
- 137 Seiten
- German
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eBook - ePub
In den Tod geschickt
Über dieses Buch
Das Werk "In den Tod geschickt" ist ein 1958 veröffentlichter Kriminalroman von Edgar Wallace. Der Originaltitel lautet "On the Spot: Violence and Murder in Chicago".Richard Horatio Edgar Wallace (* 1. April 1875 in Greenwich, London; † 10. Februar 1932 in Hollywood, Kalifornien) war ein englischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur, Journalist und Dramatiker. Wallace gehört zu den erfolgreichsten englischsprachigen Kriminalschriftstellern.
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Information
1
Red Gallway war ein mit allen
Wassern gewaschener Verbrecher; auf seinem Sündenregister stand
mehr als ein Unternehmen, das ihn in schweren Konflikt mit den
Gesetzen brachte. Er hatte Geldschränke geknackt und sich als
Hochstapler versucht, er hatte seinen Opfern die Pistole vor die
Nase gehalten und ihnen ihr Geld abgenommen – und er hatte eine
ganze Reihe fragwürdiger Nachtlokale aufgezogen. Trotz seiner
eifrigen Bemühungen verdiente er jedoch nicht allzuviel dabei, und
erst als er sich dem Alkoholschmuggel zuwandte, floß ihm das große
Geld in die Tasche, von dem er immer geträumt hatte. Seitdem er mit
einer regelrechten Schmugglerbande zusammenarbeitete, lebte er
sorgenlos und zufrieden, zudem brauchte er keine Angst vor der
Polizei zu haben. Allerdings stieg ihm der Erfolg zu Kopf. Er wurde
faul, schwatzhaft und streitsüchtig und – was am schlimmsten war –:
Er begann Kokain zu schnupfen.
Angelo Verona, der außerordentlich tüchtige Personalchef der
Bande, machte ihm Vorwürfe.
»Laß das bleiben, Red! Tony kann keine Leute brauchen, die Koks
schnupfen.«
Über Gallways nicht gerade einnehmendes Gesicht glitt ein böses
Grinsen. »Wirklich?« meinte er verächtlich.
Angelo nickte gewichtig und sah ihn mit seinen ernsten braunen
Augen durchdringend an.
»Kokain hat noch keinem geholfen. Anfangs fühlt man sich zwar so
groß und stark wie ein Wolkenkratzer, aber das ist schnell vorüber
– dann kommt der Katzenjammer, und man möchte sich am liebsten in
ein Mauseloch verkriechen. Und vor allen Dingen – wenn sie einen
solchen Burschen im Polizeipräsidium nach allen Regeln der Kunst
verhören, dann hält er nicht dicht!«
Red verkehrte zu dieser Zeit viel mit seinem Freund Mike Leeson,
einem früheren Maschinisten, der sich in elenden schmutzigen
Spelunken mehr zu Hause fühlte als in den eleganten Lokalen der
oberen Zehntausend.
Er hatte es im Leben nicht weit gebracht und schaute deshalb
ehrfurchtsvoll zu Red Gallway empor, der für ihn der bedeutendste
aller großen Gangster war. Er verhielt sich ungefähr so, wie ein
Lakai gegenüber einem Monarchen.
Als sie eines Tages in einer Kneipe zusammensaßen, die Reds
Bande gehörte, machte Mike seinen Freund großzügig auf eine gute
Gelegenheit aufmerksam. Aber Red schüttelte gelangweilt den
Kopf.
»Aus Chinesinnen mache ich mir nichts«, sagte er. »Die Tochter
von Joe Enrico zum Beispiel ist ganz wild nach mir, aber ich drehe
mich nicht einmal nach ihr um.«
»Wie du meinst«, entgegnete Mike.
Er jedenfalls drehte sich bei jeder Gelegenheit nach Minn Lee
um. Meistens traf er sie auf der Treppe des nicht gerade sehr
sauberen Hauses, in dem sie beide wohnten. Sie war eine hübsche
kleine Chinesin, graziös und schmiegsam wie eine Gerte. Besonders
faszinierten ihn ihre weißen Hände, ihre großen schwarzen Augen und
ihre weiche Haut. Übrigens hatte ihr Haar nicht den bläulichen
Schimmer der Ostasiaten, sondern war glänzend und tiefschwarz.
