1. Energie
Am Anfang war das Feuer
Sehr lange war das Feuer die einzige Energiequelle, über die der Mensch verfügte – neben der eigenen Muskelkraft (dann auch die von Tieren), die den Speer warf oder den Mahlstein bewegte.
Hitze garte das Fleisch, das dadurch besser verwertet werden konnte. Hitze half auch, Getreide als Nahrungsmittel zu erschließen. Der menschliche Organismus tut sich damit schwer. Also musste das Korn zunächst mühselig mit dem Reibstein geschrotet werden, um dann gebacken als Brotfladen oder gegart als Brei verzehrt zu werden.
Vor knapp viertausend Jahren trat der Wind hinzu. Vermutlich wurden damals in Babylon die ersten Windmühlen genutzt, beispielsweise zum Mahlen des Korns. Belegt ist der Einsatz von Segelbooten in Ägypten vor dreitausend Jahren. Nutztechnik des Alltags aber blieb das Wasserrad. In der Antike, um die Zeitenwende, waren Windmühlen offenbar wieder aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden.
Wasser und Wind blieben bis ins 18. Jahrhundert die alleinigen Naturkräfte, die dem Menschen mittels Druck und Drehung für Transport- und Bearbeitungszwecke in einer breiten Palette von Anwendungen dienten.
Das Feuer blieb weiterhin für jegliche Zwecke der Erwärmung resp. Erhitzung unverzichtbar. Mit zunehmender Anwendungsbreite und Besiedlungsdichte wurde mehr und mehr Holz, zusätzlich in Form von Holzkohle, verbraucht. Bereits im Altertum gab es Regionen, die durch Kahlschlag, zusätzlich befördert durch den Schiffsbau, entwaldet waren. Spanien hatte sich nicht zuletzt für das südamerikanische Gold um seine Wälder gebracht. Und die Lüneburger Heide ist als Landschaft erst in der Folge des Einschlages für die Schiffsbauten der Hanse entstanden.
Ausgangs des 18. Jahrhunderts gab es in Deutschland Regionen, die unter Holz(kohle)mangel litten. Es handelte sich allerdings nicht um absolute Verknappung. Vielmehr wuchsen die Entfernungen zwischen Einschlag und Nutzung. Waren die Niederungen abgeholzt, mussten die Köhler in die Berge einsteigen. So wurden zuweilen die Transportkosten zum limitierenden Faktor. Damals wurde in der Forstwirtschaft das Konzept der Nachhaltigkeit entwickelt: dem Wald nicht mehr zu entnehmen als in der gleichen Zeit nachwachsen konnte.
Im 18. Jahrhundert nahm zudem ein entscheidender energietechnischer Paradigmawechsel seinen Ausgang. Erstmals in Europa begann man in England, Kohle als Brennstoff zu verwenden. Deren hoher Energiewert war zugleich Voraussetzung für die Entwicklung der Dampfmaschine. Zunächst fand sie lediglich stationären Einsatz: um die Kohle (und einbrechendes Wasser) aus den Schächten zu befördern. Es währte Jahrzehnte bis zum erfolgreichen mobilen Einsatz. Die Eisenbahn revolutionierte das Verkehrswesen durch Geschwindigkeit und Transportvolumina zu Lande. Auf den Meeren bewirkte das Dampfschiff dasselbe, nicht zuletzt, weil es die Seefahrt von den Launen der Winde unabhängig machte.
Ende des 19. Jahrhunderts setzte mit der Erfindung des Verbrennungsmotors die breite Verwendung des Erdöls ein, gleichzeitig begann die Nutzung des elektrischen Stroms. Durch Teslas Entdeckung des Wechselstromprinzips wurde dieser zudem netzfähig und somit ubiquitär verfügbar. Die energietechnischen Voraussetzungen für den Einstieg in das Industriezeitalter und die Massenproduktion von Konsumgütern waren damit geschaffen. Die Atomkraft erweiterte ein halbes Jahrhundert später das Panel der Primärenergiequellen, brachte jedoch keine neue Nutzungsqualität.
Mit der wachsenden Verfügbarkeit von Energie zu annehmbaren Preisen stieg der Verbrauch, nicht nur insgesamt, sondern - vor allem - per Kopf.
Quelle: John R. Franchi, 2011, S. 5
Aus einigen zehntausend frühzeitlicher Vorfahren sind inzwischen annähernd acht Milliarden Menschen geworden, von denen jeder einen hundertfachen Energieverbrauch beansprucht. Da kann es nicht erstaunen, wenn Knappheit zum Thema und der freie Zugriff auf das kostbare Gut zu einem eigenen Problem geworden sind.
Gleichzeitig rückt die Endlichkeit der vorherrschenden Energieträger ins Bewusstsein. Eine frühe Vorhersage (Hubbert 1956) sah den „Peak Oil“ im Jahr 2000, zeitnä-here Prognosen setzten ihn um etwa 2015 an. Inzwischen schreiben wir 2020 und noch sind wirkliche Engpässe nicht spürbar.
