VERSCHIEDENE GESCHICHTEN
UND ERZÄHLUNGEN
Wenn Sri Bhagavan etwas aus seiner großen Geschichtensammlung erzählte, veränderte er sich. Einmal beschrieb er Gautamas Freude, als die Göttin Parvati in seinen Ashram kam. Er konnte nicht weitererzählen, da ihm Tränen in die Augen traten und seine Stimme zitterte. Er versuchte, seine Bewegtheit vor den anderen zu verbergen, und sagte: »Ich weiß nicht, wie die Leute solche Geschichten erzählen können, ohne zusammenzubrechen. Ich vermute, sie müssen ihre Herzen hart wie Stein machen, bevor sie mit dem Erzählen beginnen.«
SELBST-HINGABE: DIE GESCHICHTE VON KÖNIG
JANAKA UND DEM WEISEN ASHTAVAKRA
Ashtavakra belehrt König Janaka
Diese Geschichte leitet die Ashtavakra Gita, die Belehrung, die Ashtavakra König Janaka erteilte, ein.
Frage: »Ich fürchte, dass Selbstverwirklichung nicht leicht zu erlangen ist.«
Maharshi: »Warum machst du es dir schwer, indem du an ein Scheitern denkst? Mach weiter. Die Selbstverwirklichung stellt sich bei einem ernsthaften Sucher ein, ehe man bis auf drei zählen kann.«
Um das zu verdeutlichen, erzählte Sri Bhagavan folgende Geschichte:
König Janaka hörte einer philosophischen Abhandlung zu, die der Staats-Gelehrte (pandit) vorlas. Darin kam ein Abschnitt vor, der besagte, dass ein Reiter, der seinen ersten Fuß in den Steigbügel gestellt hat und dabei über die Verwirklichung meditiert, das Selbst verwirklichen könne, noch ehe er seinen zweiten Fuß erhoben hat, um in den zweiten Steigbügel zu steigen. Das bedeute, dass die Verwirklichung sich sofort einstelle. Der König wies den Gelehrten an, nicht mehr weiterzulesen, und befahl ihm, den Beweis für diese Behauptung zu erbringen. Da bekannte der Gelehrte, dass er nur ein Bücherwurm sei und über kein praktisches Wissen verfüge. Janaka meinte, der Text müsse entweder falsch oder stark übertrieben sein, aber der Gelehrte stimmte ihm nicht zu. Obwohl er keine Erfahrung weiterzugeben hatte, behauptete er, dass der Text weder falsch noch übertrieben sein könne, da er die Worte weiser Männer der Vergangenheit enthielte. Janaka ärgerte sich über ihn, bekam einen Wutanfall und ließ ihn ins Gefängnis werfen. Jeden Gelehrten, der sich als Weiser ausgab, aber diese Textstelle nicht beweisen konnte, ereilte dasselbe Schicksal.
Aus Angst, eingesperrt zu werden, flohen einige Gelehrte aus dem Land und lebten freiwillig im Exil. Als zwei oder drei von ihnen durch einen dichten Wald flohen, trafen sie auf Ashtavakra1, der trotz seiner Jugend sehr weise war. Als Ashtavakra von ihrer Notlage erfuhr, bot er an, dem König die Wahrheit der Textstelle zu beweisen und die gefangenen Gelehrten freizubekommen. Von dieser kühnen Beteuerung beeindruckt, brachten sie ihn in einer Sänfte zum König.
Als der König den Weisen kommen sah, erhob er sich und grüßte ihn mit äußerster Ehrerbietung. Ashtavakra wies den König an, alle Gelehrten freizulassen. Janaka dachte, dass nur jemand einen solchen Befehl erteilen könne, der seine Zweifel beseitigen konnte. Also ließ er die Gelehrten frei und bat den Weisen, sein Pferd bringen zu lassen. Der Weise riet ihm, nichts zu übereilen, und schlug vor, mit ihm an einen einsamen Ort zu gehen.
