Mitten drin und außen vor?
Hilfreicher Perspektivwechsel
Während eines Besuchs bei einem Freund in Schleswig-Holstein berichtete mir dieser von einer Kollegin, die vor einigen Jahren eine Kanzlei im Nachbarort übernahm. Bei diversen Veranstaltungen der Anwaltskammer begegnet er ihr immer wieder und auch sonst stehen die beiden in kollegialem Kontakt.
Seit ungefähr einem Jahr hat Frau Mayhoff, so heißt seine Kollegin, Schwierigkeiten mit ihrem Personal. Eine ihrer Mitarbeiterinnen hat aus privaten Gründen die Kanzlei verlassen. Seither versucht sie, eine neue Mitarbeiterin in das bestehende Team einzubinden. Leider ohne Erfolg. Schon drei neue Angestellte hat sie seitdem eingestellt und in der Probezeit wieder entlassen.
Auf seine Frage, ob ich mir vorstellen könnte, Frau Mayhoff während meines Aufenthalts bei ihm kennenzulernen, um ihr bei ihrem Problem behilflich zu sein, antwortete ich spontan mit ja. Keine zwölf Stunden später lernte ich Frau Mayhoff in ihrer Kanzlei, zu einem unverbindlichen Erstgespräch, kennen.
Sie war ziemlich verzweifelt und berichtete mir ihrerseits von den drei Fehlschlägen, die ihr sehr zu schaffen machten.
„Frau Schmidt, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Alle drei Anwaltsgehilfinnen, die ich die letzten Monate eingestellt habe, haben nicht meinen Anforderungen entsprochen. Es ist mir nicht gelungen, sie in mein bestehendes Team zu integrieren. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich bei meinen Einstellungsgesprächen und während der Einarbeitungsphase etwas falsch mache. Inzwischen sind meine Mandanten schon sensibilisiert. Es gibt kein gutes Bild nach außen ab, wenn meine Klienten sich immer wieder auf neue Ansprechpartner einstellen müssen. Handelt es sich doch gerade in meinem Beruf in erster Linie um sehr vertrauliche Angelegenheiten. Es ist also wichtig, einen vertrauten Gesprächspartner zu haben. Ich mache mir wirklich große Sorgen um meine Existenz. Ich befürchte, dass Mandanten ausbleiben. Können Sie mir helfen?“
Um ihr Anliegen genau zu erörtern und eine Lösung zu erarbeiten, war ein weiterer Termin erforderlich.
Ein Erstgespräch dient hauptsächlich dazu, dass sich Coach und Klient unverbindlich kennenlernen. Dabei geht es darum, Sicherheit darin zu gewinnen, gemeinsam gut zusammenarbeiten zu können. Gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Sympathie sind hierfür sehr wichtig.
Ich klärte Frau Mayhoff hierüber auf und gab ihr meinerseits zu verstehen, dass ich mir eine Zusammenarbeit mit ihr gut vorstellen könne. Ihr ging es genauso, und wir verabredeten einen zweistündigen Termin für den übernächsten Tag.
Wieder besuchte ich sie in ihren Büroräumen. Es war Abend und wir konnten sicher sein, uns ungestört an die Arbeit machen zu können. Frau Mayhoff wollte mir zunächst die Räumlichkeiten ihrer Kanzlei zeigen und entschied sich anschließend, das Coaching in der kleinen Lobby durchzuführen. Ein angenehmes Ambiente, das uns für die vor uns liegenden Aktivitäten viel Platz bot.
Nachdem wir uns einige Minuten über den zurückliegenden Tag unterhalten hatten, wollte ich mit dem Coaching beginnen. Ich fragte meine Klientin, welche Frage sie am meisten umtreibt.
Auszüge aus dem Coaching
„Was kann ich tun, um meine neue Mitarbeiterin, die seit drei Wochen bei mir arbeitet, gut in das bestehende Team zu integrieren? Mein Ziel ist ein gut funktionierendes Team. Denn nur so ist unser Kanzleialltag zu bewerkstelligen.“
Zunächst bitte ich Frau Mayhoff, mich mit ihrem Team vertraut zu machen. Dafür lasse ich sie Stühle im Raum aufstellen, mit Karten versehen, auf denen die Namen und Aufgaben der entsprechenden Mitarbeiterin stehen. Die Stühle soll sie dabei so zueinander stellen, wie die Mitarbeiter und sie untereinander im Arbeitsalltag in Beziehung stehen. Anschließend soll sie auf den einzelnen Stühlen Platz nehmen und mir berichten, was sie auf den unterschiedlichen Plätzen wahrnimmt.
