TEIL I – BUDDHAS LEBEN UND SEINE LEHRE
A Das Leben Buddhas bis zum Erwachen:
Wenn Buddha aber eigentlich eher eine Bezeichnung für einen bestimmten Bewusstseinszustand oder ein Titel ist, wie hat denn nun Buddha wirklich geheißen und wie ist sein Leben verlaufen? Das Leben Buddhas kann auf unterschiedlichen Wegen nachvollzogen werden. Ein umständlicher Weg ist das Aufspüren von Lebensdaten und Geschichten in den Lehrreden Buddhas aus dem Palikanon. Weiter unten wird das umfassende Schriftwerk des Palikanon genauer erklärt. Als zweiter Weg sind fünf frühe Biografien zu nennen, die sich nach Inhalt und behandelter Zeiträume stark unterscheiden. Das Mahavastu z.B. hat seine Ursprünge im 2. Jhdt.v.Chr., die Nachbearbeitungen reichen bis ins 3. Jhdt. Als dritte Quelle gelten später entstandene Texte, die aber nicht viel Neues liefern.5
Quellen und Historizität:
Um das Leben Buddhas grob darzulegen, bediene ich mich hauptsächlich Hellmuth Heckers ausgezeichneten Werks „Das Leben Buddhas", das spirituelle Tiefe und Freude vermittelt.6 Jedem ernsthaft Interessierten möchte ich dieses Buch wärmstens ans Herz legen. Ferner ist das von Hans Wolfgang Schuhmann mehr wissenschaftlich ausgerichtete Werk „Der historische Buddha" ergänzend eingesetzt worden.
Ob es je einen Menschen gegeben hat, der als großer Gelehrter einer großen Gefolgschaft vorstand und die Lehren zur Befreiung vom menschlichen Leid predigte, wird heute von Historikern nicht mehr bezweifelt.7 Für den Philosophen Karl Jaspers gehört Buddha neben Sokrates, Jesus und Konfuzius zu den maßgebenden Menschen8, obschon ihm klar ist, dass Buddha dem abendländischen Denken schwer zugänglich bleibt, weil es die Macht der Meditation in seiner Tiefe nicht wie der ferne Osten nutzte.9
Für den Nachweis Buddhas Historizität ist der buddhistische Kaiser Ashoka wichtig, der ein Großreich über Indien errichtete und viel für die Verbreitung und Bewahrung des Buddhismus unternahm. Aus den Chroniken geht hervor, dass zwischen der Königsweihe Ashokas und Buddhas Tod 218 Jahre liegen. Nach den japanischen Historikern Nakamura Hajime und Hirakawa Akira liegen nur 100 Jahre zwischen Buddhas Tod und Ashokas Krönung. 1896 wurde der Geburtsort Buddhas in Lumbini entdeckt, wo sich heute noch eine sechseinhalb Meter hohe Steinsäule befindet, die Ashoka mit einer eingravierten Inschrift errichten ließ. Mit dieser bezeugt er seine Verehrung für Buddha. Ferner erklärt Ashoka auf der Säule, dass er zwanzig Jahre nach seiner Krönung die Säule am Geburtsort des Buddhas aufstellen ließ. Dort fand man auch eine Steinplatte, die Buddhas Mutter bei der Geburt unter einem Baum stehend zeigt.10 Im indischen Ort Piprava (12 km von Lumbini entfernt), der wahrscheinlich mit der früheren Residenzstadt Kapilavatthu identisch ist, wurden 1898 in einem Ziegelstupa 5 Urnen gefunden. Eine trug die Inschrift: „Das ist ein Reliquienbehälter des Erwachten, Erhabenen, der Sakyer Stiftung, der Brüder mit Schwestern, mit Kindern und Frauen." 1972 wurde unterhalb dieses Stupas in einer Bodenschicht, die dem 5. Jhdt.v.Chr. zugeordnet wird, zwei weitere Urnen entdeckt, die Knochenreste enthielten – möglicherweise die von Buddha.11
Abgesehen von diesen archäologischen Fakten liefert der Palikanon ausreichend Material und stellt Bezüge zu historischen Personen und lokalen Erscheinungen jener Zeit her. Bezüge lassen sich zur vedischen Religion und zu jainischen Schriften rekonstruieren.12 Zudem sind die Texte und Lehren des Palikanon von innerer Stimmigkeit und Logik gekennzeichnet und die Mönche und Gläubigen, die nach den Lehren des Buddhas bis zum heutigen Tag nach seinen Lehren leben und praktizieren, bestätigen die Richtigkeit seiner Lehren und Aussagen.
