Architektur und Struktur der Alhambra
Die Alhambra entwickelte sich nach den städtebaulichen Prinzipien des mittelalterlichen Islams, und zwar als eigenständige Palaststadt aus drei Teilen. Diese Palaststadt war unabhängig von der eigentlichen Stadt Granada mit ihren eigenen öffentlichen Einrichtungen wie Altstadt, Moschee und Universität. Die Alhambra verfügte über eine mächtige Mauer mit einer Länge von 1700 Metern und 30 großen und kleineren Türmen mit unterschiedlichen Funktionen. Der Zugang zur Alhambra erfolgte hauptsächlich über das Waffentor, die „puerta de las armas“, die dem Albaicín am nächsten liegt. Vier große Tore regelten insgesamt den Zugang zur Alhambra. Außer dem Waffentor waren dies noch das Vorstadttor („puerta de arrabal“) in Richtung des Generalife sowie das Tor der sieben Stockwerke und das Gerechtigkeitstor, das aus dem Jahr 1348 datiert. Die Fläche der Alhambra beträgt über 100.000 Quadratmeter, die man in drei Teile unterscheiden kann, nämlich in den Festungsbereich, die Paläste und die Medina als Bereich mit Alltagsfunktionen mit Handwerksbetrieben und Läden. Alle drei Teile der Alhambra konnten voneinander getrennt werden, wenn die Sicherheit der Herrscherfamilie dies nötig machte. Dann wurden strategisch wichtige Tore wie die puerta del vino geschlossen und die Wachsoldaten rückten aus zur Kontrolle der Straßen innerhalb des Bezirks.
Die Alcazaba
Bereits vom Stadtgebiet aus erhascht man immer wieder Blicke auf den Festungsbereich („al-Kasbah“ bedeutet Festung), der wie ein Sporn oder wie ein riesiges Schiff in Richtung der Stadt ragt – bedrohlich und dominant, aber auch mächtig und erhaben. Der Torre de la Vela als mächtigster Turm der Alhambra lässt ein wenig von der Dominanz erahnen, die die maurischen Königreiche lange Zeit ausgeübt hatten. Es ist ein uralter Festungsbereich, auf dem vor den Mauren bereits die Römer eine Wehranlage errichtet hatten. Die ersten Zitadellen maurischer Herrscher, wie die Alcazaba Vieja, waren auf dem Albaicín erreichtet worden, doch galt dieser Bereich als unübersichtlich und schwer zu kontrollieren. Al-Ahmar war es, der als Herrscher ab dem Jahr 1238 auf einen Festungsneubau auf dem Sabika-Hügel setzte. In erhöhter Position über dem Darrotal und dennoch in fast unmittelbarer Nähe zur Stadt konnte man diese und ihre Bewohner hervorragend kontrollieren und genoss von den Wachtürmen aus einen exzellenten Weitblick über die gesamte Vega als potenzielles Aufmarschgebiet etwaiger Feinde.
Die wuchtige Alcazaba ist der älteste Teil der Alhambra.
Die Alcazaba war ein rein militärischer Bereich in Form eines Dreiecks. Ein großer Teil im Inneren wurde belegt durch das Soldatenviertel, das Barrio Castrense. Hier lebten die Befehlshaber und Wachen und von hier aus brachen sie zu ihren Rundgängen auf und zum Wachdienst auf den Mauern und an den Toren. Eine doppelte Mauer mit verschiedenen Türmen umschließt diesen Bereich. Zwischen den beiden Mauern erstreckt sich ein Graben, die Türme sind durch einen Rundweg miteinander verbunden. Praktisch im Schutz der ursprünglichen Alcazaba entwickelten die Baumeister nach und nach die Alhambra als grandioses Gesamtkunstwerk. Auch die Alcazaba an sich wurde von den jeweiligen Festungsbaumeistern stetig weiterentwickelt, die Türme stammen aus verschiedensten Bauphasen. In christlicher Zeit errichtete man zudem einen dem Torre de la Vela vorgelagerten Schutzwall als Artillerie und pflanzte die Adarve-Gärten an, von denen man einen Blick Richtung Sierra Nevada genießen kann.
