![]()
1. Kapitel. Die Abänderung unter dem Einfluss der Hauspflege.
Die Ursachen der Veränderlichkeit. Die Wirkungen der Gewohnheit und des Gebrauches oder Nichtgebrauches der Körperteile. Die gegenseitige Beziehung der Abänderungen. Die Vererbung. Die Kennzeichen der im Hause erzeugten Spielarten. Die Schwierigkeit, Spielarten und Arten zu unterscheiden. Entstehung der vom Menschen gezogenen Spielarten aus einer oder mehreren Arten. Haustauben, ihre Unterschiede und Entstehung. Die Grundgesetze der von alters her befolgten Auslese und ihre Wirkungen. Planmäßig betriebene und unbewusste Auslese. Der unbekannte Ursprung der Erzeugnisse der Hauspflege. Umstände, die das Vermögen des Menschen, eine Auslese zu treffen, begünstigen.
* * *
Die Ursachen der Veränderlichkeit.
Betrachten wir die einzelnen Vertreter einer und derselben Spielart oder Teilspielart von Pflanzen, die wir seit langem angebaut, oder von Tieren, die wir längst gezüchtet haben, so fällt uns vor allem auf, dass sie im allgemeinen mehr voneinander sich unterscheiden, als die einzelnen Vertreter einer Art oder Spielart im Naturzustande. Und wenn wir auf die große Verschiedenheit der Pflanzen und Tiere blicken, welche gezüchtet worden sind, und die Jahrhunderte hindurch unter den verschiedensten Himmelsstrichen und der verschiedensten Behandlung sich abgeändert haben, so fühlen wir uns veranlasst zu schließen, dass diese große Veränderlichkeit eine Folge davon ist, dass die Erzeugnisse unserer Hauspflege unter nicht so einförmigen und etwas anderen Lebensbedingungen aufgewachsen sind, als diejenigen waren, denen die Elternart im Naturzustande ausgesetzt war. Es ist auch einige Wahrscheinlichkeit in der von Andrew Knight vertretenen Ansicht, dass diese Veränderlichkeit zum Teil mit einem Übermaß von Nahrung zusammenhängt. Es ist klar, dass organische Wesen während mehrerer Geschlechter neuen Bedingungen ausgesetzt sein müssen, ehe eine größere Abänderung bewirkt wird, und dass, wenn die Körperbildung einmal begonnen hat sich abzuändern, sie gewöhnlich in mehreren Geschlechtern damit fortfährt. Es wird über keinen Fall berichtet, in dem ein Tier oder eine Pflanze in der Pflege des Menschen aufhörte, sich abzuändern. Unsere am längsten angebauten Pflanzen, wie Weizen, geben noch neue Spielarten, unsere ältesten Haustiere sind noch rascher Veredlung und Ummodelung fähig.
Soweit ich den Gegenstand, mit dem ich mich lange beschäftigt habe, beurteilen kann, wirken die Lebensbedingungen in zweierlei Art, unmittelbar auf die ganze Körperbildung oder nur auf einzelne Teile und mittelbar, indem sie die Fortpflanzung beeinflussen. In betreff der unmittelbaren Wirkung müssen wir uns erinnern, dass es, wie Professor Weismann kürzlich hervorgehoben hat, und wie ich in meinem Werk über die Abänderung unter dem Einfluss der Hauspflege beiläufig gezeigt habe, in jedem Fall auf zweierlei, die Natur des lebenden Wesens und die Natur der Bedingungen, ankommt. Die erstere scheint viel wichtiger zu sein; denn beinahe gleiche Abänderungen entstehen manchmal unter wenigstens nach unserm Urteil ungleichen Bedingungen, und andrerseits entstehen ungleiche Abänderungen unter Bedingungen, die fast gleich zu sein scheinen. Die Wirkungen auf die Nachkommenschaft sind entweder endgültig oder nicht endgültig. Man kann sie als endgültig betrachten, wenn alle oder beinahe alle einzelnen Nachkommen, die während mehrerer Geschlechter unter gewissen Bedingungen leben, in gleicher Weise umgemodelt werden. Es ist außerordentlich schwer in Bezug auf die Ausdehnung der endgültig herbeigeführten Veränderungen zu einer Entscheidung zu kommen. Es gibt indes kaum einen Zweifel über viele unbedeutende Veränderungen, wie die der Größe durch die Menge der Nahrung, der Farbe durch die Art der Nahrung, der Dicke der Haut und des Haares durch das Klima u. s. f. Jede der zahllosen Abänderungen, die wir an dem Gefieder unseres Geflügels sehen, muss irgend eine wirksame Ursache gehabt haben, und wenn dieselbe Ursache während einer langen Reihe von Geschlechtern gleichmäßig auf viele Einzelwesen wirkte, würden wahrscheinlich alle in derselben Weise umgemodelt werden. Solche Tatsachen wie die zusammengesetzten und merkwürdigen Auswüchse, welche ein Galle hervorbringendes Kerbtier durch die Einträufeluug eines ganz kleinen Gifttropfens hervorruft, zeigen, was für eigentümliche Ummodelungen sich bei Pflanzen aus einer chemischen Veränderung des Saftes ergeben würden.
