Die USA von heute
Kapitel 15
Der universelle Missionsgedanke der USA
“Wir Amerikaner sehen uns gerne als die Verkörperung von Großzügigkeit
und Tugendhaftigkeit, aber viele Menschen in anderen Ländern empfinden
uns als selbstsüchtig, rechthaberisch und gewalttätig“.203
Die USA sind zutiefst davon überzeugt, dass ihr eigenes politisches System das beste System in der Welt ist und dass die Welt – wenn erst einmal alle Staaten dieses System übernommen haben - in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben wird. Dieser demokratische Missionsgedanke beherrscht die Außenpolitik und auch die Innenpolitik des Landes seit vielen Jahrzehnten, er ist sein dominierendes Element. Dabei wird wenig beachtet, dass andere Kulturen und andere Religionen völlig andere Schwerpunkte setzen und sich völlig anders entwickelt haben und dieses bewusst auch zukünftig so fortführen wollen.
Dieser Missionsgedanke wird allen internationalen Marineoffizieren in einem 14-tägigen Exkurs am US Naval War College mit Nachdruck vermittelt, bevor sie mit 185 US-amerikanischen Offizieren ein gemeinsames Studium beginnen. Dieses erfolgt jedes Jahr in Newport RI ebenso wie an allen anderen vergleichbaren Einrichtungen des Landes (National Defence University, Army War College, Air War College). Dieser Missionsgedanke wird von dem Historiker Klaus Schwabe als imperialistisches Gehabe bewertet, das zu fünf konstitutiven Elementen der Außenpolitik der USA gehört, nämlich:
- dem imperial-expansionistischem Element,
- dem Isolationismus,
- der revolutionär-antikolonialistisch-emanzipatorischen Tradition,
- dem humanitären Impuls sowie
- der demokratisch-missionarischen Tradition.204
Alle US-amerikanischen Regierungen verfolgen als oberstes Ziel die Nationale Sicherheit des Landes. Daraus leitet sich ab, dass die USA wichtiger sind als der Rest der Welt. Diese Zielsetzung untermauert den uneingeschränkten Machtanspruch der USA.205 Und die ganz überwiegende Mehrheit ihrer Einwohner steht in diesem Punkt hinter ihrer Regierung, gleich ob Republikaner oder Demokraten. Keine andere Gesellschaft weltweit ist so von dem Sendungsbewusstsein durchdrungen wie die US-amerikanische Gesellschaft.
In der Gestaltung ihrer internationalen Beziehungen spielten für die USA lange Jahre und immer wieder moralische Werte eine tragende Rolle. Woodrow Wilson war der erste US-Präsident, der die Macht der USA in den Dienst eines liberalen Weltfriedens gestellt hat. Sein Konzept einer liberalen Weltordnung, in der die USA die führende Rolle einnehmen, ist bis heute für jeden Präsidenten von zentraler Bedeutung geblieben. Seither unterlässt es keiner seiner Nachfolger, Wilsons Idealismus weiterhin als Legitimationsressource zu beschwören. Insbesondere seine Überzeugung, dass ein Krieg nur dann legitim sei, wenn man ihn als Kreuzzug für Menschenrechte und freiheitliche Werte führt, hat die Außenpolitik der USA im 20. Jahrhundert geprägt.
Kurz nach Ende des 2. Weltkrieges war der United States National Security Council (NSC); gegründet worden. Er ist das entscheidende, den Präsidenten in Fragen der Nationalen Sicherheit beratende Gremium. Bereits kurz nach seiner Gründung hatte eine der ersten Analysen der Weltlage eine durchschlagende Wirkung: Im Memorandum Nr. 68 (bekannt als NSC 68) hatte der Nationale Sicherheitsrat am 14. April 1950 dem Präsidenten empfohlen, die Ausgaben für das Militär massiv zu erhöhen, um den weltweiten Einfluss des Kommunismus einzudämmen (Containment). Nach längerem Zögern und dem Beginn des Korea-Krieges stimmte Truman schließlich den Empfehlungen zu. Die NSC 68 war eine der wenigen Handlungsempfehlungen des Nationalen Sicherheitsrates, die bisher öffentlich bekannt sind.
