Entdeckungsreise
nach dem Südpolarmeer
in den Jahren 1839-1843
von
Sir James Clark Ross
Erster Expeditionsabschnitt
August 1839 bis April 1841
Abreise von England über das Kap der Guten Hoffnung bis Tasmanien
Erster Vorstoß in die Antarktis und Entdeckung des Ross-Meeres
ERSTE EXPEDITIONSABSCHNITT
Abfahrt von Chatham. Nachdem die zu einer Fahrt im Eismeer nötigen Verstärkungen am Rumpf der Erebus endlich fertig waren, wurde das Schiff am 1. August aus dem Dock gebracht. Das Ausrüsten des Schiffes machte durch die gemeinsamen Anstrengungen der Mannschaften der Erebus und der Terror schnelle Fortschritte und am 16. September erhielt ich die letzten Instruktionen von den Lords der Admiralität. Am 19. fuhren die Erebus und die Terror den Fluss hinab zu ihrem Ankerplatz auf der Höhe von Gillingham.
Experimente vor Gillingham. Hier nahmen wir an Bord, was uns noch an Vorräten und Lebensmitteln fehlte und stellten Beobachtungen über die Störungen, die das Eisen des Schiffes auf die Anzeige der Magnetnadel ausübte, an. Diese einfache und zu jeder Zeit so wünschenswerte Beobachtung war von besonderer Wichtigkeit für die Schiffe, welche die interessanten Regionen der magnetischen Kraft durchfahren und bis zur höchsten erreichbaren magnetischen Breite vordringen sollten.
Bei den Experimenten von Gillingham ist die Erstellung einer Deviationstabelle gemeint. In eine Deviationstabelle oder auch Ablenkungstabelle werden für die Navigation von Schiffen Abweichungen des Magnetkompasses eingetragen, die z. B. durch Metallteile wie Kanonen oder metallische Verstärkungen an Bord verursacht werden. Der festgestellte Ablenkungswert wurde dann mit Hilfe einer solchen Tabelle bei der Kursberechnung entsprechend berücksichtig.
Der „Kommandeur en Chef“ Sir Robert Waller Otway nebst Familie, der uns während unserer Ausrüstung, die unter seinem Kommando stattfand, vielfachen freundlichen Beistand leistete, beehrte unsere Schiffe am 24. mit einem Besuch. Am Morgen des 25. kam der Kapitän Superintendent Clavell mit den Zahlmeistern an Bord und zahlte der Mannschaft außer den fälligen Löhnen noch einen dreimonatigen Vorschuss aus. Kurz nach zwölf Uhr wurden die Anker gelichtet, und wir segelten, gefolgt von der Terror, den Fluss abwärts. Als wir an Sheerness vorbeifuhren, kam ein Lotse an Bord. Da das Wasser aber nicht hoch genug stand um über die Untiefen zu gelangen, mussten wir bis zum nächsten Morgen vor Anker gehen.
DIE SCHIFFE TERROR UND EREBUS BEI DER ABREISE
Reede von Margate. Von hier aus bugsierte uns das königliche Dampfschiff Hekate zur Reede von Margate, wo wir um 2.20 Uhr nachmittags Anker warfen. Am folgenden Abend stieß auch die Terror zu uns und viele Bewohner von Margate besuchten die Schiffe während dieser Zeit. Hier erhielten wir aus dem Dockyard von Deal einen neuen Buganker als Ersatz für einen schadhaften, der beim Lichten zerbrochen war. Glücklicherweise war der Anker zu einem Zeitpunkt gebrochen, wo durch die grobe Nachlässigkeit derjenigen, deren Pflicht es war, die Tauglichkeit unserer Ausrüstung zu prüfen, kein Schaden entstehen konnte. Doch unter anderen Umständen hätten die Sicherheit des Schiffes und seiner Mannschaft hauptsächlich von diesem Anker abgehangen.
Die vorherrschenden Westwinde hielten uns bis zum Abend des 30. September auf der Reede von Margate fest, aber um 4 Uhr nachmittags schlug der Wind plötzlich nach Osten um, so dass wir die Anker lichten und das Foreland umschiffen konnten. Vor Mitternacht drehten wir einige Minuten an den Dünen bei, um unseren Lotsen an Land zu setzen und auf die Terror zu warten.
Bis zum Nachmittag des 3. Oktober hatten wir günstigen Wind, aber jetzt, Startpoint gegenüber, erhob sich ein heftiger Südwestwind. Da wir aber vermeiden wollten, durch Anlegen in den Kanalhäfen noch mehr Zeit zu verlieren, suchten wir die offene See und hatten die Freude zu sehen, dass unsere Schiffe den Sturm sehr gut aushielten, obgleich sie tiefer beladen waren, als wir es für wünschenswert erachteten. Während dieser stürmischen Nacht wurden wir von der Terror getrennt. Da wir aber von unserem ersten vereinbarten Treffpunkt auf der Insel Madeira nicht mehr weit entfernt waren, setzten wir ohne Verzug unsere Reise alleine fort.
