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Viertes Kapitel: Goethe und das Leben am Hofe.
Ich brachte reines Feuer vom Altar,
Was ich entzündet ist nicht reine Flamme.
Der Sturm vermehrt die Glut und die Gefahr;
Ich schwanke nicht indem ich mich verdamme.
Goethe (1783).
Doktor Wolfgang Goethe war als er in Weimar ankam, ein langer, schmächtiger, fast dürrer junger Mann mit hoher Stirn, langer Nase, schwellenden Lippen und leuchtenden großen schwarzen Augen, die schwermütig-schwärmerisch schmachten, übermütig keck und humoristisch lachen und im Zorne vernichtende Blitze schleudern konnten. Dabei besaß er eine Fülle von Körperkraft, war gewandt in allen Leibesübungen, voll kecken Übermuts und neckischen Mutwillens, unerschöpflich an Possen und närrischen Einfällen, übersprudelnd von Geist und Witz, an ein lustiges Leben gewöhnt und sicher in dem Gefühl seines Wertes und seines jungen großen Dichterruhmes.
So erschien er, ein schöner Mann, unabhängig, anerkannt und angestaunt als seltenstes Genie, am Hofe zu Weimar, wo, wie er sich selbst ausdrückt, „eine tolle Compagnie von Volk beisammen war, wie es sich auf so einem kleinen Fleck, wie in einer Familie, nicht wieder so findet“, in einem Kreise nicht bloß hochgestellter, sondern auch hochgebildeter Personen, welche Kunst und Literatur liebten, ja, was namentlich in jener Zeit mit Auszeichnung hervorgehoben zu werden verdient, welche deutsche Kunst und deutsche Literatur liebten. Er erschien an einem, wie schon erwähnt, jugendlichen Hofe, den schon die verwitwete Herzogin Amalie der strengen Etikette entzogen hatte und man darf und wird sich nicht wundern, dass das Leben da bald ein anderes wurde als es sonst an den Höfen zu sein pflegt.
Obgleich er zunächst als Gast des regierenden Herzogs kam, machte sich doch sein überragender Geist, seine imponierende Persönlichkeit überhaupt, bald dermaßen geltend, dass er das tonangebende, alles bestimmende Element wurde und Jahre lang blieb. Wieland hat ihn nach einem kurzen Aufenthalt (in den ersten Tagen des Jahres 1776) zu Stetten bei Erfurt, wo er alle entzückte, in einem Gedicht „an Psyche“ (die Frau von Bechtoldsheim, die Besitzerin von Stetten) geschildert. Es befindet sich dieses Gedicht im Teutschen Mercur, Jan. 1776, und die betreffende Stelle lautet:
Und als wir nun so um und um
Eins in dem andern glücklich waren
Wie Geister im Elysium:
Auf einmal stand in unserer Mitte
Ein Zaubrer! Aber denke nicht,
Er kam mit unglücklich schwangerem Gesicht
Auf einem Drache angeritten.
Ein schöner Hexenmeister es war
Mit einem schwarzen Augenpaar,
Zaubernden Augen mit Götterblicken,
Gleich mächtig zu töten und entzücken.
So trat er unter uns, herrlich und hehr,
Ein echter Geisterkönig, daher,
Und niemand fragte: Wer ist denn der?
Wir fühlten beim ersten Blick: 's war er!
Wir fühlten's mit allen unsern Sinnen
Durch alle unsere Adern rinnen.
So hat sich nie in Gottes Welt
Ein Menschensohn uns dargestellt,
Der alle Güte und alle Gewalt
Der Menschheit so in sich vereiniget;
So feines Gold, ganz innerer Gehalt,
Von fremden Schlacken ganz gereiniget!
Der, unzerdrückt von ihrer Last,
So mächtig alle Natur umfasst,
So tief in jedes Wesen sich gräbt,
Und doch so innig im Ganzen lebt!
Das lass ich mir einen Zauberer sein!
Wie wurden mit ihm die Tage zu Stunden,
Die Stunden wie Augenblicks verschwunden!
Und wieder Augenblicke so reich,
An innerem Werthe Tagen gleich!
Was macht' er nicht aus unsern Seelen?
Wer schmelzt wie er die Lust in Schmerz?
