1Häufige Fragen
Wer die Antworten bereits meint zu kennen, findet in diesem Buch unterstützende Argumente oder Hinweise. Was er oder sie jedoch kaum finden wird, sind endgültige Weisheiten, wie in einer bestimmten Situation die perfekte Lösung aussieht. Erstens gibt es keine perfekte Lösung, nur besser oder weniger geeignete. Zweitens handelt es sich bei Usability nicht um eine Rezeptsammlung, der man nur zu folgen braucht. Usability ist vielmehr das Verständnis, wie der Geschmacksapparat funktioniert, welche Servier- und Speise-Konventionen bestehen, welche Zutaten und Küchenwerkzeuge zur Verfügung stehen – aus diesen wird ein dem Anlass entsprechendes Mahl zubereitet und würdig serviert.
Die häufigen Fragen werden meist von denen gestellt, die sich bislang nicht eingehender mit Usability beschäftigt haben. Für diese ist Usability meist entweder ein Kostenfaktor oder ein Teil der Umsatzoptimierungsstrategie. Wie alle gern verwendeten Schlagwörter verliert der Begriff „Usability“ zunehmend an Schärfe und Präzision – er wird schlichtweg für alles verwendet, was irgendwie mit der Bedienung von Webseiten oder Software zu tun hat. Für unsere Zwecke verstehen wir das Kunstwort „Usability“ als Mischung aus Gebrauchstauglichkeit, Anwenderfreundlichkeit und einfacher Bedienung.
Wer sollte dieses Buch lesen?
Alle Personen, die Webseiten oder Software betreiben, verantworten, entwickeln, planen, bewerben, konzipieren, umsetzen, testen oder einfach nur einige Zusammenhänge besser verstehen wollen:
Unternehmer, Leiter: die tatsächlichen Nutzer-Interessen verstehen
Projektmanagement: Usability in Planung und Projektalltag integrieren
Anforderungserfassung: Nutzer verstehen und geeignete Dokumente erstellen
Umsetzung: technische Anforderungen berücksichtigen, Design-Grundlagen und Bedienkonzepte kennen, verfügbare Elemente und Werkzeuge anwenden
Marketing: als Schnittstelle zwischen Entwicklern und Nutzern passendes Erwartungsmanagement betreiben
Gelegentlich erweiteren theoretische oder historische Ausflüge die Perspektive und inspirieren zu anderen Denkbahnen. Als Schnelleinstieg oder zum Nachschlagen dient das Glossar am Buchende, das die häufigsten Begriffe und Konzepte kurz erläutert. Viele Kapitel bzw. Unterkapitel werden durch Checklisten beschlossen. Diese unterstützen bei Entscheidungen und fassen die für die Praxis wichtigsten Punkte zusammen.
Wie beim Lernen eines Instruments benötigt es jedoch mehr als nur die richtige Lektüre. Für gutes Spielen sind mindestens 2.000 Übungsstunden nötig; wer auf Profi-Niveau spielen will, benötigt etwa 10.000 Stunden. Gleichermaßen ist für Usability-Experten die praktische Erfahrung entscheidend, Bücher (wie dieses) können allenfalls Anregegungen und Hilfestellung bieten.
Entscheidend ist vor allem, dass Usability nicht als Einzeldisziplin begriffen wird, sondern gut in alle Prozesse integriert ist. Wie beim Qualitätsmanagement oder Controlling kann der Erfolg nur interdisziplinär entstehen. Oft bedarf es einer Person oder kleinen Personengruppe, bei der die Fäden koordiniert zusammenlaufen – aber ohne die gute und kontinuierliche Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensbereichen oder Projektbeteiligten verpufft der Effekt oder bleibt kosmetische Fassade. Für solche Usability-Verantwortlichen und alle Personen, die mit diesen zusammenarbeiten, ist dieses Buch gedacht und soll eine gemeinsame Grundlage bilden. Auf dieser aufbauend entwickeln die Personen dann gemeinsam ihre Lösungen für ihre Nutzer.
Wann mit Usability anfangen?
