Krumme und gerade Wege
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Krumme und gerade Wege

Pilgern alternativ

  1. 136 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Krumme und gerade Wege

Pilgern alternativ

Über dieses Buch

Pilgerwandern quer durchs Land. Einfach so.Auch wenn nur Kurzstrecken gegangen werden, so bringt diese Art des Pilgern doch Vieles -Positives, aber auch Negatives.Vor allem, wenn sich die Ziele unterscheiden, mit anderen Landschaften und Begegnungen und Glück erfahren wird.

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Information

Winterliche Pilgertage

Stille Tage in Damme:
Priorat St. Benedikt
Dazwischen
Man muss noch Chaos in sich tragen,
um einen tanzenden Stern zu gebären.
Friedrich Nietzsche
Zum »Nordischen Rom«:
Magdeburg – Halberstadt – Ilsenburg – Goslar
MEINE FÜR DIE WINTERLICHE JAHRESZEIT
geplanten Pilgerfahrten sollten mich einmal entlang des Baltisch-Westfälischen Jakobsweges nach Damme führen. Später wollte ich auf dem Jakobsweg von Magdeburg nach Goslar über Halberstadt wandern. Entscheidender Impuls für mein winterliches Unterwegssein war nicht nur dieser Haufen ungelöster Fragen: Gibt mir das Pilgern überhaupt noch etwas? Kann ich Klosteraufenthalte noch ertragen und erneut ein Labyrinth begehen? Fühlte ich mich doch in meiner vermeintlichen Inkompatibilität durch eine mir scheinbar versperrte Tür nicht nur von spiritueller Teilhabe ausgeschlossen. Auch von Akzeptanz und Philia. Gerechtfertigt? Was hatte mich von der ersten Pilgerfahrt an nun eigentlich geleitet, war alles nur eine Imagination, ein Wunschdenken? Demgegenüber stand immer noch die Freude am Unterwegssein, ein ganz irdisch-kontemplatives Glück.
Trotz der anhaltenden, vom Sturz herrührenden Beschwerden vergrößerte sich allmählich der schmale Lichtstreifen am Horizont, wie so deutlich im Nienwalder Forst erlebt. In mein Bewusstsein zog mehr Klarheit ein und stärkte meine Lebensfreude, trotz allem. Gleichzeitig ahnte ich aber auch, dass die oft beengte Atmung mich noch lange begleiten würde. Wichtig war vor allem, wieder in den Zustand der Harmonie zu gelangen, den verloren gegangenen Einklang wiederherzustellen, aus dem Gefangensein im Labyrinth herauszukommen. Ob mir das gelingen würde? Geduld! Keineswegs bewertete ich das in mir wirkende Chaos ausschließlich negativ. Kann sich doch aus diesem Neues entwickeln und zu einer weiter dimensionierten Perspektive befähigen. So zumindest meine Hoffnung.
Als sehr heilsam erlebte ich eines Tages während der Meditation eine innere Stimme, die mir sagte: Ich bin doch bei dir, ich halte dich und trage dich. Damit kehrte ein wenig von der beim Pilgern empfundenen Freude und Harmonie zurück, gab mir Kraft. Überhaupt fand ich es hilfreicher, nicht gegen die Traurigkeit anzukämpfen, sondern sie zenmäßig anzunehmen, sie zu absorbieren und mich in sie fallen zu lassen. Das gab mir Geborgenheit und das Gefühl von mich stützender göttlicher Liebe. Den Aufenthalt in Damme verband ich zwar nicht mit einem Neubeginn, aber vielleicht stellte er einen notwendigen erneuten Aufbruch dar.

