Tausend Zeichen
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Tausend Zeichen

Dies und das und überhaupt

  1. 196 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Tausend Zeichen

Dies und das und überhaupt

Über dieses Buch

Tausend Zeichen schleust das wunderbar verrückte Leben Tag für Tag in unser Gehirn. Je tausend Zeichen, höchstens, ist der Umfang der hier gesammelten Notizen der Autorin Angelika Waldis. In lustvoller Kürze, 330-mal, hat sie Bestürzendes, Liebenswertes und Absurdes aus dem sogenannten Alltag festgehalten.Sanfte und böse kleine Lektüren!"Die geglückte Balance der unterschiedlichen Regungen sorgt für eine wunderbar leichte Lektüre und den ganz eigenen Ton des Textes."Neue Zürcher Zeitung (zum Roman "Aufräumen")"Angelika Waldis hat ein ausgezeichnetes Einfühlungsvermögen und weiß schon fast erschreckend genau, wie Menschen ticken."books (zum Roman "Marktplatz der Heimlichkeiten")"Wie hinreißend mischt sich Traum und Realität, Leben und Tod, Gleichgültigkeit und Liebe! Wie leicht wird das Schwere erzählt!"Sächsische Zeitung (zum Roman "Die geheimen Leben der Schneiderin")

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Information

Jahr
2017
ISBN drucken
9783743182776
eBook-ISBN:
9783743183407
Auflage
1
Thema
Art

31. Dezember 2016

Sie dachte, er käme. Er kam nicht, sie litt, sie vergaß. Ein anderer kam, sie dachte zu lieben. Die Jahre kamen, sie dachte zu hassen. Es gab Krieg, es gab Flucht. Ende 2016 kam er doch, sie schrie und verzieh. Sie dachte, er bliebe. Aber er verschwand. Ein Roman in acht Sätzen statt auf achthundert Seiten, bestückt mit drei Protagonisten sowie mit Gedanken und Emotionen und Spannung und Erotik und Gegenwartsbezug. Was will man mehr? Vielleicht bei den Satzzeichen eingestreut ein bisschen Pferdegeruch oder Lavendelduft? Bitte rubbeln.

26. Dezember 2016

In diesen positiv beladenen und mit Glückwünschen, Geschenken und Gaumenfreuden überschäumenden Feiertagen denke ich mir, ein paar ausgleichende Festtage im Jahreslauf täten wohl. Zum Beispiel im April: allgemeiner Lügentag. In Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und quer durchs gemeine Volk muss öffentlich gelogen werden, dass es kracht – und ohne Berichtigung. Im Juli: 24-Stunden-Hungerfestival. Im September: europäischer Schimpf- und Fluchtag. Mündlich und schriftlich und in sämtlichen Medien. Im November: Selige Unkaufswoche. Jegliche Käufe sind untersagt, von saudischem Öl bis zu norwegischen Wollsocken. Über einen Dispens von den vier neuen Feierlichkeiten entscheiden die sieben Zwerge unter dem Vorsitz von Rumpelstilz.

25. Dezember 2016

Weil in den engen Kurven bergab das Tram immer quietscht, verstehe ich vom Gespräch der beiden Frauen nur ein paar Fetzen. »… Mutter«. Und noch einmal: »… Mutter.« »Wann?« »Vor einem halben Jahr.« Tram in Kurve. »Es geht auch ohne, ganz klar, aber du spürst schon, dass sie weg ist.« »Braucht Zeit, hä?« »Du sagst es. Manchmal vergess ich total, dass ich keine mehr habe, und dann wieder spür ich plötzlich dieses Ziehen.« Tram in Kurve. »Braucht Zeit, oder?« »Ich sag dir eins: So zu bluten wie eine Sau, das ist das Letzte. Jetzt darf ich dann wieder Velo fahren, endlich.« Tram in Kurve. »Nein, Kari will sowieso keine Kinder. Was soll ich also mit einer Gebärmutter.« Tram hält an.