Mike grinste sie die erste Zeit nur an, später versuchte er auch
mit ihr zu sprechen. Das gelang ihm ohne Schwierigkeiten, denn sie
unterhielt sich gerne. Wie er erfuhr, war sie mit einem kranken
Künstler verheiratet und machte Zeichnungen für Modejournale, um
Geld zu verdienen.
Ihre Zutraulichkeit und Offenheit verblüfften Mike; er benützte
die Gelegenheit, ihr persönlich näherzukommen. Als er sie aber nach
einiger Zeit einmal in ein Luxusrestaurant zum Abendessen einlud,
war sie sehr erstaunt.
»Mein Mann ist doch krank«, protestierte sie. »Ich kann ihn doch
unmöglich allein lassen.«
»Aber Kleine, ich sorge natürlich dafür, daß jemand bei ihm
bleibt und aufpaßt ...«
Sie schüttelte energisch den Kopf, und als er ihre Hand fassen
wollte, war sie verschwunden.
Nach diesem Zwischenfall ging sie ihm aus dem Weg.
Zu Hause hatte sie kein leichtes Leben. Ihr schwerkranker Mann
machte ihr Vorwürfe, wo er nur konnte. Von seiner Großzügigkeit war
nicht viel übriggeblieben, seitdem er leidend war und ihn die Reue
quälte.
Minn Lee war über sein Verhalten weder glücklich noch traurig.
John Waite war ihrer Meinung nach niemals ein bedeutender Künstler
gewesen – aber er war ihr Mann. Das Leben und das Schicksal hatten
sie zusammengekettet, wenn auch aus einer anfänglichen Leidenschaft
nicht die große Liebe geworden war. Minn Lee machte sich nichts vor
– sie liebte ihren Mann nicht mehr. Trotzdem war sie entschlossen,
bei ihm zu bleiben. Jetzt lag er im Sterben, der Arzt hatte es ihr
klipp und klar gesagt. Es mochte noch drei oder vier Monate dauern,
dann war es zu Ende.
Im Dachgeschoß des Hauses lag noch ein anderer Kranker, Peter
Melachini, ein alter Musiker, der durchaus nicht sehr arm war, sich
aber entschlossen hatte, in der traurigen Umgebung zu sterben, die
viele Jahre lang sein Zuhause gewesen war. Die schwatzhafte Frau
eines Mechanikers aus dem ersten Stock erzählte Minn Lee, daß der
alte Peter einen mächtigen Freund habe, ein As unter den
Alkoholschmugglern.
»Können Sie sich vorstellen, Mrs. Waite«, sagte sie, »daß er Mr.
Melachini eine Villa am Meer angeboten hat, die er ihm schenken
will! Aber der Alte hat es nicht angenommen. Er entgegnete, daß er
hier in der Stadt sterben wolle, wo er geboren sei. Der ist nicht
ganz richtig im Kopf! Stellen Sie sich doch vor – eine Villa am
Meer, und alles geschenkt.«
Der Gangster, in seinen Kreisen ein gefürchteter
Pistolenschütze, besuchte Peter Melachini ab und zu. Er war ein
schlanker, geschmeidiger Mann mit einer ungewöhnlich dunklen
Gesichtsfarbe; seine Anzüge saßen stets wie angegossen. Wenn er aus
seinem Wagen stieg, liefen die Leute ans Fenster und drückten sich
die Nasen an den schmutzigen Scheiben platt. Die ganze Gegend
geriet in Aufregung. Ein wirklicher Gangster, das war eine
Sensation!
Gewöhnlich war es so, daß ein dunkler Wagen in schneller Fahrt
in die Straße einbog und vor der Haustür hielt. Drei Männer
sprangen heraus; der erste ging voran, dann kam die Hauptperson
selber, und der dritte folgte als Nachhut.
Tony Perelli, so hieß der zweifelhafte Held, ging meist direkt
in Melachinis Wohnung, unterhielt sich ein wenig mit ihm und
verließ ihn unter Zurücklassung einiger kleiner Geschenke.
Die beiden hatten früher in der gleichen Kapelle bei Cosmolino
gespielt, und seither war Tony Perelli mit Peter befreundet.
