Schutzengel der Seefahrt
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Schutzengel der Seefahrt

Von Schiffsärzten, Seenotrettern und anderen Helfern zur See

  1. 176 Seiten
  2. German
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Schutzengel der Seefahrt

Von Schiffsärzten, Seenotrettern und anderen Helfern zur See

Über dieses Buch

Dargestellt wird die Entwicklung einer ärztlichen Versorgung der Seefahrenden, angefangen im 16. Jahrhundert mit Chirurgen in den Kriegsmarinen zur Versorgung der Verwundeten an Bord und an Land, bis zu den Lazarettschiffen und den Lazaretten des ersten und zweiten Weltkriegs. Die ärztliche Betreuung der Mannschaft auf interkontinentalen Handelsschiffen begann im 17. Jahrhundert. Eine Passagierschifffahrt entstand durch den anschwellenden Strom der europäischen Auswanderer, die erst ab 1882 von Schiffsärzten versorgt wurden. An Land werden die Seeleute heutzutage durch den hafenärztlichen Dienst betreut. Die organisierte Seenotrettung beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wird in ihrer weltweiten Entwicklung vorgestellt. Medizinische Hilfe für unterversorgte Länder bringen Hospitalschiffe uneigennütziger Hilfsorganisationen.Am Schluss werden bedeutende Marineärzte vorgestellt, die zum Teil auf ganz anderen Gebieten berühmt wurden.