18. Dezember 2016

Wieder mal im Zug nach Luzern, wieder mal am Rotsee vorbei, diesmal schimmert er tiefdunkel unter einem Nebelschleier, die Uferbäume liegen zur Hälfte im Wasser, schwarz, kahl, und flugs geistert die Dichterin Droste-Hülshoff herbei, mit ihren Versen vom Knaben im Moor: O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehn,/wenn es wimmelt vom Heiderauche,/sich wie Phantome die Dünste drehn/ und die Ranke häkelt am Strauche … Die Reisende neben mir studiert in der Gratiszeitung die Angebote des Tages, Rollschinken, Frühtulpen, Herrensocken, und knabbert an einem Daumennagel. Als ich ein Kind war, ging die Familie hier auf den Sonntagsausflug. Zuerst mit dem Fährmann über den See, ihm fehlte eine Hand, er hielt das Ruder mit einem eisernen Haken, dann vorbei am Frauengefängnis, eine weiße Flagge auf dem Dach bedeutete, dass gerade niemand eingesperrt war, dann weiter über die sanften Hügel und durch die Obstbaumwiesen.

17. Dezember 2016

Draußen ist es zwei Grad über null, der Garten ist raureifweiß, die Katz sitzt drinnen am Fenster mit Blick aufs Vogelhaus. Dort ist ein Hin und Her, ein An- und Abflug, ein Flattern und Flüchten. Die ganze Vogelmeute wäre beste Katzenbeute, außer Elster, Specht und Eichelhäher, die wären eine Nummer zu groß. Die Katz sitzt reglos, nur die Schwanzspitze zittert. Kohl-, Blau- und Schwanzmeise, Spatz, Kleiber, Buchfink und Amsel, Amsel, Amsel. Bös irritierende Wesen, die können, was die Katz nicht kann: fliegen. Sie schaut und schaut, die kleine Masochistin. So wär’s, wenn man mich an eine Sushi-Bar setzte, die Hände auf den Rücken gebunden, und auf dem Laufband zögen Teller um Teller mit Köstlichkeiten an mir vorbei. Ich hol der Katz jetzt was Leckeres aus dem Kühlschrank.

15. Dezember 2015

Morgen fahre ich ins Tessin an eine Abschiedsfeier. Ein Mann hat sich umgebracht. Er hat einen Text hinterlassen, der an der Feier vorgelesen werden soll. Und er hat einen Schock hinterlassen bei denen, die ihn liebten, die ihn mochten. Er muss gewusst haben, dass man ihm diesen Schock schwer verzeiht, aber es blieb ihm wohl keine andere Wahl. Ich habe ihn nicht so gut gekannt, dass ich trauern müsste. Es gab ein paar gute Gespräche, ein paar fröhliche Tafelrunden, ein paar Familienbilder. Auch wenn wir uns einige Mal umarmt hatten, kannte ich ihn eigentlich nur von weitem. Er war ein schöner, freundlicher, gescheiter Mensch. Gesund, soviel ich weiß. Als er sich erschoss, war er fünfundachtzig Jahre alt. Wunsch: Dieser Todesschatten lege sich nicht für immer auf der Erinnerung nieder.

10. Dezember 2016

Weiß nicht, welche Google-Welle mich auf die Website von BIID geschwemmt hat. Weiß nur, dass ich um ein Unverständnis reicher bin. BIID ist ein Akronym von Body Integrity Identity Disorder. Wer an BIID leidet, will zum Beispiel sein Bein amputiert haben, denn sein Hirn will das Bein nicht anerkennen. Er denkt an nichts mehr anderes als an Amputation. Aber die Ärzte weigern sich, das Bein ist ja gesund. Also klappt er in der Freizeit das Bein hoch, bindet es an den Oberschenkel, geht mit einer Krücke spazieren und ist dann einigermaßen glücklich. Auf dem Forum der Website tauschen sich die »BIIDler« aus, über den Leidensdruck, die Scham, über die Höhe der Amputationsstelle, über das Glück, einen Stumpf anzufassen … Weltweit soll es mehrere Tausend Betroffene geben – meistens Männer –, die einen Körperteil weghaben wollen, meistens das linke Bein. Fassungslos schaue ich beim Tippen auf meine Finger. Ich möchte zum Glück keinen loshaben.

