Die Polizeiverwaltung der Stadt Glückstadt in der NS-Zeit
Reimer Möller
1933 gehörten zur Gemeindepolizei in Glückstadt, Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein, fünf Beamte und ein Angestellter: die Polizeihauptwachtmeister Hans Fölster56, Emil Glas57, Hugo Hauschildt58, August Meinecke59 und Karl Willer60 sowie der Polizeihilfswachtmeister Wilhelm Meiszus61. Meiszus hatte keine polizeiliche Fachausbildung durchlaufen und wurde als Nachtschutzmann verwendet.
Das polizeiliche Arbeitsgebiet, die Stadt Glückstadt, liegt ca. 45 Kilometer nordwestlich von Hamburg am Ufer der Elbe. 1925 hatte die Stadt 6817 Einwohnerinnen und Einwohner. Größte Arbeitgeber am Ort waren das Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) mit 602 (1930), die Papierfabrik Peter Temming AG mit 142 (1925), die Glückstädter Heringsfischerei AG mit 317 (1927)62 sowie Druckerei und Verlag J. J. Augustin mit 160 Beschäftigten; die Fa. Augustin war auf Satz und Druck von Büchern in nicht lateinischen Schrifttypen spezialisiert und genoss internationales Renommee als Helferin der Sprachwissenschaften.63
Der westliche Teil der Innenstadt war von einer großen nicht gewerblichen Einrichtung bestimmt, der Landesarbeitsanstalt der Provinz Schleswig-Holstein. In dem düsteren, wuchtigen Gebäudekomplex waren 1925 119 Arbeitshausgefangene, Untersuchungsgefangene, entmündigte Trinker, »säumig Nährpflichtige« und »Landhilfsbedürftige« untergebracht; Ende März 1933 waren es 169 und Ende März 1937 435 Insassen.64
Die Beschäftigten des Glückstädter Reichsbahnausbesserungswerks waren zum großen Teil gelernte Facharbeiter in Metallberufen, die den in der Weltwirtschaftskrise unschätzbaren Vorzug genossen, unkündbar zu sein. Sie waren der Rückhalt der Glückstädter Sozialdemokraten, die in den beiden Kommunalwahlen 1919 und 1924 absolute Mehrheiten erreichten und seit 1925 mit Wilhelm Schinkel den Bürgermeister stellten.
Die Papierfabrik Peter Temming und die Glückstädter Heringsfischerei, die viele Ungelernte beschäftigten, gerieten in der Weltwirtschaftskrise in Schwierigkeiten und reagierten mit Entlassungen. Die Glückstädter Heringsfischerei musste 1931 sogar Konkurs anmelden. Die Zahl der Arbeitssuchenden betrug in Glückstadt am 12. Januar 1931 599, am 1. Dezember 1931 769, am 31. Dezember 1932 788 und am 31. Dezember 1933 434.65
Viele Ungelernte und Arbeitslose sahen sich von der KPD politisch gut vertreten, die in der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 in Glückstadt 15,1 % der Stimmen erhielt und damit drittstärkste politische Kraft der Stadt war. Die NSDAP war aus dieser Wahl erstmals als stärkste politische Partei der Stadt hervorgegangen, auf sie entfielen 37,8 % der Stimmen, auf die SPD 37,2 %.
Die Rolle der örtlichen Polizei bei der Sicherung der NS-Herrschaft und der Unterdrückung der Opposition
Sofort nach ihrer Einsetzung begann die Regierung Hitler, ihre Machtposition auszubauen, gegnerische politische Organisationen zu zerschlagen und jegliche oppositionelle Regung zu unterdrücken. Dabei kam dem Polizeiapparat entscheidende Bedeutung zu.
Zwei Tage nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler setzten die Repressionen gegen die KPD und ihre Nebenorganisationen ein.66
Per Funkspruch ordnete der Preußische Innenminister am 1. Februar 1933 das Verbot aller Versammlungen der KPD und ihrer Nebenorganisationen unter freiem Himmel an. Am 2. März 1933 erweiterte der Regierungspräsident im Regierungsbezirk Schleswig dieses Versammlungsverbot auf Veranstaltungen in geschlossenen Räumen, auch wenn sie nur der Mitgliedschaft vorbehalten waren.67 Der Funkspruch des Innenministers wies die Polizei an, »planmäßige Durchsuchung« bei der »KPD-Leitung« und »verdächtigen Funktionären« durchzuführen. Daraufhin wurden in Glückstadt neun Haushalte durchsucht – ohne Ergebnis.68
Am 26. Mai 1933 wurde das »Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens« erlassen, woraufhin die Polizei bei KPD-Mitgliedern Schreibmaschinen und Vervielfältigungsapparate beschlagnahmte.69
Per Funkspruch veranlasste das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin am 9. Mai 1933 die Beschlagnahme des Vermögens der SPD, der sozialdemokratischen Zeitungen und des Reichsbanners. Am 11. Mai 1933 erstattete die Ortspolizeibehörde Bericht. In den Wohnungen führender Sozialdemokraten seien der schriftliche Auflösungsbeschluss der Reichsbanner Ortsgruppe sowie eine Quartalsübersicht über die Mitgliederentwicklung der Glückstädter SPD gefunden worden. Danach hätten 250 der zu Jahresbeginn 1933 eingeschriebenen
300 Mitglieder ihren Austritt erklärt. Die geraden Zahlen legen zwar die Vermutung nahe, dass die Angaben manipuliert waren; für einen tatsächlichen Mitgliederschwund sprach aber, dass die vielen Sozialdemokraten in der Belegschaft des Reichsbahnausbesserungswerks das Bedürfnis gehabt haben werden, ihr parteipolitisches Engagement zu beenden, um nicht ihren Arbeitsplatz in dem Staatsbetrieb zu verlieren. Nach dieser Selbstpreisgabe schuf das eigentliche reichsweite Verbot der SPD vom 22. Juni 1933 keine neue Lage mehr. Zur Durchsetzung des Verbotes durchsuchten die Polizeikräfte die Wohnungen der führenden Sozialdemokraten ein weiteres Mal. Dabei beschlagnahmten sie u. a. Protokolle der Beschlüsse, den Glückstädter SPD-Ortsverein aufzulösen und das Heim des Ortsjugendkartells zu verkaufen.70
Es gingen weitere Funksprüche des Preußischen Innenministeriums, des Geheimen Staatspolizeiamts oder des Polizeipräsidenten von Leipzig ein, in denen Auflösung und Einziehung des Eigentums weiterer Organisationen angeordnet wurde, die von Sozialdemokraten geführt waren, darunter der Arbeiter-Samariterbund, der Arbeiterturn- und Sportverband, der Deutsche Freidenkerverband und die Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde.71
Am 2. Mai 1933 wurden die freien Gewerkschaften zerschlagen. Dazu führte die Glückstädter Polizei Haussuchungen bei Funktionären des Ortskartells des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und bei Kassierern der Einzelgewerkschaften durch und beschlagnahmte Unterlagen und Bargeld.72
Die Eingriffe wurden durch das »Gesetz zur Einziehung staats- und volksfeindlichen Vermögens« vom 16. Juli 1933 nachträglich formal »legalisiert«.