Stille Tage in Damme

Priorat St. Benedikt
Dieses kleine Kloster bzw. Priorat mit angeschlossener Bildungseinrichtung befindet sich an dem von Bremen nach Osnabrück über Wildeshausen und Vechta führenden Teilstück des Baltisch-Westfälischen Jakobsweges. Traditionell verläuft er in südwestlicher Richtung über die Bremer Neustadt, Heiligenrode mit seinem ehemaligen, 1182 gegründeten Benediktinerkloster, Wildeshausen, Vechta, Damme und Rulle. Wichtige Transitorte für die mittelalterlichen Pilger waren neben dem Kloster Heiligenrode die Wallfahrtsorte Wildeshausen und Rulle, aber auch Vechta. Von 851 bis in das 17. Jahrhundert hinein wurden in Wildeshausen die aus Rom translatierten Gebeine des hl. Alexanders verehrt, manifestiert durch die als Basilika im 13. Jahrhundert erbaute Alexanderkirche. Seit der Einführung der Reformation befinden sich die Reliquien in der Vechtaer St. Georgs-Kirche. Im Mittelalter besaß Wildeshausen einmal Bedeutung durch seine Lage am Hunteübergang der ›Flämischen‹ Straße von Antwerpen nach Skandinavien. Zum anderen endete bzw. begann hier der bis Osnabrück gehende, mindestens aus der Karolingerzeit stammende Pickerweg. Seit dem 13. Jahrhundert lassen sich Spuren eines Jakobskultes festmachen, wie die in der genannten St. Georgs-Kirche aufgestellte Jakobsstatue zeigt. Der heute noch besuchte Wallfahrtsort Rulle entstand 1347 durch ein sogenanntes Blutwunder. Zudem bot die im 13. Jahrhundert entstandene Zisterzienserinnenabtei Marienbrunn den Pilgernden Rast und Ruhe.
Das Dammer Priorat ist eine 1963 gegründete Niederlassung der Benediktinerabtei Münsterschwarzach mit zur Zeit acht Mönchen. Der eigentliche Grund für meinen Aufenthalt gerade in diesem Kloster war das dortige Waldlabyrinth. Dessen Begehung sollte nach der von mir in Münsterschwarzach gemachten Erfahrung zur Disposition stehen, mich erneut mit seinen Windungen, mit Anfang und Ziel konfrontieren.
Endlich war es soweit, der Rucksack gepackt mit warmer und auch festlicher Kleidung, Lesestoff und einigen süßen Sachen. Mit allen meinen Fragen im Gepäck – zusätzlich begleiteten mich Sentenzen Hildegards von Bingen – zog ich dann voller Erwartung auf die kommenden Tage los. Erst einmal ging es mit der Regionalbahn von Bremen in Richtung Osnabrück. Das eher gemächliche Fahren mit dem Zug erlaubte ein intensives Beschauen der noch nebelverhangenen norddeutschen Winterlandschaft. Die zumeist einzeln daliegenden Gehöfte vermittelten den Eindruck von Behäbigkeit und Ruhe. Viel Ackerland, oft mit Wintergetreide, dazwischen vereinzelt Cluster von Windrädern. Das ruhige Dahinfahren und Betrachten stärkte die Gelassenheit und ließ mich innerlich zur Ruhe kommen. Jetzt besaß ich auch genügend Muße, diesen aus dem 10. Jahrhundert stammenden Hymnus zu lesen, den mir Freundin Kathrin als Reise- und Weihnachtsgruß mitgegeben hatte:
Dies ist der Hoffnung lichte Zeit;
der Morgen kommt, der Tag bricht an:
Ein neuer Stern geht strahlend auf,
vor dessen Schein das Dunkel flieht.
Im südlich von Lohne gelegenen Steinfeld verließ ich den Zug, um gut zehn Kilometer nach Damme zu wandern. Das Wetter war angenehm, kaum Wind, die Temperatur fast zu warm. Der Weg durch Steinfeld selbst ein bisschen lang und ein wenig öde. Leider konnte ich keine Hinweise auf den eigentlichen Pilgerweg finden. Wohl gab es Wanderwege quer durch die Landschaft mit erheblichen Umwegen. Da ich nichts riskieren wollte, nahm ich den Radwanderweg direkt neben der Straße. Auch früher haben sich schließlich Pilgernde an der Infrastruktur orientiert und sind wohl kaum im Zickzack durch die Landschaft gelaufen – es sei denn, um irgendwo Gnadenbilder aufzusuchen.