9. Dezember 2016

»Ihalootepuloovl!«, singt ein kleines Mädchen und tanzt an der Kasse des Autobahn-Cafés vorbei. Tanzt um die Tische. Freude, kleiner Götterfunken, Tochter aus Elysium (Schiller, bisschen umgetextet). »Ihalootepuloovl!« Ich habe einen roten Pullover, heißt das, und wer es nicht versteht, kann es sehen: Der kleine Götterfunken trägt einen roten Pullover. »Ihalootepuloovl!« Dass man sich so über einen roten Pullover freuen kann. Sogar deswegen tanzen muss! Das steckt an. Auf der Weiterfahrt im Auto fangen wir an zu singen: »Ihalootepuloovl!«

27. November 2016

Heute Morgen ist der Nebel bis auf den Waldboden gesunken. Die Baumkronen waren umhüllt, die Stämme verschleiert, sie waren zu erahnen, Herden von Giraffengeistern. Der Nebel war so dicht, dass ich meinte, beim Vorwärtsgehen sein Gewicht zu spüren, zum Glück war der Weg noch sichtbar, ich konnte meine Füße an frischen Pferdeäpfeln vorbeisteuern, die dampften noch, was für ein Grau-in-Grau-Gemälde. Es war genau die Stimmung, in der man die Erscheinung eines Einhorns oder eines weißen Hirschs erwarten könnte, und da brach auch tatsächlich etwas aus dem Gebüsch, gelbschwarz, groß, eine Riesenhummel, die vor dem Winter noch kein passendes Erdloch gefunden hat, ein Jogger war’s. Ganz kurz wurde ich von seinem unfrohen Blick gestreift.

25. November 2016

Les sanglots longs des violons de l’automne … Das schöne Verlaine-Gedicht habe ich mir als Schülerin ins Hirn geschrieben, ich kann es noch immer. …blessent mon coeur d’une langueur monotone … Hip Dent, ruft das Hirn dazwischen. Tout suffocant et blême, quand sonne l’heure … Hip Dent! Hip Dent! ruft das Hirn wieder. Was soll das? Ich schaue im Internet nach und erfahre: Hip Dent ist eine feine Einbuchtung zwischen dem Ende des Oberschenkelknochens und der Hüfte, und Models mit Hip Dent sind zurzeit besonders begehrt. Richtig, das habe ich vor Kurzem in einer Zeitung gelesen und, so scheint es, im Hirn direkt neben Verlaine gespeichert. … je me souviens des jours anciens et je pleure … Hip Dent. Et je m’en vais au vent mauvais qui m’emporte deça, delà, pareil à la feuille morte. Hip Dent. Hip Dent. Hüft-Delle. Hip Dent. Bitte, liebes Hirn, könntest du vielleicht das Gedicht stehen lassen und Hip Dent löschen? So sorry, Mister Verlaine.

13. November 2016

Heute ist der Dreizehnte. Wem die Dreizehn Angst macht, ist ein Triskaidekaphobiker, hat jeden Monat ein-mal Bauchschmerzen wie die Frau vorm Eisprung. Die Gemeinde Benken SG wollte auch dieses Jahr einen Wirtschaftspreis für lokale Unternehmer verleihen, aber der Preisträger lehnte ab – es wäre die 13. Ausgabe des Preises gewesen. Es ist furchtbar, woran der Mensch leiden kann, will oder muss, die Zahl der Phobien ist unbegrenzt. Der Erste hat Panik bei der Dreizehn, der Zweite kann keine Triskaidekaphobiker aushalten, der Dritte hat Angst vor Phobien, dem Vierten reicht ein Spinnchen … und so weiter … und der Dreizehnte hat Angst vor sich selbst. Der Allmächtige hat bei der Erschaffung der Welt zu jedem erdenklichen Ding noch einen phobischen Schatten geschaffen. Es ging grad in einem.

