V Wasser
V 1. Das Wasser in der germanischen Überlieferung
In Bezug auf dieses Thema kann natürlich nicht jede Textstelle, in der Wasser erwähnt wird, betrachtet werden. Im Folgenden erscheinen daher nur diejenigen Textstellen, die in mythologischer Hinsicht relevant zu sein scheinen.
V 2. Das Urwasser
Wasser (bzw. Eis) und Feuer sind in der Mythologie der Germanen die beiden Ur-Elemente, aus denen die Welt entstanden ist. Allerdings ist dies keine allzu systematische Schöpfungsgeschichte, da es neben dem Wasser und dem Feuer auch noch die Urkuh, d.h. die Muttergöttin in Kuhgestalt gibt.
Dieser Urgegensatz ist ansonsten bei den Indogermanen Mutter Erde und Vater Himmel. Die Gegensatz-Elemente Feuer und Eis erinnern mehr an das Yin und Yang der Chinesen. Es ist daher nicht auszuschließen, daß das „Feuer und Eis“-Motiv der Germanen und das „Yin und Yang“-Motiv einen gemeinsamen Ursprung in Nordeurasien haben.
Die Ähnlichkeit zwischen „Feuer und Eis“ und „Yin und Yang“ ist größer als es zunächst einmal scheint. Die ältesten chinesischen Schriftzeichen für Yin und Yang stammen aus der Zeit von 1600 v.Chr – damals haben die Germanen gerademal seit 200 Jahren in Südskandinavien gesiedelt.
Um 1600 v.Chr. setzen sich die beiden Worte „Yin“ und „Yang“ noch aus drei Schriftzeichen zusammen, die etwas über den Charakter dieser beiden Worte aussagen: Yang = „Sonnenstrahlen-Seite eines Hügels“, Yin = „von Wolken beschattete Seite eines Hügels“. Die Lichtseite eines Hügels war die Südseite eines Hügels, da die Sonne auf der Nordhalbkugel (und folglich auch in China) vor allem von Süden her scheint – die Schattenseite war der Norden. Daher wurde das Wort Yang auch mit dem Süden assoziiert und das Wort Yin mit dem Norden.
Später wurden Yin und Yang dann als „Sonnen-Hügel“ (Yang) und „Mond-Hügel“ (Yin) geschrieben und schließlich noch einmal zu „Große Sonne“ und „Großer Mond“ vereinfacht.
Das sonnige Yang im Süden entspricht somit dem Feuer von Muspelheim im Süden und das schattige Yin der eisigen Dunkelheit von Niflheim im Norden.
Diese Orientierung findet sich auch schon um 10.000 v.Chr. in Göbekli Tepe: Das Diesseits ist der Süden – im Norden des damaligen Jagdgebietes steht der „Bauchberg“ (Göbekli Tepe) mit den Tempeln. Das Tor der Tempel weist wie die Tore der germanischen Hügelgräber stets nach Süden und die Jenseitsgöttin wird auf der Nordseite der Statuen-Pfeiler dargestellt.
Der Norden ist bei vielen Völkern, die von den Erbauern von Göbekli Tepe abstammen, das Jenseits gewesen. Dort im Norden am Nordpol vermutete man auch den Weltenbaum.
Auch die Sonnen-Orientierung ist bereits in Göbekli Tepe, Nevali Cori und Jericho, also in den ersten steinernen Tempeln, deutlich ausgebildet.
Schließlich gibt es noch den Umstand, daß die Chinesen die Lichtseite und die Schattenseite mit dem Bild eines Hügels beschrieben haben – sie hätten schließlich auch einen Berg oder einen Baum oder einen Felsen benutzen können. Der Hügel ist jedoch auch bei den Chinesen das Bild der schwangeren Erde gewesen und war deshalb von großer Bedeutung: die Schwitzhütte, das Hügelgrab und der Tempelberg.
Auch diese Symbolik stammt aus Göbekli Tepe: die Tempel waren wie schon in der Altsteinzeit Schwitzhütten, die bei den Tempeln von Göbekli Tepe jedoch eine steinerne Grundmauer erhalten haben. Diese Schwitzhütte wurde auch über Gräbern errichtet – zunächst vermutlich einfach als Schwitzhütte, also aus Stäben und Fell, dann als Reisighaufen und schließlich als Erdhügel (Hügelgrab).
Das Hügelgrab war der Ort, an dem sich Diesseits und Jenseits trafen, an dem die Lebenden Rat und Hilfe von ihren Ahnen erbaten. Es lag also nahe, den Hauptgegensatz in der Welt, also Diesseits und Jenseits, mithilfe der beiden Seiten eines Hügelgrabes zu beschreiben.
Dazu paßt auch, da „Yin-Yang“ die Bedeutung „Astrologe, Magie, Geomantie“ hatte, was Bereiche sind, die zu einem Schamanen, also einem Jenseitsreise-Priester gehören – die wiederum eng mit den Hügelgräbern als dem Tor zwischen den beiden Welten verbunden gewesen sind.
Dieses Jenseitstor könnte durchaus mit dem germanischen Ginnungagap, dem Abgrund zwischen Muspelheim im Süden und Niflheim im Norden übereinstimmen.
Die grundlegende Symbolik des Gegensatzes „Diesseits – Sonne – Licht – Süden“ und „Jenseits – Dunkelheit – Schatten – Norden“ hat es schon in Göbekli Tepe gegeben. Er könnte sich bei den Germanen und bei den Chinesen in einer recht ursprünglichen Form erhalten haben – es wäre aber auch denkbar, daß die Germanen diese Vorstellungen bei ihrer Einwanderung in Südkandinavien um 1800 v.Chr. bei den Megalith-Erbauern vorgefunden haben, die vor ihnen in Skandinavien gesiedelt haben und die ebenfalls von den Jägern abstammen, die die Tempel von Göbekli Tepe errichtet haben.
Aus der Sonne im Süden ist in den überlieferten Texten der Germanen das Feuer von Muspelheim geworden und aus dem Schatten im Norden der Nebel von Niflheim.
Die Auffassung des Nord-Elementes als Eis (statt Nebel/Schatten) wird wohl von den Gletschern im Norden und von dem Eis der Arktis inspiriert worden sein – und Eis ist ja auch ein markanter Gegensatz zu Feuer …
Diese Betrachtung zeigt, daß das (gefrorene) Wasser als einer der Urgegensätze in der germanischen Mythologie sehr wahrscheinlich schon eine längere Geschichte hinter sich hat:
(frühe Jungsteinzeit in Mesopotamien: Göbekli Tepe)
Jenseits im Norden (Norden = Nacht-Richtung = Unterwelt)
=> Jenseits an der Nordseite des Hügels
=> Jenseits an der Schattenseite des Hügels im Norden
(nach der Einwanderung der Germanen in Skandinavien)
=> Jenseits an der Schattenseite des Hügels im kalten Norden
=> Jenseits an der Schattenseite des Hügels im eisigen Norden
=> Jenseits an der Nebelseite des Hügels im eisigen Norden
=> Hügelgräber im Nebel-Jenseits im eisigen Norden
=> Hügelgräber...