1. Menschliches Sein
Menschliches Sein vollzieht sich auf unterschiedlichsten gedanklichen, seelischen sowie körperlichen Ebenen - grundsätzlich in einer Mischung aller drei Ebenen, wobei situationsabhängig Übergewichte entstehen. Dies Kapitel zielt ins Besondere auf das menschliche Bewusstsein, auf geistige Fähigkeiten, auf kreative Potentiale, das Entstehen von Wertvorstellungen, auf die innere und äußere Wahrnehmung sowie auf die Entfachung von Unglücks- und Glücksmomenten, bis hin zu einem Lebensgefühl, das „Liebe“ heißt.
Ein praktisches Beispiel für den Vollzug des Menschlichen Seins liefert ein Bekenntnis von Albert Schweitzer (1875-1965). Hier legt er seine Ansprüche an eine freie Lebensführung:
Albert Schweitzer, Bundesarchiv, Bild 183-D0116-0041-019 / CC-BY-SA
Ein freier Mensch
Ich will unter keinen Umständen ein Allerweltsmensch sein.
Ich habe ein Recht darauf, aus dem Rahmen zu fallen - wenn ich es kann. Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheiten.
Ich will kein ausgehaltener Bürger sein, gedemütigt und abgestumpft, weil der Staat für mich sorgt.
Ich will dem Risiko begegnen, mich nach etwas sehnen und es verwirklichen, Schiffbruch erleiden und Erfolg haben.
Ich lehne es ab, mir den eigenen Antrieb mit Trinkgeld abkaufen zu lassen. Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten, als ein gesichertes Dasein führen; lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolgs, als die dumpfe Ruhe Utopiens.
Ich will weder meine Freiheit gegen Wohltaten hergeben noch meine Menschenwürde gegen milde Gaben.
Ich habe gelernt, selbst für mich zu denken und zu handeln, der Welt gerade ins Gesicht zu sehen und zu bekennen, dies ist mein Werk. Das alles ist gemeint, wenn wir sagen:
Ich bin ein freier Mensch.
1.1. Menschsein
Die verschiedenartigen Ausprägungen unseres Menschseins gibt die nachfolgende Doppelseite in einer Säulendarstellung wieder. Dabei erfolgt eine zunächst unseren gängigen Vorstellungen entsprechende Aufgliederung einzelner Begriffe in mentale (Absicht) oder neuronale (Großhirn) Elemente und in bewusstes (Erfindung) und unwillkürliches (Reflex) Handeln. Ausprägungen unseres Bewusstseins (Sprechen) stehen unwillkürlichen Mechanismen (Zuneigung) gegenüber. Diese Einordnungen stellen bestenfalls den Versuch dar, den jeweils überwiegenden Mechanismus oder die vorherrschende Ausprägung herauszustellen.
Hierzu ein Beispiel: „die Absicht, ein Kind in die Luft zu heben“ stellt vordergründig ein mentales Element dar. Bei genauerem Hinsehen müssen wir jedoch zugestehen, dass nicht nur rein geistige sondern auch emotionale (Sympathie) oder körperliche (verfügbare Muskelkraft) Wirkmechanismen beteiligt sein können.
Ein umlaufendes Verweilen auf der Doppelseite sei geboten. Dabei macht es Spaß, die vorliegenden Einordnungen der einzelnen Begriffe mit den eigenen Vorstellungen abzugleichen. Unterschiedliche Auffassungen sind zulässig.
Menschsein 1 (Bitte zusammen mit der Folgeseite betrachten)
1.1.1. Gehirn
Das Gehirn des Menschen besteht hauptsächlich aus Nervengewebe - aus ca.100 Milliarden Nervenzellen oder Neuronen. Jedes Neuron besitzt einen Zellkörper, ein Axon und mehrere Dendriten. Die Nervenzelle nimmt neuronale Information - Input von anderen Neuronen - über ihre Dendriten auf. Die Dendriten vieler Neurone sind mehrfach mit anderen Nervenzellen verknüpft und fassen die hereinkommenden Signale zusammen. Das Axon sorgt für den Output. Mit seinem langen, faserartigen Fortsatz, der elektrische Nervenimpulse vom Zellkörper wegleitet, kommuniziert das Neuron auf chemischer Basis über Synapsen mit anderen Nervenzellen. Ein einzelnes Neuron bildet bis zu 10.000 solcher synaptischen Verbindungen mit anderen Nervenzellen aus.
