1 Einleitung
1.1 Ziel und Aufgabenstellung
Eisenbahnknoten1 spielen als leistungsbestimmende Elemente eine wichtige Rolle in der Eisenbahninfrastruktur, weil Engpässe meistens in jenen Knoten auftreten, die die Betriebsqualität und Kapazität der Infrastruktur maßgebend vermindern. Wegen z. T. äußerst komplexer Strukturen ist der Aufwand zur Bewertung der Knoten nicht zu unterschätzen. Es ist dazu ein Beschreibungsmodell für die Eisenbahninfrastruktur erforderlich, durch welches komplexe Gleisstrukturen übersichtlich strukturiert und der gesamte Untersuchungsraum zur Ermittlung der Qualitätskenngrößen aufgeteilt werden kann. Die bereits existierenden verschiedenen Modelle zur Beschreibung einer Eisenbahninfrastruktur sind allerdings nur teilweise für Leistungsuntersuchungen geeignet. Um ein neues Beschreibungsmodell für Belegungselemente2 im Rahmen des Projekts RePlan zu entwickeln, werden die vorhandenen Eisenbahninfrastrukturmodelle analysiert, einander gegenübergestellt und in Bezug auf die Eignung für den Projektkontext geprüft.
Ebenso existieren bereits eine Reihe von Methoden bzw. Verfahren, die Kenngrößen der Leistungsfähigkeit und Kapazität einer Infrastruktur ermitteln und bewerten. Um einen geeigneten Ansatz speziell zur Bewertung der Bahnhofs- bzw. Knotenkapazität zu entwickeln, werden die möglichen Anwendungsgebiete und Beschränkungen der existierenden Methoden und Verfahren zur Leistungsuntersuchung als Grundlage analysiert. Basierend auf dem entwickelten Beschreibungsmodell der Eisenbahninfrastruktur wird ein Ansatz zur Berechnung der Knotenkapazität3 unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Belegungselementen erarbeitet, auf dessen Grundlage die zu untersuchenden Kenngrößen ermittelt werden. Anhand dieser Kenngrößen stellt sich die Frage, wie die Kapazität und Qualität der zu untersuchenden Knoten bewertet werden können. Zur Beantwortung dieser Frage werden die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Kenngrößen analysiert, um daraus ein geeignetes Bewertungsverfahren für die Knotenkapazität abzuleiten.
1.2 Strukturierung der Dokumentation
- In Kapitel 2 werden der derzeitige Forschungsstand bei Leistungsuntersuchungen und Bewertungen für Eisenbahnknoten sowie offene Fragen diskutiert.
- Im darauf folgenden Kapitel 2 wird der Ablauf der Projektbearbeitung vorgestellt.
- Ein Überblick der Aufgaben bei allgemeingültigen Leistungsuntersuchungen wird in Kapitel 2 schematisch angegeben.
- Daran anschließend werden die heute existierenden Modelle für die Beschreibung der Infrastruktur in Bahnhöfen und Knoten und das neu entwickelte Beschreibungsmodell in Kapitel 2 vorgestellt.
- Basierend auf diesem neuen Beschreibungsmodell werden neue Berechnungsund Bewertungsverfahren für das mikroskopische Leistungsverhalten entwickelt, die in Kapitel 2 erläutert werden.
- Kapitel 2 beschreibt einen neuen Ansatz zur Identifizierung und Priorisierung von Engpässen, die oftmals die Kapazität der Knoten entscheidend beeinträchtigen.
- Das Grundkonzept zur softwareunterstützten Umsetzung des im Rahmen des Projekts entwickelten Bewertungsverfahrens und die wichtigen implementierten Funktionalitäten im Programm PULEIV (Programm zur Untersuchung des Leistungsverhaltens) werden in Kapitel 2 dargestellt.
- Abschließend werden in Kapitel 2 die aktuellen Forschungsergebnisse und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung zusammengefasst.
2 Motivation
2.1 Stand der Forschung
Nach jahrzehntelanger Entwicklung der Infrastruktur im spurgeführten Verkehr gibt es in Europa immer weniger reale Möglichkeiten für einen extensiven Neubau von Strecken und Knoten. Die Herausforderung liegt darin, die vorhandene Infrastruktur möglichst intensiv und intelligent zu nutzen und die maximale Auslastung zu erreichen, ohne dabei die Betriebsqualität zu vermindern. Wegen der komplexen Struktur des Eisenbahnnetzes sind Engpassbereiche, die die Kapazität der Eisenbahninfrastruktur sehr stark beeinträchtigen können, nicht vollständig vermeidbar. Solche Engpässe entstehen oftmals in Eisenbahnknoten, die komplexe Gleisstrukturen aufweisen. Neben der Frage, wo die Engpässe in bestehenden Infrastrukturen liegen, ist (über die Aufgabenstellung in diesem Projekt hinaus) auch die Frage nach den Ursachen für diese Engpassbereiche zu klären.
