
- 164 Seiten
- German
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eBook - ePub
Über dieses Buch
Grazie- Zauber des Augenblicks - unmittelbares Gewahrwerden des lebendig Schönen und dessen Gegenbild: Gift- Substanz und Metapher -der Auflösung und des Todessowie der Ekstase, der Entrückung und Selbstvergessenheitvereint als schillerndes Paradoxon.
Häufig gestellte Fragen
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Information
Die Naturbilder
Die Herbstzeitlose
Persephone in Lila
»Leichthin in den Tag
Leben sie
Und Erinnern sich doch
Jahr um Jahr ihrer Stunde
Da es Zeit ist zu erblühn
In herbstlicher Pracht.«
»Kakitsubata«1(Die Herbstzeitlose)
Leben sie
Und Erinnern sich doch
Jahr um Jahr ihrer Stunde
Da es Zeit ist zu erblühn
In herbstlicher Pracht.«
»Kakitsubata«1(Die Herbstzeitlose)
Es ist die Zeit des Übergangs vom Sommer zum Herbst.
Das Licht tritt zurück, es lässt die Konturen sanft verschwimmen, der Klang der Farben wird leiser und leichte Nebelschleier legen sich wie eine hauchdünne Lasur über das Landschaftsbild.
Schon liegt ein feiner Pilzgeruch in der Luft und die ersten roten Kirschbaumblätter tanzen im Wind. Mit der staubigen Trockenheit des Hochsommers ist es nun vorbei, ein feuchter Schimmer erfrischt die Wiesen und einige Sommerblumen kehren noch einmal für kurze Zeit zurück.
Die Zeit des Rückzugs und des Abschiednehmens beginnt mit einem Fest abgetönter Farben und farbiger Überraschungen.
Manchmal geschieht es über Nacht, von einem Tag auf den anderen finde ich die Wiese, die sich zwischen einem schmalen Fußweg und einem zu dieser Zeit munter fließenden Bach vom Wald hinunter ins Tal erstreckt, übersät mit den blassvioletten Prinzessinnen, oder ich entdecke nur eine einzige Blüte, die sich allein hervorgetraut hat.
Frierend stehen sie im Wind, vor Kälte zitternd in ihren zarten und viel zu dünnen Seidenkleidchen, ohne den Schutz des Kelchmantels, inmitten der sich schon leicht ins Gelbgrüne verfärbenden Gräser, was aus der Ferne wirkt, als hätte man in einen grünen Stoff einen goldgelben Faden hineingewebt.
Dazwischen schimmert das helle Blau der letzten Glockenblumen, weiße Wölkchen der Schafgarbe und die rostroten Blutstropfen des Großen Wiesenknopfes leuchten auf. Den stärksten Farbreiz aber erzeugt das feurige Lila der Herbstzeitlose, ein Klang, der das Gelbgrün in Schwingung bringt.
Ihr Glanz ist aber nur von kurzer Dauer, ephemeron hießen sie in alter Zeit, auf den Tag, denn schon der nächste Regenschauer wird sie niederdrücken, die zarten Kleidchen zerknittern und hässliche Flecken auf ihnen hinterlassen, aber in den nächsten Tagen, während die anderen noch verbliebenen Blumen allmählich verschwinden, erscheinen immer mehr der zeitlosen Blüten, weit gestreut in kleinen Zweier- oder Dreiergruppen, entfalten sie dann fast konkurrenzlos ihre falsche Frühlingspracht.
»Seid ihr ein Trugbild oder einfach nur verspätet?«, möchte man ihnen zurufen.
Ihr Erscheinen zur Unzeit sowie die schamlose Inszenierung ihrer Blöße zu einer Zeit, in der sich der verführerische Blütenzauber längst in Samen und Frucht zu verwandeln beginnt und somit seine Aufgabe erfüllt hat, betritt diese nackte Jungfer, die laut Volksmund nur zu faul ist, sich etwas Anständiges anzuziehen, die Bühne. Das hat ihrem Ruf geschadet und sie der Hexerei verdächtig gemacht, denn man ahnte, dass dieses späte Mädchen nicht so hilflos und unschuldig war, wie es erschien, und schon bald entdeckte man ihr giftiges und später auch ihr botanisches Geheimnis.
Bevor wir aber das Wissen einschalten, schauen wir noch einmal genau hin und befragen unser symbolisches Gedächtnis.