In der Bildmitte die Paläste mit dem Comaresturm, dahinter das Quadrat des Karlspalastes und im Hintergrund die Sierra Nevada.
Beim Rundgang durch den Festungsbereich gelangt man als Besucher zunächst in das Barrio Castrense, den ehemaligen Wohnbereich der Militärs. Die Mauerreste sind Relikte von zehn Wohnhäusern und Lagerräumen, es gab hier Werkstätten wie die eines Waffenschmieds, aber auch Baderäume mit einer zugehörigen Zisterne (zwischen Torre de la Vela und Nordmauer), Öfen, Kerker (bei dem Torre Quebrada) und auch eine Bäckerei und eine Gemeinschaftsküche. In auf die bescheidenen Verhältnisse von Soldaten zugeschnittenen Dimensionen erkennt man typisch muslimische Architektur mit der Gliederung von Eingang, Innenhof und darum gruppierten Zimmern. Am nächsten zu den Palästen erhebt sich über sechs Stockwerke der Torre del Homenaje, der Turm der Huldigung. Er ist mit 26 Metern der zweithöchste Turm der Alhambra, und von hier aus konnte man das umliegende Gebiet sehr gut kontrollieren. Die Provinz Granada war von einem System von Türmen umgeben, die beispielsweise von der Küste aus mit Signalen von Turm zu Turm vor Piratenangriffen warnten, ähnlich wie im „Herrn der Ringe“ in den Szenen mit den Leuchtfeuern. Hier, in diesem hintersten Festungsbereich lebte vom 16. bis zum 19. Jahrhundert der Burgvogt und Oberkommandant der Festung, vermutlich auch wegen der Tatsache, dass der Huldigungsturm eine zurückgezogene strategische Position hatte und daher notfalls bis zum Schluss verteidigt werden konnte. Vermutungen deuten darauf, dass al Ahmar als erster Sultan der Nasriden in dem Turm gewohnt haben könnte. Angrenzend, jedoch bereits aus christlicher Epoche, stammt der Torre del Cubo, der Würfelturm, errichtet im 16. Jahrhundert auf der Basis eines anderen, noch aus dem 9. Jahrhundert bestehenden Turms. Eines der ältesten Bauelemente der ganzen Alhambra und eines von insgesamt vier großen äußeren Zugangstoren ist das Waffentor, die Puerta de las Armas. Es ist der zur Stadt Granada beziehungsweise zum Albaicín am nächsten gelegene Zugang und auf diesem Weg gelangten Bewohner der Stadt in die Paläste, um ihre Behördengänge zu absolvieren. Der Name des Tores weist darauf hin, dass beim Betreten die Waffen abgegeben werden mussten, außerdem mussten die Besucher zunächst eine gewisse Distanz im Festungsbereich im Rundgang zwischen den Mauern zurücklegen. Dies wurde von den Wachsoldaten kontrolliert. Wie auch die Puerta de la Justicia ist die Puerta de las Armas verwinkelt angelegt zwecks einer effektiveren Verteidigung. Von dem Tor aus wurden die Besucher in zwei Richtungen geleitet: Entweder zur Alcazaba oder aber zum Palastbereich beziehungsweise zur Medina. Das Waffentor hatte über die militärische Bedeutung hinaus auch repräsentative Zwecke und weist daher gewisse Verzierungen auf, die man an der äußeren Fassade des oberen Torbogens und an der Gewölbeinnenseite in Form von Gordons, sternförmigen Verzierungen, findet.
Der Albaicín von der Alhambra aus. Auffallend sind die vielen Bäume zwischen den weißen Fassaden. Das architektonische Grundmuster des Viertels ist der „Patio“, der Innenhof mit Garten.
