WIE MAN EINEN KOLLEGEN ZERSETZT
Ebenfalls am 5. März 2008 ereignet sich am Neumarkt Folgendes: Während ich kurz abwesend bin, kommt Kollegin Simone B. zufällig vorbei. Lukas K. von Gruppe 2 sagt ihr: „Wir haben deine beiden Kollegen im Schlepptau!“
„Da braucht ihr aber eine dicke Leine, damit sie bei Fuß gehen!“ (Anm.: Laut Simone B. ist der Nebensatz nicht gefallen.)
Mehmet Y. berichtet mir bei meiner Rückkehr empört über die Gleichsetzung von uns Kollegen mit Hunden. Er spricht Gruppenleiterin Irene K. darauf an, und die spricht mit Simone B. Das wohl zu erwartende Ergebnis kommentiert Mehmet Y. mir gegenüber so: „Die wollen das als Spaß abtun und unter den Teppich kehren!“
Was mein Verhältnis zu Simone B. betrifft, sei hier kurz erwähnt, dass mich ein Streit mit dieser Kollegin schon in den ersten Tagen meiner Probezeit an den Rand eines Rauswurfs brachte (s. Kap. „Willkommen im ‚Dschungelcamp‘!“).
Am Sonnabend, den 15. März 2008 – es sind übrigens die „Iden des März“, an denen Iulius Caesar ermordet wurde –, kommt es zum Eklat. Nach Rückkehr in unseren Stützpunkt „Deutz-Kalker Bad“ legen die Kolleginnen ihre Jacken auf den Tisch, und ich meinen großen, schwarzen Hut. Simone B. wendet sich säuselnd an mich. „Enno, darf ich dich einmal um etwas bitten?“
Ich zucke mit den Schultern. „Das kommt drauf an …“
„Nimmst du bitte deinen Hut vom Tisch?!“
„Wem gehört denn diese rote Jacke?“
„Die gehört mir.“
Ich bin reichlich verblüfft. „Warum darf deine Jacke auf dem Tisch liegen, aber nicht mein Hut?“
„Meine Jacke ist sauber, dein Hut ist voller Haare – und das ist unhygienisch!“
Mir geht jetzt die Hutschnur hoch. „Seit zehn Tagen warte ich auf eine Entschuldigung von dir wegen deiner unsäglichen Gleichsetzung von [Mehmet] und mir mit Hunden – und dir fällt nichts Besseres ein, als mich wegen meines Hutes schräg anzuquatschen?!“ Dabei schlage ich mit der Faust auf den Tisch, touchiere meine eigene Kaffeetasse und verschütte den eigenen Kaffee. Ich hole Papier und wische ihn auf. „Weißt du überhaupt, was du unserem moslemischen Kollegen angetan hast, als du ihn mit einem Hund gleichgesetzt hast?“
„Das ist längst mit [Mehmet] geklärt.“
„Du hast auch mich beleidigt!“
„Ich bin nicht bereit, mit dir darüber zu reden.“
Ich verlange von Simone B. eine Stellungnahme. Dabei fällt mir mein Arbeitsgerät aus den Händen, es schlägt auf dem Tisch auf, bleibt aber, da stabil konstruiert, unbeschädigt.
Es ist mittlerweile Dienstschluss und ich will gehen. Kirsten Z. wendet sich an mich: „Können wir in Ruhe reden?“
Ich schüttele den Kopf. „Ich bin nicht ruhig …“
Ich verabschiede mich und gehe heim.
Mehr ist nicht passiert.
Am Sonntag bin ich krank. Vielleicht gut so, denn außer unserer Gruppe ist niemand im Stützpunkt, und ich wäre sonst mit einem ‚Rudel Hyänen‘ allein. Die Damen wissen die Gelegenheit für eine Absprache zu nutzen. Zum Schichtbeginn am Montag bitte ich Irene K. um ein Gruppengespräch, „ehe wir auf Strecke gehen“.
„Das hat keinen Sinn, ich habe niemanden, der mit dir auf Strecke gehen will!“
Zu zweit fahren wir zu unserem Teilbereichsleiter Mike L., und der will ein Gespräch mit einem Betriebsrat organisieren.
Am Donnerstag (20. März 2008) – es ist Gründonnerstag und das Osterfest steht kurz bevor – findet im Zimmer von Herrn L. zwischen diesem, Betriebsrat Gustaf S., Gruppenleiterin Irene K. und mir eine Aussprache statt. Irene K. setzt sich nachdrücklich dafür ein, mich aus der Gruppe zu entfernen, denn „niemand will mehr mit Herrn Dreßler [auf Strecke] gehen.“
Sie trägt den Vorfall vom 15. d. M. vor, wobei sie die Details deutlich dramatisiert. Nach ihrer Darstellung habe ich den Kaffee der Gruppe (!) absichtlich (!) „über den ganzen [!] Tisch geschüttet“ und mein Arbeitsgerät „hingeworfen“.
Das ist infam.
