
- 176 Seiten
- German
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eBook - ePub
Systemtheoretische Beobachtungen I
Über dieses Buch
Beiträge zum Verhältnis von Theologie und Systemtheorie.
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Information
Sünde
1. Traditioneller Zugang
Die theologische Tradition hat Erbsünde als Verlust der urständlichen Perfektion bzw. Gerechtigkeit und in Folge davon Sünde als aktuellen Vollzug der Erbsünde tituliert.104 Dabei stehen Erbsünde und Tatsünde im Verhältnis von Potentialität und Aktualität zueinander. Ihre Einheit kann mithin als Konstitution von Sünde (überhaupt) begriffen werden.105 Luther fängt die Unterscheidung von Potentialsünde und Aktualsünde dann im Begriff der anthropologisch verankerten concupiscentia auf.106
Der erbsündlich bedingte, aktuelle Vollzug von Sünde ist durch Selbstkonstitution des Menschen ohne Gottesbezug gekennzeichnet, die von der urständlichen bzw. perfekten (Fremd-) Konstitution des Menschen durch den Gottesbezug abweicht. In diesem Sinne ist Sünde Korruption im Gegenüber zur Perfektion des Urstandes.107
Der frame der traditionellen Sündenlehre ist mithin ein Konzept von (sachlich, zeitlich und sozial) vorausgelagerter Perfektion bzw. eines (sachlich, zeitlich und sozial) strukturierten Verlaufs von urständlicher Perfektion, kreatürlicher Korruption und eschatologischer Perfektion bzw. perfekter Integration.108
Ein (nicht nur auf Theorie bezogenes) Gegenmodell zum Perfektionsansatz kann in einem Possibilitätsansatz gesehen werden. Im Gegenzug zum Perfektionsansatz, bei dem eine sachliche, zeitliche und soziale Ordnung als gegeben – wenn auch korrumpierbar bzw. faktisch korrumpiert – vorausgesetzt wird, setzt der Possibilitätsansatz bei der Frage an: Wie ist sachliche, zeitliche und soziale Ordnung möglich?109
Der Unterschied beider Ansätze lässt sich sodann insbesondere anhand des Beobachterbegriffs beschreiben: Beim Perfektionsmodell exkludiert sich der Beobachter als unbeobachtbarer Dritter aus der Beobachtung, beim Possibilitätsmodell ist der Beobachter als beobachtbarer Dritter „mittenmang“110. Dies wird daran erkennbar, dass innerhalb des Perfektionsmodells keine Systemreferenzen benannt werden oder (überhaupt) benennbar sind, beim Possibilitätsmodell dagegen jede Bestimmung mit der Nennung einer Systemreferenz beginnen muss. Der Mangel an bestimmbaren Systemreferenzen beim Perfektionsmodell resultiert aus der Thematisierung von Ursprungs- und Zielfragen.111
Ursprungs- und Zielfragen werden insbesondere mit der Unterscheidung Schöpfer/Geschöpf aufgerufen. Derlei Fragen greifen üblicherweise über das Beobachtbare auf Unbeobachtbarkeiten hin aus. Die Sündenthematik wird damit in einen frame von Ursprung und Ziel im Sinne einer Heilsthematik gestellt. Es kommt zu geschichtsphilosophischen Annahmen einer Zeit (tempus) vor dem lapsus und nach dem lapsus. Eine Auflösung der Geschichte (tempus) erfolgt dann in einer anderen Zeit (aeternitas).112 Die tragende Unterscheidung dieses Konzepts lautet daher Perfektion/Imperfektion bzw. Perfektion/Korruption.113 Sünde zerstört Perfektion, ist mithin Korruption, und ein Gegenmodell, das etwa im Stile eines Possibilitätsansatzes möglich wäre, wird nicht thematisiert.114
Das Verständnis von Sünde als Selbstkonstitution des Menschen abseits eines Gottesbezugs greift auf ein (unbestimmt gelassenes) Konzept von Selbstreferenz zurück. Dabei erscheint (reine?) Selbstreferenz als Sünde und (reine?) Fremdreferenz als Gerechtigkeit. Die beiden Seiten der Unterscheidung Selbstreferenz/Fremdreferenz werden auseinander gezogen und verselbstständigt. Dadurch werden die bereits genannten Möglichkeiten bzw. Anforderungen zur Bestimmung von Systemreferenzen aufgegeben.