Skeptisch schaut sie mich an und schweigt. Ich nehme wahr, dass sie misstrauisch ist und frage sie: „Was macht Sie skeptisch?“ Ihre Antwort: „Ich will von Ihnen eine Antwort auf meine Fragen und eine Lösung für mein Problem. Die Reise nach Jerusalem will ich nicht mit Ihnen spielen. Dazu ist mir meine Zeit nun wirklich zu schade.“ Ich antworte mit einer Gegenfrage: „Wollen Sie wirklich wissen, was ich an Ihrer Stelle tun würde? Ist es nicht viel zielführender für Sie zu wissen, welche Lösung für Sie die richtige ist?“ Kleinlaut und gleichzeitig aufgebracht antwortet sie: „Sie haben ja Recht. Natürlich will ich nicht etwas nachmachen, was Sie mir raten. Ich möchte schon an meinen eigenen Möglichkeiten arbeiten und mir ist klar, dass meine Lösung die beste für mich ist. Nur irgendwie sperrt sich in mir alles, wenn ich mir vorstelle, hier auf allen Stühlen Platz zu nehmen und dann auch noch etwas wahrnehmen zu müssen. Das ist so komplett anders, als ich mir das Coaching vorgestellt habe. Ich hatte eher gedacht, dass Sie mich beraten, so wie ich meine Klienten.“
„Wie Sie selbst schon richtig festgestellt haben, ist die eigene Lösung die beste und die erfolgreichste“, antworte ich ihr. „Gut, dass Sie so offen mit Ihren Bedenken umgehen. Können Sie sich trotzdem vorstellen, sich einer, für Sie noch fremden Vorgehensweise zu öffnen, und sich mir anzuvertrauen?“ „Ja, lassen Sie uns loslegen“, zögert sie nicht lange mit ihrer Antwort.
Erläuterungen zur Aufstellungsarbeit
Wenngleich ich noch ein paar ihrer Bedenken wahrnehme und mir noch nicht ganz sicher bin, sie für diese Vorgehensweise gewinnen zu können, vertraue ich darauf, dass sie sich im Laufe des Coachings dem Prozess öffnen wird.
Tatsächlich sind nach der ersten halben Stunde alle „wenn und aber“ beseitigt und Frau Mayhoff ist voll bei der Sache.
1. Aufstellungssituation
Da sie auf jedem einzelnen Stuhl Platz nehmen soll, biete ich ihr einen zusätzlichen Stuhl an. Auf diesem („neutrale Position“) soll sie ihre gewonnenen Ein drücke und nachempfundenen Gefühle ablegen, um wieder frei und offen für die nächste Rolle und Aufgabe zu sein.
Es ist immer wieder faszinierend, wie Menschen tatsächlich etwas wahrnehmen, wenn sie als „Repräsentanten“ in Rollen schlüpfen, mit denen sie in der Realität nichts oder nicht viel zu haben.
Ich bin froh und dankbar, dass sich meine Klientin schnell und konzentriert der von mir gewählten Vorgehensweise anvertraut.
Die Aufstellungsarbeit zeigt mir, wo die Probleme liegen. Mir fällt auf, dass der Mandant (roter Stuhl) von allen Kanzleimitarbeitern fokussiert wird. Er von allen wahrgenommen wird. Hier besteht wohl ein gewisses Interesse.
Als ich Frau Mayhoff bitte, auf diesem Stuhl Platz zu nehmen, strahlt sie und sagt. „Mensch, so gut wie hier, fühlt sich kein anderer Platz an. Auf den Plätzen meiner Mitarbeiter konnte ich Verzweiflung, Traurigkeit, Überforderung, Unterforderung und Ausgrenzung wahrnehmen. Hier fühle ich mich das erste Mal so richtig wichtig. So würde ich mich gerne auch auf meiner eigenen Position fühlen. Ich bin schließlich der Kanzleivorstand und müsste mich doch eigentlich richtig gut fühlen. Aber nichts dergleichen. Vielmehr fühlte ich mich mit der neuen Mitarbeiterin im Nacken sehr unwohl, ich wurde richtig aggressiv. Zu meinen anderen Mitarbeitern hatte ich eher ein neutrales Verhältnis. Die sind mir eher gleichgültig. Bis auf Frau Schröder. Die ist mir sehr wichtig. Die brauch ich.“
Frau Mayhoff begreift, dass hier etwas nicht stimmt. Sie nimmt wahr, dass sich keine der Personen wohl fühlt.
Als sie noch einmal auf ihrem eigenen Stuhl Platz nimmt, fährt ihr ein Schauer durch den Körper und sie sagt: „Das geht so nicht. Die da hinten muss weg, die sitzt mir zu stark im Nacken. Ich muss da dringend was verändern.“
Ich bitte sie auszuprobieren, wie es am besten für alle Beteiligten sein könnte. Es entstehen noch einige spannende Situationen und Bilder. Meine Klientin wird von mir immer wieder ermutigt auszuprobieren, sich einzufühlen und die Positionen entsprechend zu verändern.