Nachdem erst einmal der Erhalt eines moralischen Prinzips zum bestimmenden Interesse der USA erklärt worden war, wurden auch in diesem strategischen Dokument die strategischen Ziele der USA eher nach moralischen, denn nach machtpolitischen Maßstäben formuliert: Es gehe darum, „Stärke zu entwickeln, sowohl im Hinblick auf die Art, in der wir bei der Gestaltung unseres nationalen Lebens an unseren Werten festhalten, als auch in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht“. Durchdrungen von den Ideen der US-amerikanischen Gründerväter, die US-amerikanische Nation müsse als Leuchtfeuer für die gesamte Menschheit dienen, verwarfen die Verfasser von NSC-68 isolationistisch geprägte Warnungen.206 Das Dokument NSC-68 begann mit einer Beschwörung der Demokratie und schloss mit der Annahme, dass die Geschichte letzten Endes zugunsten der Vereinigten Staaten entscheiden werde. Seine Einzigartigkeit liege in der Verbindung globaler Ansprüche mit der Ablehnung von Gewalt stellt Henry Kissinger fest.207
„Für John F. Kennedy waren die USA die größte Nation der Geschichte, weil die Nation angeblich immer an zwei große Ideen geglaubt hat, nämlich dass das Morgen besser sein kann als das Heute und dass jeder Bürger des Landes eine persönliche moralische Verantwortung hat, dafür zu sorgen, dass das auch eintritt“.208 „Schon bei seiner Antrittsrede im Jahre 1961 hatte Kennedy das Thema US-amerikanischer Selbstlosigkeit und weltumspannender Pflichterfüllung weiter ausgeführt. Indem er verkündete, seine Generation gehe in direkter Linie auf die Väter der ersten demokratischen Revolution der Welt zurück, verhieß er in hehren Worten, unter seiner Regierung werde die schleichende Aushöhlung der Menschenrechte, auf die sich diese Nation stets verpflichtet habe, keine Fortsetzung finden“.209
Wie auch manch andere Nation – zum Beispiel die Polen – fühlen sich die US-Amerikaner als ein von Gott besonders auserwähltes Volk. Die sehr weit verbreitete aber oberflächliche Religiosität unterstreicht diesen Anspruch. Auch dieses ist in Polen ähnlich, dort nur nicht so oberflächlich. So verwundert es nicht, dass Bill Clinton in der Antrittsrede für seine erste Amtszeit von einer US-amerikanischen Erneuerung sprach, „von einem Frühling in der ältesten Demokratie der Welt, von dem Wunsche der US-Amerikaner, ihr Anliegen dem Allmächtigen zu empfehlen. Wandel sei nicht um des Wandels willen erforderlich, sondern Wandel diene der Bewahrung der US-amerikanischen Ideale: Leben, Freiheit und Streben nach Glück. Auch wenn man dem Takt der Zeit folge – die Mission der USA sei zeitlos“.210
Bill Clinton definierte die fünf Prinzipien, denen die US-amerikanische Politik folgt:
- Allen Menschen wird eine Chance gegeben und niemandem werden Privilegien eingeräumt (nach Andrew Jackson);
- Die grundlegenden US-amerikanischen Werte mit Arbeit, Familie und Verantwortung, Glauben, Toleranz und Partizipation bleiben erhalten;
- Es gibt eine Ethik der wechselseitigen Verantwortung, die besagt, dass die Bürger ihrem Land auch etwas zurückgeben sollen (nach John F. Kennedy);
- Die demokratischen und humanitären Werte müssen in der ganzen Welt verbreitet werden und Wohlstand und Fortschritt muss im eigenen Land gewahrt bleiben;
- Die Menschen werden zur Innovation verpflichtet - wie sie Franklin D. Roosevelt einmal gefordert hat - und sie werden hierzu ermutigt, indem man ihnen jene Hilfsmittel an die Hand gibt, die sie brauchen, um das Beste aus ihrem Leben zu machen.211
Auch Barack Obama, der erste farbige Präsident der USA, schloss sich in die Reihe der Präsidenten ein, die sich auf die besondere Mission der USA beziehen, wenn er sagt: „Uns US-Amerikaner vereint der nationale Konsens, dass US-amerikanische Führung in der Welt unerlässlich ist. In einer Zeit, in der unsere einzigartigen Beiträge und Fähigkeiten mehr denn je benötigt werden, nehmen wir unsere außergewöhnliche Rolle und Verantwortung an.“212
