Geschaffen für die Wildnis
Das Erwachen aus dem Alptraum der Zoos
Die Bärin macht sieben Schritte, ihre Krallen klicken auf Beton. Sie senkt den Kopf, dreht sich um und geht zur Vorderseite des Käfigs. Noch einmal den Kopf gesenkt, noch eine Drehung, noch drei Schritte. Wenn sie wieder da ist, wo sie angefangen hat, fängt sie von vorne an. Das ist, was von ihrem Leben übrig geblieben ist.
Außerhalb des Käfigs gehen Menschen auf einem Weg vorbei. Eltern halten Kinderwagen an, bis sie merken, dass es hier nichts zu sehen gibt. Ein paar Teenager nähern sich mit Walkmans und halten sich an den Händen; ein Blick hinein genügt und sie sind auf dem Weg zum nächsten Käfig. Immer noch läuft die Bärin; drei Schritte, Kopf senken, drehen.
Meine Finger krallen sich fest um das Metallgeländer außerhalb der Umzäunung. Ich merke, dass sie wund sind. Ich sehe den silbernen Rücken der Bärin, den konkaven Nasenrücken. Ich frage mich, wie lange sie schon hier ist. Ich lasse das Geländer los und während ich weggehe, verhallt langsam das rhythmische Klicken der Krallen auf dem Beton.
Leider waren die Meisten von uns inzwischen schon in genügend Zoos, um den Archetyp der durch die Gefangenschaft verrückt gewordenen Kreatur zu kennen: der Bär, der genau im Rechteck läuft; der Strauß, der unaufhörlich mit dem Schnabel klappt; die Elefanten, die sich rhythmisch wiegen. Aber die Bärin, die ich beschreibe, ist kein Archetyp. Sie ist eine Bärin. Sie ist eine Bärin, die, wie alle anderen Bären, einst ihre eigenen Wünsche und Vorlieben hatte, und, jenseits des Wahnsinns, vielleicht immer noch hat.
Oder an diesem Punkt vielleicht auch nicht mehr.
Der Zoodirektor David Hancocks schreibt: „Zoos haben sich in allen Kulturen der Welt unabhängig voneinander entwickelt.“
Viele plappern diese Aussage nach, aber sie ist nicht ganz richtig. Das ist genauso wie zu sagen, dass sich das göttliche Recht der Könige, Descartes'sche Wissenschaft, Pornografie, Schrift, Schießpulver, Kettensägen, Bagger, Bürgersteige und Atombomben in allen Kulturen der Welt unabhängig voneinander entwickelt haben. Einige Kulturen haben Zoos entwickelt, andere nicht. Menschliche Kulturen gab es schon jahrtausendelang bevor der erste Zoo vor etwa 4.300 Jahren in der sumerischen Stadt Ur entstand. Und in der Zeit seit dem ersten Zoo gab es Tausende von Kulturen ohne Zoos und ihren Entsprechungen.
Zoos sind jedoch in vielen Kulturen entstanden, vom antiken Sumer über Ägypten und China bis hin zum Mongolischen Reich, Griechenland und Rom, vom Ursprung der westlichen Zivilisation bis zur Gegenwart. Aber diese Kulturen haben etwas gemein, das indigene Kulturen wie die San, Tolowa, Shawnee, Aborigines, Karen und andere nicht haben, die keine Zoos unterhielten oder unterhalten: sie sind alle „zivilisiert“.
Wenn man nur ein Wort in Hancocks’ Satz ändert, wird er wahr: „Zoos haben sich in allen Zivilisationen der Welt unabhängig voneinander entwickelt.“
Zivilisationen sind gekennzeichnet durch Städte, die natürliche Lebensräume zerstören und Lebensräume schaffen, die dem Überleben vieler wilder Lebewesen abträglich sind. Städte trennen per Definition ihre menschlichen Bewohner von nicht-Menschen und machen es zu einer Herausforderung für die Stadtbewohner, einen täglichen, nachbarschaftlichen Kontakt mit wilden Tieren zu etablieren. Bis zum Beginn der Zivilisationen – für 95 Prozent unserer Existenz – war dieser Kontakt zentral für das Leben aller Menschen und bis heute ist er integraler Bestandteil des Lebens der „Unzivilisierten“.
Wenn man sagen kann, dass Beziehungen uns formen oder zumindest beeinflussen, wer wir sind, dann wird das Fehlen dieser grundlegenden täglichen Verbindung mit wilden, nicht-menschlichen Anderen unsere Wahrnehmung verändern von uns selbst, wie wir unsere Rolle in der Welt wahrnehmen und wie wir uns selbst, andere Menschen und diejenigen behandeln, die noch immer wild sind.