Abfahrt von Cape Lizard. Am Morgen des 5. befanden wir uns in der Nähe von Cape Lizard, dem letzten Punkt der englischen Küste, den wir zu sehen bekamen. Es ist nicht leicht unsere Freude zu beschreiben, als wir mit einem günstigen Wind von achtern den Kanal verlassen konnten und nun eine Unternehmung begannen, nach der wir uns so lange gesehnt hatten.
Die täglichen, fast stündlichen Beobachtungen und Messungen verschiedener Art, von denen wir so zahlreiche und nützliche Ergebnisse erwarteten, wurden jetzt in ein System gebracht und von den Offizieren der Expedition sogleich mit großem Eifer begonnen.
Biskaya. Während unserer Fahrt durch die Biskaya hatten wir keine günstige Gelegenheit die Höhe der Wellen zu bestimmen, da wir keinen heftigen Sturm hatten. Dafür hatten wir eine sehr unruhige See, die durch eine sehr starke südwestliche Brise verursacht wurde und eine schwere nordwestliche Dünung, welche kennzeichnend für diese Bucht ist. Die höchsten von uns gemessenen Wellen überstiegen kaum 11 Meter von der Basis bis zur Spitze. Ihre Geschwindigkeit und Entfernung voneinander konnten wir, da ein zweites Schiff nicht vorhanden war, nicht bestimmen.
Wir benutzten jede Gelegenheit die Tiefe des Meeres zu messen, fanden in Tiefen zwischen 550 und 1.100 Meter jedoch keinen Grund. Das spezifische Gewicht des Wassers war auf der Oberfläche des Wassers 1,078. Die gleiche Dichte hatte das Wasser in 550 Meter Tiefe, obgleich es dort 5 bis 10 C kälter als auf der Oberfläche war. Unter 48°20´ N und 8°00´ W begegneten wir einem jener merkwürdigen leuchtenden Flecke, die man schon so oft beobachtet hat. Er hatte einen Durchmesser zwischen 18 und 21 Meter und war in der Mitte viel glänzender als an den Rändern. Gebildet wurde er von Myriaden mikroskopischer Tiere, die ein schönes phosphoreszierendes Licht ausströmten, wenn ein Schiff durch die Ansammlung dieser Tiere hindurchfuhr.
HAFEN UND REEDE VON FUNCHAL (MADEIRA)
Madeira. Mit Tagesanbruch des 20. Oktober erblickten wir die Insel Madeira und ankerten nachmittags auf der Reede von Funchal. Die gütige Unterstützung des englischen Konsuls ermöglichte es uns, sogleich die zur Regulierung unserer Chronometer und die zur Bestimmung der magnetischen Inklination, Variation und Intensität notwendigen Beobachtungen zu beginnen, welche der eigentliche Zweck unseres Aufenthalts auf dieser Insel waren. Da noch immer eine genaue Bestimmung der Höhe des Pico Ruivo, des höchsten Berges der Insel, fehlte, entschloss sich eine Gruppe von Offizieren zur Messung der Höhe des Berges mit zwei Bergbarometern den Gipfel zu besteigen. Zu gleicher Zeit wurden entsprechende Beobachtungen mit den Barometern der Erebus und der Terror etwas über der Hochwasserlinie angestellt.
Als Resultat ergab sich eine Höhe von 1859,7 oder 1863,2 Metern über der Meeresfläche, je nachdem, ob man Gay Lussac´s oder Rudberg´s Maß für die Ausdehnung der Luft durch Wärme zur Höhenberechnung nimmt. Diese Messung ergab eine wesentlich größere Höhe als die, welche Oberstleutnant Sabine nach seinen und Kapitän Clavering´s barometrischen Beobachtungen im Winter 1821/29 ermittelt hat. Wahrscheinlich rührt dieser Unterschied von einem Betrug her, den sich die Führer häufig erlauben. So oft nämlich Nebel den höchsten Gipfel verbirgt, machen sie an einer Station halt, die sie „L´Homme à pied“ - der aufrecht stehende Mann - nennen, und die, da sie nach allen Seiten steil abfällt, leicht für den Gipfel gehalten werden kann. Durch diesen Kunstgriff ersparen die Führer sich und den Reisenden die Beschwerlichkeit, in eine tiefe Schlucht hinabzusteigen und von da mühsam den Gipfel zu besteigen.
