II. DER MÜHSAME WEG IN DIE BÜRGERGESELLSCHAFT
1. CASPAR CHRISTOPHER TÄGER – Kötner in Tripkau
In welcher Form die TÄGER/TAEGER mit ihren Ziegen umgehen, lassen die Lautbildungsgesetze offen. Es kann also sein, dass auch sie Ziegenkäse gemacht haben, wie die ZIEGER von sich behaupten. Manchmal glaubt man ja, sich seiner armseligen Verwandtschaft schämen zu müssen; dann versucht man sich mit der Vorstellung einer mehr handwerklichen und merkantilen Tätigkeit seiner Vorfahren zu trösten. Es ist auch möglich, dass sie die Häute ihrer Tiere gegerbt und weiter verarbeitet haben, zu Jacken, Hosen, Taschen oder weichen Schuhen. Immerhin wird der Enkel JÜRGEN JOCHIM TÄGER als „Amtsmeister“ der Schuhmacher genannt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Enkel sein Handwerk schon von den Eltern und Großeltern erlernt und geerbt hat. Damit wären sie gesellschaftlich also schon „etwas Besseres“ gewesen.
Tropfhäusler dürfen den Kopf nicht hängen lassen
Es kann aber durchaus auch sein, dass die TÄGER, wie schon gesagt, wirklich zu den „Tropfhäuslern“ gehört haben, die nur eine oder zwei Ziegen als Eigentum hatten und den Regen vom Hausdach bewusst aufs kostbare Gras für ihre Ziegen tropfen lassen mussten. Dann können sie einem trotzdem imponieren. Denn es zeigt sich ja, dass diese ursprünglich arme Familie den Kopf nicht hängen lässt, sondern sich Ziele für die Verbesserung ihrer Lebensumstände setzt, wie anfangs vom ziegenbesitzenden Teeger zum Schafmeister. Der Weg nach oben ist weit, doch manchmal eröffnen sich unerwartet neue Chancen – auch in LENZEN.
Neue Chancen in LENZEN – und neue Katastrophen
Seit dem Jahre 1650 hat der ehemalige holländische Admiral und Gouverneur GYSELS VAN LIER, gerufen vom klugen „Großen Kurfürsten“ FRIEDRICH WILHELM (1640-88), das Amt LENZEN übernommen. Und gleich hat er mit dem Wiederaufbau der Stadt begonnen. Er legt die Hamburger und Neustadtstraße großzügig neu an, bekämpft die in der Kriegsfolge herrschende Wolfsplage und ordnet an, dass wenigstens an den Winterabenden Schulstunden zu halten seien. Er regt weitsichtig an, die Dunghaufen vor den Häusern wegzufahren und auf die Felder zu karren, wo sie weitaus nützlicher seien. Zum Bau von Deichen gegen den wiederkehrenden Hochgang der Elbe holt er Ansiedler aus Holland und lässt das alte, im Krieg zerstörte Deichsystem um LENZEN neu anlegen. Alle sind optimistisch und erwarten eine blühende Zukunft
Nach dem Stadtbrand wieder aufgebaut:
Das Lenzen der Barockzeit auf einem Bild von 1936
Doch kaum hat sich die Stadt auf diese Weise von den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges einigermaßen erholt, da wird sie von einer neuen Katastrophe heimgesucht. Im Jahr 1703 bricht im Ort wieder eine Feuersbrunst aus, die nun noch mächtiger ist, als die Brandstiftung durch die Schweden im 30-jährigen Krieg. Nun brennen mit 134 Wohnhäusern und den beiden Schul- und Pfarrhäusern weite Teile des Ortes nieder; auch die Kirche und das Rathaus werden zerstört. Damit sind auch die letzten urkundlichen Unterlagen, die Auskunft geben könnten über die frühere Geschichte unserer Familie, soweit sie nicht schon dem Feuer der Schweden 65 Jahre zuvor zum Opfer gefallen sind, endgültig ein Raub der Flammen geworden. Gerade einmal 80 Häuser sind im Ort einigermaßen verschont geblieben.
