1 Einleitung
„Gott zum Lob und den Menschen zur Freude“
Posaunenchöre sind mit über 100.000 Mitgliedern eine der größten musikalischen Laienbewegungen Deutschlands. Das Motto: „Gott zum Lob und den Menschen zur Freude“ fasst ihr Auftreten und die Ziele in einem Satz zusammen. Auch aus dem Görlitzer Stadtgebiet lässt sie sich nicht wegdenken. Doch die Auswirkungen der Posaunenchor-Arbeit sind selten untersucht worden. Ihr Beitrag zum kulturellen Leben der Stadt sowie zur kulturellen Bildung der Posaunenchor-Mitglieder wird im Rahmen dieser Arbeit näher betrachtet.
Angeregt durch die Arbeit am Kulturentwicklungsplan der Stadt Görlitz unter der Leitung von Agnieszka Bormann und vertiefend zum Kirchengutachten im Auftrag der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“1 von Prof. Matthias Theodor Vogt wird als erstes ein Überblick über die kirchenmusikalischen Aktivitäten in der Stadt Görlitz gegeben. Davon ausgehend steht im Folgenden ein Ausschnitt der gesamten Palette im Mittelpunkt: Die Posaunenchöre. Ein allgemeiner Abriss über das Phänomen generell und innerhalb der Stadt mit Hilfe der bestehenden Literatur und einer Befragung aktiver und ehemaliger Posaunenchor-Mitglieder führt in die Materie ein.
Die Forschungsfrage: „Welchen Beitrag leisten die Posaunenchöre zur kulturellen Vielfalt und kulturellen Bildung in der Stadt Görlitz“ steht im weiteren Verlauf im Vordergrund. Die Forschungsthese lautet: „Die Mitglieder des Posaunenchores nehmen aktiv am kulturellen Angebot der Stadt teil und gestalten es mit. Die Bewegung selbst ist verantwortlich für die musikalische Bildung ihrer Mitglieder und ein gesteigertes Interesse an Kultur, welches dazu führt, dass Posaunenchor-Bläser häufig Kulturveranstaltungen besuchen und dafür auch lange Wege zurücklegen.“
Während der Untersuchung konnte diese Annahme bestätigt werden. Die Posaunenchöre sind eine kulturvermittelnde Bewegung. Diese Feststellung beschränkt sich nicht nur auf den Bereich der Musik, sondern auch mit Blick auf religiöse Fragen und kulturelle Offenheit allgemein. Durch die Gemeinschaft, die ein wichtiger Aspekt der Chöre ist, kommen ihre Mitglieder besonders häufig mit kulturellen Veranstaltungen in Kontakt, an denen sie als Publikum oder Mitgestaltende teilnehmen.
Die vorliegende Arbeit setzt sich jedoch nicht nur zum Ziel, das Wirken der Posaunenchöre innerhalb der Kirchen und der Gesellschaft zu untersuchen und einer entsprechenden Würdigung zuzuführen. Es sollen Wege aufgezeigt und Handlungsempfehlungen gegeben werden um einen nachhaltigen Fortbestand der Chöre gewährleisten zu können. Im gegebenen Fall beziehen sich diese Empfehlungen auf die Stadt Görlitz. Eine Übertragung auf andere Regionen Deutschlands ist gewiss auszugsweise möglich. So soll die Arbeit Denkanstoß und Anregung sein.
2 Methodische Vorgehensweise
Für die Untersuchung wurden verschiedene Möglichkeiten der Informationsbeschaffung in Anspruch genommen. Während die allgemeinen Kapitel über die Posaunenchorbewegung auf einem intensiven Literaturstudium beruhen, mussten die Angaben, die sich auf das betrachtete Gebiet beziehen, auf anderen Wegen erfasst werden. Das Internet ist eine beliebte Plattform um Gemeindeaktivitäten publik zu machen. So lassen sich viele der kirchenmusikalischen Angebote hier finden. Andere Aktivitäten konnten durch Nachfragen und Einzelgespräche ermittelt werden.
Das Kapitel über die Posaunenchöre im Görlitzer Stadtgebiet basiert, neben den einzelnen Festschriften zu den Jubiläen der Chöre, zu einem großen Teil auf einem eigens für diese Arbeit entwickelten Fragebogen2, der an einen Großteil der Bläser in Görlitz verteilt wurde. Es wurden 70 Fragebögen ausgegeben, der Rücklauf betrug 76 Prozent. Den Kapiteln 5.1, 5.2 und 5.4 liegen die Auswertung der Umfrage zu Grunde. Soweit nicht anders angegeben, wurden die Diagramme zur Veranschaulichung der gesammelten Daten von der Autorin erstellt. Die genauen Zahlen finden sich im Anhang B.2.1, Seite →.