Wie auch immer, mehr und mehr drängt sich die Unvereinbarkeit von wachsender Erdbevölkerung, steigendem Pro-Kopf-Verbrauch und schwindenden Möglichkeiten zur Steigerung des Energieangebots ins Bewusstsein. Gesucht sind Ideen, die über die bloße Verlängerung des Vorhandenen hinaus zielen.
Können wir uns (weiterhin) auf unsere kreative Potenz verlassen? Die Evolution des Menschen vollzog sich in wechselseitiger Befruchtung seiner biologischen und sozialkulturellen Gegebenheiten. In deren Gang haben bis vor etwa 50.000 Jahren Gewicht und Volumen des Gehirns kontinuierlich zugenommen, von wenigen Hundert Gramm auf durchschnittlich 1,3 Kilogramm. Damit war der Mensch zu einem zivilisatorischen Prozess befähigt worden, der ihn in einer erdgeschichtlich winzigen Zeitspanne zu atemraubenden Gipfeln führte.
Oder doch nicht? Hätte eine weitere Entwicklung des Hirns vielleicht zu einer geistigen Reife verholfen, die vor Verhältnissen der Endlichkeit bewahrt hätte, denen der Mensch entgegensieht? Jedenfalls ist er darauf verwiesen, mit dem Verstand, den er nun einmal hat, Lösungen nicht zuletzt für selbst erzeugte Bedrohungen zu finden. Suchen wir (zunächst) nach einem neuen Feuer!
Energie heute
Sei es die technische Seite oder die politische Ebene – wenn es heute um Energie geht, kommt man nicht umhin, die konfliktären Maximen des Themas zur Kenntnis zu nehmen.
Das „magische Dreieck“ der
Energiepolitik
Eine durchaus unbequeme Sicht auf die Dinge, nach dreißig Jahren wachsenden Umweltbewusstseins, das sich zuletzt vor allem auf die Klimaproblematik ausgerichtet hat. Trotz erheblicher Investitionen in die sog. erneuerbaren Energien ist zu konstatieren, dass die fossilen Träger immer noch einen Anteil von mehr als 80 Prozent am Gesamtenergieverbrauch in Deutschland haben.
Im Jahr 2019 belief sich der Primärenergieeinsatz auf 437,8 Mill. Tonnen Steinkohleeinheiten. (siehe Grafik nächste Seite) Das war ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent. Im Jahr 2021 sank der Verbrauch nochmals auf 416,1 Mill. t SKE = 3,34 Mill GWh.
Verbrauch nach Energieträgern 2019
1 kg SKE = 8,141 kWh./ 437,8 Mill. t. SKE = 3,56 Bill. kWh./3,6 Mill. GWh.
Die Zielkonflikte bestehen nach wie vor. Dabei war die öffentliche Aufmerksamkeit nicht zuletzt durch den Disput um die umstrittene Kernenergie auf den elektrischen Strom fokussiert. Der Stromverbrauch belief sich auf 556 Mrd. kWh.39 Damit betrug der Anteil am Gesamtenergieverbrauch lediglich 15 Prozent. Daran hat sich im Jahr 2019 faktisch nicht geändert.
In der energiepolitischen Debatte ist ein Eisbergeffekt zu beobachten. Die eine Seite sorgt sich vornehmlich um die sichere und preiswerte Stromversorgung für die Industrie. Die andere erhofft sich für das Jahr 2050 eine nahezu vollständige Strombedarfsdeckung durch erneuerbare Energien. Doch was geschieht mit den anderen annähernd 80 Prozent, mit der Nicht-Strom-Energie?
Für die fossilen Energieträger sprechen - immer noch - der Preis, die hohe Energiedichte des Öls und die ausgebauten Versorgungsinfrastrukturen. Sie sind allerdings Klimakiller. Zudem lastet das Menetekel der Endlichkeit, zumindest für das Öl und im Weiteren auch für das Erdgas, auf der Szene. Einmal wird kolportiert, dass der Peak, die höchstmögliche Förderung, bereits überschritten sei und es allenfalls drei bis vier Jahrzehnte bis zur dramatischen Verknappung währt. Dann wieder gelten die Vorräte etwa in Gestalt des Ölschiefers als weitaus länger gesichert, wenn auch mit hohem Förderaufwand verbunden.
In der Tat sind die leicht zugänglichen Lager erschöpft. Die ersten Funde sprudelten nahezu von selbst aus dem Boden und verzehrten lediglich ein bis zwei Prozent des Energieertrags für die Gewinnung. Bei der Ausbeutung des Ölschiefers und beim Fracking sind es bereits bis zu einem Drittel. Die dramatischen Eingriffe in die Landschaft und die Kosten einer ökologischen Restaurierung sind dabei nicht in die Aufwandsermittlung eingeflossen.