Nicht endgültige Veränderlichkeit ist ein viel gewöhnlicheres Ergebnis veränderter Bedingungen als endgültige Veränderlichkeit und hat wahrscheinlich in der Bildung unserer Haustierrassen eine viel wichtigere Rolle gespielt. Wir erkennen nicht endgültige Veränderlichkeit in den zahllosen kleinen Besonderheiten, welche die Einzelwesen derselben Art unterscheiden, und die weder durch Ererbung von den Eltern, noch von einem früheren Vorfahren erklärt werden können. Selbst stark hervortretende Unterschiede zeigen sich manchmal zwischen den Jungen desselben Wurfes oder bei jungen Pflänzchen aus derselben Samenkapsel. In langen Zwischenräumen entstehen unter Millionen von Einzelwesen, die in demselben Lande aufwachsen und von fast derselben Nahrung leben, Abweichungen des Baues, die so stark ausgesprochen sind, dass man sie Ungeheuerlichkeiten nennen könnte. Aber man kann sie nicht durch eine bestimmte Linie von den unbedeutenderen Abänderungen trennen. All solche Veränderungen des Baues, ob sie nun äußerst gering oder stark hervortretend sind, die sich unter vielen zusammenlebenden Einzelwesen zeigen, sind als die nicht endgültigen Wirkungen der Lebensbedingungen auf jedes Einzelwesen zu betrachten, fast in derselben Art wie die Kälte auf verschiedene Menschen nach ihrem Gesundheitszustande oder ihrer Körperbeschaffenheit verschieden wirkt, indem sie Husten oder Erkältungen, Rheumatismus oder Entzündung verschiedener Organe veranlasst.
Hinsichtlich dessen, was ich die mittelbare Wirkung veränderter Bedingungen genannt habe, diejenige welche durch Einfluss auf das Fortpflanzungssystem hervorgerufen wird, können wir schließen, dass die Veränderlichkeit teils durch die außerordentliche Empfindlichkeit dieses Systems gegen jeden Wechsel der Lebensbedingungen herbeigeführt wird, teils, wie Kölreuter und andere bemerkt haben, durch die Ähnlichkeit zwischen der Veränderlichkeit, die aus dem Kreuzen verschiedener Arten folgt, und derjenigen, die man bei den unter neuen oder unnatürlichen Bedingungen aufgezogenen Pflanzen und Tieren beobachten kann. Viele Tatsachen zeigen deutlich, wie außerordentlich empfindlich das Fortpflanzungssystem für sehr geringe Veränderungen in den umgebenden Bedingungen ist. Nichts ist leichter, als ein Tier zu zähmen, und wenige Dinge schwerer; als es in der Gefangenschaft dazu zu bringen, sich aus freien Stücken zu vermehren, selbst wenn das Männchen und Weibchen sich vereinigen. Wie viele Tiere vermehren sich nicht, obgleich sie in ihrem Vaterlande in beinahe freiem Zustande gehalten werden. Man schreibt dies allgemein, aber irrtümlich, der Entkräftung der Naturtriebe zu. Manche angebaute Pflanzen entfalten die äußerste Lebenskraft und tragen doch selten oder niemals Samen. In einigen wenigen Fällen hat man entdeckt, dass ein ganz geringfügiger Wechsel, z. B. etwas mehr oder weniger Wasser während eines besonderen Zeitabschnitts des Wachstums, den Ausschlag gibt, ob eine Pflanze Samen hervorbringen wird oder nicht. Ich kann hier nicht die Einzelheiten geben, die ich gesammelt und an einer andern Stelle über diesen sonderbaren Gegenstand