Mehmet Y. wird mir später von einer laut K. von mir zertrümmerten Kaffeekanne berichten, die sich aber zu dem Zeitpunkt auf wundersame Weise wieder zusammengefügt haben wird. Außerdem wird mir Irene K. selbst genüsslich erzählen, eine andere Fahrausweisprüferin habe sie gebeten, ihr die von mir angeblich zugefügten Würgemale zu zeigen.
Die Infamie wird auf die Spitze getrieben.
Ich hole etwas aus – so viel Zeit muss sein –, und beginne die Beleidigung der Simone B. vom 5. d. M. (s. o.) zu schildern.
Obwohl es Herrn L. offenbar nicht gefällt, will Gustaf S. mehr über diese Begebenheit erfahren.
Dem Wunsch entspreche ich gerne. Dabei gebe ich zu bedenken, dass ein Vergleich mit einem Hund für einen Moslem besonders beleidigend sei, da ihm ein Hund als unreines Tier gelte. (Anm.: Hier irre ich mich, denn diese Sichtweise mag für Araber gelten, nicht aber für Türken.) Dann schildere ich den Umgang der Gruppenleiterin mit diesem Vorgang und erwähne, dass mein moslemischer Kollege zum christlichen Osterfest Urlaub eingereicht habe, also nur um Abstand zu gewinnen.
Gustaf S., der, wie ich erfahren werde, ein in der Wolle gefärbter Christdemokrat ist, hakt ein. „Ich höre genau hin …“
Herr L. hat jetzt genug von diesem Thema und meint, ich würde meinen Kollegen Mehmet Y. schlecht darstellen, indem ich so täte, als bräuchte der mich als seinen Fürsprecher. „Sie treten wie sein Rechtsanwalt auf!“
Das weise ich zurück.
Erst dann schildere ich die jüngsten Ereignisse, wobei ich zugebe, laut geworden zu sein, und bedauere, die Damen erschreckt zu haben.
Herr S. fragt Irene K., warum sie mich nicht in das Gespräch mit Frau B. und Herrn Y. einbezogen habe, es sei immerhin ihre Aufgabe als Gruppenleiterin zu integrieren, „und es ist eindeutig, dass auch Herr Dreßler beleidigt worden ist.“
Verlegenes Schweigen bei Irene K.
Darauf weiß sie keine Antwort.
Herr S. fragt sie weiter, ob das Verhältnis zwischen mir und der Gruppe tatsächlich so zerrüttet sei, dass eine weitere Zusammenarbeit ausgeschlossen sei. Nun möchte Irene K. einen Brikett nachlegen und ein Protokoll verlesen, welches die Damen der Gruppe gemeinsam verfasst und unterschrieben haben.
Niemand will es hören.
K. trägt weitere Vorfälle vor, die ihr offenbar geeignet erscheinen, mich zu belasten, aber von mir mit wenigen Bemerkungen entkräftet werden können.
Herr L. beschließt, dass ich in der Gruppe verbleibe.
Im Gegenzug verspreche ich ihm, Konflikte künftig über Vorgesetzte auszutragen, „obwohl ich meine, dass man Konflikte untereinander ausmachen sollte“.
L. fragt mich: „Haben Sie ihr Arbeitsgerät dabei?“
Ich bejahe dies, und Irene K. fährt mit mir schweigend in den Stützpunkt zurück. Ariane W. hat eine Trauermiene aufgelegt und empfängt Irene K. mit den Worten: „Ich habe nicht so früh mit deiner Rückkehr gerechnet.“
Mit meiner scheint sie gar nicht gerechnet zu haben.
Am Abend ruft Irene K. Mehmet Y. an und informiert ihn über die Inhalte des vertraulichen Gesprächs. Sie behauptet, ich hätte ihn in diesem Gespräch sehr negativ dargestellt, indem ich mich wie sein Rechtsanwalt aufgeführt hätte, so als könnte er nicht für sich selber sprechen. Mehmet Y. erklärt mir dazu am 28. d. M., als wir uns erstmals wiedersehen: „Ich mag es nicht, wenn man hinter meinem Rücken über mich spricht, und sei es positiv!“ Ich muss etwa eine Viertelstunde mit ihm unter vier Augen und mit Engelszungen reden, ehe wir gemeinsam auf Strecke gehen können. Zwei Tage später werfe ich einen auf Büttenpapier und mit Füllfederhalter verfassten Brief ein, nachdem L. im Telefonat mit mir die Schriftform angemahnt hat: „Frau [Irene K.] hat […] meinen Kollegen [Mehmet Y.] angerufen […] und ihn gegen mich aufgewiegelt. / […] / Dieses Verhalten ist infam! / An meinem Willen, mit allen Gruppenmitgliedern professionell zusammen zu arbeiten [sic], ändert dies indessen nichts.“
Eine Antwort erhalte ich nicht, aber Irene K. wird eine Festanstellung erhalten, und manchmal werde ich sie noch unter dem Hauptbahnhof an einem der Verkaufsschalter sitzen sehen.
