Twee Rivieren besteht aus einem runden Pavillon, der die Zoll- und Polizeistationen von Südafrika und Botswana beherbergt, einigen Bungalows, einem Shop, Swimming Pool, Tankstelle und einem Camp Ground. Strom steht 24 Stunden zur Verfügung, man kann somit auch nachts ohne Taschenlampe auf die Toilette gehen. Im Pavillon melden wir uns bei der Parkverwaltung an und bezahlen die Eintrittsgelder für nunmehr drei Tage, eine Nacht in Twee Rivieren, eine in Mata-Mata, die wir nehmen müssen, weil der von uns ursprünglich präferierte Platz in Nossob belegt ist, Bitterpan, in der Mitte des Parks gelegen, haben wir schon vor vielen, vielen Monaten reserviert und bezahlt. Ein bisschen verwirren wir den freundlichen Parkverwalter, weil wir Angelesenes und Tatsächliches etwas durcheinandermixen und nicht allen seinen Ausführungen glauben wollen. So recht augenfällig ist der Unterschied zwischen Parkverwaltung und Grenzstation nicht. Sämtliche südafrikanischen Grenzformalitäten sind hier zwingend zu erledigen, doch Zoll und obligatorische Polizeistation sind um diese Uhrzeit, es ist immerhin halb sieben abends, gar nicht besetzt. Wir müssen das am nächsten Morgen erledigen. Für den Augenblick sind wir also nur mit der Parkverwaltung im Benehmen.
An der Schranke werden wir gefragt, ob wir noch zu einem Game Drive aufbrechen, oder gleich ins Camp einziehen wollen. Erlebnishunger, wie wir unsere innere Unruhe nun nennen, verleitet uns zum Game Drive, obwohl wir darauf hingewiesen werden, dass uns nur noch 45 Minuten zur Verfügung stehen, dann müssten wir wieder hier an der Schranke stehen und den Laufzettel, das Permit, zurückbringen. Das mit dem Laufzettel, ist etwas kompliziert und erschließt sich erst nach und nach. Jeweils an einem der Rest Camps gibt man abends den Zettel ab. Morgens lässt man sich den wieder heraussuchen und bekommt ihn mit dem Vermerk des Tagesziels ausgehändigt. Tagsüber ist man also mit dem Zettel unterwegs, nachts liegt er im Camp Büro. Theoretisch weiß man dadurch immer, wer im Camp ist und wer unterwegs. Würde man unterwegs samt Zettel gefressen werden, fragen wir uns, würden wir am potenziellen Ziel-Camp vermisst werden? Wir bezweifeln das sehr, haben aber nicht den Ehrgeiz das herauszufinden. Nicht diesmal.
Wir halten uns rechts, um dem Nossob River entlang bis zum ersten Wasserloch zu fahren, dort ein wenig zu verweilen, die sich dort labenden Tiere im letzten Abendlicht zu beobachten und zu fotografieren. Das Wasserloch ist klein und vollkommen ungenützt im Augenblick. Noch nicht einmal ein Vogel sitzt am Wasserrand. Auch frische Spuren können wir nicht erkennen. Mit etwas höherer Geschwindigkeit, mehr als 30 Kilometer pro Stunde dürfen wir aber nicht fahren, eilen wir zum nächsten Loch und entdecken auf dem Weg nichts, nur einige Autos kommen uns entgegen, die sich jetzt im Camp breit machen werden, was uns ein wenig Sorge macht. Nach 15 Kilometer tierfreier Fahrt kehren wir um, denn das Licht wird für Fotos auch schon zu schlecht. Fünf Minuten vor der offiziellen Torschließung sind wir wieder an der Schranke und geben unser Permit ab. Hätten wir statt dieser hektischen Schneiderfahrt im guten Licht unser Camp bezogen, ein schönes Bier aus dem neu erwachten Kühlschrank getrunken, der gerade dabei ist zur Gefriertruhe zu mutieren, wären wir der Örtlichkeit näher gekommen.
Das Camp ist vollkommen eingezäunt, Gefahren lauern hier nicht. Das gut hörbare Gebrüll kommt von zahlreichen Kühen jenseits des Zauns. Löwen wird es hier also auch nicht geben, sonst würden in der Nähe keine Kühe weiden. Schade.