veröffentlicht habe; aber um zu zeigen, wie eigentümlich die Gesetze sind, welche die Fortpflanzung der Tiere in der Gefangenschaft bestimmen, will ich erwähnen, dass fleischfressende Tiere, sogar aus den Tropen, in unsern Gegenden ziemlich aus freien Stücken in der Gefangenschaft gebären, mit Ausnahme der Sohlengänger oder der Bärenfamilie, die selten Junge hervorbringt, während die fleischfressenden Vögel, mit den seltensten Ausnahmen, kaum jemals befruchtete Eier legen. Viele ausländische Pflanzen haben einen völlig wertlosen Blütenstaub, ganz ebenso wie die unfruchtbarsten Bastardpflanzen. Wenn wir sehen, dass auf der einen Seite vom Menschen gezüchtete Tiere und Pflanzen, obwohl schwach und krank, freiwillig in der Gefangenschaft sich fortpflanzen, dass andererseits bei Geschöpfen, die in frühester Jugend dem Naturzustande entzogen und völlig gezähmt, die langlebig und gesund sind (wovon ich zahlreiche Beispiele geben könnte), das Fortpflanzungssystem durch unbegreifliche Ursachen so ernstlich beeinflusst ist, dass sie es zu benutzen unterlassen, so dürfen wir uns nicht wundern, dass dies System, wenn es in der Gefangenschaft sich betätigt, sich unregelmäßig betätigt und Sprösslinge hervorbringt, die ihren Eltern etwas unähnlich sind. Ich kann hinzufügen, dass ebenso wie manche Tiere auch unter den unnatürlichsten Bedingungen zeugen (z. B. Kaninchen und Frettchen, die in Kasten gehalten werden) und damit beweisen, dass ihre Fortpflanzungsorgane nicht leicht beeinflusst werden, manche Tiere und Pflanzen der Hauspflege oder Züchtung widerstehen und sich sehr unbedeutend, vielleicht kaum mehr als im Naturzustande abändern werden.
Einige Naturforscher haben die Meinung vertreten, dass alle Abänderungen mit dem Vorgange der geschlechtlichen Fortpflanzung verknüpft seien; aber das ist sicherlich ein Irrtum. Ich habe nämlich in einem andern Werke ein langes Verzeichnis von „Spielpflanzen“ aufgestellt, wie sie die Gärtner nennen, d. h. von Pflanzen, die plötzlich eine einzelne Knospe von neuer Art hervorbringen, die von den übrigen Knospen derselben Pflanze ganz verschieden ist. Die Knospen-Abänderungen, wie sie heißen mögen, können durch Pfropfreiser, durch Setzlinge und manchmal durch den Samen fortgepflanzt werden. Sie kommen im Naturzustande selten vor, sind aber unter dem Einfluss der Züchtung durchaus nicht selten. Wie man an einer einzelnen Knospe unter vielen tausenden, die Jahr für Jahr unter gleichförmigen Bedingungen hervorgebracht werden, plötzlich erkennt, dass sie ein anderes Wesen annimmt, und wie die Knospen an verschiedenen Bäumen, die nicht unter gleichen Bedingungen wachsen, zuweilen fast die gleiche Spielart liefern, z. B. Knospen auf Pfirsichbäumen, die Aprikosen, und Knospen an gemeinen Rosen, die Moosrosen hervorbringen, so sehen wir deutlich, dass für die Bestimmung einer jeden Besonderen Form die Abänderung der äußeren Bedingungen der Lebensform gegenüber von untergeordneter Wichtigkeit sind, vielleicht von keiner größeren, als die Art des Funkens, mit dem eine brennbare Masse angezündet wird, für die Bestimmung der Art der Flammen ist.