Die Bestimmung von Buddhas Geburtsjahr ist nicht eindeutig festlegbar, wird aber von den meisten westlichen Indienhistorikern auf das Jahr 563 v.Chr. errechnet. Die Ashoka-Edikte, Ceylon-Chroniken und die chinesische Punktchronik liegen nur bis auf wenige Jahre auseinander.13 Manche Historiker der letzten Jahre neigen dazu, die Lebensdaten Buddhas um 60-80 Jahre vorzuverlegen.14
Hinweis auf die Namen und die verwendete Übersetzung:
Um einer Verwirrung vorzubeugen, soll erwähnt sein, dass mein grober Überblick von Buddhas Leben die Namen der Personen nach dem Pali-Text angibt. Da die Namen der bekanntesten Personen meistens in der Sanskrit-Form angegeben sind, werde ich diese belassen. Buddha selbst sprach wahrscheinlich das dem Pali sehr ähnlichen Maghadi. Pali wiederum ist dem klassischen Sanskrit sehr ähnlich. In Pali enden die männlichen Namen mit dem Vokal „o" und im Sanskrit mit dem Vokal „a". In Pali heißt es also Buddho und im Sanskrit Buddha. Genauso verhält es sich mit Siddhartha im Sanskrit, der zu Siddhattho im Pali wird.
Bei den wörtlichen Zitaten verwende ich in den meisten Fällen die Übersetzung von Karl Eugen Neumann. Sein Stil wird nicht von allen Gelehrten geschätzt, weil sie nicht Buddhas nüchterne Geistesart widerspiegle. Andere hingegen meinen, mich mit eingeschlossen, dass dieser Stil die Reden Buddhas in eine Sphäre des Erhabenen und Heiligen hebt. Selbst, wenn Buddha in einfachen und klaren Worten gesprochen haben mag, ist anzunehmen, dass seine Worte und vor allem seine Präsenz jeden Ton mit Heiligkeit durchtränkten. In diesem Sinne hilft es dem Leser beim Lesen der Worte Buddhas, leichter eine feierliche Stimmung zu erleben.
Herkunft und Geburt:
Buddha wurde im heutigen Nepal in Lumbini als Sohn des indischen Fürsten Suddhodana in das Volk der Sakyer geboren. Der Familienname Suddhodanas war Gotama, was so viel wie „größter Stier, Führer der Herde oder Bester" bedeutet. Der spätere Buddha war somit ein Prinz des Sakyervolkes und hieß Siddhartha Gotama, oder Gautama, wie das oft angegeben wird. Siddhartha bedeutet „der das Ziel erreicht hat oder die Wünsche erfüllte". Später sollte man den historischen Buddha mit Buddha Shakyamuni bezeichnen – der Heilige oder Gelehrte (muni) vom Stamm der Sakya wurde Buddha. In einem adeligen Haus geboren, gehörte er damit zur Kriegerkaste (Kshatriyas) neben den priesterlichen Brahmanen, dem Nährstand (Vaishya), den Handelsleuten und Bauern, sowie den Handwerkern und Dienern (Shudra). Dem Kriegerstand war das Herrschen und Regieren vorbehalten.