Außerdem stammten sie beide aus Sizilien und waren im gleichen Dorf
in der Nähe Palermos geboren.
Auch Minn Lee traf den Gangster manchmal auf der Treppe. Er war
nicht sehr groß, aber sein vornehmes Auftreten und eine gewisse
Zurückhaltung und Würde imponierten ihr. Sein Gesicht war ziemlich
voll, und seine dunklen Augen glänzten eigentlich ganz lustig.
Minn Lee sah er freundlich an, als er ihr zum erstenmal
begegnete, und sie erwiderte sein Lächeln zögernd. Als er
vorbeigegangen war, drehte sie sich nach ihm um, und auch er wandte
den Kopf, als ob er noch einen Blick von ihr erhaschen wolle.
Als sie ihn später einmal an derselben Stelle traf, sprach er
sie an. Er war von einer unaufdringlichen Höflichkeit, und sie
mußte über seine fröhlichen Worte sogar ein wenig lächeln. Es
gefiel ihr, daß er ihr keine plumpen Komplimente machte und auch
sonst in keiner Weise versuchte, zudringlich zu werden.
Am nächsten Tag wurden Blumen und Früchte für Mrs. Waite
abgegeben; auf der Begleitkarte stand in flüssigen Zügen der Name
Tony Perellis.
»Er ist außerordentlich einflußreich«, sagte die Frau des
Mechanikers, die völlig atemlos vor Aufregung und Neugier war. »Er
hat eine der teuersten und kostbarsten Wohnungen in ganz Chicago,
ein Landhaus und ich weiß nicht wieviel Autos. Das ist einer von
den wirklich großen Alkoholschmugglern – und was der alles auf dem
Kerbholz hat, geht auf keine Kuhhaut.«
Auch jetzt war Minn Lee durchaus nicht empört und bestürzt; es
gab viele Leute, die seltsame Dinge taten, und schließlich schien
ihr in ihrer einfachen Vorstellungsweise Alkoholschmuggel noch viel
anständiger als manches, was sie in ihrer Umgebung hatte sehen
müssen.
Als sie Tony Perelli zum drittenmal traf, war es bei einem
Besuch, den er bei ihr machte. Ihr Mann schlief gerade, und sie
fühlte sich etwas unbehaglich, als sie Perelli in das kleine
Wohnzimmer führte.
»Er schläft? Das ist gut. Ich war eben bei Ihrem Arzt; er sagte,
daß Ihr Mann ans Meer gehen müsse. Die salzhaltige Luft würde ihm
guttun. Das sollte ja auch mein alter Freund Peter machen – aber
der ist zu eigensinnig und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um
nur hier im Haus bleiben zu können. Mrs. Waite, ich möchte nicht
aufdringlich sein – aber wenn es nur eine Geldfrage ist ...«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, Mr. Perelli, wir können das Geld von Ihnen nicht
annehmen. Auf ehrliche Weise könnten wir es doch nicht
zurückzahlen.«
*
Eine Woche später starb John Waite. Sein Ende war ruhig und
friedlich. Minn Lee ließ ihn beerdigen und erklärte auf der
Polizeiwache, auf der sie den Todesfall meldete, warum ihr Name
nicht auch Waite lautete. Sie tat alles, was geschehen mußte,
verhältnismäßig gefaßt, zahlte die dringendsten Schulden und teilte
seiner Mutter mit, daß er gestorben sei. Dann machte sie sich
daran, Arbeit zu suchen. Eigentlich hätte das für ein junges
Mädchen, das sein Examen auf der Columbia Universität bestanden und
früher schon dreißig Dollar in der Woche durch Modezeichnungen
verdient hatte, nicht weiter schwer sein dürfen. Aber sie wählte
vorerst einen anderen Weg und schrieb an den Inhaber eines
Chinesenrestaurants, in dem Kellnerinnen gesucht wurden. Aber noch
bevor sie Antwort erhielt, kam Mike Leeson und machte ihr einen
Vorschlag.
