1 Theoretische Grundlagen
1.1 Feuchteproblematik von Anstrichsystemen bei Stuckfassaden
In vielen Städten wird das Stadtbild, insbesondere das des Stadtkerns, von Stuckfassaden geprägt. Ein kleiner Teil davon stammt noch aus der Renaissance, aus dem Barock und aus dem Klassizismus. Der größte Bestand rührt aus der Zeit des Historismus (ca. 1830-1918) und des Jugendstils (ca. 1890-1910). Eine genaue Zahl liegt leider nicht vor. Es gibt nur Vergleichszahlen. So gibt es in Deutschland rund 2 Millionen Fachwerkhäuser und rund 1 Millionen Denkmäler (zu denen natürlich auch Fachwerkhäuser und Stuckfassaden gehören). Laut Statistischem Bundesamt wurden deutschlandweit 5,828 Mio. Wohnungen (14,8%) vor 1918 gebaut [1], so dass maximal genauso viele Wohnfassaden mit Stuck versehen sein könnten; was aber natürlich zu hoch gegriffen ist, da vor 1918 auch viele schmucklose Arbeiter- und Siedlungswohnbauten entstanden sind und umgekehrt viele Stuckfassaden im Zuge von Kriegszerstörungen und Modernisierungen ihren Bauschmuck verloren. Wie auch immer, die Gebäudeanzahl geht in die Millionen und ist immer noch ein nicht unerheblicher Markt.
Bild 1: Stuckfassaden in Wismar
Bild 2: Stuckfassaden in Düsseldorf
Gleichwohl ist das Thema „Anstrichsysteme bei Stuckfassaden“ nicht gerade Gegenstand der Forschungsliteratur. [2] Auch wenn es noch Millionen Stuckfassaden gibt, so werden sie heute nicht mehr gebaut, so dass wir es nur noch mit Auslaufmodellen aus vergangenen Kulturepochen zu tun haben. Des Weiteren sind Fassadenfarben schon von ihrer Definition her „Beschichtungen, die an senkrechten Außenflächen Anwendung finden.“ [3] Sie sind gar nicht für geneigte und waagerechte Flächen vorgesehen, so dass es überflüssig erscheinen mag, sie mit diesen besonders gefährdeten Flächen in Verbindung zu bringen. Viele Hersteller von modernen Fassadenfarben machen in ihren technischen Merkblättern ausdrücklich darauf aufmerksam, dass ihr Produkt für „horizontale und geneigte Flächen mit Bewitterung“ nicht geeignet ist. [4]
Nun gibt es aber die Stuckfassaden. Und diese haben mit ihrer Bauplastik, den Gesimsen, Profilierungen, Lisenen, Kartuschen, Balustraden, Ornamenten, Dreiecks- und Segmentgiebeln usf. auch dementsprechend horizontale und geneigte Flächen. Und natürlich werden sie auch gestrichen und zwar mit jenen Fassadenfarben, die dafür eigentlich nicht geeignet sind. Aus Erfahrung wissen wir, dass das Ganze unterschiedlich gut funktioniert. Entscheidend ist immer, wie sehr die Stuckfassaden vor Feuchtigkeit geschützt sind.
Als Stuckmörtel im Außenbereich werden zementhaltige / hydraulische Mörtel verwendet, die grundsätzlich einen guten Witterungsschutz haben. Ein Rezept für ein Stuckmörtel wäre z.B.: 1 Teil Portlandzement, 1 Teil hochhydraulischer Kalk und 6 Teile Rheinsand 0-4 mm. Da der Mörtel ein hohes Eigengewicht hat, entstand ausladender Stuck aus der Konstruktion heraus, indem Ziegel- oder Bimssteine als tragender Kern vorgemauert wurden. Eine seltene Alternative sind Rabitz-Konstruktionen mit Rundeisen und Drahtgeflecht. Der Stuck wurde entweder frei angetragen und modelliert oder mit Schablonen mit oder ohne Vormauerungen gezogen oder in Formen gegossen und als vorgefertigtes Element mit Klebemörtel und Nägeln bzw. Schrauben befestigt. [5]
Hauptreklamation bei Stuck sind Rissbildungen durch Temperaturdehnungen. Der zementhaltige Mörtel ist zwar sehr wasserabweisend, aber wenig elastisch. Es entstehen feine Risse, in denen Feuchte eindringen und schlecht herauskommen kann, so dass sich hier Staunässe bilden kann. Im schlimmsten, nicht seltenen Fall korrodieren darunter liegende Eisenträger, die vor 100 Jahren noch keinen Korrosionsschutz erfuhren. Es kommt zur Volumenvergrößerung und Putzabsprengung (vgl. Beispiel aus der Malerpraxis 5.3.6).
