1. Einführung
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit dem Thema: Resilienzförderung durch Biografiearbeit – Vorschlag zur Durchführung eines Biografieseminars und Darstellung möglicher resilienzfördernder Auswirkungen auf die Teilnehmer. Ebenso wird auf die verschiedenen Zielgruppen und die Gesprächsführung in der Biografiearbeit eingegangen.
Es wurde insoweit eine Eingrenzung des Themas vorgenommen, indem auf das vorgestellte Biografieseminar Bezug genommen und das Alter der Teilnehmenden auf das mittlere Erwachsenenalter eingegrenzt wurde. Das Augenmerk ist auf die inhaltliche Gestaltung des Biografieseminars gerichtet, da die Inhalte als Grundlage zur Begründung der Resilienzförderung dienen. In den Ausführungen werden die Bezeichnungen Teilnehmer und Leiter verwendet. Wichtige organisatorische Aspekte und Rahmenbedingungen für ein gelingendes Biografieseminar werden kurz dargestellt.
Der Begriff Biografie ist in der Öffentlichkeit allgegenwärtig. Sich mit der Biografie auseinanderzusetzen hat Konjunktur. In einer immer unübersichtlicher werdenden Welt, scheint es den vermehrten Bedarf an Orientierung zu geben. Menschen sind viel stärker dazu genötigt, den eigenen Lebensweg zu reflektieren. Die Anzahl der Menschen, die nach dem Lebenssinn und einer Rückschau ihres Lebens suchen sind in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Dies wird meist mit dem Prozess der Modernisierung erklärt (vgl. Miethe, 2014, S. 7). Menschen begeben sich auf Sinnsuche und unternehmen den Versuch, ihr Leben zu ordnen oder in ein Ganzes einzufügen. In der biografischen Selbstreflexion geht es um die Aneignung der eigenen Biografie. Durch das Verstehen und Gestalten des Lebens soll die lebensgeschichtliche Erinnerung fruchtbar gemacht werden (vgl. Gudjons/Wagener-Gudjons/Pieper, 2008, S.16). Gleichzeitig ist der Verlust von Intimität und Vertrautheit zu erkennen. Private Mitteilungen über soziale Plattformen sind an der Tagesordnung und Vertrautes wird der Öffentlichkeit preisgegeben. Erworbene Wissensbestände und biografische Statuszeiten verändern bzw. veralten schneller. Hierdurch werden Menschen verstärkt mit Situationen konfrontiert, die neue Handlungsstrategien erfordern, einer biografischen Reflexion und meist einer Umdeutung der Situation bedürfen. Die Arbeit an der eigenen Biografie wird als Schlüsselkompetenz in unserer modernen Gesellschaft gesehen (vgl. Miethe, 2014, S. 7). Hierdurch ist das Arbeitsfeld der Biografiearbeit entstanden.
Die Literatur ist in den letzten Jahren stark angewachsen. Auffallend dabei ist, dass die verwendeten Begrifflichkeiten meist unterschiedlich definiert oder sogar synonym genutzt werden. Beispielsweise Biografiearbeit und Biografieforschung. Dieser begrifflichen Konfusion soll entgegengewirkt werden, indem versucht wird, die verschiedenen Begrifflichkeiten voneinander abzugrenzen. Eine Abgrenzung der Begrifflichkeiten ist Voraussetzung, dass zukünftig der Bereich der Biografiearbeit weiter professionalisiert werden kann (vgl. ebd., S. 8).