Der mächtigste und am stärksten auffallende und somit repräsentative Turm der Alcazaba ist der große Wachturm, der Torre de la Vela. Auf ihm stehen Fahnenmasten und ein großer Glockenturm. Von ihm aus genießt man als Besucher einen großen Überblick über die Stadt und die Ebene von Granada. Der vierstöckige Turm, der zur Zeit der Nasriden zinnenbewehrt war, hat einen Wohnbereich, außerdem einen Keller mit Kerkerräumen. Die Kerker in der Alcazaba weisen eine Glockenform auf. Tagsüber mussten die Gefangenen an der Oberfläche Zwangsarbeit verrichten, abends wurden sie an Seilen wieder in ihre Verliese hinuntergelassen. Manche der unterirdischen Räume wurden aber auch als Getreidesilos verwendet. Der Torre de la Vela war das Zentrum eines großen Systems kleinerer Türme in der ganzen Provinz Granada. Reste dieser Anlagen gibt es noch an der Küste, wo über Leuchtfeuer vor Piraten gewarnt wurde. Die Türme standen untereinander in Kontakt, sodass auch die Herrscher in der Alhambra rechtzeitig vor Angreifern gewarnt wurden. Die Glocke stammt aus christlicher Zeit: Ihr Läuten bestimmte den Rhythmus der Bewässerung der Felder in der Vega Granadas, der landwirtschaftlich geprägten Zone vor den Toren der Stadt. An bestimmten Gedenktagen wird auch heute noch die Glocke geläutet, so am 2. Januar, dem Gedenktag anlässlich der Übergabe Granadas an die christlichen Könige. Unterhalb des Torre de la Vela sieht man im Wäldchen den Wall des Revellín, des Schutzwalls der Alhambra, der wie ein großer Schiffsbug wirkt. Die Besichtigung des Festungsbereichs schließt man mit einem kurzen Spaziergang durch die Adarve-Gärten ab, dem Jardín de los Adarves. Dieser Bereich unterlag stetigen Umbauten, insbesondere unter christlicher Zeit, zwecks der Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit. Mauern wurden erneuert, letztlich im 17. Jahrhundert nach den Moriskenaufständen die Gärten angelegt. Von hier aus ergeben sich wieder neue Blicke in Richtung der Torres Bermejas, der Sierra Nevada und auf die Alameda der Alhambra.
Detail aus dem Karlsbrunnen.
Der Palast Karls V.
Kaiser Karl V. gelangte auf seiner Hochzeitsreise mit Kaiserin Isabella von Portugal im Jahr 1526 nach Granada und wohnte in dieser Zeit auf der Alhambra. Begeistert von der Stadt und von den Palästen, beschloss er, einen eigenen Prachtbau mitten in der Alhambra zu errichten. Dieses Gebäude sollte ein Symbol darstellen für die Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Islam. Der Marquéz de Mondéjar als Gouverneur der Alhambra stand an oberster Stelle der Hierarchie für die Bauausführung,die im Jahr 1527 unter Pedro Machuca aus Toledo begann, einem Schüler Michelangelos. Als Machuca 1550 starb, setzte dessen Sohn Luis seine Arbeit bis zum Moriskenaufstand 1568 fort und wurde seinerseits in der Herrschaftsepoche Philipps II. von Juan de Orea abgelöst, der in Juan de Herrera, dem Architekten des monumentalen Klosters Escorial einen erfahrenen Berater an seiner Seite hatte. Doch das Bauvorhaben war alles andere als einfach, denn durch die Vertreibung der Morisken aus Granada nach einer Revolte verschwand auch eine der Hauptgruppen,die durch ihre Steuern den Bau finanziert hatte. Insgesamt interessierte sich das spanische Königshaus nicht sonderlich für den Bau des Palastes, sodass dieser erst rund 400 Jahre später im Jahr 1929 fertiggestellt werden konnte.
Die Formen des Karlspalastes sind in einem für die Renaissance typischen, jedoch für Spanien völlig untypischen klassisch griechischrömischen Stil gehalten. Die Fassade, aber auch die schiere Dimension des riesigen Bauwerks strahlen Macht und Perfektion aus und die Größe dominiert das Zentrum des Areals der Alhambra. Die edlen, filigranen nasridischen Räume werden von diesem architektonischen Koloss beinahe erdrückt. Symbole von Macht sind an der Fassade ebenfalls die Pferde- und Löwenköpfe, die Bronzeringe zum Ankoppeln von Pferden tragen. Ihre Vorbilder sind im Florenz des 15. Jahrhunderts zu suchen.
Ring zum Ankoppeln von Pferden an der Fassade des Karlspalastes.