* * *
Wirkungen der Gewohnheit und des Gebrauches oder Nichtgebrauches von Körperteilen. Die gegenseitige Beziehung der Abänderungen. Die Vererbung.
Veränderte Gewohnheiten bringen eine sich vererbende Wirkung hervor, so z. B. die Versetzung von Pflanzen aus einem Himmelsstrich in einen andern während ihrer Blütezeit. Bei Tieren hat der wachsende Gebrauch oder Nichtgebrauch der Körperteile einen merklichen Einfluss ausgeübt. So finde ich, dass bei der zahmen Ente im Verhältnis zum ganzen Knochengerüst die Flügelknochen weniger, die Fußknochen mehr wiegen als die gleichen Knochen bei der Wildente. Und diesen Wechsel kann man sicherlich dem zuschreiben, dass die zahme Ente weit weniger fliegt und mehr geht als ihre wilden Eltern. Die große und ererbte Entwickelung der Euter bei den Kühen und Ziegen in Gegenden, wo sie gewohnheitsmäßig gemolken werden, im Vergleich mit diesem Körperglied in anderen Gegenden ist wahrscheinlich ein zweites Beispiel der Wirkungen des Gebrauchs. Man kann keins von unsern Haustieren anführen, das nicht in irgend einer Gegend Hängeohren hätte; und die Vermutung, dass das Hängen der Ohren durch den Nichtgebrauch der Ohrmuskeln infolge der seltenen Beunruhigung der Tiere veranlasst sei, entbehrt nicht der Wahrscheinlichkeit.
Viele Gesetze regeln die Abänderung, von denen einige wenige undeutlich erkannt werden können und später kurz besprochen werden sollen. Ich will hier nur auf das hinweisen, was man die gegenseitige Beziehung der Abänderungen nennen kann. Wichtige Wandlungen in dem Keime oder der Larve des Tieres werden wahrscheinlich Wandlungen in dem ausgebildeten Tiere veranlassen. Bei Ungeheuerlichkeiten sind die gegenseitigen Beziehungen zwischen ganz verschiedenen Teilen sehr merkwürdig, und in Geoffroy St. Hilaire's großem Werk über diesen Gegenstand sind viel solche Beispiele angeführt. Die Züchter glauben, dass lange Glieder fast immer mit einem verlängerten Kopf verbunden sind. Einige Beispiele von gegenseitiger Beziehung sind ganz launenhaft. So sind ganz weiße Katzen mit blauen Augen gewöhnlich taub, aber es ist kürzlich von Tait festgestellt worden, dass dies auf die Männchen beschränkt ist. Eine bestimmte Farbe und Eigentümlichkeiten der Körperbeschaffenheit gehören zusammen; dafür könnten merkwürdige Fälle bei Tieren und Pflanzen angeführt werden. Nach Tatsachen, die Heusinger gesammelt hat, scheinen gewisse Pflanzen weißen Schafen und Schweinen zu schaden, dunkeln aber nicht. Professor Wyman hat mir kürzlich eine gute Erklärung dieser Tatsache mitgeteilt; als er einige Pächter in Virginia fragte, wie es käme, dass alle ihre Schweine schwarz wären, teilten sie ihm mit, dass die Schweine die Farbwurzel (Lachnanthes) fräßen, die ihre Knochen rot färbte und die Ursache wäre, dass bei allen, außer den schwarzen Spielarten die Hufe abfielen. Einer der virginischen Ansiedler fügte hinzu: „Wir suchen bei jedem Wurf die schwarzen Tiere aus, um sie aufzuziehen; denn nur sie haben Aussicht, am Leben zu bleiben.“ Haarlose Hunde haben unvollständige Zähne; lang- und grobhaarige Tiere haben, wie versichert wird, gewöhnlich viele oder lange Hörner; Tauben mit federbekleideten Füßen haben eine Haut zwischen den äußeren Zehen; Tauben mit kurzen Schnäbeln haben kleine, solche mit langen Schnäbeln große Füße. Wenn daher der Mensch eine Besonderheit ausliest und so vergrößert, wird er, nach den geheimnisvollen Gesetzen der gegenseitigen Beziehung, fast sicher andere Teile des Baues unabsichtlich ummodeln.