Deshalb erfolgen zu Beginn Definitionsversuche der Termini Biografie, Biografiearbeit, Biografieforschung, Biografisches Lernen und die Abgrenzung zur Therapie wird dargestellt. In Punkt drei werden die Formen, Rahmenbedingungen und Methoden der Biografiearbeit aufgezeigt. Es folgt ein Vorschlag zur Durchführung eines Biografieseminars. Hier wird auf die Rolle des Lehrenden sowie Lernenden eingegangen und der inhaltliche Ablauf eines einwöchigen Biografieseminars für Teilnehmer des mittleren Erwachsenenalters anschaulich mit Übungen beschrieben. Bei einem Teil der Übungen wurden diese nur auszugsweise dargestellt, so dass es möglich ist, sich die Übung vorzustellen. Wenn dies vermerkt ist, so findet eine ausführliche Beschreibung der Übungen im Anhang statt. Die Übungsanweisungen im Anhang wurden, wie angegeben, wörtlich übernommen. Bei den Ausführungen der Autorin wird kurz auf organisatorische Punkte, welche bei der Durchführung eines Biografieseminars zu beachten sind, eingegangen.
Daran schließen sich die Ausführungen zur Resilienz an. Durch Emmy E. Werner wurde der Begriff Resilienz bekannt. In ihrer Studie verfolgte sie vierzig Jahre lang circa 700 Kinder, die auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurden. Alle diese Kinder wuchsen unter riskanten Lebensbedingungen auf. Trotzdem entwickelte sich ein Drittel dieser Kinder zu psychisch gesunden Erwachsenen. Diese Kinder zeigten eine hohe Resilienz gegenüber den Risiken aus ihrem Umfeld. Hieraus entstand die Resilienzforschung. Resilienz - die seelische Widerstandfähigkeit, wie sie genannt wird, ist in der modernen Welt erforderlich. Wir werden als soziales Wesen von Wertvorstellungen und Ansprüchen unseres sozialen Umfeldes gefordert. Oft wäre es gut, so etwas wie „seelische Hornhaut“ auf unserer Seele zu haben. Etwas, dass Schutz bietet vor den zu bewältigenden Herausforderungen in Beruf und Alltag. Sozusagen eine Selbstsicherheit, die einen Großteil an Kritik an uns abprallen lässt und gezielt nur das verwertet, was für uns Menschen konstruktiv ist (vgl. Berndt, 2015, S. 10). Es gibt Menschen, die kaum zu erschüttern sind. Was ist es, was diese Menschen so stark macht? Dieser Frage wird unter anderem in der Resilienzforschung nachgegangen. Eine vollständige Antwort hierauf gibt es noch nicht. In diese Forschungslücke hinein soll gefragt werden, ob die Teilnahme an einem Biografieseminar, speziell dem vorgestellten Seminar, die Resilienz der Teilnehmenden fördern kann. Es wird versucht die Termini Resilienz und Resilienzforschung zu klären. Daran anschließend werden ausgewählte Bezugskonzepte der Resilienz vorgestellt. Genauer eingegangen wird auf das Salutogenesekonzept von Antonovsky, das Risiko- und Schutzfaktorenmodell, das transaktionale Stresskonzept nach Lazarus und auf das „Life-skills“ Konzept der Weltgesundheitsorganisation (WHO), welches modifiziert auch auf Erwachsene Anwendung finden kann. Ziel ist es, eine Verknüpfung zu den theoretisch ausgeführten Konzepten und dem dargestellten Biografieseminar vorzunehmen, um die Forschungsfrage beantworten zu können. Am Ende des vierten Punktes wird auf mögliche Grenzen der Resilienzförderung durch Biografiearbeit eingegangen.
Im abschließenden Fazit findet die Beantwortung der Forschungsfrage statt. Diese lautet: Kann durch die Teilnahme an einem Biografieseminar die Resilienz der Teilnehmenden gefördert werden? Wenn ja, wodurch kann dies geschehen und wo sind mögliche Grenzen? Ein Ausblick in die Zukunft der Biografiearbeit sowie Kapitel zu den möglichen Zielgruppen und zur Gesprächsführung in der Biografiearbeit beschließen dieses Lehrbuch. Im Anhang befinden sich Übungen zur Biografiearbeit sowie eine kurze Einführung in die Arbeit mit dem Lebensbuch und Memory Books.
Zur leichteren Verständlichkeit befindet sich vor dem Literaturverzeichnis ein alphabetisch angelegtes Glossar. Wurden Quellen verwandt, so sind diese im Literaturverzeichnis angegeben.