12. November 2016

Ich muss einen steinigen steilen Hang runterklettern, schwierig, aber da seh ich gelbe Geländer im Fels, kann mich festhalten und schaff es nach unten, so wie der vor mir, mein Ehemann? Jetzt sind wir die Bekannte los, die wir loshaben wollten. Nein, sie ruft von oben: Wartet, ich komme auch. Ein blöder Traum mehr, denk ich, als ich erwache. Und zum ersten Mal fällt mir ein: Bestimmt komme ich auch vor in den Träumen anderer. Die klettern mir an gelben Geländern davon, und weiß der Teufel, in was für abstruse Geschichten sie mich im Traum verwickeln. Ich bin darin eine Figur, die man ungefragt verwenden kann. Eigentlich ein recht unangenehmer Gedanke.

10. November 2016

Schadenfreude ist eine tiefgehende Freude. Schade, dass man sie nicht zeigen darf. Es ist eine unkorrekte Freude, vielleicht wollen sie die Englischsprechenden deshalb nicht in ihrem Wortschatz: Im Cambridge Advanced Learner‘s Dictionary wird Schadenfreude mit »Schadenfreude« übersetzt. Muss man deutsch denken, um sich so richtig hässlich zu freuen? Auch »Weltschmerz« und »Wanderlust« haben es ins Englische geschafft. Auch »Doppelgänger« und »Poltergeist«. Bei solchen Transaktionen könnte man fast denken, es gebe typisch deutsch Gedachtes und typisch deutsch Gefühltes. Das wäre aber ein Trugschluss – und der heißt auf Englisch anders.

9. November 2016

Breaking News aus den USA: Es gibt keine demokratische Präsidentin! Der republikanische Horrorclown hat gewonnen! Was für ein Hohn. Was für ein Sturz aus der Zuversicht. Good old Hoffnung wurde der Schädel gespalten. Das macht traurig, und Angst macht es auch. Was wird der unberechenbare Trumpator mit seinem Land anstellen? Und was mit dem Rest der Welt, also mit uns? Dieser schwarze neunte November hat bereits ein Kürzel: Eleven/Nine – in Anlehnung an die Tragödie von Nine/Eleven.

7. November 2016

Ein altes Büchlein ist mir in die Hände geraten – Max Bolliger, Gedichte, 1953. Ich muss so fünfzehn Jahre alt gewesen sein, als ich meiner Mutter aus dem Büchlein das Inhaltsverzeichnis vorlas und so tat, als sei es ein Gedicht. Sie hörte andächtig zu, stutzte ein wenig. Als ich laut herauslachte, lachte sie erleichtert mit. Ach, Mutter, ich würd’s dir gern noch mal vorlesen:
Hände
Einer traurigen Frau
Auch das ist gut
März
Ganz ohne Schwere
Kleiner Vogel
Meiner Mutter träumte
Du gehst vorbei
Wie von weit
Vorherbst
Auf dem Hügel
Zu einer Bienenwachskerze
Freude

23. Oktober 2016

Der Schriftsteller Julian Barnes (mag ihn sehr!) spricht in einem Zeitungsinterview vom Unbehagen bei Lesungen. Er zitiert Philip Larkin (viel gewürdigter englischer Poet, hab’s gegoogelt!), der Lesungen nicht mochte und sagte: »I don’t want to go around pretending to be me.« Wie schön ist das umschrieben, dieses unangenehme Gefühl, ich müsse mich so darstellen, wie die anderen mich zu sehen glauben. So zu tun, als sei ich ich. Vielen Dank, Mister Larkin, Ihre Bemerkung tut wohl. Hilft mir auch durch lästige philosophische Gespräche über das Finden des Ichs. Ich hab’s nämlich gar nie gesucht.

15. Oktober 2016

Wir stürzten immer tiefer in die Kauforgie, der Einkaufswagen war schon randvoll, Stockfisch, Feigen, Socken, Oliven, Teller, Käse, Pullover, Birnen, Besen, Mandeltorte, alles durcheinander. Der Gigasupermercato gleich jenseits der Grenze war neu für uns, und da wir doch schon mal hier waren, wo es alles gab, was Herz, Gaumen und Augen begehrten, griffen wir zu, schon fast berauscht. Aktion, Aktion! Vor dem Joghurt-Regal war ich aufs Mal stocknüchtern. Zwei Stück hätte ich kaufen wollen, jedoch war das Regal gewiss acht Meter lang und sechs Tablare hoch und präsentierte eine schon fast obszöne Masse von Joghurtsorten, Joghurtgrößen, Joghurttypen. Zu viel des ach so Guten. Ich verließ den Tempel des heiligen Aktionius, holte draußen tief Luft und stellte befriedigt fest, dass ich diese nicht kaufen musste.