Die Ergebnisse der mannigfaltigen, unbekannten oder nur undeutlich verstandenen Gesetze der Abänderung sind unendlich verwickelt und verschiedenartig. Es ist wohl der Mühe wert, die Abhandlungen über einige unserer seit lange angebauten Pflanzen, wie über die Hyazinthe, die Kartoffel, selbst die Georgine zu lesen. Es ist wirklich überraschend, die zahllosen Punkte in Bau und Körperbeschaffenheit anzumerken, in denen die Spielarten und Unterspielarten sich um ein Geringes voneinander unterscheiden. Die ganze Körperbildung scheint bildsam geworden zu sein und weicht ein wenig von der des elterlichen Vorbildes ab.
Eine Abänderung, die nicht ererbt ist, ist für uns unwichtig. Aber die Zahl und Verschiedenheit der erblichen Abweichungen des Baues, sowohl der von geringfügiger, als der von beträchtlicher physiologischer Wichtigkeit, ist unübersehbar. Dr. Prosper Lucas' Abhandlung in zwei großen Bänden ist die vollständigste und beste über diesen Gegenstand. Kein Züchter zweifelt an dem starken Hange zur Vererbung; dass Gleiches Gleiches hervorbringe, ist sein feststehender Glaube; Zweifel an diesem Grundgesetz sind nur von Gelehrten erhoben worden. Wenn irgend eine Abweichung im Bau oft erscheint, und wir sie beim Vater und dem Kind sehen, können wir nicht sagen, ob sie nicht durch dieselbe Ursache hervorgerufen wird, die auf beide gewirkt hat. Aber wenn unter Geschöpfen, die offenbar unter denselben Bedingungen leben, eine sehr seltene Abweichung, das Werk einer außergewöhnlichen Verbindung von Umständen, sich bei dem Vater oder der Mutter zeigt – sagen wir einmal unter mehreren Millionen Geschöpfen – und bei dem Kinde wiedererscheint, so zwingt uns die bloße Wahrscheinlichkeitslehre fast, dies Wiedererscheinen der Vererbung zuzuschreiben. Jeder muss von Albinos, von Fällen von stachliger Haut und haarigen Körpern gehört haben, die in derselben Familie bei mehreren Gliedern erscheinen. Wenn eigentümliche und seltene Abweichungen des Baues wirklich vererbt werden, so kann man gern zugeben, dass weniger sonderbare und gewöhnlichere Abweichungen vererbbar sind. Vielleicht wäre der richtige Weg, den ganzen Gegenstand zu betrachten, die Vererbung eines jeden irgendwie beschaffenen Merkmals als die Regel, die Nichtvererbung als Ausnahme anzusehen.