Genderhinweis: Aus Gründen der Lesbarkeit wurde auf die doppelte Verwendung der weiblichen und männlichen Form verzichtet. Die Verwendung der weiblichen Form schließt selbstverständlich die Männer mit ein, genauso wie die männliche Form die Frauen einschließt.
2. Definitionsversuche der wichtigsten Begrifflichkeiten des ersten Teils
Um zielgerichtet Arbeiten zu können ist es erforderlich die verschiedenen Begrifflichkeiten, die in Bezug auf Biografiearbeit immer wieder auftauchen, genau voneinander abzugrenzen und den Versuch einer definitorischen Eingrenzung vorzunehmen.
Begonnen wird im nun folgenden Hauptteil mit der Erklärung der verwendeten Begriffe.
2.1 Terminus Biografie
Seit Mitte der 1970er Jahre wird das biografische Arbeiten in verschiedenen Kontexten eingesetzt. Im Mittelpunkt steht hierbei die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen. Die Erfahrungen, die ein Individuum im Laufe seines Lebens gesammelt hat, bilden die Biografie. Die Arbeit an der eigenen Biografie erlebt derzeit einen „Boom“. Menschen benötigen häufig Unterstützung um einen für Sie persönlich passenden Weg in die Zukunft zu finden und diesen zu strukturieren. Deshalb werden derzeit viele Seminare im Bereich des biografischen Arbeitens angeboten.
Hölzle und Jansen (2011) übersetzen Biografie mit dem Wort Lebensbeschreibung. Biografie kommt vom griechischen Wort „bios“ und bedeutet Leben. „Gràphein“ wird mit schreiben, zeichnen oder darstellen übersetzt. Eine Biographie kann als ein Gestaltungsprodukt eines Individuums bezeichnet werden, welches das Ergebnis von reflexiven, gestaltenden und selektiven Prozessen darstellt (vgl. ebd., S. 31).
Der Begriff Biografie ist sehr vielschichtig auch wenn er im privaten Alltag als selbstverständlich verwendet wird. Oft wird der Terminus Lebenslauf dem Begriff Biografie gleichgesetzt. Der Lebenslauf ist jedoch lediglich eine zeitliche Abfolge biografischer Ereignisse. Biografie hingegen umfasst mehr. Sie beinhaltet nicht nur die biografischen Daten eines Individuums sondern auch die subjektive Interpretation dieses Ereignisses. Für Biografiearbeit ist diese Bedeutungsstrukturiertheit wichtig. Ein biografisches Ereignis erhält erst vor dem Hintergrund eigener bisher gesammelter Erfahrungen eine persönliche Bedeutung. Jedes Individuum entwickelt seine eigene Weltsicht und lagert Erfahrungen spezifisch ab und deutet die erinnerte Lebensgeschichte. Lebensereignisse eines Menschen können sich auf dessen Lebensweg auswirken und dazu führen, dass dieser verändert oder neu strukturiert wird. Dabei ist die erlebte Intensität der Ereignisse von Person zu Person interindividuell. Termini wie „Lüge“ und „Wahrheit“ sind deshalb für Biografiearbeit kontraproduktiv bzw. helfen nicht weiter. Biografien sind immer subjektive Konstruktionen eines Individuums, abhängig von der so genannten „Gegenwartsschwelle“. Damit ist die derzeitige Perspektive eines Menschen gemeint, von der aus er die eigene Lebensgeschichte betrachtet (vgl. Miethe, 2014, S. 11 ff).
Da das Leben einen ständigen Prozess darstellt ist auch eine Biografie nicht statisch sondern unterliegt ständiger Veränderung. Je nach aktueller Lebenssituation sind unterschiedliche Teile der Biografie von Bedeutung. Miethe definiert Biografie wie folgt:
„Biografien sind subjektive und bedeutungsstrukturierte Konstruktionen des individuellen Lebens, wie sie sich in der kognitiven, emotionalen und körperlichen Auseinandersetzung zwischen individuellem Erleben und gesellschaftlichen und kulturellen Dimensionen herausbilden.“ (Miethe, 2014, S. 21)
Nachdem auf den Begriff Biografie eingegangen wurde, wird im Folgenden der Terminus Biografieforschung erklärt.