Unterwegs lichtete sich der Nebel bei weiterhin grauem Himmel. Bereits nach den ersten Kilometern stellte ich fest: Ich war zu warm angezogen, puh! Fleecemütze, Wollschal und Handschuhe verschwanden im Rucksack, die Wollsocken behielt ich an, für den Kopf reichte auch ein Stirnband. Weiter ging es mit flottem Schritt auf und ab durch die schöne Landschaft der ›Dammer Schweiz‹, auch im Winter gut zu durchwandern mit dem dominierenden Rotbraun abgefallener Blätter. Die leichten Steigungen waren gut zu bewältigen, die Stauchung machte sich gelegentlich wegen des Rucksacks bemerkbar, besonders aber meine noch vorhandene körperliche Schwächung. Nur nicht aufgeben!
Nach etwa eineinhalb Stunden erreichte ich Damme, lief aber durch die Ortsmitte einen mehrere Kilometer langen Umweg zum Kloster. Ich hatte der kürzeren Querverbindung am Dammer Bergsee entlang nicht so recht getraut. Nach einigem Herumfragen kam ich endlich auf den richtigen Weg und war, früher als erwartet, schon um 15 Uhr an der Klosterpforte. Von Bruder Fabian erhielt ich den Zimmerschlüssel, aber ohne weitere Informationen. Die ständig ankommenden Gäste mit ihren Fragen und Wünschen waren wohl ziemlich anstrengend für ihn.
Doch klostererfahren wie ich inzwischen bin, fand ich mich sofort zurecht und gönnte mir im Gästerefektorium einen heißen Tee und ein ordentliches Stück Topfkuchen. Außer mir waren schon einige Gäste anwesend und stellten sich teilweise lautstark in ihren Gesprächen dar. Ich setzte mich zu einer etwas jüngeren Frau an den Tisch, wir lächelten uns an, wechselten aber kein Wort miteinander. Beide mussten wir uns wohl erst auf den Raum und die Situation einstellen. Der anschließende Besuch in der Klosterkapelle hat mich dann doch sehr ergriffen. Spontan warf ich mich voller Hingabe auf den Boden, spürte eine leichte weinerliche Traurigkeit. Vor Erschöpfung oder Erleichterung? Danach erkundete ich weitere Örtlichkeiten, es gab sogar ein Schwimmbecken, das ich in den nächsten Tagen nutzen wollte.
Während der Vesper schaute ich mir intensiv das eigenwillige, wie ein Triptychon im Halbkreis geformte Altarbild an. Schon beim ersten Besuch der Kapelle zog es meine Blicke auf sich und erinnerte mich an die Bilder des in Münsterschwarzach lebenden Künstlers Pater Meinrad Dufner. Tatsächlich: Wie mir nach dem Abendessen der uns begrüßende Prior bestätigte, war dieser die gestaltende Kraft, auch für den Altarraum. Doch findet das etwas ungewöhnliche Altarbild beileibe nicht überall Zustimmung. In den folgenden Tagen nahm ich immer wieder das Gesamtbild schauend in meine Gedanken auf, erkannte Zusammenhänge der Formen, beobachtete das wechselnde Farbenspiel im sich verändernden Tageslicht, ließ die ihm immanente Spiritualität auf mich wirken.
Über die Weihnachtstage waren ungefähr 36 Gäste anwesend, der größte Teil Frauen von 30 an aufwärts bis zu über 80 Jahren. Immer wieder interessant die zu beobachtende Zusammensetzung der Gäste bei Klosteraufenthalten: Altruismus und Eigennutz sind gleichermaßen vertreten, die Kommunikation ist nicht immer einfach, zudem bilden sich schnell ›Fraktionen‹. Am ersten Abend setzte sich ein älteres Ehepaar etwas verspätet zu uns an den Tisch und grummelte vor sich hin. Die vorgefundene Sitzordnung gefiel ihnen wohl nicht, sie konnten oder wollten sich aber auch nicht deutlich dazu äußern. Sie sehr bestimmend und betulich agierend, er mehr in sich gekehrt, aber nicht abweisend.