Wahrscheinlich ist auch das Häuschen Familie des Schafmeisters TÄGER wiederum ein Opfer der Flammen geworden, wie schon einmal im Dreißigjährigen Krieg. Zwar wird LENZEN wieder aufgebaut und ersteht nun in barockem Glanz. Doch muss der erneute Schrecken wohl für die Familie TAEGER der Anlass gewesen sein, den Ort LENZEN endgültig zu verlassen und die Elbe weiter hinabzuziehen. Und auch für seinen Beruf hat der Schafmeister hier zunächst keine weitere Chance gesehen, nachdem offenbar auch das Burggut schwer in Mitleidenschaft gezogen worden und seine Zukunft ungewiss ist, für das er bislang die Verwaltung des Schafsbetriebes versah.
Der Abschied dürfte ihm nicht leicht gefallen sein. Als Schafmeister TÄGER der verbrannten Stadt den Rücken kehrt, begleitet ihn sein inzwischen 6-jähriges Söhnchen CASPAR CHRISTOPHER. Von der Frau verrät uns die Ahnentafel nichts, doch über den Sohn erfahren wir, dass er noch in LENZEN geboren ist. Hoffen wir, dass er seine Mutter noch weiter haben konnte. Sicher ist das nicht, denn wir erfahren nichts von weiteren Geschwistern, wie sie den Familien damals oft in großen Zahlen geboren wurden. Vielleicht war er nun Halbwaise.
Dieser Sohn CASPAR CHRISTOPHER wird dann später als „Köthner und Krüger zu Tribbekau“ erwähnt und ist auch dort begraben. Das ist das nächste spannende Kapitel dieser Familiengeschichte.
Ein Neuanfang in Tribbekau
Der kleine idyllische Ort TRIBBEKAU, heute TRIPKAU, liegt 30 km stromabwärts von Lenzen gegenüber der Stadt HITZACKER am östlichen Rand des Elbe-Urstromtals. Er hat heute rd. 250 Einwohner, aber immer noch einen Bäcker und ein Wirtshaus und gehört wie eh und je zum Amt NEUHAUS, das weitere gut 20 km stromabwärts liegt.
Der slawische Ortsname TRIPKAU erinnert an die ursprüngliche wendische Besiedlung. Das Flüsschen Krainke, das bei TRIPKAU entspringt, durchfließt das ganze Gebiet parallel zur Elbe und ist heute Naturschutzgebiet mit einer auenhaften Flora und reichhaltigen Fauna aus Wild und seltenen Vögeln. Wie LENZEN ist TRIPKAU Teil des „Biosphärenreservates Niedersächsische Elbtalaue“.
TRIPKAU liegt zwar, wie das ganze Amt Neuhaus, auf der östlichen Seite der Elbe und ist vom Westufer bislang nur durch eine Fähre erreichbar, doch gehörte es seit jeher zum Herzogtum Sachsen-LAUENBURG und seinen Nachfolgern, dem Herzogtum BRAUNSCHWEIG-LÜNEBURG, ab 1692 dem Kurfürstentum HANNOVER, das ab 1714 in Personalunion mit der Herrschaft über England betraut war, und ab 1815 zum Königreich HANNOVER das sich westlich der Elbe erstreckte.
Im naturgeschützten Urstromtal der Elbe: Von LENZEN nach TRIPKAU
Nach dem Zweiten Weltkrieg übergab die Britische Besatzungsmacht das Gebiet zur Verwaltung an die Sowjetischrussische Besatzung, die Dörfer wurden der DDR einverleibt und galten aus westlicher Sicht als „niedersächsisches Gebiet in der sowjetischen Zone“. Die Einwohner entschieden sich aber nach dem Ende der DDR einmütig zur Rückkehr ins Bundesland Niedersachsen. Noch heute wird am Ort plattdeutsch gesprochen.
TRIPKAU ist schon früh bezeugt: 1450 als TRIPPKOUW, seit 1640 heißt es wie heute TRIPKAU, und nur um 1764 wird es kurzzeitig TRIBBEKAU genannt, so auch im Kirchenbucheintrag von CASPAR CHRISTOPHER TÄGER.
Seit dem Jahr 1618 gibt es in Tripkau ein Kirchengebäude, das, obwohl es der evangelisch-lutherischen Gemeinde gehört, auch heute noch immer unter dem Patrozinium der Maria aus der vorreformatorischen Zeit steht. Offenbar wurde es im Dreißigjährigen Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen. Im Jahr 1757 wird es durch einen schlichten Fachwerkbau mit Ziegelausfachung ohne Turm ersetzt.