Sein Vater regierte das Volk der Sakyer in der Residenzstadt Kapilavatthu als Gefolgsmann des Großkönigs oder Maharajas von Kosalo. Kapilavatthu liegt im heutigen Indien unweit der nepalesischen Grenze. Seine Mutter Maya war ebenfalls Saykerin, aber stammte von der kleineren Stadt Devadahas ab. Als sie die Geburt nahen spürte, verließ sie die Residenzstadt und suchte den Beistand ihrer Mutter in Devadahas. Sie erreichte ihre Mutter aber nicht mehr und gebar den künftigen Weltenerlöser unter dem Schutze eines Salabaumes bei Lumbini.15
Abb. 1, Ashoka-Säule in Lumbini
Maya, völlig entkräftet von der Geburt, wurde zurück zur Residenzstadt gebracht und dem König und Vater Suddhodana wurde die freudige Kunde überbracht. Alsbald waren alle Feierlichkeiten zur Namensgebung entrichtet. Ein dem Hofe lang vertrauter Weiser namens Asita prophezeite dem König, sein Sohn werde ein Buddha werden, da der kleine Junge die 32 Merkmale eines Erwachten am Körper trug. Der König war jedoch von seinem Wunsche gar besessen, dass sein Sohn einmal ein großer Herrscher werde und verstand die Prophezeiung als Weisung auf einen Weltenkaiser. 108 Brahmanen vollzogen die Namensgebungszeremonie und acht von ihnen, als besonders zeichenkundig geltend, sahen voraus, dass er entweder ein Weltenherrscher oder ein Erwachter werden würde. Die Seher schränkten ein, dass er im Hause bleibe müsse, um Weltenherrscher zu werden.16 Diese Weisung beherzigte der König und sperrte den Prinzen in einen goldenen Käfig, so dass er möglichst nur von Schönem, Gesunden und Jungem umgeben war. Sein Geist sollte möglichst wenig mit den Leiden des Lebens konfrontiert werden.
Buddhas Mutter:
In den ersten Tagen des kleinen Prinzen schwand die Kraft der jungen Mutter immer mehr, so dass sie am siebten Tag verschied. Des Königs zweite Frau, die zugleich auch Schwester Mayas war, nahm sich des jungen Sohnes an, obschon sie selbst die Zwillinge Nando und Nanda gebären sollte. Bevor wir uns mit der weiteren Entwicklung des Prinzen befassen, wollen wir noch ein wenig mit Siddharthas Mutter zubringen.
Bevor sie den Jungen empfing, hatte sie einen Traum, der ihr andeutete, dass sie ein hohes Wesen empfangen würde.17 Ferner heißt es, dass der Buddha vor seiner Geburt als Bodhisattva im Tushita-Himmel in Wonne weilte und von den Göttern gebeten wurde, in die Welt hinabzusteigen, um der Welt die leiderlösende Lehre zu bringen. Dort suchte er sich seine Mutter und das Geschlecht der Sakyer als seine geeignete Familie aus, um im kommenden Leben die vollkommene Buddhaschaft zu erlangen.18 Als Maya nun den Bodhisattva19 empfing, fühlte sie einen starken Drang zur Tugendhaftigkeit und führte ein harmonisches und heiliges Leben.20 Als es dann wirklich soweit war und Buddha in einem Wald bei Lumbini von seiner Mutter stehend und ohne Schmerzen entbunden worden war, ereignete sich viel Übernatürliches, das uns naturwissenschaftlich und skeptisch erzogenen Geistern der Moderne einige Schwierigkeiten machen könnte. Neben anderem Außergewöhnlichem habe sich ein unermesslich mächtiger Glanz ausgebreitet, der alle Welten und Regionen erreichte und die Welten für einen kurzen Moment in Glückseligkeit tauchte.21 Viel später nahm Buddha sich des Seelenheils seiner Mutter an, obschon sie durch ihre großen Verdienste in der Seligkeit des Götterhimmels weilte. Dort unterrichtete er die Götter und führte seine Mutter auf den Heilsweg.22 An dieser Stelle sei erwähnt, dass er sich vortrefflich um seine engsten Angehörigen und Gefolgsleute kümmerte. Sein Vater erlangte die Heiligkeit, seine Stiefmutter Mahapajapati, seine Frau Yasodhara, sein Sohn Rahulo, sein Halbbruder Nando und dessen Zwillingsschwester Nanda23, sein Vetter und geliebter Nachfolger Ananda24, weitere Verwandte und Angehörige des Sakyerstammes folgten der Lehre Buddhas und wurden Mönche und Nonnen, andere folgten ihm als Laien.