So früh wie möglich. Usability ist nicht der Zuckerguss, der am Ende drübergegossen wird, sondern das Mehl, das alles gut zusammenhält. Auch alle Funktionen und technischen Aspekte haben Auswirkungen auf die Bedienbarkeit. Die Belange der Nutzer bereits am Anfang zu berücksichtigen, zahlt sich insgesamt aus, denn diese bezahlen mit ihrem Geld, ihrer Aufmerksamkeit oder ihrer Anerkennung.
So wie zu einem erfolgreichen Auftritt mehr gehört als die richtige Kleidung – eben auch die korrekten Umgangsformen, Körperhaltung und sprachlichen Codes –, so gehört zu einer guten Software die Usability essenziell dazu. Sonst erhält man den „Proll im Anzug“ oder den „Ritter im Penner-Look“, und beide bieten keinen guten Gesamteindruck.
Was kostet Usability?
Usability kostet nichts extra, wenn sie von Anfang an einbezogen wird. Gute Usability kann die Summe aller entstehenden Kosten über den gesamten Life-Cycle einer Software oder Webseite verringern. Vor allem nachgelagerte Aufwände – oft versteckte und gern ignorierte Kostenverursacher – sinken beträchtlich. Mittel- und langfristig entstehen Einsparungen:
- Der interne Schulungs- und externe Beratungsaufwand sinken. Wissen kann von einer Software oder Webseite auf eine andere übertragen werden und muss nicht für jede Anwendung separat erlernt werden.
- Die Performanz der Anwender steigt. Sie werden rascher zu Experten, können schneller arbeiten und dadurch mehr schaffen.
- Die Nutzer machen weniger Fehler, und es werden weniger Ressourcen für die Fehlerbehandlung benötigt.
Außerdem steigt die Nutzerzufriedenheit. Das Produkt bietet wenig Frustanlässe und hat eine hohe Empfehlungswahrscheinlichkeit.
Die praktische Erfahrung bestätigt, dass eine gute Planungsstunde zehn schlechte Reparatur-, Schulungs- oder Entwicklungsstunden spart. Das Thema Usability kann einen guten „Vorwand“ bieten, um bereits in der Konzeptionsoder Planungsphase kostenintensive Nutzerprobleme zu identifizieren und zu vermeiden.
Jede realistische Projektkalkulation berücksichtigt die voraussichtlichen direkten und indirekten Gesamtkosten für die gesamte Lebensdauer: Schulung, Wartung, Nachbesserung, Pflege, Erweiterung, Änderungen, verbaute Wege. Als Richtwert können drei Jahre dienen.
Was sind die schlimmsten Ressourcenfresser?
Häufig entstehen sogenannte technische Schulden in diesen Bereichen:
- Vernachlässigen von Dokumentation
- Verzicht auf Versionsverwaltung, Datensicherung, Kontinuierliche Integration
- Nachlässiges Testen
- Keine Coding-Standards
- Folgen von Anti-Mustern, Anti-Pattern
- Missachtung von Warnungen der Werkzeuge (Compiler, Code-Analyse)
- Furcht vor der Korrektur von zu großem oder zu komplexem Code
Was in dem jeweiligen Moment Zeit und Ressourcen spart, muss durch zusätzliche Ressourcen in der Zukunft ausgeglichen werden. Ständig muss eigentlich fertige Software korrigiert, angepasst oder erweitert werden. Änderungen sind aufwändig, weil die ursprüngliche Lösung nur auf einen unflexibel-konkreten Fall zugeschnitten wurde. Fehler werden erst im Produktivbetrieb erkannt. Jede Nachbesserung beinhaltet die Folgekosten des erneuten Bereitstellens und Aktualisierens; auch wenn diese Prozesse stark automatisiert ablaufen können, so sind sie dennoch nicht umsonst zu haben. Der Entwickler selber versteht seinen Code nach einigen Monaten bereits selbst kaum noch und benötigt lange, um dessen Funktionsweise nachzuvollziehen und eine Änderung vorzunehmen. Die Auswirkungen auf andere Code-Teile errät er dabei. Ist es nicht sein eigener Code, ist die Wartung ohne Coding-Standards für ihn unanständig aufwändig.