Um kurz vor neun Uhr stehen wir auf und selbstverständlich sind wir alleine auf dem Platz: alle übrigen Safaricamper stehen längst vor den Wasserlöchern. Die afrikanische Langsamkeit haben wir schon etwas gelernt. Wir genießen sie vor allem morgens. Und nachts. Löwen jagen auch vorwiegend nachts. Als Frühstücksgäste begrüßen wir einige Webervögel und Erdhörnchen. Kleinere Müsligaben vertiefen unsere junge Freundschaft. Ein bisschen überdehnt wird die Langsamkeit durch einen damengewünschten Shop-Besuch. Das Vernünftigste, was man hier kaufen kann, ist ein Buch über Flora und Fauna im südlichen Afrika. Wir kaufen zwei davon, für jedes Auto ein Exemplar. Leider dauert es noch eine halbe Stunde bis alle ausgestellten Waren besichtigt, befühlt und gewogen waren.
Kurz vor elf Uhr starten wir zur gemütlich angesetzten Pirschfahrt nach Mata-Mata. Berücksichtigt man die Geschwindigkeitsbeschränkung und ignoriert etwaige Wildtiere links und rechts der Fahrbahn, bräuchte man zweieinhalb Stunden für die Strecke. Das kann natürlich nicht der Ehrgeiz sein. Erste Oryx und allerhand Gnus sind schon Stopps wert. Vögeln gilt unsere Aufmerksamkeit immer nur sehr bedingt, zumindest so lange die wirklich großen Tiere davon ablenken. Dennoch freuen wir uns an dem ruhig im Baumwipfel sitzenden Adler. Näher bestimmbar ist er mit unseren Bordmitteln nicht, sein weiß gefiederter Bauch und der schwarze Federmantel findet einfach keine Entsprechung im neu gekauften Buch. Aber es ist ein Adler, vorübergehend identifiziert anhand der Schnabelform. Riesentrappen stolzieren über die grüne Fläche, die das Flussbett des Auob River immer wieder einmal zulässt. Der Auob, der in den Anas Bergen nahe Windhoek entspringt, führte zuletzt im Jahr 1989 Wasser. Damit das wieder einmal geschieht müsste es über Tage unendlich stark regnen. Obwohl wir gerade in der Regenzeit unterwegs sind, deutet nichts auf einen ergiebigen Regen hin. Der Auob durchschneidet ein einseitig steiles Tal. Fährt man von Süd nach Nord dürfen sich die Blicke ziemlich auf die rechte, flache Flußbettseite konzentrieren, der Uferanstieg links gibt einfach zu wenig Raum für die größeren Tiere. Ein Strauß marschiert aufrechten Kopfes über die Ebene, zu weit weg allerdings für eine interessante Porträtaufnahme. Immer wieder begegnen wir kleineren Herden von Springböcken, die sich unter schattigen Bäumen sammeln. Keine Chance den berühmten senkrechten Sprung zu sehen, viel zu gelassen sind die Tiere, nirgends lauert Gefahr. Also gibt es gerade keine Löwen in der Nähe. Schade.
Wie immer in solchen Tierparks: aussteigen aus dem Auto ist verboten. Auf ungefähr halber Strecke gibt es einen Rastplatz im oberen Bereich einer Düne, wo das Aussteigen explizit erlaubt ist und man sich die Füße vertreten kann. Dort steht auch ein altes, renoviertes Steinhaus, wie es die Bohrlochwächter im ersten Weltkrieg bewohnten. Die gegen die Deutschen in Deutsch-Südwest kämpfenden Südafrikaner legten entlang des Auob eine Reihe von Bohrlöchern an, um auf diesem möglichen Invasionsweg einen Truppentransport mit Wasser versorgen zu können. Aus der Umgebung wurden Wächter rekrutiert, die diese Bohrlöcher pflegen und bewachen sollten. Mit ihren Familien und ihren Tieren sollten sie im Buschland leben. Holz war allerdings kaum vorhanden und der Boden nicht lehmig genug, um Ziegeln brennen zu können. So errichteten sie kleine Häuser aus den herumliegenden Steinen, sowie runde Steinkreise um darin das Vieh einzustellen, oder eine windgeschützte Kochstelle zu erhalten.