Am Mittwoch, den 16. April 2008, bin ich in der Spätschicht mit Ariane W. und Kirsten Z. im Kontrollbezirk Mülheim. In der U-Bahnhaltestelle „Bahnhof Mülheim“ steigen meine Kolleginnen unvermittelt aus der Linie 13 „Sülzgürtel“ aus, während ich von zwei Schwarzfahrern die Personalausweise in Händen halte. Ein Fahrgast tippt mich an. „Ihre Kolleginnen sind ausgestiegen!“
Ich sehe meine beiden Kolleginnen völlig ruhig zu zweit auf dem Bahnsteig stehen und versuche, die Tür wieder zu öffnen, doch es misslingt. Also bleibe ich in der Bahn. Ich gebe die Daten des einen Fahrgastes bis zur Personenübersicht in mein Gerät ein, notiere die des anderen auf dem Handzettel, händige die Zahlscheine aus und steige an der Haltestelle „Geldernstraße/Parkgürtel“ (fünf Stationen hinter „Bahnhof Mülheim“, auf der anderen Rheinseite) aus. Dort setze ich mich auf eine Bank und gebe die Fälle vollständig ein. Zwei oder drei Züge fahren durch, ohne dass meine Kolleginnen mir nachgefahren wären. Ich vermute, dass sie mir nur bis zur Bezirksgrenze „Wiener Platz“ nachgefahren sind, und kehre dorthin zurück. Doch sie sind dort nicht, also fahre ich noch eine Station zurück zu ihrer Ausstiegshaltestelle. Auf der Fahrt dorthin sehe ich im entgegenkommenden Zug … meine Kolleginnen. Also aussteigen und hinterher. Schließlich treffe ich meine Kolleginnen auf dem oberirdischen Bahnsteig der Linien 3 und 4. Kirsten Z. verblüfft: „Wo kommst du denn her? Du bist wohl bis ‚Gleueler Straße‘ gefahren!“
„Es war tatsächlich etwas mit ‚G…‘!“
Kirsten Z. behauptet, sie und Ariane W. hätten mit Jugendlichen aussteigen müssen und sich mir „bemerkbar gemacht“. Ich kommentiere das trocken. „Sich bemerkbar machen bedeutet, sich so zu verhalten, dass der andere es bemerkt.“
Am Dienstag, den 22. April 2008, bin ich in der Mittelschicht (11:44 – 20:00 Uhr) mit Mehmet Y. und René K. auf Strecke. Um ca. 13:00 Uhr gehe ich in einem überfüllten Gelenkbus der Linie 153 „Kölnarena“ hinter der Haltestelle „Lohestraße“ einem weiblichen Fahrgast, der sich der Kontrolle entziehen will, bis zur Mitteltür nach vorne nach und verstelle ihm in der nächsten Haltestelle („Dünnwalder Straße“) den Ausgang. Die Dame hat keinen Fahr- und angeblich auch keinen Personalausweis dabei. Ich lasse sie ihre Personenangaben selbst aufschreiben und wende mich dann an die weibliche Begleitperson. „Sind Sie die Tochter?“
„Nein, die kleine Schwester!“
„Gut, wie heißt ihre große Schwester mit Vornamen?“
Dabei ergibt sich, dass der Fahrgast falsche Angaben gemacht hat. Ich sage zu Mehmet Y.: „Wir brauchen eine Funküberprüfung!“ An der Haltestelle „Keupstraße“ steigen wir gemeinsam mit der Dame aus, und die macht endlich schlüssige Angaben. Mehmet Y. und ich haben inzwischen erstaunt festgestellt, dass K. nicht mehr da ist. Der ist an der Haltestelle „Dünnwalder Straße“ ausgestiegen und kommt wenig später zu Fuß nach. Er beschwert sich vehement darüber, von mir „im Stich gelassen“ worden zu sein, als er angeblich mit renitenten Jugendlichen habe aussteigen müssen. Eine Meldung weist er jedoch nicht vor. Er erklärt dies so: „Ich musste sie laufen lassen, weil ihr nicht da wart!“ Nach seiner Darstellung habe ich sehr wohl gesehen, dass er ausgestiegen sei. Ich war indessen vollauf mit meinem Fall beschäftigt und durch viele Fahrgäste von ihm getrennt.
René K. erklärt die Zusammenarbeit mit mir für unzumutbar. „Ich habe keinen Schutz, weil Enno mich bewusst missachtet!“ (Anm.: Ich habe ihn auf dem Weg zur Arbeit ignoriert, weil er mich mit Worten und obszönen Gesten beleidigt hatte.)
Er besteht darauf, Dienstende zu machen.
Für mich ist der Fall klar: „Das ist Arbeitsverweigerung!“ (Anm.: Jetzt klinge ich fast schon wie Immanuel z. M.)
Auf dem Weg zum Stützpunkt kontrollieren wir wieder zu dritt. Im Stützpunkt macht K. mit Billigung von Gruppenleiterin Irene K. dennoch Dienstschluss. Zum Schichtbeginn erkl...