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1. Kapitel

Ärztliche Betreuung an Bord
Kriegsmarine

Altertum
Über Jahrhunderte existierte eine organisierte medizinische Betreuung an Bord nur in der Kriegsschifffahrt mit den zu erwartenden Verwundungen.
In der Ilias wird erstmals der Abtransport verwundeter Krieger per Schiff erwähnt. Zur Zeit des Alkibiades (ca. 500 v. Chr.) gab es innerhalb der Kriegsflotte eine Triere (dreigeschossiges Ruderschiff) mit dem Namen Therapeia. Der Name lässt vermuten, dass es sich hier um das erste bekannte Lazarettschiff der Kriegsmarine handelt. In der römischen Flotte findet sich später ein Schiff mit wohl gleichem Zweck namens Aesculapius. Obgleich weitere Zeugnisse fehlen, darf man annehmen, dass in der griechisch - römischen Antike derartige Begleitschiffe zur Versorgung von kranken und verwundeten Soldaten eingesetzt wurden. Eine Marmorplatte aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. enthält in der Besatzungsliste einer griechischen Triere nach dem Kapitän und dem Steuermann auch einen „Iatros“ (Arzt).
Die Römer versorgten kranke und verwundete Soldaten an Land in speziellen „Valetudinariae“, ärztlich geleiteten Einrichtungen. Die Versorgung auf den Schiffen und an Land lag in der Hand von Wundärzten. In der Regel begannen diese jung und standen als „milites“ nur im Mannschaftsrang, erhielten aber als „medici duplicarii“ den doppelten Sold. Sie waren „immunes“, also befreit von Aufgaben eines Soldaten, wie die heutigen Ärzte unter dem Schutze des Roten Kreuzes. Etwa ein Dutzend dieser Schiffsärzte sind namentlich bekannt, wie auf einer Grabstele bei Neapel M. Satrius Longinus, ehemaliger Schiffsarzt auf der Cupido zur Zeit Kaiser Hadrians (117-138).
In der byzantinischen Flotte gab es wohl auch Schiffsärzte, da Paulos von Aegina (625-690) forderte, man solle den Ärzten auf dem Meere schriftliche Anweisungen mitgeben. Hier handelt es sich wohl mehr um ein Relikt aus der griechischrömischen Antike als um einen Aufbruch in das Mittelalter. Denn es dauerte fast tausend Jahre, bis sich wieder Ärzte in den Kriegsmarinen der seefahrenden Nationen finden lassen.
Mittelalter
Das Mittelalter liegt in dieser Hinsicht überwiegend im Dunkeln. Das ist verwunderlich; denn im Laufe des Mittelalters entwickelte sich ein erstaunlich großer Pilgerstrom ins Heilige Land und seit dem ersten Kreuzzug immer wieder ein gewaltiger militärischer Schiffsverkehr über das Mittelmeer. Über die Zahl der Pilger gibt es kaum Daten, und über die Größe der Kreuzzugsheere gehen die Zahlenangaben weit auseinander. Am ersten Kreuzzug waren beispielsweise nach M. v. Sybel (1881) 600.000 Kriegswillige, 100.000 Gewappnete, nach Delbrück (1907) etwa „60.000 Köpfe, darunter 10.000 Vollgewappnete“, nach O. Herrmann (1887) gar nur 1200 Reiter und 9000 Fußsoldaten beteiligt. „Wenn“, so Delbrück, „das 1. christliche Königreich auf palästinensischem Boden nur mit wenigen hundert Rittern behauptet wurde, so haben auch nur wenige Tausende dazugehört, es zu erobern.“
1248 brach Louis IX., der Heilige, zu seinem ersten Kreuzzug auf, nachdem er aus Mangel an eigenen Mittelmeerhäfen eigens dafür die Stadt Aigues mortes hatte bauen lassen. Auf 1.500 Schiffen aller Größenordnungen sollen 35.000 Soldaten (andere Quellen sprechen von 15.000) mit Pferden, Rüstungen und dem zugehörigen Tross den Hafen in Richtung Heiliges Land verlassen haben.
Über die medizinische Versorgung dieser Kreuzfahrerströme ist wenig bekannt, wohl aber, dass viele Reisende starben, indem sie das Heilige Land oder anschließend die Heimat nicht erreichten, wie Ludwig IX. selbst, der 1270 bei seinem zweiten Kreuzzug starb, vielleicht an der Pest, vielleicht an den Pocken. Es gab offenbar keine organisierte medizinische Betreuung auf den Schiffen. Eleonore von Aquitanien, die, in erster Ehe mit Ludwig VII. verheiratet, ihren Mann auf dem 2. Kreuzzug 1147-1149 begleitet und die Leiden der Kreuzfahrer an Bord erlebt hatte, machte es deshalb in den Gesetzen von Oleron 1194 den Kapitänen zur Pflicht, Kranke möglichst bald an Land betreuen zu lassen. Es wird aber berichtet, dass Papst Honorius III. (1148-1227) beim Kreuzzug von Damiette (1218-1221) angeordnet habe, dass ein studierter Arzt, nicht ein Barbier-Chirurg, die Kreuzfahrerschiffe begleiten solle.