Also verließen der König auf seinem Pferd und der Weise in der Sänfte die Stadt. Als sie den Wald erreichten, bat der Weise den König, seine Gefolgschaft zurückzuschicken. Der König tat, wie ihm geheißen. Dann stellte er seinen ersten Fuß in den Steigbügel und forderte den Weise auf, jetzt die Richtigkeit dieses Textes zu beweisen. Der Weise meinte zweifelnd, ob diese Situation wohl der rechten Meister-Schülerschaft entspräche. Da verstand der König, dass er die nötige Ehrfurcht vor Ashtavakra zeigen müsse, und bat ihn um Gnade. Der Weise sprach ihn nun mit ›Janaka‹ an, denn er war nicht länger ein König, und erklärte ihm, dass ein wahrer Schüler sich und seinen ganzen Besitz dem Meister überlassen müsse, bevor er die Unterweisung der Erkenntnis Brahmans (Brahma jnana) erhalten könne. »So soll es sein!«, erwiderte der König. »So soll es sein!«, antwortete der Weise und verschwand im Wald.
Von diesem Zeitpunkt an konnte Janaka sich nicht mehr bewegen. Den einen Fuß hatte er im Steigbügel und den anderen in der Luft baumeln, als wäre er zur Statue erstarrt. (Als Sri Bhagavan das erzählte, imitierte er die Position von König Janaka.)
Die Zeit verging. Als die Stadtbewohner kein Anzeichen dafür fanden, dass der König zurückkehren würde, bekamen sie es mit der Angst zu tun und machten sich nach ihm auf die Suche. Sie kamen an die Stelle, wo Janaka erstarrt war, und waren bestürzt, als er nicht auf sie und ihre ernsten Fragen reagierte. Sie begannen, nach Ashtavakra zu suchen, der ein Scharlatan sein musste, da er ihren König verzaubert hatte, wie sie dachten, und schworen Rache. Bekümmert brachten sie den König in einer Sänfte in die Stadt zurück, um für ihn zu sorgen. Doch der Zustand des Königs veränderte sich nicht.
Schließlich wurde Ashtavakra gefunden. Die Minister flehten ihn an, den Zauber zu beenden und den König in seinen normalen Zustand zurückzuversetzen. Gleichzeitig machten sie ihn für den Zauber verantwortlich. Ashtavakra überging ihre unwissenden Bemerkungen und rief Janaka beim Namen. Der grüßte ihn sofort und antwortete. Die Minister waren erstaunt. Ashtavakra sagte zum König, er sei von den Leuten böswillig verdächtigt worden, ihn in diese schlimme Notlage gebracht zu haben, und bat ihn, die Wahrheit zu erzählen. Da fragte der König ärgerlich: »Wer hat das gesagt?« Die Minister waren verwundert und baten um Erbarmen. Ashtavakra wies den König an, wieder normal zu reagieren, und fügte hinzu, dass nur reifen Menschen die Erkenntnis Brahmans (Brahma jnana) gelehrt werden könne. Da der König den Test erfolgreich bestanden habe, würde er ihm diese Erkenntnis jetzt übermitteln.
Der Weise verbrachte die Nacht über allein mit dem König und lehrte ihn die endgültige Wahrheit. Er sagte: »Brahman ist nichts Neues oder von dir Getrenntes. Es ist keine bestimmte Zeit und kein bestimmter Ort nötig, um Es zu verwirklichen.« Er schloss: »›Das bist Du‹ (tat tvam asi). Das ist das ewige und unendliche Selbst.«
Am folgenden Morgen sahen die Minister, dass der König eine Versammlung einberief und seines Amtes waltete wie üblich. Bei der Hofversammlung fragte Ashtavakra den König, ob sein früherer Zweifel, ob Brahma jnana so unmittelbar und schnell erlangt werden könne, wie die Schriften sagen, beseitigt worden sei. Wenn ja, so möge er sein Pferd bringen lassen und vorführen, dass es wahr sei.
Der König war jetzt sehr demütig und sagte: »Herr, weil ich unreif war, habe ich die Richtigkeit dieses Textes bezweifelt. Jetzt weiß ich, dass jeder Buchstabe davon wahr ist.«
Die Minister dankten dem Weisen.
(Swarnagiri: Erfahrungen, S. 49-52; Nagamma: Briefe, 24.4.1948; Nagamma: Letters and Recollections, S. 28-35)
DER JNANI AND DER SIDDHA:
PRABHULINGA UND GORAKHNATH
Eines Tages wurde über Hata Yoga und ähnliches gesprochen. Da erzählte Sri Bhagavan folgende Geschichte aus dem Prabhulingalila, einem bekannten tamilischen Werk des Weisen Sivaprakasa Swamigal.