2. Aufstellungssituation
(s. Grafik Seite →)
Wieder nimmt Frau Mayhoff alle Positionen ein, dabei stellt sie eine bemerkenswerte Erleichterung fest. Für einen kurzen Moment nimmt sie den Stuhl von Frau Hinneck aus dem Verbund und erklärt: „Frau Hinneck arbeitet nur Teilzeit, ist also nicht immer da. Die neue Anordnung gefällt ihr jedoch gar nicht. „Nee, das stimmt nicht, die ist doch nicht außen vor, wenn sie nicht da ist. Sie gehört doch trotzdem zu uns.“
3. Aufstellungssituation
Auf meine Frage, wie es ihr auf der Position des Mandanten erging, antwortet sie: „Ich fühlte mich eingeengt, geradezu fehl am Platz. Ich dachte: Ich möchte da raus, ich gehör da nicht hin.“ Ich frage weiter: „Wo wäre ein angemessener Platz für Ihre Mandanten?“ Frau Mayhoff: „Da hinten würde es mir, glaube ich, gut gefallen.“
Nun fühlen sich alle Beteiligten wohl und in Beziehung zu einander. Frau Mayhoff hat das erste Mal das Gefühl, wirklich die Chefin zu sein.
„Hier habe ich etwas zu sagen, hier fühle ich mich sicher und von meinen Mitarbeitern wahrgenommen. Ich genieße es, mit jeder meiner Mitarbeiterinnen in Kontakt zu sein. Was mir etwas zu schaffen macht, ist der Abstand zu meinem Mandanten. Der ist mir zu weit weg. Die Mandanten sind für uns alle existenziell.“
Die Mitarbeiter fühlen sich ebenfalls wohl und haben das erste Mal das Gefühl, von ihrer Chefin wirklich wahrgenommen zu werden. Sie finden den Platz des Mandanten angemessen.
Ich bitte Frau Mayhoff noch einmal auf der Position des Mandanten Platz zu nehmen, zuvor jedoch einen Moment auf der neutralen Position zu verharren. Währenddessen nehme ich die Rolle von Frau Mayhoff ein.
Als sie in der Rolle des Mandanten angekommen ist, wiederhole ich ihre eigene Aussage: „Der Mandant ist mir zu weit weg. Unsere Mandanten sind für uns existenziell.“
Ich verlasse die Rolle meiner Klientin und gehe zum Mandanten. „Wie geht es Ihnen, wenn Sie hören, was Frau Mayhoff zu Ihnen sagt?“
Frau Mayhoff in der Rolle des Mandanten: „Ich kann verstehen, dass Mandanten für die Kanzlei überlebenswichtig sind. Dennoch, ich fühle mich hier wohl und möchte hier bleiben. Ich bin auf keinen Fall Teil des Kanzleiteams, da gehöre ich nicht hin. Ich möchte Frau Mayhoff etwas sagen, darf ich?“ „Selbstverständlich, lassen Sie Frau Mayhoff hören, was Sie ihr zu sagen haben.“ „Frau Mayhoff, ich habe Sie als kompetente und einfühlsame Anwältin kennen und schätzen gelernt. Ich empfehle Sie und Ihre Beratung gerne weiter. In Ihrer Kanzlei fühle ich mich immer freundlich und offen empfangen und willkommen. Sie haben ein tolles Team. Von Herzen wünsche ich Ihnen allen viel Erfolg.“
Daran anschließend bitte ich meine Klientin, die als Repräsentantin des Mandanten ja selbst dieses Statement abgegeben hat, wieder in ihrer Rolle als Chefin Platz zu nehmen. Zuvor soll sie jedoch wieder auf der neutralen Position ihre Mandantenrolle verlassen.
Ich nehme derweil die Rolle des Mandanten ein. Als Frau Mayhoff wieder ihren Platz eingenommen hat, wiederhole ich die Stellungnahme ihres Mandanten. „Frau Mayhoff, ich habe Sie als kompetente und einfühlsame Anwältin kennen und schätzen gelernt. Ich empfehle Sie und Ihre Beratung gerne weiter. In Ihrer Kanzlei fühle ich mich immer freundlich und offen empfangen und willkommen. Sie haben ein tolles Team. Von Herzen wünsche ich Ihnen allen viel Erfolg.“
Danach stehe ich auf, verlasse die Rolle des Mandanten und trete an meine Klientin heran. „Frau Mayhoff, wie kamen die Worte Ihres Mandaten bei Ihnen an?“ Frau Mayhoff strahlt und sagt: „Ganz wunderbar, ich fühle mich auf einmal sehr sicher und bin voller Vertrauen in die Zukunft.“
Frau Mayhoff hat einen Wunsch und bittet mich, noch etwas ausprobieren zu dürfen. „Frau Schmi...