Am nächsten Morgen beim Betreten des Speiseraums sahen beide mich erwartungsvoll an: Setzt sie sich zu uns, oder? Registrierten erleichtert meinen Morgengruß und mein Platznehmen ihnen gegenüber. Schnell kamen wir ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass der Ehemann im letzten Jahr zwei Herzinfarkte und einen Schlaganfall zu bewältigen hatte und noch einer Betreuung bedurfte. So klären sich oberflächlich gefasste Beurteilungen auf. Zu den nachfolgenden Mahlzeiten haben wir uns dann immer wieder getroffen und gegenseitig Plätze freigehalten.
Bei der Komplet am ersten Abend zeigte sich mir in aller Klarheit, die Tage im Dammer Kloster sind ein Prüfstein. Immer wieder streiften mich Fetzen von extremer Traurigkeit. Trotzdem fühlte ich mich zunehmend sicher und war bereit, Unabänderliches anzunehmen. Als sehr wohltuend empfand ich die Einfachheit des Zimmers mit seinen schmucklosen Wänden. Lediglich oberhalb der Tür ein weißes Kreuz auf weißer Wand. Die gemeinschaftlichen Räumen fallen durch eine ansprechende Farbgestaltung mit einzelnen Feldern von Grellgrün über sanftes Blau hin zu Kräftigrot auf. Sehr harmonisch.
Volles, aber nicht total klösterliches Programm am Tag des Heiligen Abends. Tagesbeginn mit der Laudes um sechs Uhr und daran anschließend Konventmesse. Nach dem Frühstück unternahm ich einen Rundgang durch Damme und schwamm noch vor der Mittagszeit ein paar Runden im klösterlichen Schwimmbad. Herrlich! Doch da ich keinen Badeanzug dabei hatte, musste ich mich mit einer passenden Garnitur behelfen. Am Nachmittag nach Tee und Kuchen (Käse-Mohn, lecker) dann endlich der Gang durch das Waldlabyrinth, geleitet von dem Motto:
Der Weg zur Mitte ist der Weg zur Kraft.
Der Weg aus der Mitte ist der Weg zur Liebe.
Gernot Candolini
Das Labyrinth wurde im Mai 2004 unter Verwendung von vielen Tonnen Steinen gefertigt. Sein Aufbau orientiert sich an der klassisch-christlichen Kreuzesform mit allerdings größerer Mitte. Die sieben Umgänge verlaufen in konzentrischen Kreisen und sind aus etwa 40 Zentimeter hohen Steinmauern gefertigt. Die ganze Anlage wurde in die bestehende lichte Waldlandschaft integriert, dabei in leichter Hanglage ausgerichtet. Von den 19 integrierten Bäumen stehen 17 genau auf den Begrenzungslinien, der erste Baum wirkt wie eine einladende Tür. Eine Art Holztor vor dem Eingang markiert den Beginn eines besonderen Raums.
Beim Betreten des Labyrinths empfand ich zunächst Traurigkeit und Beklemmung. Das relativierte sich bald, sollte es doch ein Aufbruch sein. Ich stellte mich dem Weg mit seinen natürlichen Hindernissen und dadurch auch denen meines Lebens: Einzelne Bäume mit ihrem kräftigen Wurzelwerk und Baumstümpfe forderten Achtsamkeit. Dazwischen wuchs immer wieder Farn. Mal ging es aufwärts, dann wieder abwärts. Die umgebende Natur winterlich, aber lebendig. Hohe Fichten und Kiefern, deren Kronen sich leicht im Wind wiegten. Durch das am Boden liegende Laub überwogen die Brauntöne. Leichter Nieselregen setzte ein. Das Gehen wurde leichter, der Aufenthalt in der Mitte signalisierte: geschafft, angekommen, wieder ein Anfang. Der Rückweg dann befreiter, losgelöster, ohne Beklemmung und Negativgefühl. Stattdessen voller Zuversicht und mit einem Hauch von Glück. Na, das ist doch ein Fortschritt!
In der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest fand die noch adventliche Vesper bereits um 17 Uhr statt. Später luden die Mönche zu einer gemeinsamen Feier ins weihnachtlich geschmückte große Gästerefektorium ein. Auf allen Plätzen standen üppig mit Nüssen, Keksen und Süßem gefüllte Gabenteller. Es wurde gesungen, Geschichten erzählt, sich unterhalten. An unserem Tisch saßen Bruder Fabian und Pater Jonathan, der einiges zum Besten gab: So entschuldigte er sich einmal nach einer Predigt »für den Schmarrn«, den er wohl gerade von sich gegeben hätte. Oder die Sache mit der Katze, die ein Mitbruder einem anderen in die Kapuze beim Einzug in die Kirche steckte. Anfangs fand sie es noch recht gemütlich, von dort die Welt zu betrachten. Erst beim Chorgebet mit den üblichen Verbeugungen war der Spaß vorbei, laut miauend ›rettete‹ sich die noch junge Katze durch einen Sprung. Soviel zum mönchischen Schabernack!