Prabhulinga, der Gründer der Lingayat-Sekte2, die es inzwischen nur noch im Karnataka-Staat gibt, reiste zur Erbauung der spirituell Gesinnten durchs Land. In Gokarnam, einem berühmten Pilgerort an der Westküste Indiens, traf er den berühmten Yogi Gorakhnath. Der Yogi grüßte Prabhulinga respektvoll, war sich aber voller Stolz seiner außergewöhnlichen Kräfte über die Elemente bewusst. Er betrachtete seinen Gast mehr oder wenig als ihm ebenbürtig, sagte, er freue sich, ihn zu treffen, und fragte ihn, wer er sei.
Prabulinga erwiderte, dass nur einer, der sein Ego ein für alle Mal vernichtet habe und verwirklicht sei, wissen könne, wer er sei. Er würde sich fragen, was er zu jemandem, der an seinem vergänglichen Körper hing, sagen sollte. Gorakhnath, der sich mit seinem Körper identifizierte, antwortete: »Nur wer durch die Gnade Shivas und den Verzehr von Heilkräutern die Unsterblichkeit des Körpers erlangt hat, wird niemals sterben. Jeder andere stirbt.«
Prabhulinga entgegnete, dass Erkenntnis in der Verwirklichung des eigenen Selbst bestünde und nicht darin, den Körper unsterblich zu machen. Er erklärte ausführlich, dass der Körper nicht das wahre Selbst sein könne. Doch Gorakhnath war davon nicht zu überzeugen und gab nicht nach. Stolz forderte er Prabhulinga heraus, er möge versuchen, seinen Körper entzweizuschneiden, und händigte ihm ein langes, scharfes Schwert aus. Als das Schwert Gorakhnath traf, konnte es ihn nicht verletzen, war dabei aber stumpf geworden.
Prabhulinga tat so, als sei er überrascht, und forderte dann Gorakhnath auf, im Gegenzug zu versuchen, seinen Körper zu zerteilen. Zunächst zögerte Gorakhnath und warnte Prabhulinga, dass er sterben würde. Aber Prabhulinga bestand darauf. Da ergriff Gorakhnath das Schwert und versuchte, Prabhulingas Körper zu zerteilen. Zu seiner großen Verwunderung durchdrang das Schwert Prabhulinga, ohne ihn zu verwunden. Es war, als zerschneide es nur einen leeren Raum!
Erst jetzt war der siddha Gorokhnath bereit, die Überlegenheit des jnani Prabhulinga anzuerkennen. Er war in seinem Stolz gedemütigt und bat Prabhulinga, ihn in der Wahrheit zu unterweisen. Prabhulinga erklärte ihm Brahma vidya (die Erkenntnis Brahmans) folgendermaßen: »Gorakhnath, denke nicht, dass dein Körper das Selbst ist. Suche den, der in deinem Herzen wohnt, und du wirst ein für alle Mal die Krankheit von Geburt und Tod los sein. Die Höhle ist nur in deinem Herzen. Der Bewohner der Höhle heißt Gott oder ›Ich bin Das‹.«
(Sundaresa Iyer, S. 89-92; Swarnagiri: Erfahrungen, S. 54-58; Talk 334)
2 eine Shiva-Sekte; Prabhulinga war ein jnani aus dem 12. Jh.
VIERUNDZWANZIG GURUS: DATTATREYA
Ein König ging in Begleitung seiner Armee und seines Gefolges mit allem Prunk und Pomp durch einen Wald. Da traf er einen Mann, der nicht einmal einen Lendenschurz trug. Er lag auf dem Boden, hatte ein Bein über das andere geschlagen und lachte. Anscheinend war er sehr glücklich und mit sich und der Welt zufrieden. Der König wunderte sich darüber, dass er so glücklich war, und ließ ihn herbeirufen. Aber als die Männer des Königs zu ihm kamen, reagierte er nicht und blieb in seinem Zustand. Als das dem König mitgeteilt wurde, ging er selbst zu ihm hin, doch der Asket nahm auch von ihm keinerlei Notiz.
Da dachte der König: »Dies kann kein gewöhnlicher Mann sein« und sagte: »Swami, du bist offensichtlich sehr glücklich. Dürfen wir erfahren, was das Geheimnis deines Glücks ist und welcher Guru es dich gelehrt hat?« Da antwortete der Asket: »Ich hatte vierundzwanzig Gurus. Ich habe von allen gelernt, von diesem Körper, der Erde, den Vögeln, von Dingen und Menschen.«
Man kann alles in dieser Welt in Gut und Böse einteilen. Das Gute hatte ihn gelehrt, was er suchen sollte, und das Schlechte...