Zweiter Teil:
Die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung nach Umsetzung der
Richtlinienvorgaben der RL 2008/48/EG
1. Abschnitt: Die deutsche Rechtslage mit Inkrafttreten von § 509 BGB a.F. und § 18 Abs. 2 KWG a.F. am 11.06.2010
In Umsetzung der Richtlinienvorgaben aus Art. 8 RL 2008/48/EG sind am 11.06.2010 die Vorschriften der § 18 Abs. 2 KWG a.F., § 2 Abs. 3 Satz 4 bis 8 ZAG a.F. sowie § 509 BGB a.F. in Kraft getreten. Die Umsetzung erfolgte damit sowohl aufsichtsrechtlich als auch zivilrechtlich. Die zentrale Umsetzungsnorm sollte dabei § 18 Abs. 2 KWG a.F. bilden, der für Institute (§ 1 Abs. 1b KWG) die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung bestimmt (siehe ergänzend für Zahlungsinstitute § 2 Abs. 3 Satz 4 bis 8 ZAG a.F.).352 Ergänzend wurde für Unternehmer (§ 14 BGB), die nicht der Finanzaufsicht unterliegen, die zivilrechtliche Bestimmung des § 509 BGB a.F. eingeführt. Sowohl § 509 BGB a.F. als auch § 18 Abs. 2 a.F. sind für Verbraucherkreditverträge, die vor dem 21.03.2016 vereinbart wurden, nach wie vor anwendbar. Art. 9 RL 2008/48/EG wurde mit § 30 Abs. 2 BDSG umgesetzt. Eine spezielle Sanktionsvorschrift gemäß Art. 8 i.V.m. Art. 23 RL 2008/48/EG wurde weder für § 18 Abs. 2 KWG a.F. noch für § 509 BGB a.F. bestimmt.
1. Unterabschnitt: Anwendungsbereich und Voraussetzungen von § 509 BGB a.F. und § 18 Abs. 2 KWG a.F.
1. Kapitel: Anwendungsbereich von § 509 BGB a.F. und § 18 Abs. 2 KWG a.F.
A. Persönlicher Anwendungsbereich
1. Persönlicher Anwendungsbereich von § 509 BGB a.F.
Der persönliche Anwendungsbereich des § 509 BGB a.F. umfasst auf Kreditgeberseite Unternehmer i.S.v. § 14 BGB und auf Kreditnehmerseite Verbraucher (§ 13 BGB). Ein Verbraucher ist nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.353 Demgegenüber ist ein Unternehmer nach § 14 BGB eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Die Unternehmereigenschaft setzt dabei nicht voraus, dass Kreditvergaben den Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit bilden oder zum Unternehmensgegenstand gehören müssen. Es reicht vielmehr bereits aus, dass die Kreditvergabe in einer irgendwie gearteten Weise im Zusammenhang mit der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit steht, d.h. nicht ausschließlich dem privaten Bereich zuzuordnen ist.354 Im Hinblick auf den Anwendungsbereich der RL 2008/48/EG entschied sich der deutsche Gesetzgeber insoweit für eine erweiternde Umsetzung.355 Denn nach den Begriffsbestimmungen der Verbraucherkreditrichtlinie ist ein Kreditgeber eine natürliche oder juristische Person, die „in“ Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit einen Kredit gewährt oder zu gewähren verspricht (Art. 3 lit. b RL 2008/48/EG).356 Existenzgründer stehen bis zu einem Nettobetrag von 75.000 EUR Verbrauchern gleich (§ 512 BGB a.F.).357 Auch hiermit geht der persönliche Anwendungsbereich über die Richtlinienvorgaben hinaus, die Existenzgründer nicht umfassen.358
Dass der Gesetzgeber den persönlichen Anwendungsbereich sowohl auf Kreditgeberseite als auch auf Kreditnehmerseite im Vergleich zu den Richtlinienvorgaben erweitert hat, gibt Anlass zu berechtigter Kritik. Denn Unternehmer, die nicht in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit einen Kredit vergeben, werden in vielen Fällen zu einer professionellen Kreditwürdigkeitsprüfung nicht in der Lage sein.359
Die Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs auf Existenzgründer erscheint ebenfalls nicht angemessen, da die vertragsgerechte Erfüllung von Kreditverbindlichkeiten im Falle eines Existenzgründerdarlehens regelmäßig vom geschäftlichen Erfolg des Unternehmens abhängt.360 Die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung hat hierbei zur Folge, dass Kreditgeber dazu verpflichtet sind, den voraussichtlichen Erfolg eines noch zu gründenden Unternehmens zu bewerten, wozu diese nicht besser in der Lage sein werden, als der jeweilige Existenzgründer selbst. So erscheint es unbillig, wenn Existenzgründer Rechtsfolgen wegen einer nicht ordnungsgemäß durchgeführten Kreditwürdigkeitsprüfung gegen Kreditgeber geltend machen können. Jeder Existenzgründer geht bewusst das mitunter sehr hohe geschäftliche Risiko ein, dass sein Unternehmen keinen Erfolg haben wird. Dem Kreditgeber hierbei eine Mitverantwortung zuzuweisen, ist nicht gerechtfertigt. Im Übrigen ist die Pflicht zur Kreditwürdigkeit geeignet, dass Existenzgründungen erschwert werden, da Kreditgeber vermehrt von einer Kreditvergabe an sie absehen werden, wenn die Gefahr einer haftungsrechtlichen Insanspruchnahme droht.361
