Hinterkaifeck
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Hinterkaifeck

Autopsie eines Sechsfachmordes

  1. 240 Seiten
  2. German
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Hinterkaifeck

Autopsie eines Sechsfachmordes

Über dieses Buch

Auf dem abgelegenen Bauernhof "Hinterkaifeck" bei Gröbern in der Gemeinde Wangen (Oberbayern) werden im März 1922 sechs Menschen mit einer Kreuzhacke erschlagen. Unter den Opfern sind zwei Kinder im Alter von 2 ½ und 7 Jahren. Das Verbrechen, das bis heute nicht aufgeklärt werden konnte, ist einzigartig in der deutschen Kriminalgeschichte und lässt bis in die Gegenwart hinein Raum für verschiedene Interpretationen und Mordtheorien. Die Tat ist Grundlage für zahlreiche Bücher und Filme, u.a. den Krimi-Bestseller "Tannöd". Durch die Zusammenführung und eine mit Wahrscheinlichkeiten gewichtete Bewertung der historischen forensischen Daten lassen sich in der vorliegenden Untersuchung des Risikoanalysten Guido Golla die damaligen kriminalpolizeilichen Theorien zu Täter und Tatmotiv widerlegen. Zugleich werden neue Erkenntnisse zu den Beweggründen für den Sechsfachmord gewonnen. Mithilfe der archivierten Zeugenaussagen und auf Basis neuer fallanalytischer Rückschlüsse gelingt es am Ende, die Ereignisse von Freitag, dem 31. März 1922 zu rekonstruieren.