In seiner kleinen Ansprache vermittelte der Prior die Botschaft »zu schauen, was hinter dem Menschen steckt, durch seine Hülle hindurchschauen«. Tatsächlich wollen wir selbst auch in unserem Wert erkannt und ›durchschaut‹, nicht vorbeurteilt oder verurteilt werden. Die Christmette später war sehr besinnlich. Allerdings spürte ich nur wenig von der Freude der Weihnachtsbotschaft. Oder empfand ich es nur so? Mir selbst ging es in diesen Stunden und während der nächsten Tage sehr gut, fühlte mich aufgehoben und wurde zunehmend gelassener. Nahe gegangen ist mir die von Pater Jonathan in seiner Predigt vermittelte Botschaft der gleichwertigen Würde des Menschen. Wurde mir diese tatsächlich genommen oder existiert alles nur in meiner Imagination?
Am ersten Weihnachtstag durften alle ausschlafen. Was aber wohl nicht von Bruder Fabian genutzt wurde, stand er doch nach seiner Aussage jeden Tag bereits um drei Uhr in der Frühe auf, um den Tag ohne Stress und in Ruhe angehen zu können. Da wunderte es mich nicht, in der Nacht zwischen drei und vier Uhr durch lautes Gepolter unter meinem Zimmer geweckt zu werden. Laudes und feierliche Weihnachtsmesse waren zeitlich deutlich später angesetzt. Während des Frühstücks erwähnte ich kurz, wie auffällig ich die Diskrepanz im Verhalten vieler Priester zwischen so genannter Freizeit und Amtsausübung fand: einerseits locker, aufgeschlossen, unbeschwert, andererseits verschlossen, wenn nicht abwehrend. Es entspann sich dann eine lebhafte Diskussion. Andere Gäste machten ähnliche Beobachtungen. Dabei musste ich an das gleichbleibend gütige Gesicht Anselm Grüns in Münsterschwarzach denken.
Bei herrlich klarem Himmel und erfrischend kalter Luft durchwanderte ich am Morgen das Tal des Flüsschens Bexadde. Unterwegs tauschten wir uns begegnenden Spaziergänger freundliche Weihnachtsgrüße aus. Mittags gab es für Konvent und Gäste ein gemeinsames festliches Weihnachtsmahl: Ente, Rotwein, Zimtparfait. Anschließend war Küchendienst angesagt (wie eigentlich an allen Tagen). Nach der Kaffeezeit mit leckeren Torten unterhielt ich mich lange mit einer Frau aus Wilhelmshaven, die als Protestantin das erste Mal ein Kloster besuchte. Nach dem vielen guten Essen vertrat ich mir am Abend bei sternklarem Himmel die Beine mit einem langen Spaziergang durch den Ort.
Am zweiten Weihnachtstag ging vieles wieder seinen gewohnten Gang, einige Gäste reisten bereits ab. Diesmal umrundete ich den Dammer Bergsee, danach drehte ich wieder einige Runden im klösterlichen Schwimmbad. So war ich bereit für die nächsten Mahlzeiten. Was wurden wir verwöhnt! Witzig war noch, dass einer der Mönche für die Laudes am Morgen eine falsche Uhrzeit angegeben hatte: Wir kamen zu spät. Was ein Grund war, den verantwortlichen Pater damit tüchtig aufzuziehen.
An diesem Tag kam ich endlich dazu, lange vor dem Altarbild in der Kapelle kontemp...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Prolog
  3. Kleine Pilgerkunde
  4. »Gott befohlen«
  5. Auf nach Wilsnack!
  6. Quer durchs Land
  7. Eifel – Wege
  8. Winterliche Pilgertage
  9. Multireligiös unterwegs
  10. Angekommen!
  11. Was bleibt
  12. Epilog
  13. Quellen
  14. Literatur
  15. Impressum