Einige Kreuzritter nahmen ihre Leibärzte mit auf die lange Reise - bekannt ist dies beispielsweise bei König Heinrich I. und Richard Löwenherz von England - die im Bedarfsfalle unterwegs sicher auch andere Passagiere behandelten. Segensreich waren wohl auch die Frauen von mitreisenden Rittern oder Ärzten, unter denen von Zeitgenossen besonders Laurette de St. Valery (1146-1205) hervorgehoben wird, die sich selbst als Ärztin besonders um die Armen kümmerte, als sie ihren Mann Aleaune de Fontaine wohl 1189-1192 im dritten und 1202-1204 im vierten Kreuzzug begleitete und 1205 in Konstantinopel starb. Es gab auch heilkundige Laien wie den Kaiser Manuel von Konstantinopel, der 1147 den erkrankten König Konrad III. von Deutschland heilte und über den Zeitgenossen schrieben „dass er die Verwundeten genauso gut verbunden habe wie ein berufsmäßiger Chirurg.“ Er soll auch heilende Salben selbst zusammengestellt haben.
Die Organisation dieses „Kreuzzugstourismus“, der nicht nur Krieger, sondern auch Pilger erfasste, lag überwiegend in den Händen von Genua und besonders Venedig, die die Überfahrten organisierten und finanzierten, anfangs aber wohl ohne ärztliche Begleitung. Im 13. Jahrhundert allerdings soll es hauptsächlich in diesen beiden Städten „Consolati del Mare“ gegeben haben, in denen geregelt wurde, dass in einer Flotte auf speziellen Schiffen Verwundete zu sammeln und an Land zu bringen seien. So wurden einzelne Schiffe zum Rücktransport Verwundeter und Kranker benutzt. Um 1300 wurde ein „Meister Gualteri“ als Chirurg der venezianischen Flotte genannt, 1369 wurden Ärzte unter dem Stabspersonal und in der Bordliste gleich hinter dem Kapitän genannt, und noch einmal 1411 wurden zwei Schiffsärzte gefordert: „...Teneantur habere...... duos medicos, unum physicum et unum cirusiem...“ („Sie sollen gehalten sein, …. zwei Ärzte zu haben, einen Internisten und einen Chirurgen“). Ob dies auch für die Fahrten ins Heilige Land galt, ist nicht bekannt. Ersichtlich ist aus der Verordnung aber, dass auch die Chirurgen als Ärzte anerkannt wurden, während der Chirurg später bis weit in die Neuzeit aus der Baderzunft kam und nicht als Arzt galt.
Für ihre Hilfe bei den Kreuzzügen erwarteten die beiden Städte als Rendite eine Beteiligung an der Kriegsbeute. Wenn die zu mager oder ganz ausfiel, wie 1228 unter Friedrich II., als dieser Jerusalem auf dem Verhandlungswege zurückgewann, kam es schon mal zu heftiger Klage beim Papst, weil dieser Kreuzzug nicht mit der ganzen Kraft des Glaubens geführt worden sei. Als gar von vornherein die Chancen im Heiligen Land gering eingeschätzt wurden, wurde der 4. Kreuzzug 1202-1204 gegen den Widerstand des Papstes, dessen entsprechende Bullen rechtzeitig abgefangen wurden, gegen die religiös und geschäftlich lästigen Glaubensbrüder in Byzanz umgeleitet. Die Beute dieses „Kreuzzugs“ war sehr ergiebig. Venedig erhielt davon 3/8, und nebenher verdankt der Halberstädter Domschatz diesem „Kreuzzug“ seine wertvollsten Stücke, die Bischof Konrad von Krosigk aus Konstantinopel von dort mitgehen ließ.
Damit sich die Kreuzritter oder Pilger bei ihrer Fahrt ins Heilige Land möglichst selbst behelfen konnten, wurden ihnen „Regimina“ mitgegeben, das sind ausführliche medizinische Reiseanleitungen zu Nahrung, Hygiene, Verhalten bei Unfällen und Krankheiten. 1227 verfasste der Arzt Adam von Cremona ein sehr eingehendes „Regimen iteragentium vel perigrinantium“ für Kaiser Friedrich II., bestimmt für seinen geplanten Kreuzzug, der aber wegen einer Seuche im Heer nicht stattfand. Darin finden sich auch Vorschläge zur Entsalzung von Seewasser unter Hinweis auf ein Experiment des Aristoteles: Dabei wird ein mit einer Harzmembran präpariertes, dicht verschlossenes Tongefäß rund 500 Meter tief im Meer versenkt – dort ist der Wasserdruck etwa 50 Mal so stark wie an der Oberfläche, presst das Wasser zum Druckausgleich in das leere Gefäß, lässt aber das Salz draußen. Holt man das Gefäß nach etwa 24 Stunden wieder an die Oberfläche, befindet sich darin Süßwasser. Adam hatte auch das im ersten Kapitel schon zitierte Rezept gegen die Seekrankheit.
Solche Regimina gab es auch noch am Ende des Mittelalters. Eines wurde in dem Reisetagebuch des Landgrafen Wilhelms I. von Hessen (1466-1515) gefunden, verfasst von seinem Leibarzt, als er 1491-1492 eine Schiffsreise nach Palästina unternahm. Darin wird empfohlen, als Vorbeugung gegen Durchfallerkrankung einen scharlachroten Leibrock zu tragen, für den Fall einer Seekrankheit Speikübel mit Deckel, wegen fehlender Aborte umwickelte Urinflaschen und außerdem lebende Tiere mitzunehmen, weil an Bord Fleisch fehle oder verdorben sei.