2. Der persönliche Anwendungsbereich von § 18 Abs. 2 KWG a.F.
Als Adressaten benennt die aufsichtsrechtliche Vorschrift des § 18 Abs. 2 KWG a.F. „Institute”. Gemäß § 1 Abs. 1b KWG sind Institute im Sinne des KWG Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute. Somit geht der Anwendungsbereich des § 18 Abs. 2 KWG a.F. über denjenigen des § 18 Abs. 1 KWG a.F., der sich nur auf Kreditinstitute bezieht, hinaus. Kreditinstitute sind gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert.362 Vom Bankgeschäft ist nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 auch das Kreditgeschäft umfasst.363 Für die Anwendbarkeit von § 18 Abs. 2 KWG a.F. spielt es dabei keine Rolle, ob das Kreditinstitut über eine bankrechtliche Erlaubnis verfügt.364 Finanzdienstleistungsinstitute sind gemäß § 1 Abs. 1a KWG Unternehmen, die Finanzdienstleistungen für andere gewerbsmäßig oder in einem Umfang erbringen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert und dabei keine Kreditinstitute sind. Insoweit handelt es sich bei § 1 Abs. 1a KWG um einen gegenüber § 1 Abs. 1 KWG subsidiären Auffangtatbestand.365 Dieser umfasst diejenigen Institute, die eine oder mehrere der in § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG aufgezählten Finanzdienstleistungen erbringen.366
Auf der anderen Vertragsseite nennt § 18 Abs. 2 KWG a.F. Verbraucher (§ 13 BGB). Nicht genannt werden dagegen Existenzgründer (§ 512 BGB a.F.), sodass sich die Frage stellt, ob der persönliche Anwendungsbereich auch im Rahmen von § 18 Abs. 2 KWG a.F. auf diese Personengruppe zu erweitern ist. Die Gesetzesunterlagen zu § 18 KWG a.F. lassen nicht erkennen, ob der Gesetzgeber Existenzgründer bedacht hat.367 Daher lässt sich eine planwidrige Gesetzeslücke hier durchaus bejahen. In der Gesetzesbegründung zu § 512 BGB a.F. wird die Gleichstellung von Existenzgründern mit Verbrauchern bis zu der betragsmäßigen Höchstgrenze von 75.000 Euro allgemein mit der Schutzbedürftigkeit von Existenzgründern – denen es typischerweise an kaufmännischer Erfahrung fehlt – begründet. Mit Rücksicht auf diese Intention des Gesetzgebers ist somit auch eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen zu bejahen.368 Dafür spricht insbesondere, dass der Gesetzgeber sich im Hinblick auf § 509 BGB a.F. bewusst dafür entschieden hat, dass auch Existenzgründer durch die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung geschützt werden sollen. Daher sprechen die besseren Gründe dafür, den persönlichen Anwendungsbereich von § 18 Abs. 2 KWG a.F. im Rahmen einer Analogie auch auf Existenzgründer zu erstrecken.
B. Sachlicher Anwendungsbereich von § 509 BGB a.F. und § 18 Abs. 2 KWG a.F.
Der sachliche Anwendungsbereich von § 509 BGB a.F. umfasst zunächst einmal jede Form entgeltlicher Finanzierungshilfen (§ 506 BGB a.F.).369 Insbesondere Teilzahlungsgeschäfte und Finanzierungsleasingverträge sind hiervon umfasst.370 Dabei gelten gemäß § 506 Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. die in § 491 Abs. 2 und Abs. 3 BGB a.F. geregelten Beschränkungen des sachlichen Anwendungsbereichs.
Verbraucherdarlehensverträge (§§ 491 i.V.m. 488 BGB) führt der Wortlaut des § 509 BGB a.F. dagegen nicht auf. Bei der Schaffung von § 509 BGB a.F. ging der Gesetzgeber davon aus, dass nur Institute Verbraucherdarlehen gewähren und nicht auch Unternehmer, die nicht der Finanzaufsicht unterliegen. In erster Linie sollte die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung daher aufsichtsrechtlich in § 18 Abs. 2 KWG a.F. geregelt werden. § 509 BGB a.F. sollte allein die Regelungslücke schließen, die sich angesichts des Regelungsplans des Gesetzgebers daraus ergab, dass Unternehmer, die im Rahmen von Eigengeschäften Finanzierungshilfen gewähren, nicht zwangsläufig auch der Finanzaufsicht unterliegen.371 Letzteres ergibt sich daraus, dass der Unternehmerbegriff des § 14 BGB einen weiteren Anwendungsbereich umfasst als das in § 18 Abs. 2 KWG a.F. genannte Institut (§ 1 Abs. 1b KWG). Hierbei übersah der Gesetzgeber, dass auch Unternehmer (§ 14 BGB), die die Anforderungen im Sinne des § 1 Abs. 1 oder Abs. 1a KWG (noch) nicht erfüllen – d.h. nicht gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert –, Verbraucherdarlehen ve...