Die Kindheit Siddharthas verlief voller Freude und manche Geschichten zeichnen seinen Edelmut. Im Alter von ungefähr sieben Jahren soll der kleine Siddhartha mit seinem Vater auf dem Feld gewesen sein, wo dieser die Pflugzeremonie vornahm. Siddhartha wurde ein Platz im Schatten eines Rosenapfelbaumes angeboten. Dort beobachtete er, während die Bauern in aller Mühsal den Boden bestellten, wie eine Eidechse ein Insekt verspeiste und selbst hernach von einer Schlange geschnappt wurde. Die Schlange selbst wurde von einem Raubvogel gepackt. Diese Verkettung von „Fressen-und-Gefressen-Werden" ließen ihn intuitiv das komplexe Geflecht von Leben und Leiden verstehen. Er empfand tiefes Mitgefühl für die leidenden Wesen und fiel in einen tranceartigen Zustand. Nachdem er wieder in einen gewöhnlicheren Bewusstseinszustand zurückgefunden hatte, strahlte er weiterhin eine Art übernatürlichen Glanz aus, dass Ammen, Wächter und selbst der Vater seiner ungewöhnlichen Heiligkeit gewahr wurden.25
Der junge Prinz:
Durch die Erziehung am Hof kam Siddhartha freilich mit den Lehren der vedisch-brahmanischen Religion und Kultur in Kontakt, was seinen forschenden Geist viele Fragen stellen ließ, die den Vater beunruhigten. Sein Sohn könnte möglicherweise einen Hang zur Askese entwickeln und das Interesse für die Geschäfte des Palastes völlig verlieren. Seine Berater rieten ihm, den Prinzen an Sinnesfreuden zu binden, damit er sich nicht zunehmend mit Geistigem beschäftigt. Eine Heirat wurde empfohlen und bald darauf war er als 16-Jähriger mit der schönen Yasodhara vermählt, mit der er ein harmonisches und friedliches Leben im makellosen Palast führte, wo nur Schönheit und Liebreiz herrschten. Sein Vater versuchte ihm Alter und Krankheit fernzuhalten, damit Leid und Schmerz nicht Anlass zu unbequemen Fragen gäben.26
Da der Prinz aber auch in die Alltagsgeschäfte seines Vater miteinbezogen war, entging ihm nicht, dass das Volk an Hungersnöten litt, schwierige Gerichtsfälle auszustehen waren und Unglücksfälle die Menschen trafen. Mit seinem Vater führte er so manche Diskussion und beklagte das Leid des Lebens. Sein Vater versuchte ihn stets zu trösten und empfahl ihm, sich seinem Schicksal zu ergeben, von seinem Fragen abzulassen und vielmehr seine Pflicht zu übernehmen, für seine Familie und das Volk zu sorgen. Den jungen Mann Siddhartha ließ jedoch die peinigende Vorstellung, dass das Leben letztlich nur von Krankheit, Tod und Wiedergeburt gekennzeichnet wäre, nicht los. Er fand keine Lust am Treiben des Lebens und fühlte sich hilflos dem Schicksal ausgesetzt. Er wollte wissen, wie man sich vom Leid erlöst und den Tod überwindet, aus dem ewigen Kreislauf von „Leben-Tod-Wiedergeburt", Samsara genannt, aussteigen könnte.
Einmal traf er auf einen Mönch, dessen Gelassenheit und friedvolle Ausstrahlung großen Eindruck auf Siddharta machte. Als er darauf mit ihm sprach und von ihm wissen wollte, was das Ziel seines Strebens sei, antwortete dieser ihm, dass er Gemütsruhe und Erlösung suche. Das...