Inzwischen war auch der alte Italiener gestorben, und Tony
Perelli hatte ein glänzendes Begräbnis für ihn arrangiert. Als er
nach der Beerdigung am Abend in die Wohnung des Musikers kam, um
sich aus dem Eigentum seines alten Freundes einige Erinnerungen
mitzunehmen, erschien zur gleichen Zeit Mike in der Wohnung Minn
Lees. Niemand hatte Perelli gesehen, als er das Haus betrat, denn
er war zu Fuß gekommen, selbstverständlich eskortiert von seiner
Leibwache. Als er an Minn Lees Tür vorüberging, blieb er einen
Augenblick stehen und lauschte.
An diesem Abend gab es wieder einmal ziemlich viel Lärm im Haus.
Im zweiten Stock übte der Pole Laski auf seinem Schlagzeug; ab und
zu packte ihn der Ehrgeiz, die Weltmeisterschaft im Trommeln zu
gewinnen.
In Minn Lees Wohnung wehrte sich die kleine Chinesin verzweifelt
gegen Mike Leeson, der sie an sich zog ...
Leeson besaß den Instinkt eines Wilden; seine Erfahrung hatte
ihn gelehrt, daß man Frauen am besten durch blindes Drauflosgehen
besiegen konnte.
»Schatz, verlaß dich auf das, was ich dir sage! Du wirst es
bestimmt nicht schlecht bei mir haben ...!«
Sie leistete ihm energisch Widerstand und versuchte verzweifelt,
sich loszureißen. Tony Perelli hörte ihre erstickten Schreie und
drückte auf die Türklinke. Die Tür war nicht verschlossen, und er
trat ein.
»Was haben Sie hier zu schaffen, Sie Strolch?«
Mike schäumte vor Wut über die Störung und sah Perelli mit einem
haßerfüllten Blick an.
»Scheren Sie sich 'raus!« Tony Perellis Stimme klang hart und
kühl.
»Ich gehe erst, wenn es mir paßt – vor einem sizilianischen
Affen reiße ich nicht aus!«
Leeson holte zu einem wuchtigen Schlag aus, traf Perelli aber
nicht. Dann hörten die Hausbewohner ein Geräusch, als ob der
musikbegeisterte Pole noch lauter auf seine Trommel schlage. Das
war alles – Tony, der die rauchende Pistole schußbereit hielt,
brauchte nicht zum drittenmal zu feuern. Leeson hatte genug. Eine
Sekunde lang klammerte er sich noch an das Bett, dann sank er
lautlos zu Boden.
Minn Lee sah von dem Toten zu Tony.
»Nehmen Sie Ihren Mantel und kommen Sie mit.«
Wenn Perelli etwas befahl, klang es niemals wie eine Bitte. Sie
gehorchte ohne Zögern und ging mit ihm. Wegen Mike Leeson machte er
sich keine Sorgen; seine Leute würden diese Sache erledigen, wie es
üblich war. Es würde keinen Spektakel geben – wahrscheinlich fand
später irgendein Chauffeur den Toten draußen im Schnee, und die
Zeitungen brachten eine lakonische Meldung, daß wieder ein Gangster
von seinesgleichen erschossen worden war. Damit war die Sache
erledigt.
Es dauerte nicht lange, dann war Minn Lee in
Tonys Wohnung heimisch geworden, und man hatte sich daran gewöhnt,
sie Mrs. Perelli zu nennen.
2
Von dem Dachgarten mit der venezianischen Balustrade konnte Tony Perelli die ganze Stadt überblicken, in der er der ungekrönte König der Alkoholschmuggler war. Und er liebte sein Königreich Chicago. Endlose Reihen von Autos brachten seine Untertanen täglich zur Arbeit; denn jeder, der an irgendeinem versteckten Plätzchen seiner Wohnung Alkohol lagerte, gehörte zu seinen Untertanen.
Es verstieß gegen das Prohibitionsgesetz[1], Alkohol herzustellen oder zu verkaufen; jede heimlich in den Keller geschmuggelte Weinkiste oder Schnapsflasche konnte zu Konflikten führen. Im Preis für Alkohol waren die Prozente des Schmugglers ebenso inbegriffen wie die des Pistolenschützen, der die Transporte begleitete. Seitdem es verboten war, hatten die Leute erst recht ihre Vorliebe für hochprozentige Getränke entdeckt. Sie nahmen achselzuckend davon Kenntnis, daß jeder, der den Alkoholschmuggel störte, damit rechnen mußte, er...
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