Im Heiligen Land selbst kam es zunächst zu spontanen Hospitalgründungen. 1189 errichteten Lübecker und Bremer Bürger ein Zelt aus dem Segel einer Kogge mit Behandlungsplätzen vor Akkon. Später wurde durch Stiftungen dieser Bürger ein Hospital in Akkon selbst eingerichtet. Zur Betreuung wurde 1198 nach der Eroberung Jerusalems der „Orden der Brüder vom Deutschen Haus St. Mariens in Jerusalem“ gegründet, kurz genannt der „Deutsche Orden“. Schon 1113 wurde das „Hospital des Hl. Johannes“ gegründet, bald als Orden der Hospitaliter (später Johanniter und Malteser) bekannt und vorbildlich organisiert, mit einem großen und sogar bei den Muslimen anerkannten Krankenhaus in Jerusalem, das auch nach der Eroberung Jerusalems 1187 durch Saladin von diesem ausdrücklich ermächtigt wurde, seine Arbeit fortzusetzen. Der Orden unterhielt aber auch Herbergen oder Armenhäuser in den Einschiffungsorten der Pilger (St. Gilles, Asti, Pisa, Bari, Otranto und Messina). Letztere dienten zur Versorgung und Beratung von Pilgern vor der Einschiffung oder nach der Rückkehr. Daneben entstand der „Orden des Hl. Lazarus“ zur Betreuung der Leprakranken, zunächst im Heiligen Land, später auch in anderen Hafenstädten. Hiervon ist im Abschnitt über die Lepra in Band 1 ausführlich die Rede.
1335 wurde ein Kauffahrteischiff von Kreuzfahrern aus Bremen und Lübeck vor Akkon während einer Epidemie konfisziert, an Land gezogen und als festes Lazarett benutzt.
Christliche und muslimische Ärzte lagen zu jener Zeit im Heiligen Land im Wettstreit, die muslimischen fühlten sich überlegen, wie der syrische Emir Usama (1140) berichtete, und es gibt Beispiele für ärztliche Hilfe, die durch muslimische Ärzte geleistet wurde, etwa bei Ludwig dem Frommen von Thüringen (1151-1190), den Saladin großmütig behandeln ließ, oder später bei Ludwig IX., dem Heiligen, von Frankreich (1214-1270), der durch Ärzte des Sultans von einer Seuche geheilt wurde. Auch bei den inzwischen dauerhaft ansässigen fränkischen Rittern, die etliche orientalische Sitten angenommen hätten, noch mehr bei deren Frauen, seien muslimische, jüdische oder syrische Ärzte sehr beliebt, klagte Wilhelm von Tyros (1130-1186), Erzbischof von Tyros, Kanzler des Königreichs Jerusalem und bedeutender Geschichtsschreiber. Zum Teil lag dies wohl auch an der relativ geringen Zahl christlicher Ärzte, von denen die meisten als Kriegsbegleiter noch dazu Chirurgen gewesen sein dürften. Zur Ehrenrettung der christlichen Ärzte sei aber auf das schon genannte „Hospital des Heiligen Johannes“ in Jerusalem verwiesen, das auch bei den Muslimen in hohem Ansehen stand.
Neuzeit
Nach der Entdeckung der Neuen Welt und des Seewegs nach Asien entlang der ebenso neu entdeckten Küsten Afrikas, schließlich auch nach der Entdeckung Neuseelands und Australiens nahm die Seefahrt seit dem 16. Jahrhundert sprunghaft zu, gleichzeitig wurden die zurückzulegenden Strecken immer länger, die Schiffe immer größer. Die neu entdeckten Küsten in Amerika und Afrika wurden erst von Spanien und Portugal, dann auch von den Niederlanden, Frankreich und England in Kolonialbesitz genommen, mussten erst erobert, dann gegen die anderen Mitbewerber verteidigt werden, wobei den Kampf um den ersten Platz und die meisten Kolonien schließlich England gewann. Als Voraussetzung zu diesem weltumspannenden Kampf um die Pfründe nahm in allen seefahrenden Nationen der Bedarf an Kriegsmarine sprunghaft zu, zahlreiche Seeschlachten fanden in den Gewässern aller Kontinente statt, Schiffe wurden rasant gebaut und zerstört. Das steigerte, nebenbei erwähnt, den Holzbedarf gigantisch und ließ die Wälder rund um das Mittelmeer ebenso rasant verschwinden. Es steigerte aber auch den Bedarf an Marinesoldaten und damit zwangsläufig die dafür notwendige ärztliche, insbesondere chirurgische Versorgung. Deshalb gingen ab dem 16. Jahrhundert alle seefahrenden Nationen daran, die medizinische Versorgung in ihren Kriegsflotten zu organisieren.
16. – 18. Jahrhundert
Der Beruf des Schiffsarztes entsteht
In England begann Heinrich VIII. (1491-1547) seine Regierung 1509 mit durchgreifenden Reformen in Verwaltung und Medizin. Im Medical Act von 1511 regelte er die Ausbildung und Berufsausübung in der inneren Medizin, die im Universitätsstudium erworben wurde, und bei den Chirurgen, die mit einem Lehrberuf der Baderzunft angehörten. Ziel war eine qualifizierte Ausbildung und Berufsausübung. Die Chirurgen wurden besonders für die wachsende Armee und Kriegsflotte gefördert. 1513 verfügte die Flotte über einen Chefchirurgen (chief surgeon), vier Meister-Chirurgen (master surgeons) und 32 Chirurgen (surgeon und surgeon's mate).
Im Laufe der Jahrhun...

Inhaltsverzeichnis

  1. Über den Autor
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Vorwort
  4. Kapitel 1: Ärztliche Betreuung an Bord Kriegsmarine
  5. Kapitel 2: Ärztliche Betreuung an Bord Zivile Schifffahrt
  6. Kapitel 3: Medizinische Versorgung an Land
  7. Kapitel 4: Seenotrettung
  8. Kapitel 5: Hospitalschiffe
  9. Kapitel 6: Bekannte Marine- und Kolonialärzte
  10. Anhang
  11. Dank
  12. Literaturverzeichnis
  13. Bildnachweis
  14. Band 2
  15. Impressum