Nach Niederschrift unserer Messungen ist auch das Ergebnis von Leutnant Wilke´s Beobachtungen in dem Bericht über seine auf Kosten der Vereinigten Staaten gemachte Entdeckungsreise erschienen. Er gibt eine Höhe von 1902,3 Metern über der Meeresfläche bei halber Flut an. Gegenüber unserer Berechnung ein Mehr von fast 43 Metern und viel größer, als man nach der Genauigkeit und Vollkommenheit der bei den Beobachtungen angewendeten Instrumente hätte erwarten sollen.
Die Höhe des Pico Ruivo wird heute mit 1862 Metern angegeben - fast genau der Mittelwert der beiden von Ross bestimmten Höhen. Englische Maßangabe: 6097,08 – 6102,90 Fuß.
Die Führer zeigten uns den von Leutnant Wilkes errichteten Steinhaufen, aber die von den Amerikanern zurückgelassene Gedenktafel war im vorigen Jahr von einigen Personen weggenommen worden um sich ein Feuer anzumachen, wie uns die Führer sagten. Wir konnten die Namen derer, welche sich einer so unschönen Handlung schuldig gemacht hatten, nicht erfahren. Der Tag war besonders schön und unsere Offiziere hatten von der Spitze eine herrliche Aussicht über die ganze Insel. Das ist ein seltenes Glück, denn der obere Teil des Berges ist als Folge der Kondensation von Wasserdampf fast ständig von dichtem Nebel umhüllt.
Lufterscheinung. Am Abend des 22. bemerkten wir von unserm Ankerplatz aus ein sehr merkwürdiges Phänomen. Zuerst zeigte sich hinter den Hügeln links von der Loo-Insel und 20° westlich vom Polarstern ein schwacher Schein von sehr blassem Rosa. Er nahm an Glanz und Ausdehnung zu, bis er nach 20 Minuten die Höhe von 32° erreichte und sich von Nordost nach Nordwest ausdehnte. Um 7.45 Uhr, wo sich die Lichterscheinung bis 43° erstreckte, wurde ihre Farbe tiefer rot, aber viel schwächer, und wenige Minuten nach 8 Uhr war das Phänomen ganz verschwunden. Um 9.30 Uhr erhellte sich derselbe Teil des Himmels wieder auf ähnliche Weise. Diesmal waren zwei Glanzflecken von bleicherer und gelblicher Farbe an dem Punkt der ersten Erscheinung sichtbar. Sie waren dreißig Zentimeter breit und in der Höhe von 25°, wo sie mit dem anderen Licht verschmolzen, 3 Meter voneinander entfernt. Um 10.30 Uhr verschwand die ganze Erscheinung allmählich.
Der Wind kam aus Nordwest, der Kompass wurde während der Dauer des Phänomens nicht im mindesten beeinflusst, die Sterne schimmerten hindurch und der Mond, den eine Zeitlang eine Wolke bedeckte, schien nur wenig verändert, als er später mit großem Glanz leuchtete.
Die Bewohner der Insel stellten über diese ungewöhnliche Lufterscheinung Vermutungen der mannigfaltigsten und unergründetsten Art an. Die Meisten meinten, es müsse entweder ein neuer Vulkan entstanden oder ein sehr großes Schiff in Brand geraten sein. Beide Vermutungen erwiesen sich bei der Ankunft der Terror am 24. um 8 Uhr vormittags als unbegründet. Das Schiff befand sich zur Zeit des Phänomens ungefähr 180 Seemeilen nördlich von Madeira und die Beschreibung, die Kommandeur Crozier und die Offiziere seines Schiffes von der Erscheinung gaben, stimmte so genau mit unseren Beobachtungen überein, dass an der Identität der beiden Lufterscheinungen nicht länger zu zweifeln war.
Da die Terror um so viele Meilen näher stand als wir, und man es von dort immer noch nordwärts und ohne einen wesentlichen Unterschied in der Höhe erblickte, lässt sich mit ziemlicher Gewissheit vermuten, dass die Erscheinung außer den Grenzen unserer Atmosphäre zu suchen ist. Die Ursachen aber anzugeben muss ich solchen überlassen, die mit diesen Dingen vertrauter sind als ich.