Wenn du ein Tier im Zoo siehst, hast du die Kontrolle. Du kannst kommen und du kannst gehen. Das Tier kann das nicht. Es ist dir ausgeliefert, das Tier wird für dich ausgestellt.
In der Wildnis ist das Lebewesen für seine eigenen Zwecke da. Es kann kommen und es kann gehen. Das kannst du auch. Ihr beide könnt dem Anderen so viel von euch zeigen, wie ihr wollt. Es ist ein Treffen auf Augenhöhe.
Und das macht jeden Unterschied in der Welt aus.
Eine der großen Freuden des Lebens fernab der Stadt ist es, meine nichtmenschlichen Nachbarn kennenzulernen – die Pflanzen, Tiere und andere, die hier leben. Obwohl wir uns gelegentlich zufällig getroffen haben, habe ich festgestellt, dass es normalerweise die Tiere sind, die bestimmen, wie und wann sie sich mir zeigen. Die Bären zum Beispiel waren nicht scheu, offenbarten mir sofort ihren Kot und bald darauf ihren Körper, standen auf Hinterbeinen, um schlammige Tatzen auf Fenster zu legen und hineinzuschauen; oder ermöglichten Blicke auf pelzige Hinterteile, die schnell verschwanden, wann immer ich mich auf einem Pfad durch den Wald näherte; oder gingen langsam wie schwarze Geister im tiefen Grau kurz vor der Morgendämmerung. Obwohl ich es gewohnt bin, dass sie so dreist sind, ist es immer ein Geschenk, wenn sie sich zeigen, wie kürzlich, als einer im Teich vor mir schwamm.
Auch Rotkehlchen, Spechte, Kolibris und Phoebetyrannen11 präsentieren sich. Oder vielmehr, wie der Bär, präsentieren sie die Teile von sich selbst, die sie gesehen haben wollen. Ich sehe oft Rotkehlchen und ein paar Mal habe ich Stücke von blauen Eierschalen gesehen, lange, nachdem die Jungen ausgeflogen sind, aber nie habe ich ihre Nester gesehen.
Diese Begegnungen – diese Einführungen – werden manchmal von denen gewählt, die schon lange vor mir auf diesem Land waren: Sie wählen Zeitpunkt, Ort und Dauer unserer Treffen. Wie meine menschlichen Nachbarn und Freunde zeigen sie mir von sich selbst, was sie wollen, wann sie es wollen, wie sie es wollen, und dafür bin ich dankbar. Zu verlangen, dass sie mir mehr zeigen – und das gilt für Nicht-Menschen ebenso wie für Menschen – wäre unverschämt unhöflich. Es würde jedes Potenzial zerstören, das unsere Beziehung einmal hatte. Es wäre nicht gut nachbarschaftlich.
Ich bin mir vollkommen bewusst, dass sogar ein junger Bär mich töten kann. Mir ist auch bewusst, dass der Mensch seit Zehntausenden von Jahren mit Bären und anderen wilden Tieren zusammenlebt. Die Natur ist nicht unheimlich. Sie ist keine Höhle voller Schrecken und Horror. Für fast die gesamte menschliche Existenz war sie Heimat und die wilden Tiere waren unsere Nachbarn.
Derzeit sterben weltweit jährlich mehr als 1 Million Menschen bei Verkehrsunfällen. Allein in den Vereinigten Staaten gibt es etwa zweiundvierzigtausend Verkehrstote pro Jahr. Aber ich habe keine Angst vor Autos – obwohl ich das vielleicht sollte. Weltweit werden jährlich fast 2 Millionen Menschen durch direkte Gewalt von anderen Menschen getötet. Fast 5 Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen des Rauchens. Und wie viele Menschen sterben durch Bären? Etwa alle zwei Jahre einer in ganz Nordamerika.
Wir haben Angst vor den falschen Dingen.
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Ich bin in einem Zoo. Überall sehe ich Konsolen auf kleinen Ständern. Jede Konsole hat ein Cartoon-Design, das sich an Kinder richtet, und jede hat einen Lautsprecher mit einem Knopf. Wenn ich den Knopf drücke, höre ich eine Stimme mit den Singsang: „Alle Tiere im Zoo warten gespannt auf dich.“ Das Lied endet damit, dass die Kinder daran erinnert werden, „bei dem Spaß mitzumachen“.