Diese mächtige neuronale Verschaltung stellt wohl die wichtigste Säule für das außerordentliche Leistungspotential des Gehirns dar. Anders als bei logischen Computersystemen erwirbt das neuronale Netzwerk seine Wirkkraft einerseits aus der gigantischen Vernetzung und andererseits aus dem ereignisgesteuerten Umsetzen empfangener Eingangssignale an den Synapsen. Diese fein dosierten Nervenimpulse sind die Auslöser für permanentes Lernen, Abgleich bisheriger Erfahrungen und eventuelles Modifizieren bestehender Inhalte und Werte. Dabei spielt das einzelne Neuron jeweils einen Platzhalter für einen bestimmten Ort (Ortszelle), einen Begriff, eine Emotion (Spiegelneuron) oder einen Wert - zumindest aber anteilig mit weiteren Neuronen (Neuronen Population). Die gelernten Inhalte oder die ausgebildeten Gedächtnisspuren werden jedoch nicht im Neuron sondern durch die mit ihm verbundenen Synapsen 1, genauer gesagt durch die Stärke ihrer Ausprägung repräsentiert. Nach M. Spitzer spiegelt sich in den Synapsenstärken gewissermaßen unsere Lebensgeschichte wider.
Das menschliche Hirn gliedert sich in vier Hauptbereiche. Der Hirnstamm ist entwicklungsgeschichtlich die älteste Region. Er verbindet das Gehirn mit dem Rückenmark. Der Hirnstamm verschaltet und verarbeitet eingehende Sinneseindrücke und ausgehende motorische Reize und ist zudem für elementare und reflexartige Steuermechanismen (Lidschlag) zuständig. Außerdem werden hier viele automatisch ablaufende Vorgänge wie Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung, Stoffwechsel und der Wach-Schlafzyklus gesteuert. Den Hirnstamm umschließt das Zwischenhirn, das Limbische System: zu ihm gehören der Hippokampus, die Amygdala, die Hypophyse, der Hypothalamus und Teile des Thalamus. Der Hippokampus spielt den Neuigkeitsdetektor – hier werden Fakten, Ereignisse, Sachverhalte (Ortskenntnisse) und Fertigkeiten auf Neuheit und Bedeutung geprüft und gegebenenfalls hinterlegt oder neurologisch gesprochen repräsentiert und unvollständige Informationen sogar ergänzt.
MRT vom Gehirn - CC Urheber: Chrischan at
Die Amygdala (Mandelkern) färbt alle wichtigen Eingangsreize emotional ein und begünstigt so ihren bleibenden Erinnerungswert. Unwichtiges bleibt “emotionslos“ und wird vergessen. Die Amygdala analysiert auch Gefahren und löst Ängste oder Aggressionen aus. Sie erkennt angenehme Situationen und beflügelt unsere Stimmung. Ferner bildet der Mandelkern die entscheidende Schaltstelle für unser Sozial- und Triebverhalten. Der Hypothalamus und die Hypophyse beteiligen sich an der Regulierung allgemeiner Körperabläufe. Sie steuern Hunger- und Sättigungsgefühl und stellen gleichzeitig einen wichtigen Bestandteil unseres Hormonsystems dar. Der Thalamus wird das “Tor zum Bewusstsein“ genannt. Seine Aufgabe besteht darin, die zum Großhirn eingehenden sensorischen Informationen so zu modulieren, dass es zu einer kortikalen Erregung kommt. Das Limbische-System wird in seiner Gesamtheit auch emotionales Gehirn genannt. Es erschafft für alle “draußen“ wahrgenommenen Ereignisse, Personen oder Handlungen, die entscheidenden affektiven Bewertungen. Umgesetzt in neuronale Impulse prägen diese unser gesamtes Lernen und Handeln. So entstehen sämtliche elementaren Gefühlsregungen (Sorge, Frust, Freude, Lust, etc.), die uns zu einem geordneten sozialem Leben lotsen.
Das Kleinhirn erfüllt wichtige Aufgaben bei der Steuerung der Motorik: es ist zuständig für Koordination, Feinabstimmung und das Erlernen von Bewegungsabläufen (z.B. Gleichgewicht). Außerdem wird dem Kleinhirn auch eine Funktion beim unbewussten Lernen zugeschrieben.
Das Großhirn ist mittig durch eine Längsfurche in zwei Gehirnhälften (Hemisphären) geteilt. Zwischen den Hemisphären gibt es eine breite Verbindung aus einem dicken Nervenstrang, auch Balken genannt, und weitere kleinere Kanäle, über welche sie ständig Informationen austauschen. Die 2 bis 4 mm dicke Oberfläche des Gehirns ist die Großhirnrinde bzw. der Cortex. Er enthält bei der Frau etwa 19 Mrd. beim Mann etwa 23 Mrd. Nervenzellen. Im Cortex ist modular nach Aspekten das aus Erfahrungen resultierende Wissen gespeichert. Das Großhirn ist das Zentrum unserer Wahrnehmungen, unseres Bewusstseins, Denkens, Fühlens und Handelns. Im Großhirn herrscht eine Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Be...