Trotz der sich immer wiederholenden Beschwörungen der Präsidenten, der Medien und anderer Führungspersönlichkeiten des US-amerikanischen öffentlichen Lebens erlagen die USA dennoch immer wieder ihren eigenen Illusionen. Dazu zählt die Vorstellung, dass die Unabhängigkeitsbewegungen in den Entwicklungsländern Parallelen zur Geschichte der Vereinigten Staaten aufweisen. Die neugeborenen Nationen, so meinte man, würden die US-amerikanische Außenpolitik mit Freuden unterstützen, sobald sie begriffen hätten, dass sich die Einstellung der Vereinigten Staaten zum Kolonialismus deutlich von derjenigen der alten europäischen Mächte unterscheidet. Doch die Führer der Unabhängigkeitsbewegungen waren von einem anderen Kaliber als die US-amerikanischen Gründungsväter. Sie bedienten sich zwar der demokratischen Rhetorik, es mangelte ihnen jedoch an jener Hingabe, wie sie die Schöpfer der US-amerikanischen Verfassung bewiesen hatten, indem sie fest an das System der Checks and balances glaubten.213 Aus diesen Worten spricht schon wieder eindeutig die Hybris, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der USA zieht: America first – und dieses in jeder Hinsicht, politisch, wirtschaftlich, militärisch ... und moralisch! Aber inwieweit entspricht dieses Anspruchdenken der Wirklichkeit?
Bei all diesen hehren Grundsätzen und Absichten muß man wissen oder zumindest erkennen, dass die westliche Demokratie für viele Kulturen und Länder nicht tauglich ist. „Es gibt auch nur sehr wenige Länder, die die westliche Demokratie so praktizieren, wie es die USA gerne hätten. Es gibt nur wenige Länder außerhalb von Europa, die demokratisch regiert werden. Und schon innerhalb Europas ist das zuweilen immer wieder einmal fraglich. Viele Länder, die erfolgreich regiert werden, werden autokratisch oder von einer Partei regiert. Die großen wirtschaftlichen Erfolge sind oft nicht durch die Demokratie gekommen, sondern durch eine kluge autoritäre Führung im Lande“.214 Als Beispiele mögen nur Taiwan, Singapur und China genannt sein.
Bei allen Rückschlägen - wie in Bosnien-Herzegowina, Afghanistan, oder Irak - bleibt der Missionsgedanke dennoch tief verwurzelt in der Gesellschaft der USA. Dieser hatte neuen Schwung erhalten, eine Bestätigung erfahren, als es im Jahre 1990 zur Deutschen Wiedervereinigung kam. Die USA fühlten sich in ihrer Auffassung gestärkt: der „Musterknabe Deutschland“ hatte seine Reifeprüfung bestanden, indem er den Kommunismus besiegt hatte. Die Werte der USA hatten sich erfolgreich durchgesetzt.
Warum sollte dieses nicht auch bei anderen Staaten möglich sein? Hierbei wird von den meisten US-Bürgern nicht gesehen, dass Deutschland dem gleichen Kulturkreis angehört wie die USA; Völker in Korea, in Vietnam, in Lateinamerika, im Irak oder in Afghanistan jedoch nicht. Mit der Wiedervereinigung, an der die Regierung George Bush I entscheidenden Anteil hat und dem Deutschland ebenso dankbar ist wie Michail Gorbatschow, haben die USA aber sogleich auch alles getan, um diesen „Virus“, diesen „Frühling“ im ehemals kommunistischen „Reich des Bösen“ zu verstärken. Als ein Beispiel für das missionarische Element der US-Politik können Gründung und Aufgaben des George C. Marshall European Center for Security Studies (GMC) genannt werden. Das Marshall Center wurde 1993 als amerikanisch (85%) – deutsche (15%) Einrichtung in Garmisch eröffnet und ist eine renommierte Institution für Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Mit Lehrgängen und Konferenzen fördert es offiziell den Dialog und das Verständnis der Staaten Nordamerikas, Europas, Eurasiens untereinander und darüber ...