Der Invasionskorridor wurde letztlich nicht gebraucht. Die Wächter saßen immer noch um ihre Bohrlöcher und wurden vergessen. Die südafrikanische Regierung rekrutierte eines Tages den schottischen Landvermesser Roger Malkop Duke Jackson, um das Land als Farmland einzumessen. Zwischen 10.200 und 12.800 Hektar sollte jede Farm sein und von Coloureds betrieben werden. In dem von den Briten besetzten Bechuanaland (heute Botswana) siedelten schon Coloureds östlich des Nossob bis zum Zusammenfluss von Auob und Nossob. Die neuen Siedler trafen nun mit den vergessenen Bohrlochbewachern zusammen. In dem rauen Land kämpften nun viele Farmer um das Überleben ihrer Familien. In den trockenen Zeiten überlebten die Menschen fast ausschließlich durch den Verzehr der Tsama-Melone, einer Wildform der Wassermelone. Aber wie das so ist, wenn man aus der Natur nur nimmt, verschwanden auch die Wassermelonen langsam. Die Menschen verlegten sich aufs Jagen, bis sie die Gegend leergeschossen hatten. Wieder war ein Ökosystem zerstört. Das Bewusstsein, solche Systeme schützen zu müssen kam nur langsam auf. 1931 wurde dann die Region zum Nationalpark erklärt. Die verbliebenen Farmen wurden von der Regierung aufgekauft und still gelegt, damit sich wieder Wildtiere einfinden.
Ob die Tiere selbst zugewandert oder gezielt ausgewildert wurden ist schwer zu recherchieren. Die Illusion, die Natur hätte sich die Gegend wieder erobert klingt viel freundlicher als die Vermutung des gezielten und gut unterstützten Wildaufbaus. Die Wasserlöcher scheinen heute, oder um diese Tageszeit, keine Magneten zu sein. Die attraktivsten Plätze sind die Schatten unter den riesigen Kameldorn-Akazien, die so tief ins Flussbett hineinwurzelten, dass wirklich große Baumkronen entstanden. Eine kleine Herde von Giraffen macht es sich gerade darunter bequem. Wir sehen stehende und sitzende Tiere, vollkommen unaufgeregt. Hier ist keiner der angeblich 250 im Park lebenden Löwen in der Nähe. Schade.
Baden Hyänen? Aus einem leider sehr entfernten Wasserloch scheint ein Hyänenkopf herauszuschauen. So eine Badesession kann doch nicht lange dauern. Wir beschließen zu warten, um das Tier noch in voller Größe fotografieren zu können und nicht nur unscharfe Teleobjektivbilder von den großen, runden Ohren zu schießen. Doch es dauert. Eine halbe Stunde ist schon vergangen und es ist doch ziemlich heiß im Wagen. Zwei oder drei Autos schlichen sich an, parken hinter uns und warten mit. So ist das im Park: da steht ein Auto in Beobachterposition und andere stellen sich drumherum, weil sie auch von der Entdeckung profitieren wollen. Eine technische Herdenbildung. Von der steilen Uferseite gehen die Hyänenspuren zum Wasserloch. Nun vermute ich, dass das Tier auf demselben Weg wieder zurück will, der Weg aber durch die Autos zugestellt ist. Tatsächlich, nach dieser doch wirklich langen Wartezeit, einer Übung in afrikanischer Gemütlichkeit, steht die Tüpfelhyäne auf und trottet langsam auf uns zu. Sie wagt sich zwischen den Autos durch und verschwindet in aller Gelassenheit hinter der hohen Uferböschung. Schön.
Es ist erst halb fünf Uhr und wir durchfahren das Tor von Mata-Mata. Weisungsgemäß geben wir unser Permit ab und buchen uns auf der Campsite ein, die wir schon in Twee Rivieren bezahlten. Offensichtlich hat man uns dort seinerzeit einen zu guten Preis gegeben, jedenfalls müssen wir etwas nachbezahlen. Die letzten dreißig Minuten vor der Einfahrt waren zie...