Wer kann so lieblich ängsten und quälen,
In süßen Tränen zerschmelzen das Herz?
Wer aus der Seelen innersten Tiefen,
Mit solch' entzückendem Ungestüm,
Gefühle wecken, die ohne ihn
Uns selbst verborgen im Dunkeln schliefen?
O welche Gesichte, welche Szenen
Hieß er vor unsern Augen entstehen!
Wir wähnten nicht zu hören, zu sehn,
Wir sahn! Wer malt wie er, so schön
Und immer ohne zu verschönen,
So wunderbarlich wahr, so neu,
Und dennoch Zug für Zug so treu!
Doch wie? Was sag' ich malen? Er schafft,
Mit wahrer, mächt'ger Schöpferkraft
Erschafft er Menschen. Sie atmen, streben;
In ihren innersten Fasern ist Leben.
Und jedes so ganz es selbst, so rein,
Könnte nie etwas anders sein!
Ist immer echter Mensch der Natur,
Nie Hirngespinst, nie Karikatur,
Nie kahles Geripp von Schulmoral,
Nie überspanntes Ideal!
Noch einmal, Psyche, wie flogen die Stunden
Durch meines Zauberers Kunst vorbei!
Und wenn wir dachten, wir hätten's gefunden,
Und was er sei nun ganz empfunden,
Wie wurd' er so schnell uns wieder neu!
Entschlüpfte plötzlich dem satten Blick
Und kam in andrer Gestalt zurück,
Ließ neue Reize vor uns entfalten,
Und jede der tausendfachen Gestalten,
So ungezwungen, so völlig sein,
Man musste sie für die wahre halten;
Nahm unsere Herzen in jeder ein,
Schien immer nichts davon zu sehen
Und, wenn er, immer glänzend und groß,
Rings umher Wärme und Licht ergoss,
Sich nur um seine Achse zu drehen.
In seligem Traum ach! genoss ihn kaum.
Weg war der zauberische Traum
Und ich – nun weit verschlagen,
In einem alten Rumpelwagen
Gezogen durch ungebahnten Schnee,
Vom Nebel gebeizt, vom Frost gezwickt,
Und immer weiter – dir entrückt.
Zwar saß in diesen Fährlichkeiten
Mir unsrer Zaubrer noch zu Seiten,
Doch wenig half jetzt ihm und mir
Sein Nostradamus. Er konnt', ums Leben,
Den Pferden keine Flügel geben.
Da saßen wir große Geister, wir,
In Pelze vermummt als wie Bären
Und (unsern Genienstand in Ehren!)
An Leib und Seel' sehr kontrakt,
Und gähnten einander an im Takt,
Und stell' dir vor (dies ist kein Scherz),
Dass ich, trotz meiner dicken Kruste
Von Frost und Dummheit um Kopf und Herz,
Dem Zaubrer – Mährchen erzählen musste!
Die ersten Wochen trieben diesen „Zauberer“ in Zerstreuung von frühem Morgen bis in die tiefe Nacht um. Es gab Jagden und Bälle, Schlittschuh- und Schlittenfahrten mit und ohne Maske. Einer seiner ersten Briefe aus Weimar meldet, dass er sich mit der Schlittenpeitsche über das Gesicht gehauen haben, und in Folge davon mit dem verletzten Auge nicht sehen könne. Sein Landsmann Kraus hatte ihm schon in Frankfurt Zeichnungen von der Wald- und Berggegend bei Bürgel und Waldeck gezeigt, wo der Förster rau gestaltetes Felspartien, Gebüsch und Waldstrecken durch Brücken, Geländer und Wege gehbar gemacht. Um die Töchter des Mannes bewarben sich Bertuch und Kraus. Als nun Karl August in den Weihnachtsfeiertagen 1775 einen Besuch in Gotha machen musste, benutzten diese Gelegenheit Goethe, Bertuch, Einsiedel, der Kammerjunker von Kalb usw. zu einem Ausfluge nach Bürgel. Goethe aber versprach für den Herzog ein Tagebuch von dieser Winterfahrt zu halten. Ein Stück davon ist aufgefunden worden und es charakterisiert das Treiben damals so treffend, dass es hier in unserer Schilderung nicht fehlen darf.