Ich schaue auf die Betonwände, die verglasten Räume, die Gräben, die Elektrozäune. Ich sehe den Ausdruck auf den Gesichtern der Tiere, so anders als der Ausdruck der wilden Tiere, die ich gesehen habe. Die Selbstgefälligkeit von Zoos und tatsächlich die Selbstgefälligkeit dieser ganzen Kultur, ist, dass all diese „Anderen“ hier für uns platziert wurden, dass sie keine von uns unabhängige Existenz haben, dass die Fische in den Ozeanen dort darauf warten, von uns gefangen zu werden, dass die Bäume in den Wäldern bereitstehen, um von uns gefällt zu werden, dass die Tiere im Zoo da sind, damit wir von ihnen unterhalten werden.
Es mag schmeichelhaft sein zu glauben, dass alles hier ist, um dir zu dienen, aber in der wirklichen Welt, wo es wirkliche Wesen gibt und wirkliche Wesen leiden, ist es narzisstisch und gefährlich so zu tun, als wäre niemand wichtig außer dir.
Manchmal fantasiere ich davon, Zoobefürworter und Zoowärter einzusperren, um sie ihre eigene Medizin kosten zu lassen. Ich würde sie für einen Monat einsperren und dann fragen, ob sie immer noch scharf darauf sind, Witze über den auf- und ab schreitenden Affen zu machen, den sie „Jogger“ nennen. Ich würde sie fragen, ob sie Trauer, Leid, Groll und Heimweh verspüren und ob sie immer noch glauben, dass Tiere keine Freiheit brauchen. Ich würde aber nicht auf ihre Antworten hören, weil ich nichts von ihren Erfahrungen hören möchte. Tatsächlich würde ich nicht glauben, dass diese Zoowärtertiere – denn auch Menschen sind Tiere – die Welt bedeutungsvoll erleben könnten, was bedeutet, dass es eine Projektion meinerseits wäre zu glauben, sie hätten mir etwas zu sagen. In der Tat wäre es eine Projektion meinerseits zu glauben, dass diese Tiere sich wünschen könnten, dass ein bestimmter Zustand bleibt oder sich ändert.
Ich würde die menschlichen Tiere dort in ihren Käfigen lassen und ich würde ihnen diese Fragen in einem Jahr erneut stellen. Während dieser Zeit dürften sie nie mit einem anderen Menschen sprechen, aber sie bekämen Kartons und Papiertüten zum Spielen. Ich denke, dass sie nach zwölf Monaten Gefangenschaft zustimmen würden, dass Tiere Freiheit brauchen. Aber ich würde nicht auf sie hören. Ich würde nicht glauben, dass sie sprechen können. Ich denke, dass sie mir mit der Zeit gar nichts mehr sagen würden; sie würden still in ihren Käfigen herumlaufen – ihren „Lebensräumen“ – sieben Schritte vorwärts gehen, ihre Köpfe senken, sich nach links drehen und wieder zurück.
Es wird oft behauptet, dass eine der wichtigsten positiven Funktionen von Zoos Bildung sei. Das Ende des Standard-Zoo-Buches verwendet gehobene Sprache, um zu erklären, dass, weil die Erde ein Schlachtfeld geworden ist, in dem die Tiere den Krieg verlieren, Zoos wirklich die letzte Hoffnung für geplagte Wildtiere sind. Nur durch die Entfaltung des vollen Potenzials von Zoos für die Bildung werden die Menschen lernen, sich wirklich um Wildtiere zu scheren, sodass der Planet nicht zerstört wird. Wie die Autorin Vicki Croke es ausdrückt, besteht die Herausforderung für Zoos darin, „es den lebendigen, atmenden Tieren zu erlauben, unser Staunen und unsere Ehrfurcht vor der natürlichen Welt zu wecken; uns den Platz dieses Tieres im Kosmos zu lehren und das verwobene und zerbrechliche Netz des Lebens, das es trägt, zu beleuchten; den Millionen von Menschen einen Zugang zum Naturschutz zu geben, die helfen wollen, diesen Planeten und seine wunderbaren Kreaturen zu retten“.
Hast du Leute in Zoos beobachtet? Ich sehe keine Ehrfurcht und kein Staunen in ihren Gesichtern. Stattdessen höre ich Kinder über die Tiere lachen – nicht das süße Geräusch unschuldigen Lachens, sondern die höhnische Art, die man auf dem Schulhof hört: das Lachen über das Unglück eines anderen. Ich sehe Eltern und Kinder über den fetten Orang-Utan kichern, ängstliche Gesichter bei der Schlange machen, den schreitenden Bären ignorieren. Sie kreischen bei den dummen Affen, die sich an die Nase greifen und sie durch das Glas direkt anstarren. Die Kinder lachen und klopfen ans Fenster.