Die Problemliste, die Wikipedia bei „Anti-Pattern“ auflistet, bietet viele Anregungen, was es zu vermeiden gilt.
So lassen sich durch besseres Arbeiten an aktuellen Projekten deren technische Schulden in der Zukunft reduzieren, was Ressourcen freisetzt.
Wieso genügen Hilfe, Anleitung nicht?
Weil niemand liest. Vor allem die Nutzer nicht. Hand aufs Herz: Wie viele ungelesene Bedienungsanleitungen liegen bei Ihnen zuhause? Bei Ihren Kollegen? Dennoch ist eine gute Anleitung bzw. Dokumentation unverzichtbar; denn einige Nutzer benötigen diese. Die Nutzerdokumentation muss dem aktuellen Stand der Software oder Webseite entsprechen. Wird sie parallel erstellt, hat das oft positive Auswirkungen auf die Konzeption, da durch die Textform einige Aspekte auffallen, die sonst übersehen werden.
Für die Dokumentation ist eine geeignete Struktur zu wählen, und auch für die Dokumentation gilt der Usability-Anspruch: gut verständlich, leicht zu nutzen, passend zu den Nutzerzielen strukturiert. Für Webseiten bieten sich häufig die sogenannten FAQ an. Diese „Frequently Asked Questions“ (Häufigen Fragen) beantworten Fragen, die sich die Nutzer stellen oder stellen könnten. Das Format ist etabliert, und wenn es gut angewendet wird, stellt es einen wirklichen Mehrwert dar. Ein Webshop sollte sich beispielsweise folgende Fragen stellen:
- Wie finde ich das geeignete Produkt?
- Wie bestelle ich? Wie läuft eine Bestellung ab?
- Welche Zahlungsoptionen gibt es?
- Wie kann ich reklamieren oder umtauschen?
Über solche und ähnliche Fragen lässt sich auch ein komplexer Webshop gut dokumentieren. Die Antworten beschränken sich dabei jeweils auf die konkrete Frage, unterstützend sind sie untereinander verlinkt. Die ideale Antwort besteht aus einem Satz, der die Frage kurz und bündig beantwortet. Dies ist oft nicht möglich, daher gibt der erste Absatz eine allgemeine Antwort, und weitere Absätze beschreiben Details oder geben ergänzende Hinweise.
Für Software ist der sehr ähnliche „Wie tue ich“-Ansatz geeignet. Dabei werden die Aufgaben aus Nutzerperspektive benannt und anschließend die nötigen Schritte in der korrekten Reihenfolge beschrieben (und durch Screenshots illustriert): „Bild einfügen“ [die Aufgabe des Nutzers]
- Cursor an der Stelle platzieren, wo das Bild erscheinen soll. [„erscheinen“ = Ziel des Nutzers]
- Im Menü „Einfügen“ den Eintrag „Bild“ anklicken. [genaue Angabe des Ortes und der Aktion]
- Im erscheinenden Dateiauswahlfenster die gewünschte Datei wählen. (Die Dateiauswahl ist ausführlich in XY beschrieben) [ergänzender Hinweis für Novizen]
- Den Button „Einfügen“ anklicken. [Angabe, wie die Aktion ausgelöst wird – das hört sich schon nach fast fertig an.]
- Das Bild erscheint an der Cursor-Position. [das Ziel ist erreicht]
- Durch Rechtsklick auf das Bild erhalten Sie Möglichkeiten zur Formatierung des Bildes, diese sind in Kapitel XY beschrieben. [Hinweise zu wahrscheinlichen Folgeaktionen]
Auf diese Weise wird jede Funktion (ausgehend von der Nutzeraufgabe) auf ein bis maximal zwei Seiten beschrieben.
Zur Software-Dokumentation gehört noch mindestens ein Kapitel, das die Elemente und deren Grundbedienung sowie das Bedienparadigma vorstellt. Auch wenn viele Nutzer die Dokumentation nicht lesen, wissen sie doch, dass sie da ist. Bereits ihr Vorhandensein und die Möglichkeit, im Bedarfsfall auf sie zugreifen zu können, erhöhen das...