Zur Beantwortung dieser Fragestellungen werden Leistungsuntersuchungen durchgeführt, mit denen bestimmte Kenngrößen für Netzelemente4 ermittelt werden. In [FENGLER, 2007] wurde eine einheitliche Methodik zur Untersuchung von Eisenbahnknoten vorgeschlagen, in der die Vorgehensweise der strukturierten Knotenanalyse beschrieben wurde. Bei dieser Methodik werden Knotenuntersuchungen in Leistungsuntersuchungen von Infrastrukturen, Fahrten, verkehrlichen Beziehungen und Betriebsprogrammen unterteilt. Für Infrastrukturen mit komplexen Gleisstrukturen können Simulationsverfahren bei Leistungsuntersuchungen die Realität des Bahnbetriebs abbilden und statistisch gesicherte Ergebnisse liefern. Eine wichtige Voraussetzung für die Engpassanalyse besteht darin, die Infrastruktur vor der Leistungsuntersuchung in hinreichend feine Belegungselemente zu unterteilen, die dann anhand geeigneter Kenngrößen bewertet werden. In [RADTKE, 2008] und [SIEFER, 2010] werden makroskopische und mikroskopische Infrastrukturmodellierungen vorgestellt. Ein Ansatz zur Umwandlung der zwischen mikroskopischen und makroskopischen Infrastrukturmodellen optimierten Fahrpläne für langfristige Planungen und Fahrplansimulationen wurde in [BORNDÖRFER, 2010] entwickelt.
Bei Leistungsuntersuchungen werden verschiedene Kenngrößen für unterschiedliche Anwendungsgebiete bestimmt und zur Bildung geeigneter Indikatoren verwendet. Bei einer mittlerweile allgemein anerkannten Methode wird der optimale Leistungsbereich als Leistungskenngröße aus der Wartezeitfunktion abgeleitet. Dieser Ansatz wurde von Hertel und Ludwig [HERTEL, 1987] für zweigleisige Eisenbahnstrecken entwickelt. In der Diplomarbeit von Bosse [BOSSE, 1995] wurde das Verfahren verbessert und im Zusammenspiel mit Simulationsverfahren angewandt. In der Dissertation [SCHMIDT, 2009] wird eine Weiterentwicklung dieses Ansatzes vorgestellt. Die globale Kenngröße „optimaler Leistungsbereich“ wird bei Leistungsuntersuchungen als globaler Indikator dafür herangezogen, wie viele Züge sich in einem zu untersuchenden gut ausgelasteten Eisenbahnnetz bewegen sollten, ohne dass die Betriebsqualität signifikant eingeschränkt wird. Neben Leistungskenngrößen dienen Qualitätskenngrößen zur betriebsprogrammabhängigen Qualitätsbeschreibung von Eisenbahnnetzen. Wartezeit und Pünktlichkeitsgrad [DB NETZ AG, 405 (2008)] sind Maßstäbe der Qualitätskenngrößen, mit denen die Qualität des Eisenbahnbetriebs z. B. in vier verschiedenen Stufen bewertet wird. Die wirtschaftliche Kenngröße „Transportimpulsdifferenz“ wurde in [OETTING, 2005] entwickelt und bewertet eine Strecke unter betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen. [BUSSIECK, 1997] entwickelten einen Ansatz zur Bewertung der optimalen Linienführung, bei dem die Kenngrößen aus verschiedenen Aspekten für jede Verbindung bewertet werden, um die besten Verbindungen zu bestimmen. In der internationalen Richtlinie UIC Code 406 [UIC, 2004] für Leistungsuntersuchungen werden lediglich Belegungen auf Streckenabschnitten für die Bewertung der Infrastrukturkapazität betrachtet.
Im Forschungsprojekt PULEIV [MARTIN, 2008] [MARTIN, 2011a] entstand eine Methode zur relationsbezogenen Engpassanalyse, die sich auf die Wartezeiten der gerichteten Relationen zwischen zwei Betriebsstellen bezieht. Diese Engpassanalyse basiert auf makroskopischen Modellen und kann die Ursachen im Netz nur sehr grob abschätzen. Bei analytischen Verfahren wird die Kenngröße „Qualitätsfaktor“5 zur Engpassanalyse genutzt [VAKHTEL, 2002] und vereinfachend die überlastete Stelle als Systemengpass betrachtet. Ein anderer Beitrag zur Engpasserkennung anhand einer Leistungsuntersuchung mit analytischen Verfahren wurde in [KETTNER, 2005] vorgestellt. Dieses Verfahren analysiert die Engpässe unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Infrastrukturplanung und identifiziert die überlasteten makroskopischen Knoten und Kanten des Infrastrukturnetzes als Engpässe. Für die Feinoptimierung der mikroskopisch zu modellierenden Infrastruktur ist dieses Verfahren jedoch nicht geeignet.
