III. Finnlands Unabhängigkeitserklärung, Bürgerkrieg und Goldbeck-Löwes Tätigkeit in diesem Kontext
A.Vor der Reise nach Finnland
Vorbemerkung: Der folgende Bericht ist chronologisch erst nach dem Memorandum über die Unterredung mit Lucius von Stoeden angesiedelt; da er jedoch eine Gesamteinschätzung der Lage in Finnland erhält, ist er diesem vorangestellt.
| 92 | Form | Bericht |
| | Inhalt | die Stimmung in Finnland |
| | Datum | 20. Dezember 1917 |
| | Adressat | Allgemein |
20. Dezember 1917
Die Lage in Finnland
Nach Rücksprachen, die ich neuerdings mit Finnländern gehabt habe, welche direkt von ihrer Heimat kommen, ist das Bild, welches ich in meinem Bericht vom 14. ds. 274 gab, ungefähr den Tatsachen entsprechend. Man betont aber allgemein, dass die Stimmung in Finnland gegen Schweden zufolge der politischen Tatenlosigkeit der Nachbarn erheblich zugenommen hat, dass man mit Schweden überhaupt nicht mehr rechnet und einzig und allein die Hilfe von Deutschland erwartet.
Es fand ja allerdings hierselbst am 17. de. eine würdige und nicht unbedeutende Demonstration im „Auditorium“, dem größten Saale von Stockholm, statt zu Gunsten der Lebensmittelversorgung Finnlands, doch hatte dieselbe keineswegs einen politischen Charakter, im Gegenteil war man unter dem Eindruck, dass solcher ängstlichst vermieden wurde. Also wieder einmal viele schöne Worte, welchen vielleicht die Handlung in der Weise folgen wird, dass die schwedische Regierung, von dem gelegentlich der Demonstration ernannten Komitée beeinflusst, die Lebensmittelfrage für Finnland, wie und wo dies angeht, fördern wird. Es handelt sich dabei in erster Linie natürlich um die Durchfuhr. Politisch aber erwartet man, wie gesagt, kein Resultat.
In Finnland vertritt man nunmehr den Standpunkt, dass das Land offiziell wenigstens als vollkommen selbständig zu betrachten ist und dementsprechend sein eigenes Bestimmungsrecht, auch was die auswärtige Politik anbelangt, hat. Deutschland hat bisher den Standpunkt vertreten, dass es sich bei der finnischen Frage gewissermaßen um eine innerpolitische russische Angelegenheit handelt, und um Russland nicht unnötig zu verletzen, ist man von offizieller Seite wenigstens in Wort und Schrift sobald es Finnland galt sehr vorsichtig gewesen. Jetzt jedoch, nachdem Finnland sich aus eigener Machtvollkommenheit von Russland losgelöst hat und für alle Zeit ein von Russland getrenntes Staatswesen bilden wird, so glaubt man vielfach in Finnland, dass diese Rücksichtnahme auf Russland nur von Übel sein kann und dem deutschen Interesse direkt widerstreitend ist.
Ich erwähnte bereits in meinem letzten Bericht die Machenschaften der Entente, welche darauf hinausgehen, sich Finnland zu nähern, sei es via Schweden oder direkt, um damit einer Aktion der Zentralmächte zuvorzukommen. Dass sich dieser Verdacht immer mehr verdichtet hat, darf nicht Wunder nehmen, wenn man die Gründe prüft, welche hierfür maßgebend sind. Es würde zweifelsohne im Interesse der Entente liegen, sich gerade mit einem selbständigen Finnland, welches zufolge seiner Entwicklungsmöglichkeiten und geographischen Lage wahrscheinlich berufen ist, noch einmal eine hervorragende Rolle in der Geschichte des Nordens zu spielen, rechtzeitig so gut wie möglich zu stellen. Die Entente braucht nach dem Vorgefallenen keine Rücksicht mehr auf Russland zu nehmen. Ich verweise im Übrigen auf die französische Presse, in Sonderheit die Artikel in der „Le Temps“.
Es gilt also nach Ansicht vieler finnischer Freunde deutscherweise zuvorzukommen, und Finnland unzweideutig als selbständigen Staat anzuerkennen, ehe ein anderer Interessent dies tut.
Ein anderer Teil meiner finnischen Freunde, unter ihnen hervorragende einsichtsvolle Leute, stehen verständigerweise (sic) auf dem Standpunkt, dass die Friedensverhandlungen unter keinen Umständen von den finnischen Wünschen beeinflusst werden dürfen, und dass man schwerlich beanspruchen könne, dass deutscherseits schon jetzt ein entscheidender Schritt zu Gunsten Finnlands getan wird. Sie meinen im Gegenteil, dass wenn auch die Entente Deutschland mit der Anerkennung der Selbständigkeit Finnlands zuvorkommen sollte, dies wenig für die allgemeine Lage zu Ungunsten Deutschlands bedeuten würde, da Finnland heutzutage viel zu sehr deutschorientiert sei und wohl das Verständnis dafür hätte, weswegen Deutschland seinen Feinden nicht zuvorgekommen sei.