Auch wenn wir die Ansprüche an das Bildungspotential von Zoos für bare Münze nehmen, hat eine Studie nach der anderen gezeigt, dass Zoos bei dieser Aufgabe kläglich scheitern. Eine Zählung von Beobachtungszeiten im Londoner Zoo zeigte, dass die Zuschauer durchschnittlich 46 Sekunden vor dem Affengehege standen. Diese sechsundvierzig Sekunden beinhalteten die Zeit, in der die Informationen über die Tiere gelesen – oder besser gesagt überflogen – wurden. Es überrascht nicht, dass Studien geringe Merkfähigkeit offenbaren: Auch wenn ständige Besucher direkt vor den Tieren im Zoo stehen, scheitern sie immer noch an rudimentären Nomenklaturfragen: Sie nennen Gibbons und Orang-Utans „Affen“; Geier „Bussarde“; Kasuare „Pfauen“; Otter „Biber“; und so weiter.
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Die traditionelle Methode, viele soziale Lebewesen wie Elefanten, Gorillas und Schimpansen zu fangen, war – und ist es in vielen Fällen immer noch – die Mütter zu töten. Die meisten von uns hören nie davon; es ist viel besser zu glauben, dass Zoos Tiere aus der Wildnis retten. Die Wahrheit darüber zu hören, wie Tiere gefangen werden, würde mit der Fantasie kollidieren, dass die eifrigen Ozelots und Elefanten darauf „warten“, uns zu treffen. Zoowärter wissen das. Sie haben es immer gewusst. William Hornaday, Direktor des Bronx-Zoos, schrieb 1902 an Carl Hagenbeck, der von vielen als Vater des modernen zoologischen Gartens und als Tierhändler ein fast unvorstellbares Ausmaß an Ansehen genießt: „Ihr Brief mit den Tatsachen über den Fang der Nashörner hat mich sehr interessiert; aber wir müssen Stillschweigen bewahren darüber, dass etwa vierzig große indische Nashörner bei der Gefangennahme von vier Jungen getötet werden. Sollte das in die Zeitungen kommen, entweder hier oder in London, würden Dinge veröffentlicht, die das ganze Geschäft des Fangens von Wildtieren für Ausstellungen verurteilen.“
Wenn du eine Mutter bist, was würdest du tun, wenn jemand versuchen würde, dein Kind mitzunehmen? Als du ein Kind warst, wie hättest du dich gefühlt, wenn jemand deine Mutter erschossen hätte, damit sie dich zur Schau stellen könnten? Was würdest du fühlen, wenn du sie anstupst, sie schlägst, sie aufwecken willst, damit ihr gemeinsam entkommen könnt, sie aber nicht aufwacht? Was würdest du fühlen, wenn sie dich in einen Käfig sperren würden?
Das sind keine rhetorischen Fragen. Was würdest du tun? Was würdest du fühlen?
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Eines der Dinge, die ich an der westlichen Kultur am wenigsten mag, ist der unhinterfragte Glaube, dass der Mensch „den Tieren“ überlegen und von ihnen grundsätzlich getrennt ist, dass Tiere Tiere sind und dass Menschen keine Tiere sind, dass eine undurchlässige Mauer dazwischen steht. In diesem Konstrukt sind Menschen intelligent. Tiere – damit sind alle Tiere außer Menschen gemeint – sind es nicht, oder wenn sie irgendeine Art von Intelligenz haben, ist sie schwach, rudimentär, gerade ausreichend, um ihnen zu erlauben, sich in ihrer bedeutungslosen physischen Umgebung bedeutungslos zurechtzufinden. Während menschliches Verhalten auf bewussten, rationalen Entscheidungen beruht, legt unsere Kultur nahe, dass das Verhalten der Tiere vollständig vom Instinkt gesteuert wird. Tiere planen nicht, denken nicht. Sie sind im wesentlichen Maschinen aus DNA, Eingeweiden und Fell, Federn oder Schuppen. Menschen empfinden ein weites Spektrum von Emotionen. Tiere angeblich nicht. Sie trauern nicht um den Verlust einer Mutter, der Freiheit, einer Welt. Sie sind nicht traurig. Sie empfinden keine Freude. Sie haben kein Heimweh. Sie fühlen sich nicht gedemütigt.
Diese Kultur denkt, dass das menschliche Leben heilig ist (zumindest manches menschliche Leben ist heilig, aber das Leben der Armen, der nicht-Weißen, der Indigenen und derjenigen, die sich den Wünschen der Machthaber widersetzen, ist nur ein wenig heilig oder manchmal überhaupt nicht heilig), aber das Leben der Tiere ist nicht heilig. Tatsächlich ist die gesamte lebendige Welt nicht heilig.
Menschen sind angeblich die einzigen bedeutungstragenden, die einzigen wertbestimmenden, die einzigen Wesen, die zu moralischem Verhalten fähig sind. Das Leben der Tiere hat keinen We...