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Information

C. Ermittlungen

Spurensicherung

Lorenz Schlittenbauer schickt seinen ältesten Sohn Johann nach Entdeckung der Tat zum Bürgermeister Georg Greger in das etwa 2,1 km entfernte Wangen61. Der Bürgermeister soll die Polizei in Hohenwart benachrichtigen, wo sich die nächste Gendarmeriestation befindet. Auf dem Weg nach Wangen ruft Johannes Schlittenbauer allen Personen zu, denen er begegnet, dass in Hinterkaifeck sämtliche Bewohner erschlagen worden seien. Spontan begeben sich zahlreiche Personen an den Ort des Geschehens. Johann Schlittenbauer trifft schätzungsweise kurz nach 17:00 Uhr in Wangen ein und unterrichtet Bürgermeister Greger über den Leichenfund. Gegen 17:30 Uhr lässt Greger die Gendarmeriestation in Hohenwart benachrichtigen – telefonisch oder möglicherweise durch einen Boten von der Gastwirtschaft Brunner im 2,5 km entfernten Waidhofen aus, wo sich eine Poststation mit Telefon- und Telegraphenstelle befindet. Aus Hohenwart wird die Gendarmerie in Schrobenhausen verständigt. Um ca. 18:15 Uhr werden die Polizeidirektion München und die Staatsanwaltschaft in Neuburg a. D. fernmündlich alarmiert62. Die Polizeidirektion München wird um die Abstellung von Kriminalbeamten und Polizeihunden63 gebeten. Unterdessen macht sich Bürgermeister Greger mit zwei Polizeibeamten, Georg Goldhofer (Stationskommandant der Gendarmeriestation Hohenwart) und Alois Blank (Oberwachtmeister), auf den Weg nach Hinterkaifeck. Als die Männer gegen 18.00 Uhr am Tatort eintreffen, befinden sich neben Ortsvorsteher Lorenz Schlittenbauer bereits mehrere Dutzend Schaulustige aus Gröbern und den umliegenden Orten auf Hinterkaifeck64.
Um 22:00 Uhr trifft die dreiköpfige Kommission des Amtsgerichts Schrobenhausen, bestehend aus dem Oberamtsrichter Wiessner, Gerichtsinspektor Glaser und Gerichtsassistenten Schäfer, auf Hinterkaifeck ein und nimmt unter Zuhilfenahme von Petroleumlampen eine erste Tatortbesichtigung vor. Mit der Gerichtskommission vor Ort sind neben Bürgermeister Georg Greger die Schrobenhausener Gendarmen Johann Anneser und Ernst Großmann. Dem Gendarmerie-Wachtmeister Anneser wird die Aufgabe übertragen, gemeinsam mit seinem Kollegen eine erste Hausdurchsuchung vorzunehmen65. Am nächsten Tag (05.04.) findet sich die Gerichtskommission erneut auf Hinterkaifeck ein, wobei der zweite Staatsanwalt aus Neuburg a. D. Theodor Hensold nunmehr ebenfalls anwesend ist.
Die Münchner Kriminalpolizei bricht unter Führung von Kriminaloberinspektor Georg Reingruber am 04. April 1922 um 21:30 Uhr in München auf. Reingruber wird begleitet von Kriminalkommissar Georg Neuss, Oberwachtmeister Hermann Kraus, den Hundeführern Michael Bohlein und Josef Schering sowie einem Beamten des Erkennungsdienstes, Kriminalsekretär Andreas Biegleder66. Die Ermittler treffen am 05. April 1922 gegen 01:30 Uhr bei Bürgermeister Greger in Wangen ein. Weil nach Auskunft Gregers eine Spurensuche am Tatort "mangels jeder Beleuchtungsgegenstände" nicht möglich ist, warten die Beamten in der Wohnung des Bürgermeisters bis zur Morgendämmerung ab und brechen gegen 05:30 Uhr nach Hinterkaifeck auf. Mit den Beamten treffen Bürgermeister Greger und Ortsvorsteher Schlittenbauer am Tatort ein. Nach ihrer Ankunft nehmen die Münchner Kriminalbeamten zunächst eine Tatortbesichtigung vor.
Im Laufe des Vormittags kommen weitere Sachverständige und Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft Neuburg a. D. hinzu: Erster Staatsanwalt Ferdinand Renner, Kanzleiassistent Heinrich Ney, Landgerichtsarzt Dr. Johann Baptist Aumüller (sowie der Besitzer des Mietwagens Schwimmbacher aus Neuburg a. D.)67. Die Zahl der vor Ort befindlichen Gendarmen und Ermittlungsbeamten lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Angaben nur schätzen68. Den einschlägigen Zeugenaussagen und Sichtungsprotokollen zufolge kann für den 05. April 1922 von mindestens 17 ermittelnden Personen ausgegangen werden69, demnach von einer zur Erstellung eines Tatbefundberichts ausreichenden Zahl an Kräften. In den Augenscheinprotokollen der Münchner Kriminalpolizei (Reingruber) und der Gerichtskommission (Wiessner), die die Grundlagen für den weiteren Gang der Ermittlungen bilden, erfolgt denn auch eine teilweise Protokollierung von Meldungseingang, eingesetzten Kräften, Witterungs- und Lichtverhältnissen, Tatobjekt, Opfern, Maßnahmen der Spurensicherung, Lichtbildern, Skizzen sowie ersten Schlussfolgerungen und Hypothesen über Tatablauf und Täter70. Hingegen fehlt in beiden Augenscheinprotokollen eine Zusammenstellung der am Tatort seit der Auffindung vorgenommenen Veränderungen. In Bezug auf die Tatortarbeit sind erste Unregelmäßigkeiten feststellbar:
  • Auch nach dem Eintreffen der ersten Beamten unterbleibt eine Absperrung des Tatanwesens. In der Folgezeit und bis zum Abriss des Einödhofs im Februar 1923 wird der Tatort von ermittelnden Beamten sporadisch aufgesucht. In dieser Zeit ist der Tatort frei zugänglich, so dass neben Verwandten der Opfer zahlreiche Tatorttouristen den Einödhof aufsuchen und besichtigen können.
  • Es werden nur fünf Tatortfotos aufgenommen, deren Aussagekraft zudem durch (a) die nachträgliche Rekonstruktion der Auffindesituation sowie (b) die aus ethischen Gründen vorgenommene Manipulation der Leichen beeinträchtigt wird71. Unter anderem lässt sich die Lage der Leiche von Cäzilia Gabriel anhand des Bildmaterials nicht auf Anhieb bestimmen, sondern kann unter Hinzuziehung der einschlägigen Augenscheinprotokolle lediglich vermutet werden (Abbildung 9)72.
Abbildung 9: Mutmaßliche Lage der Leiche von Cäzilia Gabriel
