Nachkriegs-Veränderungen
Eine weitere und zahlenmäßig weitaus am häufigsten auftauchende Abwandlung des Torelli-Signets ist mit erkennbarer zeitlicher Verzögerung realisiert worden. Hierbei wurden die flankierenden Buchstaben O. P. im Säulen-Logo ersetzt durch eine mit wenigen stilisierten Strichen angedeutete, aufgehende Sonne. Dies darf rückblickend als Verweis darauf interpretiert werden, dass Otto Peters an den nun folgenden Veränderungen nicht mehr beteiligt war.
Dabei blieben die signifikanten Schriftzüge Torelli Aquarell und Schutzmarke erhalten, wie auch die Standard-Überschrift Handgemalte Postkarte. Hinzu kam der seitliche Aufdruck Torelli Aquarell in schlichter Typografie, also ohne den zu Beginn als gesetzlich geschützt bezeichneten Schriftzug, der auch auf den Signatur-Stempeln auf der Malerei benutzt worden war.
Diese Variation der Herkunftsbezeichnung findet sich auf einer Vielzahl von Karten, von denen acht auf die Jahre zwischen 1920 und 1924 datiert sind. Alle übrigen, welche diese Veränderung aufweisen, dürften ebenfalls nicht oder nicht lange vor 1920 entstanden sein. Alle Karten sind auf der Rückseite vollkommen identisch und ohne kleinste Abweichungen bedruckt, ganz offenbar in höherer Stückzahl als in den Phasen zuvor. Allein dies deutet auf eine anders gelagerte und noch stärker in Richtung Massenproduktion weisende Grundsituation hin. Ab 1920 erlebte die Postkartenindustrie zudem ganz allgemein einen erneuten Aufschwung. Wer in dieser Zeit solche Veränderungen vornahm und also den Verlag der Torelli-Karten verantwortlich leitete, ist nicht erschließbar.
Zwei Beispiele für die Signet-Veränderungen nach dem 1. Weltkrieg
Bei dem hier behandelten konkreten Beispiel handelte es sich um den Versuch, die wahrscheinlich verhältnismäßig gut eingeführte Marke Torelli, vielleicht nach einer kurzen Unterbrechung in den Kriegsjahren, wieder zu beleben – möglicherweise ohne die Rechte inne zu haben oder zumindest zweifelsfrei zu besitzen. Eine kleine grafische Einzelheit kann hier als – zusätzliches – Indiz heran gezogen werden.
Der charakteristisch-geschützte Schriftzug Torelli der Ursprungsmarke findet sich auf diesen späteren Karten nur noch integriert in das Logo mit Säulen und aufgehender Sonne vor. Es handelt sich beim genaueren Hinsehen auch hierbei nicht mehr um den originalen Schriftzug. Bei dem hier realisierten, grafisch sehr ähnlichen Schriftbild ist die Unterstreichungslinie aus dem Wortende in einer Form entwickelt, die auch als Abschlussbuchstabe „e“ gelesen werden kann im Sinne einer Namenserweiterung zu Torrelie.
Die vermutete Massenproduktion dieser Kartenvariation wird bestätigt durch die Beschaffenheit der Malerei auf den Karten als Indiz. Sie unterscheidet sich deutlich von derjenigen der Jahre 1912 bis 1914/15, indem das Serielle, Gröbere, Flächenmäßige klar hervor tritt und die zuvor vorhandenen Feinheiten der zeichnerischen Ausgestaltung vollständig fehlen. Zudem hat sich das Motiv-Repertoire auf dieser Vielzahl von Karten drastisch reduziert. Die Malerei folgt ganz wenigen, in Bezug auf Schlichtheit kaum noch steigerungsfähigen Schemata, und feiner ausgeführte Gegenstände oder Lebewesen im Vordergrund tauchen grundsätzlich nicht mehr auf.
Beispiele für die malerisch vereinfachte, ökonomisch-rationelle und zumeist auf schlichte Schablonierung reduzierte Produktion von Torelli-Karten nach dem 1. Weltkrieg
Solche Karten wirken, auch über Torelli hinaus gehend und die Gesamtproduktion dieser Zeit einbeziehend, nun endgültig eher wie seriell und arbeitsteilig „angestrichen“ als gemalt. Wenige und immer gleiche Konturlinien sind schabloniert vorgefertigt und wurden – in eintönig-gleicher oder zumindest variantenarmer Farbigkeit – flächig gefasst, entweder vorgestrichen oder, dies scheint als Übernahme eines neuen Verfahrens hinzu gekommen zu sein, gespritzt oder besprüht, so dass zuweilen einfache Farbverläufe zustande gekommen sind.
Die – wiederum: immer gleichen – Bäume (zumeist Birken, manchmal Zypressen oder undefinierbare Laubbäume) sind als letzter Arbeitsgang hinzu gefügt, wobei mit dem Pinsel getupft wurde oder kleine Farbschwämme zum Einsatz kamen. Die Beschaffenheit dieser gleichförmig-reduzierten Karten aus den Jahren 1920 bis 1924 legt nahe, dass sie von anderen Personen als zuvor, gegebenenfalls von angelernten Arbeitskräften gefertigt worden sind, vielleicht von Kindern, eher noch von Hilfskräften, denen jeder ästhetische oder handwerkliche Anspruch fremd war. Nicht ausgeschlossen scheint jedoch grundsätzlich auch, dass dasselbe Personal nunmehr unter vehement erhöhtem Zeitdruck tätig sein musste.