Teeplantage. Wir sind Mr.Veitch, dem jetzt verstorbenen Generalkonsul, hauptsächlich für die Vorteile, welche wir aus der Besichtigung seines berühmten Berggartens zogen, wo er mit vielem Erfolg verschiedene Arten Tee und andere chinesische Pflanzen angebaut hat, höchst verpflichtet. Die Teeplantage bestand aus 300 bis 400 Sträuchern und wir alle fanden den Aufguss einiger Sorten, welche wir kosteten, von so gutem Geschmack, dass uns seine Erwartung, den Tee noch zu einem wichtigen Ausfuhrartikel der Insel zu machen, vollkommen gerechtfertigt erschien, vorausgesetzt, dass die Zubereitungskosten nicht wie in Rio de Janeiro durch ihre Höhe ein Hindernis werden. In den Gärten um die Stadt wachsen Bananen, Datteln, Feigen, Gewürze und alle die herrlichen tropischen Gewächse im Überfluss, und der Kaffee, der von sehr guter Qualität ist, genügt den Bedürfnissen der ganzen Bevölkerung.
Unsere magnetischen und anderen Beobachtungen waren kaum beendet, als uns eine starke westliche Brise und eine schwere südwestliche Dünung, begleitet von allen Anzeichen eines kommenden Sturms, zwangen, am 31. um vier Uhr nachmittags in aller Eile abzureisen. Mit Tagesanbruch des 2. November erblickten wir den hohen Gipfel von Teneriffa in einer Entfernung von etwa 55 Seemeilen. Da wir Briefe an Land zu bringen hatten, nahmen wir Kurs auf Santa Cruz, den Hauptort der Kanarischen Inseln, doch Windstille und zu leichte Winde verhinderten, dass wir vor dem Abend des 4. unser Ziel erreichen und dann weiter zu den Kapverdischen Inseln segeln konnten.
Am 6. November auf 27 N kamen wir in die Region des nordwestlichen Passatwindes und passierten den Wendekreis des Krebses am 8. abends. Wir stießen auf große Schwärme fliegender Fische, die von ihren Verfolgern, dem Bonito und der Golddorade, begleitet wurden. Wir fingen jetzt schon unsere Sammlung naturhistorischer Gegenstände an, indem wir so viele dieser Fische, wie wir fangen konnten, aufbewahrten. Mit Schleppnetzen und anderen Vorkehrungen sammelten wir zahlreiche merkwürdige und ganz neue Spezies von mikroskopischen Seetieren, die, gleich dem Wiesengras für Landtiere, die Grundlage der Nahrung der größeren Seetiere bilden und durch das phosphoreszierende Licht, welches sie ausstrahlen wenn sie gestört werden, den Weg des Schiffes in dunkler Nacht mit wunderbarem Glanz beleuchten.
Am 13. erblickten wir die St. Jago-Inseln (Kapverden) und gingen am nächsten Morgen in Port Praya vor Anker.
ST.JAGO INSEL MIT PORTO PRAYA
St. Jago Insel entspricht der Insel Santiago der Kapverdischen Inselgruppe im Südatlantik.
Die vorgelagerte kleine Wachtel Insel erhielt ihren Namen nach den auf ihr lebenden Wachteln. Seit dem 15. Jahrhundert haben sich Katzen und Ratten auf den Kanarischen Inseln ausgebreitet, die das Aussterben der Kanaren-Wachtel beschleunigt haben.
Die Wachtel-Insel (Quail Island). Mit Erlaubnis des Gouverneurs brachten wir unsere Zelte und Instrumente auf die Wachtel-Insel und fingen unverzüglich unsere Beobachtungen an. Wegen seines vulkanischen Ursprunges ist dieses Eiland zu magnetischen Bestimmungen keineswegs gut geeignet, aber wir hatten jetzt bereits gelernt, den auf dem Schiff angestellten Beobachtungen mehr zu trauen, als denen an Land, selbst wenn letztere unter den günstigsten Umständen gemacht worden waren. Wir beschränkten übrigens unsere Beobachtungen auf die Berichtigung unserer Chronometer und wählten zu diesem Zweck eine Stelle dicht an einer kleinen Bucht an der Westseite der Insel aus.
Diejenigen unserer Offiziere, welchen Zeit und dienstliche Verpflichtungen kleinere Ausflüge in das Inselinnere gestatteten, beschrieben uns das Land und besonders das Tal St. Domingo, wo die alte Hauptstadt der Insel war, als weit schöner und fruchtbarer, als man nach dem unwirtlichen Charakter seiner Küste vermuten sollte.
Bei der Stadt erblickten wir ein schönes, früchtetragendes Exemplar des afrikanischen Riesenbaumes, des Baobab. Sein kurzer, birnenförmiger Stamm von nicht mehr als 3 Meter Höhe hatte über 11 Meter im Durchmesser.
Der Affenbrotbaum (Baobab) wurde 1454 bekannt durch den venezianischen Reisenden Luigi Cadamosto, der im Auftrage von Heinrich dem Seefahrer die West Küste von Afrika bereiste.
Mythologische Vorstellung: Nach einer in Afrika weit verbrei...