Für die Extraktion von im Gestein gebundenem Erdgas wird das „Fracking“ angewendet. Ein Gemisch von Wasser, Sand und Chemikalien wird unter hohem Druck tief ins Erdreich gepresst, um das Gas freizusetzen. Die Chemikalien sind zum Teil hochgiftig. Jahre und Jahrzehnte später offenbaren sich die unheilvollen Folgen. Verseuchtes Grundwasser beeinträchtigt den Pflanzenwuchs, ganze Landstriche veröden.
Eine folgerichtige Konsequenz der bitteren Logik, dass mit zunehmender Verknappung Aufwand und Kollateralschäden in Gewinnung und Bereitstellung der Energie zunehmen. Heute verdorrt auf wachsenden Flächen des dünn besiedelten, scheinbaren Naturidylls Montana das zähe Büffelgras in den weitläufigen Landschaften. Verursacht sind die Schäden durch Chemikalien, die einst im Bergbau eingesetzt worden waren und nach Jahrzehnten ins Grundwasser gelangt sind.40
Zur Atomenergie bedarf es nicht vieler Worte. Ließ sich Tschernobyl noch mit unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen und mangelnder Qualifikation des Personals zum tragischen Einzelfall stilisieren, fehlt es diesen Argumenten nach Fukushima an Überzeugungskraft.
Die heiklen Fragen zur Endlagerung des radioaktiven Abfalls und der Abermillionen Tonnen schwach kontaminierten Böden und Betonhüllen konnte man wegen der noch nicht akuten Notlagen vor sich herschieben. Doch nunmehr hatten sich die Risiken dieser Technologie in ihrer unberechenbaren Vernichtungskraft offenbart. Immerhin zeigt die Reaktion der Politik in Deutschland mit dem vorgezogenen Ausstieg, dass die Botschaft verstanden wurde.
Gorleben und die Asse bleiben allerdings als Brennpunkte von Konflikten erhalten. Daran wird nachdrücklich klar, dass es für die Entsorgung selbst beim Regelbetrieb keine tragfähige Lösung gibt.
Eine weitere Seite der Kernkraft wird in der öffentlichen Diskussion kaum erwähnt: Wasser. Der jährliche Wasserabzug aus Gewässern und aus dem Boden betrug in Deutschland lange ca. 40 Milliarden m3. Davon beanspruchte die Energiewirtschaft allein unglaubliche 60 Prozent. Der Löwenanteil lag wiederum beim Kühlwasserbedarf der Kernkraftwerke. In den Zeiten des Klimawandels ist die zusätzliche Erwärmung der Gewässer ein eigenes Problem. Dagegen wird die Sicherung der Stromgrundlast gestellt. Wenn aber, wie im Jahr 2018 erlebt, die Flüsse kaum noch Wasser führen, bricht diese Argumentation zusammen. Vielmehr wird Kernkraft damit zu einem zusätzlichen potenziellen Risiko. Die Ratlosigkeit über tragfähige Lösungen offenbart sich in Bill Gates Erwartung (aktuell auch Frank Schätzing41), dass neue „sicherere Klein-KKW eine Alternative wären. Was aber wäre an Abertausenden KKW, verteilt über die Welt, sicherer? Selbst bei störungsfreiem Betrieb bleiben am Ende Berge leicht verstrahlten Entsorgungsabfall zurück. Zudem Mengen an hochstrahlendem Atommüll, dessen Endlagerung nicht nachhaltig lösbar erscheint.
Als Hoffnungsträger dienen die sogenannten erneuerbaren Energien. Für sie spricht das Doppelargument, als "erneuerbare" nicht endlich und obendrein ökologisch unbedenklich zu sein. Das mag für die Wasserkraft prinzipiell gelten. Andererseits wurde in Laos aufgrund warnender Stimmen das Projekt eines riesigen Staubeckens zunächst zurückgestellt, weil verheerende Eingriffe in die Existenzgrundlagen von 60 Millionen Menschen zu erwarten seien.
Dabei mögen die dramatischen Erfahrungen mit der Aufstauung des Nils eine Rolle gespielt haben. Die zuvor jährlichen Überflutungen wurden erst danach in ihrer segensreichen Funktion erkannt: Sie trugen fruchtbaren Schlamm auf die ariden Böden. Durch die Staudämme wurde der Zyklus zerstört und mit ihm die Fellachenkultur, die seit Jahrtausenden das ägyptische Leben geprägt hatte.
Häufig wird „erneuerbare Energie mit „nachwachsenden Rohstoffen gleichgesetzt. Auf den ersten Blick ein überzeugender Ansatz, jedoch mit weitreichenden Konsequenzen. Binnen weniger Jahre wurden die Folgen dieser mit dem Nahrungsmittelanbau konkurrierenden Verwertung von Getreide auf den Märkten sichtbar - zu Ungunsten der ohnehin benachteiligten äquatorialen Staaten.
Unauffälliger, aber nicht weniger dramatisch ist eine and...