
- 124 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Über dieses Buch
Das Buch "Plötzlich Lehrer!" beschreibt erste Erfahrungen im Lehreralltag nach dem Referendariat. Im Buch sind einige Tipps für den Alltag nach der Ausbildung zum Lehrer. Während des Referendariats lernt man zwar vieles über den Lehrerberuf, jedoch wird man anschließend ins kalte Wasser geworfen. Plötzlich ist man "fertige" Lehrperson, bekommt eine Klasse, führt Elternabende, ... Vieles von diesen alltäglichen Dingen lernt man nicht im Referendariat. Manches davon wird im Buch aufgegriffen und behandelt.
Häufig gestellte Fragen
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Information
1. Lernen aus neurodidaktischer Sicht
Weit verbreitet war die Theorie des Nürnberger Trichters. Auf den Kopf des Lernenden gesetzt soll er Wissen in unser Gehirn einfließen lassen. Darauf sollen dann Reproduktion und Anwendung folgen. Diese einfache Idee des Lernens entspricht leider nicht der Realität.1 Lernen ist ein komplexer und individueller Vorgang. Jeder Mensch lernt anders. Lernen ist nach wissenschaftlicher Sicht eine Verknüpfung vieler Neuronen. Lernen wir, so entstehen stets neue Verknüpfungen in unserem Gehirn.

Durch Übung entsteht Routine, mit der wir die Inhalte schneller und gezielter abfragen können, heißt, im Gehirn arbeiten die Neuronen effizienter und vernetzter zusammen. Dieses Netzwerk „…beherrscht ganz einfach die richtige Zuordnung aufgrund der richtigen Stärken der Verbindungen zwischen Neuronen. Dieses Können steckt in der Vernetzung der Neuronen und insbesondere in den Stärken der synaptischen Verbindungen zwischen den Neuronen.“ 2
Die Neurodidaktik ist ein noch recht neues Fachgebiet! Sie verknüpft erstmals das bereits bekannte Fachgebiet der Didaktik und den aktuellsten neurologischen Erkenntnissen über Lernprozesse in unserem Gehirn. Kinder sind von Natur aus neugierig, bedeutet also, sie wollen lernen! Unsere Aufgabe als Lehrer ist es ihnen dies zu ermöglichen.
Am besten werden die Emotionen der Kinder angesprochen, denn so lernen sie am effektivsten! Emotionslernen ist neurologisch einfach zu begründen: Das limbische System in unserem Gehirn ist für unsere Emotionen mitverantwortlich. Lernt man also mit Emotionen, so wird das limbische System in unserem Gehirn zusätzlich aktiviert und das Lernen verläuft nachhaltiger. Die verknüpften Emotionen verursachen eine biochemische und strukturelle Umgestaltung der Synapsen.3 Synapsen sind die Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Nervenzellen. Allgemein gilt: Je intensiver der Lernstoff wiederholt wird, desto eher prägt er sich ein, denn damit verknüpfen sich die Nervenzellen auch eher. Doch nicht nur der Input ist wichtig um nachhaltig zu lernen, sondern auch die Pausen dazwischen.
Prof. Dr. Ulrich Herrmann beschreibt lernpsychologische Konsequenzen. Es muss ein optimaler Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung gefunden werden. Lernen wir, so sind wir angespannt, da wir die Informationen aufnehmen und sortieren müssen. In der Entspannungsphase werden diese Informationen dann gespeichert. Als Konsequenz folgt daraus, dass dieses in einem lehrerzentrierten Unterricht kaum möglich ist. Beim sogenannten Frontalunterricht stehen die Schülerinnen und Schüler 45 Minuten unter einer Anspannung. Sie nehmen die Unterrichtsinhalte nur passiv auf. Da sie keine Entspannung finden stören manche Schülerinnen und Schüler im Unterricht.4 Das bedeutet für dich als junger Lehrer, dass du abwechslungsreichen Unterricht anbieten solltest. Natürlich hat der Frontalunterricht auch seine Berechtigung. Wenn der Unterricht mal schnell gehen muss oder wenn eine Klasse noch nicht eigenverantwortlich lernen kann. Aber als Lehrer muss man darauf achten, dass man auch mal größere Erarbeitungsphasen einbaut in denen frei gelernt werden kann. Dies kann im Stationenlernen geschehen oder auch in einer Lerntheke.