Ihre Erscheinung erinnert uns an den Frühling, auf den ersten Blick ähnelt sie den Blüten des Krokus und aufgrund dieses Anklangs versetzt ihr Anblick den Betrachter in eine zwiespältige Stimmung:
Es mischen sich Gefühle der Hoffnung und der Melancholie, die Zeit scheint stillzustehen, wir sehen Herbst und Frühling vereint, so als wollte die Schöne uns sagen: »Wir – die Blumen – sterben ja nicht, wenn wir verschwinden, wir ruhen uns nur ein wenig aus, wir ziehen uns für ein paar Monate in unser unterirdisches Reich zurück, um uns für unseren nächsten Auftritt vorzubereiten, wir stehen wieder auf, verjüngt und frisch wie am ersten Tag.«
Ein Trost, den Friedrich Hölderlin in seinem Gedicht »An die Hoffnung« für seinen Lebensherbst entgegennahm:
»… Im grünen Tale, dort, wo der frische Quell
Vom Berge täglich rauscht, und die liebliche
Zeitlose mir am Herbsttag erblüht,
Dort in der Stille, du Holde, will ich …
Dich suchen …«2
Vom Berge täglich rauscht, und die liebliche
Zeitlose mir am Herbsttag erblüht,
Dort in der Stille, du Holde, will ich …
Dich suchen …«2
Die Hoffnung auf Unsterblichkeit ist eines ihrer Symbole und der Eindruck ihres Erscheinens kann so reizvoll sein, dass er die Erinnerung an die Geliebte heraufbeschwört, wie es in dem japanischen Nõ-Theaterstück »Kakitsubata«3 (der Name einer wild wachsenden Iris-Art, die der Übersetzer aufgrund der Gefühlsassoziationen mit Herbstzeitlose übertrug, die zur selben Familie gehört)4 von Seami Motokiyo geschildert wird. Dieses Nõ thematisiert die Vergänglichkeit im Gegensatz zur unsterblichen Liebe und der zeitlosen Macht der Kunst, die sich in der alljährlichen Wiederkehr der Blüte der Zeitlosen im Herbst symbolisch manifestiert. Benutzt wird hier eine indirekte, diskrete Form der Darstellung einer Geist-Erscheinung. Es ist die Geliebte des Poeten und Musikers Narihira, Autor des »Ise-Monogatari«, dem die Hintergrunderzählung für dieses Nõ entnommen ist, der im 9. Jahrhundert (Heian-Zeit) am Hof des Kaisers diente, dessen Frau er liebte, weshalb er vom Hofe verbannt wurde.
So zog er durch das Land und kam in die Provinz Mikawa, ins Tal der Acht Brücken, eine Moorlandschaft, in der im Herbst die Zeitlose blüht. Dieser Anblick vergegenwärtigte ihm seine Geliebte und regte ihn zu seiner Dichtung an. Narihira verkörpert die hohe vergeistigte Dichtkunst, »Das Weiterreichen der Blüte«, welches für Seami das Prinzip von »Yūgen« darstellt.5
Die Zeitlose, die in Gestalt der Geliebten Narihiras einem Priester erscheint und diesem von der erlösenden und transzendenten Musik Narihiras erzählt, ist eine Epiphanie der Blüte und der Geliebten, beide sind miteinander verschmolzen als Zeichen zeitloser Erinnerung und Liebe, die sich in Narihiras Kunst offenbart.
*
Im deutschen Volksglauben hat der Herbstzeitlosen diese Zeit-Losigkeit, die Umkehr des normalen Ablaufs der Vegetation, neben ihrer unzeitgemäßen Bekleidung, eine Reihe von diffamierenden Namen eingebracht, da man der Blume ihr (zeit)loses und damit anscheinend unnützes Auftreten übel nahm.
Von der Hunds- und Leichenblume über Nacktarsch und Nackte Hur6 musste sie sich einiges anhören, und man streute freizügigen Mädchen die Blüten und Samenkapseln der Zeitlosen vor die Tür oder auf den Weg zum Brunnen. In dieser Blumensprache symbolisiert sie die Unkeuschheit und nicht nur das, denn mit ihrem Erscheinen waren die Wiesen für Mensch und Vieh vergiftet und dies nicht nur im Herbst.