Die heutige originelle Form der Kirche mit Chor, Sakristei und Turm entstand durch Erweiterung des ursprünglichen Baukörpers erst im Jahr 1864. Der lichte Innenraum ist von zahlreichen Kreuzmotiven durchzogen, eine Ornamentik, die ohne jeden Vergleich in dieser oder anderen Landeskirchen ist.
Hierhin nach TRIPKAU macht sich also Schafmeister TÄGER nach der Zerstörung seines Häuschens beim Großbrand seiner Heimatstadt LENZEN im Jahr 1703 auf den Weg. Die Zukunft seines 6-jährigen Söhnchens CASPAR CHRISTOPHER liegt ihm besonders am Herzen.
In diesem kleinen Ort arbeiten seinerzeit, als die Familie TÄGER sich hier ansiedelt, einige Einwohner auch in handwerklichen Berufen, darunter ein Barbier und schon damals ein Bäcker. Beide sind für die weitere Familiengeschichte der TÄGER nicht ohne Belang.
Was den Vater bewegt hat, gerade diesen Ort als Zuflucht zu wählen, ist nicht bekannt. Es ist gut vorstellbar, dass ihn Verwandte, die es mit dem gleichen Familiennamen in diesem Bereich der unteren Elbe in größerer Zahl gibt und die von seinem Beruf wissen, auf TRIPKAU aufmerksam gemacht haben. Denn hier am Ort gibt es einen der großen Wollmärkte des neuen expandierenden Kurfürstentums HANNOVER.
Man setzt auf Qualität gegenüber den Schlesischen und anderen feinen Wollsorten und sucht Fachleute, die sich auf das Züchten und „Veredeln“ der Schafe zur Gewinnung hochwertiger Wollsorten verstehen.
Wenn auch die Tierherden nicht ihm selbst gehören, sondern dem Gutsbesitzer, so hat sich der Schafmeister TÄGER aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Verwalter große Erfahrung bei der Schafzucht erworben. Er rechnet sich in Tripkau wohl neue Chancen aus. Was aus diesen Träumen geworden ist, erzählt uns die Geschichte leider nicht. Ebenso wenig wissen wir, wie alt der Schafmeister geworden ist. Vielleicht konnte er die späte Heirat seines einzigen Sohnes noch miterleben.
Glückliche Heirat mit der Barbierstochter
Dieser Sohn, CASPAR CHRISTOPHER TÄGER, der noch in LENZEN um das Jahr 1697 geboren, aber dann in TRIBBEKAU aufgewachsen ist und dort sein weiteres Leben verbracht hat, hat offenbar lange Zeit gar nicht ans Heiraten gedacht. Denn er ist inzwischen bereits 39 Jahre alt, als er die gleichaltrige Witwe MARGARETA HEDWIG MEYERS, geb. ELSENER, ehelicht.
Er hat diese MARGARETA gekannt, solange er denken konnte; vielleicht haben sie in der Kindheit sogar miteinander gespielt oder gemeinsam die Gänse gehütet. Höchstwahrscheinlich sind sie zusammen in die Dorfschule von TRIBBEKAU gegangen und haben dort die Grundbegriffe des Rechnens, Schreibens und Lesens und den Lutherischen Katechismus gelernt; und sie haben viel gesungen, wie es in der Dorfschule damals so war, die der kirchliche bestellte Kantor leitete.
Doch stammte HEDWIG aus dem Haus eines Barbiers. Und diese Barbiere waren, wie die Bader, die Vorläufer unserer heutigen Ärzte und Chirurgen und gehörten auch seinerzeit der Schicht der Bessergestellten an; sie hatten mehr Geld. Leute, wie Hedwigs Vater ANDREAS FRIEDRICH ELSENER, waren schon damals im „Wellness“-Bereich tätig, sie boten Körperpflege, Wundheilung und Krankenpflege an, scherten Männerbärte und Haare, zogen Zähne, ließen Kranke zur Ader oder gaben ihnen bei Verstopfung Klistiere.
Viele dieser Anwendungen konnten sich nur die Wohlhabenderen leisten. Die Ärmeren kurierten ihre Wehwehchen mit Naturmitteln der Oma oder des Kräuterweibleins. Sie hatten mangels Behandlung meist schon in der Jugend miserable Zähne und als Erwachsene dann oft ein lückenhaftes Gebiss; sie sahen durch diese Entstellung oft abschreckend aus.
Hochzeitskirche von CHRISTOPHER TÄGER:
Marienkirche zu TRIPKAU, aufgenommen von LUDWIG ...