Der traditionelle Zugriff auf den Begriff der Sünde über Selbstreferenz ohne Fremdreferenz bezieht sich auf die Lösung des Problems der Perfektion/Imperfektion. Diese Unterscheidung wird zugleich als Synonym für die Unterscheidung von Gott/Mensch bzw. von gerecht/ sündig genutzt. Damit ergibt sich für die traditionelle Sicht auf Sünde die Formel: Die ursprüngliche Perfektion der fremdreferentiell konstituierten Selbstreferenz des Menschen ist durch die selbstreferentielle Konstitution der Selbstreferenz des Menschen korrumpiert. Dies gilt sowohl aus Sicht Gottes als auch aus Sicht des Menschen, aber nur Gott kann diese Zustände beobachten, dem Menschen müssen sie offenbart werden.115
Innerhalb der vielfältigen traditionellen Semantik der Sündenlehre kommt insbesondere in der Gegenüberstellung von Sünde und Gnade die Verankerung der Sündenlehre in einer feudalen (adeligen) bzw. stratifizierten Gesellschaft zum Tragen. Der Herr bzw. der Gerechte gewährt dem Knecht bzw. dem sündigen Menschen Gnade und vollzieht damit die Paradoxie, den Unterschied Herr und Knecht durch Außerkraftsetzen derselben in Kraft zu setzen. Genauso wie die Sünde die Gnade hervorlockt, stabilisiert die Gnade die Sünde, denn die Asymmetrie zwischen Gott und Mensch und damit zwischen Gnade und Sünde restabilisiert sich im Vollzuge der Zuteilung.
Luther hatte gefragt, wie er einen gnädigen Gott bekomme, und eine Umkehr dieser Frage wäre für ihn kaum denkbar gewesen. Dazu bedurfte es zweier Jahrhunderte, bis in einer nach-feudalen Gesellschaft gefragt werden konnte: Wie bekommt Gott einen gnädigen Menschen? Allerdings wurde die Frage (dann) nicht mehr im feudalen Muster von Sünde/Gnade (bzw. Knecht/Herr oder abhängig/unabhängig) gestellt, sondern erhielt die Form: Wie kann Gott die Sünde zulassen?116
2. Systemtheoretische Reformulierung
Wie wäre eine systemtheoretisch fundierte Reformulierung des Themas Sünde (und Schuld) möglich – und ist sie nötig? Oder: Welche funktionalen Äquivalente wären zu nennen, die den veränderten Anforderungen und Sinnkonstellationen einer gegenwärtigen Gesellschaft gerecht werden könnten?
2.1 Der Bezugsrahmen
Wir gehen diesen Fragen nach, indem wir vom Bezugsrahmen bzw. frame einer Possibilitätstheorie ausgehen, die nach den Möglichkeiten von Ordnung fragt. Damit wird der Bezugsrahmen des Perfektionsansatzes, der die traditionelle Sündenlehre bestimmt hatte, verlassen. Perfektions- oder Possibilitätstheorie schließen sich unter anderem deshalb wechselseitig aus, weil nicht entschieden werden kann, aufgrund welcher außenliegender Kriterien entweder die eine oder die andere Theorie als frame vorausgesetzt werden soll(te). Die Umstellung von einer Perfektions- auf eine Possibilitätstheorie entspricht der Umstellung von der Unterscheidung perfekt/imperfekt (bzw. perfekt/privativ oder perfekt/korrupt) auf die Unterscheidung wahrscheinlich/unwahrscheinlich. Mit dieser Umstellung wird zugleich die Unterscheidung empirisch/transzendental, von der bisherige Perfektionstheorien geprägt waren, zurückgelassen.117
Ein zusätzliches Problem von Perfektionstheorien war, dass sie in der Regel einen zeitlichen Verlauf beansprucht haben, die sich in Epochen der Perfektion und der Imperfektion mit einer erwarteten Rückkehr zum Perfektionsstand unterteilt hatten. In sachlicher Dimension wurde aus dem perfekten Zustand die Vorstellung einer Unbedingtheit oder eines Ideals und in sozialer Hinsicht eine harmonische Welt- und Gesellschaftsordnung abgeleitet. Perfektionstheorien haben beabsichtigt, Ursprungs- und Abschlussfragen zu beantworten, die zu ihrer Beantwortung allerdings eine metaphysische Abstützung erforderlich machten.118 Wir setzen daher an die Stelle eines transzendentaltheoretischen Ansatzes, der nach den Bedingungen der Möglichkeiten – also etwa nach Gründen des Seins – fragt, einen systemtheoretischen Ausgangspunkt119, der nicht länger von einem Seinsbezug, sondern von einem Systembezug ausgeht und damit an die Stelle der Unterscheidung perfekt/imperfekt die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz setzt.