„Sonntags früh elf. Unser Bote ist noch nicht da, der Schlittschuhe mitbringt; ihm sind tausend Flüche entgegengeschickt worden. Wir sind in der Gegend herumgekrochen und geschlichen. Gleich hinter dem Hausgarten führt ein wilder Pfad nach einem Felsen, worauf ein altes Schloss der Grafen von Gleichen stand, mitten im Fichtenthal. Bertuch hat mit seinem Mägdlein Rasen- und Moosbänke und Hüttchen und Plätzchen angelegt, die sehr romantisch sind; die Felsen hinab sind wilde Blicke und ein offener, freundlicher über die Fichtentiefen nach Bürgel hin. Die Morgensonne war lieb. Ich stieg mit Bertuch seitwärts einen Felsenstieg ab zu einem Brunnen und Fischkasten. Die Eiszapfung der Felsen herab! – Der Bote ist da und nun aufs Eis! Segen zum Morgen und Mahlzeit, lieber gnädiger Herr! – Die Schrittschuhe sind vergessen. Ich habe gestampft und geflucht und eine Viertelstunde am Fenster gestanden und gemault; nun laben sie mich mit der Hoffnung, es käm' noch ein Bote nach. Muss also ohne geschritten zu Tische. – Abends vier. Sie sind gekommen, habe gefahren und mir ist's wohl.
Den ersten Freitag früh acht. Hab' ziemlich lang geschlafen; die Sonne steht schon am Himmel. Der Abend gestern ward mit Würfeln und Karten vervagabundet. Abends sechs. So auch der ganze heutige Tag! Nach Bürgel geritten! Nach Tische rammelten sich Rugantino und Basco, nachdem wir vorher unsere Imagination spazieren geritten hatten, wie's sein möchte, wenn wir Spitzbuben und Vagabunden wären und, um das natürlich vorzustellen, die Kleider gewechselt hatten. Kraus war auch gekommen und sah in Bertuchs weißem Tressenrocke und einer alten Perücke des Wildmeisters wie ein verdorbener Landschreiber, Einsiedel in meinem Frack mit blauem Krügelchen wie ein verspieltes Bürschchen, und ich in Kalbs blauem Rock mit gelben Knöpfen, rotem Kragen und vertrottelten Kreuz- und Schnurbart wie ein Kapitalspitzbube aus.“
Nach diesem Stückchen wird man verstehen was Goethe mit den vielzitierten Worten meint: „wir machen des Teufel Zeug“ oder „wir treiben's toll“, und warum Wieland äußert: „Goethe hat in den ersten Monaten durch seine damalige Art zu sein die meisten skandalisiert und dem Teufel Macht über sich gegeben.“
Großes Aufsehen machte zunächst in der kleinen Stadt, in welcher nichts verschwiegen bleiben konnte, das freundschaftlich vertraute Verhältnis des Herzogs, des „Landesherrn“, mit dem Fremden, dem Bürgerlichen, dem Belletristen. Ärgernis erregte ferner in manchen Kreisen das Schlittschuhlaufen, das Goethe sofort einführte und dass die meisten Herren vom Hofe, ja Damen, selbst die Herzogin Louise, erlernten. Auf der Schwanseewiese tummelte man sich vielfach umher. Es wurden sogar nächtliche Fahrten auf dem Eise, in Maskenanzügen, bei Musik veranstaltet. Die Husaren, welche der Herzog hielt, wurden um den Eisplan her verteilt und mussten stundenlang dastehen und Fackeln halten oder man veranstaltete andere Illuminationen der Eisbahn. So erwähnt Bertuch in seinen Rechnungen eine solche große Illumination vom 16. Febr. 1777, welche 105 Taler 10 Gr. kostete. Auch Fackeltänze führte man auf dem Eise auf. Es gab ferner große Schlittenfahrten, bisweilen mit fratzenhaften Masken, wie ja überhaupt in jener Zeit das Karikierte, Ungeheuerliche eine besondere Liebhaberei von Goethe war. Dass er sich aber mit Karl August mitten auf den Markt gestellt und stundenlang mit Schlittenpeitschen geknallt, ist ein so kindisch albernes Gesc...