2.2 Problemstellung
Derzeitige Verfahren zur Kapazitätsberechnung beschränken sich vorwiegend auf Strecken oder homogene Teilbereiche innerhalb der Knoten, denn Belegungselemente können in ihrem vollständigen Zusammenwirken wegen der Komplexität der Gleisstruktur und der vielfältigen Kombinationen von Fahrwegen mit existierenden Ansätzen noch nicht befriedigend bewertet werden.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Leistungsuntersuchung von Knoten ist das Erkennen von Engpässen, welche die Kapazität der Knoten beschränken, sowie die Identifikation von Reserven, die nicht ausgelastet werden. Weil Engpässe sowohl von der Infrastruktur als auch vom Betriebsprogramm bzw. Fahrplan abhängig sind, ist ein Ansatz zur Engpassanalyse notwendig, der alle relevanten Szenarien berücksichtigt.
Bei mikroskopischen Leistungsuntersuchungen eines Knotens muss die Infrastruktur in hinreichend feine Belegungselemente unterteilt werden. Bisher existiert jedoch noch keine geeignete Methode zur Infrastrukturmodellierung, welche bei der Aufteilung Fahrtmöglichkeiten berücksichtigt.
Aufgrund der genannten Problemstellung wird im Rahmen dieses Forschungsprojekts ein neuer Ansatz zur Bewertung von Eisenbahnknoten entwickelt, der sowohl ein neues Beschreibungsmodell zur Infrastrukturmodellierung, als auch ein Bewertungsverfahren unter Berücksichtigung des Zusammenhangs von Belegung und Behinderung sowie eine neue Methode zur Engpasserkennung einschließt.
3 Ablauf des Forschungsprojekts
Die Bearbeitung des Projekts wurde in folgenden Schritten durchgeführt:
- Einarbeitung in existierende Beschreibungsmodelle für Belegungselemente
Die bereits existierenden Modelle für die Beschreibung von Elementen in Bahnhöfen bzw. Knoten wurden einander gegenübergestellt und in Bezug auf die Eignung für den Projektkontext analysiert.
- Entwicklung eines Beschreibungsmodells für Belegungselemente
Aufbauend auf den Erkenntnissen der existierenden Infrastrukturmodelle wurde ein neues Modell zur Beschreibung der Belegungselemente erarbeitet. Dieses bezieht auch die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Belegungselementen mit ein.
- Einarbeitung in existierende Berechnungs- und Bewertungsansätze für die Knotenkapazität
Die bereits existierenden Modelle wurden analysiert, miteinander verglichen und in Bezug auf die Anwendbarkeit bei der Erstellung eines Bewertungsverfahrens für die Knotenkapazität geprüft.
- Entwicklung eines Ansatzes zur Berechnung der Knotenkapazität
Unter Berücksichtigung der vorhandenen Bewertungsverfahren für Strecken wurde ein Ansatz zur Berechnung der Kapazität von Bahnhöfen und Knoten entwickelt, welcher die streckenbezogenen Verfahren ergänzt. Dabei wurden die zu bewertenden Kenngrößen als Grundlage für Indikatoren, welche insbesondere Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Belegungselementen und den Zusammenhang zwischen verschiedenen Kenngrößen berücksichtigen, zielführend festgelegt. Der Ansatz bildet die Grundlage für das Bewertungsverfahren der Knotenkapazität.
- Vorbereitung, Durchführung und Analyse einer Befragung
Um Grundlagen für die Kalibrierung des neuen Verfahrens zu gewinnen, wurden Expertenbefragungen organisiert und analysiert. Im Rahmen der Projektbearbeitung wurde eine Befragung in Ulm Hbf durchgeführt und dazu Experten aus der Fahrdienstleitung des Stellwerks Ulm Hbf, der Betriebszentrale sowie weitere Sachkundige eingebunden (vgl. Anhang II).
- Kalibrierung des Bewertungsverfahrens für die Knotenkapazität
Aufbauend auf den Ergebnissen der Expertenbefragung wurde das entwickelte Verfahren zur Berechnung und Bewertung von Knoten kalibriert. Die Kalibrierung erfolgte auf der Basis repräsentativer Knoteninfrastrukturen und charakteristischer Betriebsprogramme und ergänzt damit methodisch die Erkenntnisse aus der vorangegangenen Befragung.
- Implementierung des Bewertungsverfahrens für die Knotenkapazität
Die im Rahmen des Projekts neu entwickelten Ansätze wurden zur rechnergestützten Anwendung softwareseitig umgesetzt, um die Bewertung von komplexen Knoten effektiv zu unterstützen. Dazu wurde das Verfahren in die für die DB Netz AG entwickelte Software PULEIV integriert, um die Möglichkeit zu erschließen, anhand realer Infrastrukturbeispiele das Bewertungsver...