Die Gesetze, die die Vererbung beherrschen, sind größtenteils unbekannt. Niemand kann sagen, woher dieselbe Eigentümlichkeit in Vertretern derselben Art oder in verschiedenen Arten manchmal vererbt wird und manchmal nicht; warum bei den Kindern oft gewisse Merkmale des Großvaters oder der Großmutter oder eines noch früheren Vorfahren wieder zum Vorschein kommen; warum eine Eigentümlichkeit oft von einem Geschlecht auf beide Geschlechter oder nur auf ein Geschlecht, und zwar gewöhnlich, aber nicht ausschließlich, auf dasselbe übertragen wird. Von ziemlicher Wichtigkeit für uns ist die Tatsache, dass Eigentümlichkeiten, die bei den Männchen unserer Haustierzucht erscheinen, ausschließlich oder in einem viel höheren Grade auf die männlichen Jungen allein vererbt werden. Ein viel wichtigeres Gesetz, das man, denke ich, für ausgemacht halten kann, ist, dass eine Eigentümlichkeit zu der Lebenszeit, in der sie zum ersten Mal erscheint, bei dem Sprössling wiedererscheint, wenn auch manchmal früher. In manchen Fällen kann dies nicht anders sein; so könnten die ererbten Eigentümlichkeiten der Hörner des Rindviehs nur bei herannahender Reife in dem Sprössling erscheinen; Eigentümlichkeiten des Seidenwurms treten bekanntlich in dem entsprechender Raupen- oder Kokonzustande auf. Aber erbliche Krankheiten und einige andere Tatsachen lassen mich glauben, dass das Gesetz eine weitere Ausdehnung hat, und dass, wenn es keinen augenscheinlichen Grund gibt, warum eine Eigentümlichkeit in einem bestimmten Alter erscheint, sie doch das Streben hat, bei dem Sprössling zu derselben Zeit zu erscheinen, zu der sie zuerst bei den Eltern erschien. Ich glaube, diese Regel ist von der höchsten Wichtigkeit zur Erklärung der Gesetze der Keimlehre. Diese Bemerkungen beziehen sich natürlich nur auf das erste Erscheinen der Eigentümlichkeit und nicht auf ihre Grundursache, die auf die Samenknospen oder das männliche Glied gewirkt haben kann; beinahe ebenso wie die größere Länge der Hörner beim Sprössling einer kurzgehörnten Kuh und eines langgehörnten Bullen, wenn sie auch spät im Leben erscheint, doch deutlich von dem männlichen Gliede stammt.
Da ich auf das Wiederauftreten verlorener Merkmale hingewiesen habe, kann ich mich hier auf eine Behauptung beziehen, die von Naturforschern oft aufgestellt worden ist, dass nämlich die Spielarten unserer Hauserzeugnisse, wenn sie wild werden, allmählich, aber sicher das Wesen ihrer ursprünglichen Stämme wieder annehmen. Daraus hat man gefolgert, dass von den Arten der Hauserzeugnisse keine Schlüsse für die Arten im Naturzustande gezogen werden können. Ich habe mich vergebens bemüht, zu entdecken, auf Grund welcher entscheidenden Tatsachen die obenerwähnte Behauptung so oft und so kühn ausgesprochen worden ist. Es würde sehr schwer sein, ihre Wahrheit zu beweisen. Wir können sicher schließen, dass sehr viele der hervorstechendsten Hausspielarten nicht im wilden Zustande leben könnten. In vielen Fällen wissen wir nicht, welcher der Ursprungsstamm war, und können also nicht sagen, ob ein beinahe vollkommenes Wiederauftreten der Merkmale eingetreten ist oder nicht. Um die Wirkungen der Kreuzung zu verhindern, hätte man nur eine einzige Spielart in ihrer neuen Heimat frei werden lassen dürfen. Nichtsdestoweniger scheint es mir, da unsere Spielarten sicherlich zuweilen in einigen ihrer Merkmale zur Elternform zurückkehren, nicht unwahrscheinlich, dass, wenn es uns gelänge, während vieler Geschlechter die verschiedenen Arten des Kohls z. B., heimisch zu machen oder in sehr magerem Boden anzubauen (in welchem Falle jedoch etwas der endgültigenWirksamkeit des mageren Boden zuzuschreiben wäre) sie in großem Maße oder sogar gänzlich zu dem wilden ursprünglichen Stamm zurückkehren würden. Ob der Versuch gelingen würde oder nicht, ist für unsere Beweisführung nicht von großer Wichtigkeit, denn durch den Versuch selbst werden die Lebensbedingungen geändert. Wenn man zeigen könnte, dass unsere Hausspielarten eine starke Neigung bekunden, die alten Merkmale wieder anzunehmen, d. h. ihr erworbenes Wesen zu verlieren, während sie unter gleichen Bedingungen und in beträchtlicher Menge gehalten werden, so dass die freie Kreuzung, indem sie sie zusammen mischt, unbedeutende Abweichungen in ihrem Bau ausgleichen könnte, in diesem Falle gäbe ich zu, dass wir von den Hausspielarten nichts in Bezug auf die Arten ableiten könnten. Aber es gibt nicht den Schatten eines Beweises dieser Ansicht; es würde aller Erfahrung entgegengesetzt sein, zu bestreiten, dass wir u...