Meine persönliche Erfahrung: Eine unruhige Klasse fiel im Frontalunterricht negativ durch viele Unterrichtsstörungen auf. Immer war irgendwo Geschwätz oder Zwischenrufe im Unterricht. Ich dachte mir: mit dieser Klasse kannst du nie ein Stationenlernen durchführen, wie sind die erst dann drauf. Eines Tages wagte ich es trotzdem. Und siehe da, die Klasse arbeitete konzentriert an den einzelnen Stationen und es war angenehm ruhig. Ich schloss daraus, dass diese Klasse sich mit dem Unterrichtsinhalt viel besser alleine und im Austausch mit Mitschülern auseinandersetzen konnte anstatt mit einer Anleitung frontal von mir. Dies unterstützt die Ergebnisse von Prof. Dr. Ulrich Herrmann.
Das Gehirn arbeitet besser, wenn die Lernumgebung ebenfalls ansprechend gestaltet ist. Das bedeutet, im Biologieunterricht sollte nicht nur der Regenwurm per Text und Bild behandelt werden. Die Schülerinnen und Schüler sollten die Möglichkeit haben einen lebendigen Regenwurm anzufassen.
Auch an diesem Beispiel ist das Lernen mit Emotionen erkennbar. Die Schülerinnen und Schüler fassen den Regenwurm an, egal ob Ekel oder Freude vorherrscht und verknüpfen den ausliegenden Sachtext mit dem Gefühl einen Regenwurm direkt in der Hand beobachten zu können. So wird der Inhalt mit den Emotionen verknüpft und das Lernen ist nachhaltiger als das Lernen nur vom reinen Sachtext aus.
Allein jeder Biologie begreift an dieser Stelle wie komplex unser Gehirn und seine Lernprozesse sind. Als Lehrer sollte man zumindest die Grundlagen der Neurodidaktik verstehen. Denn ein Automechaniker muss auch wissen wie ein Auto funktioniert bevor er daran rumschraubt. Wie soll also ein Lehrer einem Kind etwas beibringen, wenn er nicht weiß, wie das Gehirn lernt? Wer sich weiter mit diesem Thema auseinandersetzen will, dem empfehle ich folgende Literatur:
- Herrmann, Ulrich (2009). Neurodidaktik-Grundlagen und Vorschläge für ein gehirngerechtes Lehren und Lernen. Beltz Verlag. Weinheim und Basel
- Spitzer, Manfred (2006). Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Spektrum Akademischer Verlag. Heidelberg/Berlin
- Caspary, Ralf Hrsg. (2006). Lernen und Gehirn: Der Weg zu einer neuen Pädagogik. Herder Verlag. Freiburg
1 (Spitzer, 2007), S. 1
2 (Spitzer, 2007), S. 55
3 (Braun, 2009), S. 134
4 (Herrmann, Gehirnforschung und die neurodidaktische Revision schulisch organisierten Lehrens und Lernen, 2009), S. 151
2. Innere Differenzierung und ihre Anwendung
Wolfgang Mattes definiert die innere Differenzierung wie folgt: „Darunter versteht man die Gesamtheit aller Maßnahmen, die im Unterricht zu einer Individualisierung des Lernens führen. Grundlage … ist die Subjektivität aller Lernprozesse.“ 5

Bereits in der Universität lernt man den Begriff der Differenzierung kennen. Man unterscheidet zwischen innerer und äußeren Differenzierung.
Als äußere Differenzierung bezeichnet man die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler in Schulformen, Kurse und Klassen. Doch über diese ‚Selektion‘ wird nach wie vor diskutiert. Ziel der äußeren Differenzierung ist es, leistungshomogenere Klassen / Kurse / Lerngruppen zu erhalten.6
Die für uns Lehrer interessantere Differenzierungsart ist aber die innere Differenzierung. Diese spielt sich nämlich im Unterricht selbst ab und diese können wir gezielt im Unterricht einplanen!