  • Eine systematische Sicherung von Fußspuren erfolgt auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Neuburg a. D. erst am 08. April 1922, also vier Tage nach Auffindung der Leichen. Wegen des zwischenzeitlichen starken Regens und aufgrund von Feldarbeiten, die seit Auffindung der Leichen vorgenommen worden sind, können Fußspuren nur teilweise gesichert werden. Die Besichtigung des Tatorts durch Schaulustige erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den festgestellten Fußabdrücken um Trugspuren handelt. Fußspuren aus nordwestlicher Richtung können nach einer kriminaltechnischen Untersuchung vom 08. April 1922 nicht mit der Tat in Verbindung gebracht werden73.
  • Die Polizeihunde können aufgrund des Schneefalls und des Regenwetters am 05. April 1922 keine Witterung aufnehmen74. Auch hier kommt erschwerend hinzu, dass am Auffindetag zahlreiche Personen das Tatanwesen betreten.
  • Daktyloskopische Spuren werden nicht gesichert (obgleich das Fingerabdruckerfahren im Deutschen Reich seit 1906 angewendet wird)75.
  • Die Beamten der Münchner Kriminalpolizei verlassen den Tatort am 05. April 1922 nach zehn Stunden. Das Tatanwesen (Dachboden, Scheune) wird in der Kürze der Zeit nicht systematisch untersucht. Trotz der mitgeführten Spürhunde kann die auf dem Dachboden über dem Wohntrakt versteckte Reuthaue nicht gefunden werden. Womöglich gehen die Beamten zu diesem Zeitpunkt davon aus, die Tatwaffe bereits entdeckt zu haben (Faktentabelle 3[01]).
Die Anzahl der Opfer und weitere Gegenstandsspuren weisen nach Auffassung der Ermittler darauf hin, dass die Tat von mehreren (zwei) Personen verübt worden sein muss. Die Täter halten sich nach Absicht der Ermittler einige Zeit auf dem Dachboden des Anwesens auf. Während ihres Aufenthalts und nach Ausführung der Tat nutzen die Täter ein Heuseil (Faktentabelle 3[02]) als Fluchtmöglichkeit bzw. Möglichkeit zum raschen Verlassen ihres Verstecks im Entdeckungsfall.
01 Im Futtertrog wird eine ca. 1 m lange Kreuzhacke mit braunroten Anhaftungen an Öse und Hackenblatt76 gefunden, wobei es sich ersten Einschätzungen der Ermittler zufolge um Blut handelt77.
02 In der Nähe des östlichen Eingangstors entdeckt die Gerichtskommission am 06.04.1922 ein fingerdickes Seil, das vom Dachboden bis zum Fußboden der Scheunendurchfahrt reicht. Das Seil ist an einem Querbalken des Dachstuhls (Kehlbalken) fest angebunden und für größere Lasten geeignet. Auf dem verstaubten Querbalken finden sich zwei Handabdrücke.
03 Der Dachboden ist vom Stadel aus über eine an der Westseite angebrachte Wandleiter erreichbar78. Im nordöstlichen Teil des Strohlagers über der Scheunentenne werden Vertiefungen im aufgeschütteten Heu entdeckt, so als ob dort eine oder mehrere Personen längere Zeit gelegen hätten79.
04 In der südöstlichen Ecke des Dachbodens oberhalb des Stadels sowie in der südwestlichen Ecke des Strohlagers über der Scheune werden verschobene Dachziegel entdeckt. Durch die Lücken kann der Innenhof des Anwesens vom Dachboden aus mit Blickrichtung Süden und Westen eingesehen werden. Die hellrote Färbung der weiter unten liegenden Dachziegel an der Stelle, an der die verschobenen Ziegel ursprünglich aufgelegen haben, lässt den Schluss zu, dass die Dachziegel erst vor kurzem bewegt worden sind.
05 In der Räucherkammer, die sich auf dem Dachboden oberhalb der Küche in Kaminnähe befindet, hängen 19 Stücke Rauchfleisch80. Von einem Stück ist die Hälfte abgeschnitten.
Faktentabelle 3: Gegenstandsspuren
Aus Sicht von Kommissar Reingruber wird unmittelbar vor der Tat eine größere Summe Papiergeld auf Hinterkaifeck aufbewahrt. Sichergestellt wird ein Geldvermögen zum Nennbetrag von über 2.228 Mark (was einem Kaufkraftäquivalent von geschätzten mehr als 21.000 EUR entspricht), darunter Papiergeld im Nennwert von 5 Mark (= 1,70 EUR)81. Da die Familie Gabriel/Gruber als Eigentümerin eines größeren Bauernhofs zu jener Zeit82 über Gröbern hinaus als vermögend gilt83, ist aus Sicht der Ermittler Habgier als Tatmotiv naheliegend84. Aus dem Umstand, dass neben festverzinslichen Wertpapieren zum Nennwert von 15.100 Mark85 – die inflationsbedingt laufend an Wert verlieren – wertbeständige Gold- und Silbermünzen sowie wertbeständiger Gold- und Silberschmuck86 sichergestellt werden und die Wohnung insgesamt keinen durchwühlten Eindruck macht87, schließen die Beamten, dass die Täter bei der Tatausübung möglicherweise gestört worden sind, weshalb aus Zeitgründen hauptsächlich Papiergeld entwendet wird88. Als einer der ersten Tatverdächtigen wird aufgrund der Scheußlichkeit des Verbrechens, für das nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nur ein Geisteskranker als Täter in Frage komme89, der am 07. April 1921 aus der Heil- und Pflegeanstalt Günzburg entflohene Bäcker Josef Bärtl aus Geisenfeld bei Ingolstadt zur Fahndung ausgeschrieben90.
Nach ersten Plausibilitätsüberlegungen können nach Ansicht der Beamten folgende Anhaltspunkte zur Bestimmung des Tattags (Faktentabelle 4) herangezogen werden.
01 Am frühen Abend des 31. März 1922 trifft die neue Dienstmagd Maria Baumgartner in Begleitung ihrer Schwester in Hinterkaifeck ein. Die Schwester verabschiedet sich gegen 18:00 Uhr.
02 Am Samstag, dem 01. April 1922 fehlt Cäzilia Gabriel unentschuldigt in der Schule in Waidhofen (nachdem sie am Freitag, dem 31. März 1922 noch am Unterricht teilgenommen hat).
03 Die Kaffeehändler Eduard und Hans Schirovsky kommen am Samstag, dem 01. April 1922 auf das Anwesen. Sie klopfen an die Fenster und schauen dabei in die Wohnräume, kö...

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. A. Auffindetag | Dienstag, der 04. April 1922
  4. B. Einödhof Hinterkaifeck
  5. C. Ermittlungen
  6. D. Fehlspuren und Widersprüche
  7. E. Konklusion
  8. F. Faktentabellen
  9. G. Abbildungen und Fotografien
  10. H. Quellen und Literatur
  11. I. Personenregister
  12. Impressum