Steht man vor dem Hauptportal, so fallen insbesondere die vier marmornen Basreliefs an den Sockeln der Säulen der Hauptfassade auf. Sie zeigen verschiedene Szenen: Die Schlacht von Pavia und Allegorien von Triumph und Frieden. Zwei weitere Szenen entstammen der griechischen Mythologie: Herakles tötet den Löwen von Nemea und Herakles fängt den Kretischen Stier. Eine herausragende Besonderheit ist der Kontrast aus Grundriss und Innenleben des Palastes: Ein Quadrat mit 63 Metern Seitenlänge gibt die äußere Form des Ganzen vor, doch darin verbirgt sich ein kreisförmiger Innenhof (Bauphase von 1557 bis 1568). Weiter erstaunt die Einfachheit der Gestaltung. Im Erdgeschoss stützen 32 dorische Säulen die Balustrade, während im Obergeschoss ionische Säulen stehen. Der Karlspalast beherbergt zwei interessante Museen, die einen Besuch der Alhambra abrunden können: Das Museum der Alhambra zeigt Fundstücke, die Details aus dem Alltag der Bewohner vermitteln. Das Museum der Schönen Künste birgt eine Sammlung von Gemälden und Skulpturen aus der bedeutenden Schule des Barocks in Granada aus der Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts.
Der nasridische Palastbereich
Ein unscheinbarer, kleiner Eingangsbereich öffnet den Besuchern den Zugang zu den wohl großartigsten maurischen Hinterlassenschaften in Europa, den Wohnbereichen der nasridischen Herrscher. Würden nicht Besucherströme, Beschilderungen und Pläne den Eingangsbereich verdeutlichen, so würde man diesen vielleicht nicht einmal finden, dort an der Nordseite des mächtigen Karlspalastes, der die wesentlich kleineren nasridischen Räumlichkeiten beinah zu erdrücken scheint. Wie im Allgemeinen in der gesamten muslimisch-arabischen Architektur, legten die Erbauer wenig Wert auf Repräsentation nach außen. Dies ist typisch für die arabische Bauweise und hat vielleicht seinen Ursprung im Prinzip der „jaima“, dem Zelt der Nomaden. Dort versammelten sich die Bewohner auf engem Raum für das Sozialleben. Der Adelsstatus seiner Bewohner und der damit verbundene Reichtum bleibt zunächst verborgen, worin man eine gewisse Bescheidenheit und die Gleichheit aller vor Allah vermutet. Doch im Inneren sind die drei miteinander verbundenen Paläste ein Musterbeispiel filigraner Bauweise und Ornamentik. Verblüffend einfach, preiswert und sogar abnutzungsfreundlich sind die verwendeten Materialien, die für die Ausgestaltung der Räumlichkeiten verwendet wurden. So kamen vorwiegend Ton, Holz und Gips bei den meisterhaften Verzierungen zum Einsatz – freilich wird man bei einem Besuch nicht an die Preisstruktur der Bauten denken, denn die optischen Effekte, Staunen und Bewunderung überwiegen bei Weitem. Zudem unterlagen die Räume stets den Geschmäckern der jeweiligen Herrscher, sodass viele Aus- und Umbauten, Teilabrisse und Anbauten stattfanden.
In der Abfolge des Besuchs besichtigt man zunächst die drei „Kernpaläste“: Den Mexuar-Palast, den Comares-Palast und abschließend den Löwen-Palast mit seinem berühmten Brunnen im Zentrum. Hierin spiegelt sich eine Hierarchie, denn von Tür zu Tür wird der Charakter der Räumlichkeiten privater und zugleich immer prächtiger, sodass die Besucher eine effektvolle Steigerung erleben. In den Patios werden das Wasser und das Licht, der Garten und der Himmel als Elemente miteinbezogen in die Wirkung der Räumlichkeiten. Es ist ein Besuch der Kontraste, denn man passiert zwischen den Höfen dunklere Durchgänge, um dann wieder in das Licht und in die faszinierenden Farben- und Formenspiele der Palastarchitektur zu gelangen. Diese Trilogie wird auch als das „Haus des Sul...