Ziel der inneren Differenzierung ist es aber nicht Homogenität im Leistungsstand seitens der Schülerinnen und Schüler zu erzeugen, sondern den Unterricht für die Schülerinnen und Schüler zu individualisieren.7 Das heißt für den Alltag: Jeder Lerner verfügt über andere Vorkenntnisse über die Unterrichtsinhalte, jeder Lerner verfügt über andere Lernfähigkeiten bzgl. Lerntempo, andere Interessen und natürlich auch andere Lerntypen. Auch dies sollte einem jungen Lehrer nicht ganz neu erscheinen. Diesen individuellen Unterschieden sollte jeder Lehrer gerecht werden, es zumindest versuchen. Unterricht kann natürlich nicht zu 100% individuell ablaufen, denn dann nennt man es Nachhilfe. Unterricht ist für eine Lerngruppe geplant und wird auch in dieser durchgeführt. Doch kann man verschiedene Phasen des Unterrichts bzw. einer Unterrichtssequenz individueller gestalten. Beispielsweise kann man mit einer Klasse zusammen in das Thema „Insekten“ einsteigen, anschließend aber eine innere Differenzierung durch verschiedene Niveaus in den Arbeitsblättern erreichen (Differenzierung nach Leistungsniveau).

Es gibt aber Situationen im alltäglichen Unterricht die differenzierend wirken, uns aber nicht so bewusst sind. Eine Partner- oder Gruppenarbeit ist ebenfalls eine Methode der inneren Differenzierung. Denn immer, wenn Schülerinnen und Schüler kooperativ Arbeitsaufträge bearbeiten, so tauschen sie ihre Gedanken aus. Das bedeutet, dass in solch einer kooperativen Konstellation Ideen und Lösungsansätze, auf verschiedenen Leistungsniveaus, mit individuellem Vorwissen ausgetauscht wird. Durch diesen Austausch findet automatisch ein Lernprozess statt, fachlich, aber auch sozial-kommunikativ. Fachliche Lernzuwächse sind, denke ich, logisch für jedermann. Tausche ich mich mit anderen Personen über ein bestimmtes Thema aus, lerne ich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit etwas hinzu. Denn entweder ich weiß etwas und lehre andere etwas oder ich werde belehrt, wenn jemand mehr weiß als ich. Der sozial-kommunikative Aspekt ist wichtiger denn je. Lange Zeit wurde, meiner Meinung nach, zu sehr auf die Vermittlung von Fachwissen Wert gelegt, die anderen Kompetenzen sind unter den Tisch gefallen. Damit möchte ich nicht die Vermittlung von Fachwissen im Unterricht herunterstufen oder gar als Sekundärziel markieren. Es ist und bleibt das Primärziel des Unterrichts. Heutzutage versuche ich in meinem Unterricht, egal in welchem Fach, natürlich das Fachwissen zu vermitteln, jedoch setze ich auch auf die sozial-kommunikative Kompetenz.
Ein Beispiel aus meinem Biologieunterricht:
In fast jedem Themengebiet von der Klassenstufe 7 bis 10 setze ich als Sicherung des Ergebnisses auf Schülerpräsentationen, egal ob die Erarbeitungsphase in Partner-, Gruppenarbeit oder auch im Stationenlernen stattfand. So erreicht man ohne viel Anstrengung beide Ziele, denn es erfolgt ein Austausch untereinander in der Erarbeitungsphase (Differenzierung I) wie eben erwähnt und anschließend durch die Präsentation in der Sicherungssphase (Differenzierung II). In der Präsentation vollziehen die Schülerinnen und Schüler einen Rollenwechsel. Sie wechseln vom Lerner zum Experten und erklären so dem Plenum das fachliche Themengebiet. Gleichzeitig wenden sie aber sozial-kommunikative Elemente an, so z.B. das freie Sprechen, das Sprechen vor Publikum, auf Publikumsfragen eingehen oder auch Selbstevaluation am Ende des Vortrages. Abschließend kann man sagen, dass die fachliche Kompetenz von den Säulen der sozial-kommunikativen Kompetenz getragen wird.
2.1 Geschlossene und offene Differenzierung
Die innere Differenzierung kann man auf zweierlei Weisen aufschlüsseln...
Inhaltsverzeichnis
- Widmung
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Einleitung
- 1. Lernen aus neurodidaktischer Sicht
- 2. Innere Differenzierung und ihre Anwendung
- 3. Arbeitsblätter und Arbeitsaufträge erstellen
- 4. Plötzlich Klassenlehrer
- 5. Unterrichtsstörungen gehören zum Alltag
- 6. Kriterien sind Leitplanken für alle
- 7. Neue Medien: Der Jugendmedienschutz
- 8. Zusammenfassung
- Literaturverzeichnis
- Hinweise
- Impressum