Beispiele für die Gleichförmigkeit der meisten Torelli-Karten nach etwa 1920
Noch wichtiger erscheint die Tatsache, dass die nun vorherrschenden plakativen und vollkommen anspruchslosen Motivausführungen zeitgleich auf Hunderten von anderen bemalten Postkarten vorkommen und damit auf ehemals viele Tausend oder gar Hunderttausend solcher Exemplare verweisen. Es liegt sehr nahe, an dieser Stelle auch Zusammenhänge in der Produktion zu vermuten.
Die allermeisten dieser identischen, gleichen oder ähnlichen Karten sind keinem Hersteller zuzuordnen und tragen, wenn überhaupt, häufig bis regelmäßig nur den stereotypen Aufdruck Handgemalte Postkarte. Angesichts der Schlichtheit von Motiv und Ausführung sollte man freilich an dieser Stelle nicht von Plagiaten, sondern eher von leicht realisierbaren Übernahmen und vielfachen standardisierten Nachahmungen sprechen.
Sehr interessant im Hinblick auf diesen Aspekt der Qualität und somit der „eigentlichen“ Produzenten, vor allem ihrer handwerklich-künstlerischen Fähigkeiten, ist eine bislang singuläre Karte von Torelli, die auf der ansonsten unbeschrifteten Rückseite einen recht voluminösen Rundstempel trägt. Dessen Umschrift lautet: Verkaufsgesellschaft für Produkte Deutscher Kriegsbeschädigter – Sitz Leipzig – ges. gesch.. Im Zentrum des Stempels findet sich die kleine Umrisszeichnung eines beinamputierten Kriegsversehrten auf Krücken.
Damit ist diese Karte und mit ihr der spezifische Schriftzug Torelli Aquarell unten links, wie auch weitere Karten bestätigen, der Nachkriegszeit ab 1918 zuzuweisen. Ihre Bildseite zeigt das wohl häufigste Landschaftsmotiv überhaupt in schlichtester, stempel- und schablonenbasierter Ausführung, welches kaum noch zeichnerische Kompetenz und schon gar nicht irgendeine malerische Kreativität voraus setzt. Eine Verbindung dieses Produktes mit den Erzeugnissen ungelernter Kriegsversehrter erscheint von daher durchaus nahe liegend.
Mögliches Indiz für eine Zusammenarbeit des Torelli-Verlages mit der Verkaufsgesellschaft für Produkte Deutscher Kriegsbeschädigter nach 1918
Ob solche Karten wirklich von diesem Personenkreis im Auftrag von Verlagen wie Torelli gefertigt worden sind oder nur als passend an- und weiterverkauft wurden, wird schwer zu entscheiden sein. In jedem Fall kann dieses Beispiel, auch in Verbindung mit motivgleichen Karten ohne Herkunftsbezeichnung, einen guten Beleg für die Entwicklungsgeschichte der handgemalten Karten überhaupt bilden. Bezüglich der Torelli-Produktion kann darüber hinaus eindeutig gesagt werden, dass nur die „besseren“ frühen Karten mit deutlich größerem Variantenreichtum, weniger in der Motivik, sondern mehr in der Ausführung, sowie mit erkennbar höherer künstlerisch-technischer Fertigkeit in der zeichnerischen Binnenstrukturierung die Torelli-Stempel-Signatur auf der Bildseite tragen und die späteren, immer stärker in Richtung unaufwendiger Massenproduktion weisenden durchweg nicht mehr.
Es dürfte nach dem 1. Weltkrieg, so darf zusammen fassend geschlossen werden, zahlreiche Handmalerei-Werkstatten für Postkarten gegeben haben, die auf schlichtestem Niveau – und sicher auch mit schlechtester Bezahlung – für verschiedene Auftraggeber gearbeitet haben.
Die konkrete Geschichte der Torelli-Karten ging freilich noch weiter. Diverse motivisch ähnliche und sogar identische Belegexemplare zeigen auf der Rückseite eine weitere, differierende Form des Herstellernachweises. Der neue Schriftzug Torelli Aquarell, der aber offenbar nur übergangsweise genutzt wurde, lehnt sich grafisch sowohl an die Ursprungsform als auch an das unmittelbare Vorgänger-Logo an, ist jedoch wiederum eigenständig und erkennbar abweichend komponiert, nun ohne grafisches Element als Zusatz. Auch diese Karten sind relativ exakt auf die Jahre um 1921 datierbar. Und zweifelsfrei war nicht mehr Otto Peters hier am Werk, sondern es hatten ganz offenbar weiter reichende Veränderungen stattgefunden.
Zypressen in anonymer Landschaft
Plakativ und geradezu signalhaft in den Vordergrund rückten in motivischer Hinsicht nunmehr die Zypressen – aus einem einfachen Grund. Sie sind mit Hilfe von Stempeln in verschiedener Größe auf allereinfachste Weise in die durch schablonierte Farbflächen vorstrukturierte Landschaft einsetzbar. Dies unterscheidet die Zypressen von allen anderen Bäumen, zumindest graduell auch von den ansonsten so beliebten Birken, denn alle diese setzen einen größeren, variableren Kompositions- und Zeitaufwand voraus sowie auch die Nutzung mehrerer Farben und verschiedener Malutensilien und -hilfsmittel.
Charakteristisch für das gesamte Metier der handgemalten Postkarten mit Landschaftsmotiven ist deren Anonymität: Die Landschaft wird als allgemeines Bedürfnis nach Natur und Idylle bedient, vom Meer bis zum Gebirge, so jedenfalls für den deutschsprachigen Raum. Mitbedient werden dabei sicherlich Heimatsehnsüchte, die...