Als wichtiges Moment tritt hinzu, dass Deutschland in der Lebensmittelfrage Finnland in dieser schweren Zeit der Not entgegengekommen ist, was schon genügen würde um Finnlands Treue zu Deutschland zu erhalten.
Diese Leute glauben also, dass die jetzige Regierung in Russland in Übereinstimmung mit dem wiederholt ausgesprochenen Prinzip, laut welchem jedes Fremdvolk in Russland über sich selbst das Bestimmungsrecht haben soll, Finnland als selbständigen Staat anerkennen wird und wünschen nur, dass Deutschland in den Friedensverhandlungen dies befürwortet oder richtiger gesagt darauf drängt.
Es mag sein dass diese Politiker Recht haben. Es steht nur diesem Gedankengange das Bedenken entgegen, dass schon vielleicht früher als man glaubt, der bolschewikij’schen Regierung eine andere folgen wird, welche ganz andere Prinzipien verfolgt als wie ihre Vorgängerin sie gehabt hat und der finnischen Selbständigkeitserklärung durchaus abweisend gegenüber stehen könnte.
Inzwischen sind nun die Waffenstillstandsverhandlungen in Brest-Litowsk zum Abschluss gelangt und die Friedensverhandlungen werden folgen. Soweit aus den der Öffentlichkeit übergebenen Berichten zu sehen ist, wurde Finnland nicht besonders erwähnt. Die Hoffnung der Finnländer, dass eine der Bestimmungen war, die bolschewikij’sche Soldateska aus Finnland sofort zurückzuziehen, scheint sich nicht bestätigt zu haben. Für den Moment ist und bleibt diese Frage für Finnland die Hauptsache, da man an eine Organisation der inneren Verhältnisse nicht denken kann, bis das russische Militär auf die eine oder andere Weise entfernt ist. Ich habe die Möglichkeiten hierzu in meinem letzten Bericht entwickelt und brauche nicht nochmals auszuführen, welchen Stein im Brett Deutschland für alle Zeit haben würde, wenn die Vertreibung der fremden Unruhemächte durch deutsche Tatkraft geschehen würde.
| 93 | Form | Bericht |
| | Inhalt | Gesprächsnotiz mit Baron Lucius |
| | Datum | 10. Dezember 1917 über Unabhängigkeitserklärung, Grenzen, Lebensmittelhilfe, Åland |
Unterredung mit Herrn Baron Lucius von Stoedten.
Stockholm, den 10.Dezember 1917.
Ich gab ihm eine kurze Schilderung der Lage. Wir sind uns darin einig, dass die Hauptsache für Finnland augenblicklich die Reinigung von dem russischen Gesindel ist, und dass wenn dies Ziel nicht erreicht wird, die Selbständigkeit des Landes als präliminär anzusehen ist.
Laut einer vom Hauptquartier eingegangenen Depesche soll Finnland von Deutschland wöchentlich etwa 1300 Tons Getreide erhalten und zwar für einen Zeitraum von 6 Wochen, doch erst dann wenn eine Garantie gegeben werden kann, dass das Getreide nicht in russische Hand fällt. Die Säuberung Finnlands ist also eine absolute Notwendigkeit. Der Gesandte kann diese Frage aber nicht lösen, da sie rein militärischer Natur ist und bittet mich darüber mit Giese zu sprechen.
Was die Selbständigkeitserklärung anbelangt meint er, dass die jetzige Grenze wenige Kilometer nördlich von Petersburg für alle Zeit ein großes Hindernis sein wird, und dass Finnland einen Modus finden müsste um mit Russland auf gutem Fuße zu bleiben. Dass die zukünftige Hauptstadt Russlands Moskau werden wird, will er nicht zugeben. Auch meint er, dass dies die Tatsache, dass eine russische Millionenstadt an der finnischen Grenze liegt, nicht fortnimmt. Auf Grund seiner Kenntnis von Russland glaubt er ferner, dass Russland sich schneller erholen wird als man jetzt annimmt, und da Reibungsflächen zwischen den beiden Ländern stets vorhanden sein werden, so würde er es nicht für klug halten wenn Finnland die Beziehungen abbrechen würde. Er ist nach wie vor für eine weitgehende Autonomie im Verein mit Russland. Ich kann ihm in dieser Beziehung nicht zustimmen und wäre mehr dafür, dass die finnische Grenze weiter nach Norden verlegt würde.
Was Åland anbelangt, so scheint er nach wie vor die Auffassung zu haben, dass eine Besetzung deutscherseits den schwedischen Interessen schädlich würde, und dass man dies vermeiden müsse, wie er überhaupt noch den Standpunkt vertritt, dass man mit Schweden unter allen Umständen gut Freund bleiben müsse, obwohl Letzteres uns tatsächlich einen militärischen oder maritimen Dienst niemals geleistet hat. Ihm ist die sog. Neutralität genügend, was ich von mir nicht behaupten kann.
Meine Vorschläge schon jetzt das ökonomische Gebiet mit Finnland zu bearbe...