Um auf weitere Aspekte einzugehen, wurden fünf Interviews mit Posaunenchor-Mitgliedern unterschiedlicher Alterstufen, Geschlechter und Positionen im Posaunenchor befragt. Helmut Schubert, Gründungsmitglied und späterer Leiter des Posaunenchores Frauenkirche in der Innenstadtgemeinde3 in Görlitz, spielt heute nicht mehr aktiv im Chor. Doch seine Erfahrungen und Erlebnisse sind von großem Interesse für diese Arbeit. Durch sein Engagement stehen umfangreiche Statistiken für den Posaunenchor Frauenkirche zur Verfügung, welche im Kapitel 5.2.1 zur Anwendung kommen. Die genauen Zahlen finden sich im Anhang B auf Seite →.
Bernd-Johannes Alter ist heute aktives Mitglied des Posaunenchores Ludwigsdorf. Er war in seiner Zeit als Landesposaunenwart (LPW)4 der Posaunenmission der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz für die Gestaltung der Posaunenchor-Bewegung in der Region zuständig. Die amtierende Landesposaunenwartin Maria Döhler ist seit Mai 2010, also seit vergleichsweise kurzer Zeit, in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) tätig. Die musikalische Laufbahn der studierten Trompeterin begann im Posaunenchor. Als aktive Mitglieder der Bewegung wurden Heiner Morgenstern, hauptberuflicher Gesundheits- und Krankenpfleger und Henriette Zücker, Schülerin, beide Mitglieder des Posaunenchores Frauenkirche, befragt. In diesen Gesprächen stellten die neuen Ansätze und Ideen wichtige Anregungen dar. Die Erkenntnisse aus den verschiedenen Interviews liegen den Abschnitten 5.1, 5.2 und 5.4 zu Grunde.
3 Kirchliche Gemeinschaften und ihre musikalische Arbeit in Görlitz
Die Stadt Görlitz5 ist deutschlandweit bekannt für ihre architektonischen Denkmäler. Viele von diesen Bauten waren und sind kirchlichen Zwecken zugeordnet. Im Bereich der Evangelischen Innenstadtgemeinde allein liegen vier Kirchen, dazu weitere Gebäude, wie das Mollerhaus am Waidhausplatz, der Fränkelsaal in der Jakobstraße, das Jugendhaus Wartburg, die evangelische Dietrich-Heise-Schule, die Pilgerherberge Peregrinus (ehemalige Kirchenmusikschule) u.v.m. Viele Initiativen gehen von den Kirchengemeinden aus und füllen diese Gebäude mit Leben.
3.1 Musikalische Aktivitäten
Neben der katholischen Gemeinde von St. Wenzel6 beleben neun evangelische Gemeinden (darunter auch die reformierte Gemeinde und eine Gemeinde der Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK))7 und acht freikirchliche Gemeinschaften8 das Stadtbild. Die Sondergemeinschaften der Mormonen, der Neu-Apostolen und Zeugen Jehovas finden hier der Vollständigkeit halber Erwähnung, werden jedoch nicht weiter betrachtet.
Da eine umfassende Schilderung der kulturellen Arbeit der Kirchengemeinden und kirchennahen Gruppen den Rahmen der Arbeit sprengen würde, steht in diesem Kapitel die Musik im Vordergrund. Musik, die „gemeinsame Sprache der Menschheit“9, nimmt schon im Alten Testament der Bibel eine Sonderrolle ein. Im Psalm 8110, überschrieben mit „Die wahre Festfeier“, heißt es: „Singet fröhlich Gott, der unsere Stärke ist, jauchzet dem Gott Jakobs! Hebt an mit Psalmen und lasst hören die Pauken, liebliche Zithern und Harfen! Blaset am Neumond die Posaune, am Vollmond, am Tag unseres Festes!“11. Musik ist also Bestandteil der Gottesdienste und Feiern, findet aber auch im Krieg Anwendung, wie die inzwischen zum Sprichwort gewordenen Posaunen von Jericho12 belegen.
Bei der musikalischen Betätigung steht besonders der gemeinschaftliche Aspekt im Vordergrund. Musik wird als Begleitung im Gottesdienst und bei anderen zeremoniellen Anlässen verwendet, ist aber auch ein Mittel, Menschen für einen Zweck zu einen und sie zu binden. Sie belebt Feierlichkeiten und gibt Spielern wie auch Hörern oft eine positive Grundhaltung.
Die Daten der folgenden Abschnitte wurden durch Befragungen in den Gemeinden erhoben. Leider kann kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, da sich die Szene immer wieder ändert. Die Darstellung entspricht dem Stand vom Juni 2014.
3.2 Hauptamtliche Angebote und Privat-Initiativen
Innerhalb der Kirchengemeinden ruht die musikalische Arbeit auf mehreren Schultern. Die hauptamtlich oder immer häufiger auf Honorarbasis angestellten Kantoren werden von vielen ehrenamtlich wirkenden Gemeindegliedern unterstützt. Dabei existiert sowohl eine große Zahl verschiedener Aktivit...