Ein anderes Problem ist ein mangelhafter Wasserablauf. Es kommt immer wieder vor, dass das Wasser auf Profilierungen durch Planungs- oder Ausführungsfehler schlecht ablaufen kann. Das ist z.B. bei mangelndem Gefälle der Fall, wenn Profilabschlüsse waagerecht statt geneigt sind, ferner bei mangelndem Überstand, bei fehlender Abrundung, bei fehlender Tropfkante oder bei falsch profilierten Gesimsen, die das Wasser nach innen statt nach außen tragen. Problematisch sind auch zu raue Putzoberflächen, bei denen das Wasser nicht ablaufen kann. Wenn hier seitens des Stuckateurs Versäumnisse vorliegen, kann der Maler mit seiner Fassadenfarbe kaum noch etwas ausrichten.
Bild 3: Wasserablauf falsch und richtig (Neigung, Überstand, Abrundung, Tropfkante)
Doch auch wenn der Stuckateur alles richtig gemacht hat, bleibt die hohe Anfälligkeit gegenüber Schmutzablagerungen und Wasser bestehen. Der Grund, weshalb geneigte und noch mehr waagerechte Flächen stärker verschmutzen als senkrechte, liegt überwiegend daran, „dass der Großstaub auf diese sedimentiert. (…) Mit zunehmender Neigung nimmt die Ablagerung der größeren Partikel ab, bis letztendlich an senkrechten, glatten Flächen die Partikel im Wesentlichen vorbeifallen.“ [6] Der Schmutz ist dabei nicht nur ein optischer Mangel. Er trägt als sedimentierte Schicht durch sein Wasserrückhaltevermögen dazu bei, dass sich auf seiner Oberfläche ein Feuchtigkeitsfilm lange halten kann, der dann wiederum die Oberflächenbeschichtung angreift und einen Nährboden für mikrobiologischen Bewuchs bietet.
Bild 4: Schmutzabläufe, Algenbefall u. Krustenbildungen an den Gurtgesimsen
Bild 5: Stuckfassade in Wismar
Bild 6: Konsole mit Abplatzungen u. Verkrustungen
Bild 7: Fenstergesims mit Schmutzabläufen
Bild 8: Stuckfassade in Düsseldorf
Bild 9: Gurtgesims mit Farbabplatzungen
Bild 10: Stuckfassade in Wismar
Schwerwiegender als die Schmutzanfälligkeit ist die Feuchteanfälligkeit. Allgemeine Feuchtequellen im Außenbereich sind Luftfeuchte, Tauwasser, Spritz- und Ablaufwasser sowie Schlagregen. Wichtigste Feuchtebeanspruchung bei Stuck ist freilich der Regen, insbesondere der Schlagregen. Die Regenmasse hängt dabei ab von der Region (Klima), der Ausrichtung des Hauses (Wetterseite), der unmittelbaren Umgebung (freistehend oder mit umgebender Bebauung) und des Dachüberstandes.
Zu betonen ist nun, dass die Regenbelastung bei geneigten Flächen um ein Vielfaches höher ausfällt als bei senkrechten Flächen. Eine Studie hat ergeben, dass allein eine Oberflächenneigung „um nur 5° eine Erhöhung der Schlagregenbelastung um etwas den Faktor vier im Vergleich zur Belastung der vertikalen Fassade zur Folge hat.“ [7] Zum einen hat es damit zu tun, dass eine geneigte Fläche eine höhere Auffangfläche als eine senkrechte Fläche bietet, wo der Regen selbst bei Windstille auf sie trifft. Zum anderen bekommt die geneigte Fläche bei Schlagregen auch noch das Spritzwasser der höher gelegenen senkrechten Fläche ab (ca. 30 %). „Dieses Spritzwasser wird von der Luftströmung, die bis wenige Zentimeter vor der Fassade wirksam ist, daran gehindert, die enge Zone vor der Fassade zu verlassen, sodass es in einer zur Fassade parallelen Ebene zu Boden fällt.“ [8]
Im Ganzen sind es also drei Gründe, weshalb Stuckprofile eine vielfach höhere Wasserbelastung erfahren als die dahinterliegende senkrechte Fassadenfläche:
- Stuckprofile werden selbst bei Windstille beregnet (wenn sie nicht gerade durch den Dachüberstand geschützt sind).
- Bei Schlagregen bekommen sie auch noch das Spritzwasser der höher gelegenen senkrechten Fläche ab (30 % der Schlagregenmenge auf die senkrechte Fläche).
- Das Wasser kann auf geneigten und waagerechten Flächen schlechter ablaufen al...