Zur schönsten Frühlingszeit und Sommersonnenwende, ebenso eine Übergangsphase, die mit Maifeiern und der Walpurgisnacht ritualisiert wird, erscheinen die spitzen lanzettförmigen Blätter, die von unkundigen Kräutersammlern mit dem Bärlauch verwechselt werden. Einen Frühjahrssalat mit den Blättern der Herbstzeitlosen zu würzen, ist aber nichts für Sterbliche, sondern nur etwas für Hexen, diese schneiden in der Walpurgisnacht den Blättern die Spitzen ab, da diese kurz danach, wenn in ihrem Schoß die Fruchtkapsel langsam zu wachsen und zu reifen beginnt, gelb und welk werden. Die dreifächrige Kapsel, die anfangs an eine große Knospe erinnert, färbt sich im Laufe des Frühsommers braun und wird trocken und runzlig. Nimmt man sie heraus, hört man die kleinen Samen darin klappern.
Auch für die Frucht der Herbstzeitlosen, der Samenkapsel, erfand der Volksmund eine Anzahl kuriosester Namen, die sich einmal auf die Form und dann wieder auf den Inhalt, ihre Giftigkeit, beziehen, wie z. B. Teufelsküche, Teufelsbrot oder Hennegift.
Die Form beschreiben Namen wie Butterwecken, Kuckucksweck, Kühe, Kuheuter sowie die Namen anderer Tiere, was vermuten lässt, dass die Kapsel mit ihren klappernden Samen den Kindern früher als Spielzeug gedient haben könnte.
Aus meiner eigenen Kindheit, in der ich viel Zeit draußen verbrachte und dank des Mangels an Spielsachen meine Fantasie nutzen und entwickeln musste, um mir Dinge zu entdecken, sie für mich mit neuer Bedeutung zu versehen, sie neu zu erschaffen, um sie in mein subjektiv-mythologisches Universum einzufügen, weiß ich, wie die kindliche Vorstellungskraft die Formen der Natur in Gestalt von Zweigen und Früchten, Moosen und Steinen und vielem mehr für ihr imaginäres Theater zu nutzen weiß.
Zu einer Zeit, in der auch kleine Kinder, in der oralen Entdeckungsphase, sich ohne Aufsicht im Freien aufhielten, muss es sicher zahlreiche Vergiftungsfälle gegeben haben.
Einer Mischung aus spielerischer Fantasie und frivoler Anzüglichkeit entstammen Bezeichnungen wie Hundshoden, Pfaffensack oder auch des Teufels Geldbeutel. Angespielt wird damit auf die Ambivalenz des Sexuellen, der Verführungskraft teuflischer Giftigkeit.
Bevor aber der Wirkstoff der Pflanze hier eine Rolle spielen soll, möchte ich etwas auf die Bühne rufen, das man getrost als ein botanisches Rätsel bezeichnen kann und das der Dichter Guillaume Apollinaire in ein literarisches bzw. poetisches transformierte.
Er nannte es »Les colchiques« (Die Herbstzeitlosen), aus dem ich hier einige Verse zitiere:
»Le pré est vénéneux mais joli en automne
Les vaches y paissant
lentement s´empoisonnent …
Le colchique couleur de cerne et de lilas
Y fleurit tes yeux sont comme cette fleur-là …
Et ma vie pour tes yeux lentement s´empoisonne …
… les colchiques qui sont comme des mères
filles des leur filles et sont couleur de tes paupières …«7
Les vaches y paissant
lentement s´empoisonnent …
Le colchique couleur de cerne et de lilas
Y fleurit tes yeux sont comme cette fleur-là …
Et ma vie pour tes yeux lentement s´empoisonne …
… les colchiques qui sont comme des mères
filles des leur filles et sont couleur de tes paupières …«7
Auch hier kommt es – wie im Nõ-Theaterstück »Kakitsubata« – durch den Vergleich der Blüten mit der Farbe der Augenringe und Augen einer geliebten Frau zu einer Symbolisierung des einen durch das andere: Die Farbe der Blüte verweist auf die Geliebte, wie deren Augenfarbe wieder an die Blüte erinnert. Wie in der Lyrik des Nō kommt es zu einer Verschmelzung von Erscheinung und Bedeutung sowie zu deren Umkehr.
Das allmähliche Vergiften der Wiese und des Liebhabers in ...
Inhaltsverzeichnis
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Überblick
- Überblick
- Erstes Kapitel: Grazie
- Zweites Kapitel: Gift Substanz und Metapher
- Drittes Kapitel: Die Naturbilder
- Viertes Kapitel Giftgrazie Die Ambivalenz des Schönen
- Impressum