14. Oktober 2016

Beim Kastaniensuchen im Tessin kam mir ein Mann entgegen und verschwand abrupt seitwärts zwischen den Bäumen, so als wollte er nicht gesehen werden. Es regnete, ich kletterte den Pfad hoch und bückte mich mal da, mal dort nach einer extragroßen Frucht. Besonders ergiebig war ein mächtiger Baum am Waldrand, hier hatte noch niemand gesammelt, alle Läden des Ferienhauses dahinter waren verschlossen, keiner da. Doch, da war wieder dieser Mann, er kehrte hastig um, als er mich sah, so als hätte er etwas vergessen. Vielleicht ein Flüchtling, dachte ich, ist über die nahe Grenze gekommen und hat in dem Haus einen heimlichen Unterschlupf gefunden. Vielleicht saß eine ganze Gruppe dort drin, rauchte und fror und öffnete Konservendosen. Wenn es so wäre, ich würde sie nicht verraten, dachte ich. Der Mann hatte eher dunkel ausgesehen, wie etwa ein Pakistaner. Oder wie ein Tessiner, so fiel mir plötzlich ein. Alte Eselin, dachte ich, packte Sack und Hirngespinste und machte mich auf den Heimweg.

10. Oktober 2016

Nächsten Monat ist Präsidentschaftswahl in den USA. Kandidat Trump ist derart unmöglich, dass wohl Kandidatin Clinton gewinnt. Und damit ist dann der mächtigste Mensch der Welt eine Frau. Seit Tausenden von Jahren waren Männer an der Macht, sagten, was Frauen durften, sei’s im Staat, sei’s in der Religion, in nomine Domini. Die Frau war ja lediglich ein Geschöpf aus Adams Rippe. Oder, wie Schopenhauer schrieb: »… eine Art Mittelstufe zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist.« Oder wie Aristoteles sagte: »Das Weibchen ist ein verkrüppeltes Männchen.« Und jetzt – so sieht’s aus – wird so eine Art Mittelstufe bzw. ein verkrüppeltes Männchen demnächst Chefin der Vereinigten Staaten und Tonangeberin der Welt! Herrgott, was sagst du dazu?

9. Oktober 2016

Das Hirn meines Gegenübers mit nichts als meiner Denkkraft manipulieren – das geht nicht. Ich hoffe, dass es nie gehen wird. Denn würde es gehen, könnte mein Gegenüber dasselbe mit mir tun, was für eine Horrorvorstellung. Im Swiss Cybathlon Race der ETH Zürich steuerten gestern halsabwärts komplett gelähmte Menschen kleine Figürchen – Avatare – durch ein Computerspiel. Sie ließen sie springen, tanzen, rutschen, mit Hilfe ihrer Gedanken und einer Gehirn-Computer-Schnittstelle, die ihre Gedanken las. Es war so großartig wie unheimlich. Die Technologie wird weiterentwickelt werden. Irgendwann wird man mit Gedankensteuerung Roboter aktivieren können. Es ist mir irgendwie recht, dass ich das nicht mehr erleben werde.

7. Oktober 2016

In Deutschland hat jedes fünfte Kind zwischen drei und sieben Jahren eine psychische Störung. Sagt das Robert-Koch-Institut in Berlin. Was soll ich daraus schließen? Ich entscheide mich mal dafür: In Deutschland sind vier von fünf Kindern zwischen drei und sieben Jahren langweilig, fad, durchschnittlich, angepasst, einfallsarm, farblos, uninteressant, mittelmäß...

Inhaltsverzeichnis

  1. Tausend Zeichen
  2. Über die Autorin
  3. Widmung
  4. Textbeginn
  5. Angelika Waldis
  6. Impressum