abgeschrieben. Auch glaubte man nicht mehr daran, dass die etablierten Westpolitiker irgendwann einmal sehen würden, wie die Wirklichkeit im Osten ist.
Nicht nur im Osten lässt sich so etwas beobachten, in einigen Regionen gibt es das auch im Westen. Es gibt dort ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Nachdem in den vergangenen Jahren viele in die großen Städte gezogen sind, bluteten auch dort viele kleinere Orte förmlich aus. Auch dort wuchs die Unzufriedenheit, und auch dort verschwand immer mehr Vertrauen in die alteingesessenen und regierenden Parteien.
Doch das Problem im Osten ist weitaus größer. Auch besteht es schon länger, so dass sich die Unzufriedenheit schon viel tiefer in die Menschen eingefressen hatte. So kommt es, dass eben im Osten der Anteil der Nicht- oder Protestwähler viel größer ist als im Westen.
Zukunftsängste
Früher war das Leben einfach. In der Jugend nahm man einen Beruf an und übte ihn dann bis zur Rente aus. Der Großteil der Bevölkerung war nie in einer Lage, in der man Sozialleistungen beantragen musste. Man heiratete mit Mitte der zwanzig und blieb zusammen, bis einer der beiden starb. Man bekam Kinder und bereitete sich auf sein kommendes und erwartbares Leben vor. Auch in der Wohnung blieb man einfach wohnen, oder man baute sich gar etwas eigenes, was ab dann bis zum Lebensende zur Heimstatt wurde.
Doch dies ist heute alles nicht mehr so. Einen Job hat man heute vielleicht fünf Jahre, dann wird man aus Rationalisierungsgründen oder weil die Firma Insolvenz anmeldet, entlassen. Nur noch rund zwei Drittel der festen Partnerschaften halten ein Leben lang. Und ein Haus zu bauen, ist nur noch wenigen möglich, die beruflich zu den wenigen Glücklichen gehören oder Verwandte haben, die in der Lage sind, hier finanziell auszuhelfen.
Die meisten Menschen, die heute hier leben, egal welchen Alters sie sind, wissen daher nicht, was die Zukunft für sie bringen wird. Kaum jemand ist noch in der Lage, mehr als fünf Jahre in die eigene Zukunft zu blicken.
Hieß es früher in der Erziehung, dass man dies oder jenes zu lernen habe, weil es einem bei der zu erwartenden Zukunft helfen würde, zieht dieses heute nicht mehr. Zu oft muss man im Leben grundsätzliche Dinge wie Beruf, Partner oder Wohnung wechseln. Und diese Wechsel sind häufig so gravierend, dass man Dinge, die man für etwas gelernt hat, in der nächsten Lebenssituation nicht mehr anwenden kann. So muss immer wieder neu gelernt werden, und oft ist man nicht sicher, ob man es auch schafft.
Früher war es also so, dass man mit dem Erwachsenwerden das Lernen abgeschlossen hatte. Was noch dazu kam, war Erfahrung. Diese wurde im Beruf gesammelt und auch bei den Hobbys, die man hatte. Heute hat man den Eindruck, nie ausgelernt zu haben, nie ein fertiger Mensch zu sein. Man kann sich auch nicht vorbereiten, weil man eben nicht weiß, was auch nur in zwei Jahren sein wird. Man weiß nur, dass eine solche Veränderung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kommen wird, dass es auch sein kann, dass es sehr plötzlich auftritt. In welche Richtung es dann gehen wird, lässt sich noch nicht einmal erahnen, man weiß nur, dass es mal wieder Bereiche geben wird, bei denen man mal wieder bei Null anfängt.
Aus der Sicherheit von früher wurde also irgendwann eine Unsicherheit darüber, was wo...