2.2 Terminus Biografieforschung
Biografieforschung verfolgt ein anderes Ziel als Biografiearbeit. Biografie wird in der Biografieforschung dazu genutzt, allgemeine sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Diese werden meist verschriftlicht und publiziert. Biografiearbeit hingegen hat als Ziel das biografische Verstehen und die Weiterentwicklung der Biografen. Biografiearbeit verfolgt nicht in erster Linie wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. In der Biografieforschung werden Menschen über ihr Leben interviewt. Dies wird auf Tonband aufgenommen, transkribiert und unter einer wissenschaftlichen Fragestellung ausgewertet. Es steht das gegebene Interview und nicht der Mensch im Mittelpunkt. Das Ziel ist es nicht, eine pädagogische Beziehung zum Gegenüber herzustellen (vgl. ebd., S. 24 f).
2.3 Terminus Biografisches Lernen
Im Unterschied zur Biografiearbeit wird der Begriff biografisches Lernen als Überbegriff für Lernprozesse verwendet, welche lebensgeschichtliche Aspekte in den Lernprozess miteinbeziehen (vgl. Vogt, 1996, S. 38). Allheit (2003) griff den Gedanken auf, dass es sich hierbei um ein selbsttätiges Lernen in der Lebensgeschichte handelt. Er hat dies als Biografizität weiterentwickelt was so viel meint wie „(…) die prinzipielle Fähigkeit, Anstöße von außen auf eigensinnige Weise zur Selbstentfaltung zu nutzen, also (…) auf eine nur uns selbst verfügbare Weise zu lernen.“ (ebd., 2003, S. 20) Biografisches Lernen findet auch Anwendung als biografisch orientierte Didaktik. Hierbei werden Lernsituationen anregender gestaltet indem beispielsweise Zeitzeugen in den Unterricht eingeladen werden (vgl. Miethe, 2014, S. 26). Abschließend kann biografisches Lernen bezeichnet werden als
„(…) allgemeiner Oberbegriff für alle Lernprozesse (…) die in irgendeiner Form lebensgeschichtliche Aspekte oder Fragestellungen in den jeweiligen Lernprozess einbeziehen. Zum anderen kann sich dieser Begriff auf einen Bereich beziehen, der als biografisch orientierte Didaktik bezeichnet werden soll. Im Unterschied zur Biografiearbeit steht hier nicht die Biografie selbst im Mittelpunkt, sondern diese wird lediglich als didaktisches Mittel eingesetzt, um das Interesse am zu vermittelnden Inhalt zu steigern. Dieser zu vermittelnde Inhalt kann durchaus auch biografisch relevante Aspekte umfassen.“ (ebd., S. 27)
In der anschließenden Grafik werden im Überblick die verschiedenen Termini mit kurzer Begriffsklärung und deren Arbeitsperspektiven in ihrem übergeordneten Zusammenhang dargestellt.
Abb. 1: Übersicht Biografisches Lernen (http://1)
Biografisches Lernen ist ein Gewinn für die Selbststeuerung des Subjekts und kann positive Effekte auf die Deutungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster haben. Ebenso ist eine Steigerung der Lernintensität möglich was zu einer Vertiefung des Fachwissens führen kann (vgl. http://2).
2.4 Terminus Biografiearbeit
Wann kann nun von Biografiearbeit gesprochen werden? Den Begriff einzugrenzen ist schwierig. Ist es Biografiearbeit, wenn Menschen an einem Biografieseminar teilnehmen? Oder Erzieher mit dem Kind über seine Eltern sprechen? Wenn in der Schule oder im Studium der Zugang zum behandelten Stoff über biografische Dimensionen stattfindet? Oder wenn wir einem Freund über unsere lang zurückliegende bewegende We...