2.2 Selbstreferenz/Fremdreferenz
Ein erneuerter Ansatz in der Sündenlehre läuft über die Figur der Selbstreferenz/Fremdreferenz und wirft die Frage auf, inwiefern die Seite der Selbstreferenz (innerhalb dieser Unterscheidung) eine gottes- oder menschenkonforme bzw. eine gottes- oder menschenkorrupte bzw. eine sündenbelastete Konstitution beinhalten soll. Zum Begriff der Korruption kam es traditionell durch die Parallelisierung der Selbstreferenz mit Negation. Selbstreferenz wurde per se als negativ begriffen und damit als von einem perfekten Urstand abweichend verstanden. Die Gegenseite der Fremdreferenz wurde zumeist nicht benannt oder thematisiert und blieb damit unkontrolliert. Es verwundert dann wenig, wenn schließlich auch Fremdreferenz im Sinne von Fremdbestimmung (oder politisch: Entfremdung120) negativ konnotiert wurde.
Nimmt man dagegen die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz als Bedingung dafür, dass Selbstreferenz überhaupt zustande kommen kann, so bleibt die Unterscheidung von negativ/ positiv bis auf weiteres ausgeschlossen. Die Unterscheidung von Selbstreferenz/Fremdreferenz steht stattdessen für die Einheit eines Systems, dass sich mit Hilfe dieser Unterscheidung aus seiner Umwelt ausgrenzt. Selbstreferenz/Fremdreferenz fungiert als re-entry der Unterscheidung von System/Umwelt in das System.121 Auf diesem Wege kommt man dann zu anderen Problemlagen als mit der Entkopplung der beiden Seiten von Fremdreferenz/Fremdreferenz, und zwar an erster Stelle zu der Frage nach der jeweiligen Systemreferenz.
Die (nicht als solche beobachtete) Entkopplung von Selbstreferenz und Fremdreferenz hat in der Tradition dazu geführt, anhand der Unterscheidung von perfekt/imperfekt (bzw. Sein/Sollen) und deren moralischer Zweitcodierung achten/missachten, Sünde als defizitäre Selbstbestimmung einzustufen: Der Mensch will sich selbst bestimmen, schafft dies aber nicht, und unterliegt folglich einer doppelten Sünde, nämlich der Sünde der Selbstverwirklichung (Handeln) und der Sünde der Selbstververfehlung (Erleben).122 Die für sich genommene Selbstreferenz wird zur Sünde und ist darin sowohl falsches Handeln im Sinne externalisierter Imperfektion bzw. imperfekter Externalisierung des Bewusstseins als auch falsches Erleben im Sinne internalisierter Imperfektion bzw. imperfekter Internalisierung des Bewusstseins. Im ersten Falle geht es dann darum, die erhandelte Sünde durch erlebte Gnade zu kompensieren, im zweiten Falle gilt es, die erlebte Sünde durch erhandelte Gnade zu kompensieren.
2.3 Systemreferenzen Kommunikation und Bewusstsein
Da unser Interesse an dieser Stelle auf Sinnsysteme ausgerichtet ist, kommen vor allem zwei Systemreferenzen für die Unterscheidung von Selbstreferenz/Fremdreferenz zum Tragen: Kommunikation und/ oder Bewusstsein. Die Unterscheidung dieser beiden Systemreferenzen resultiert aus der Unterscheidung zweier Formen der Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz. Sowohl Bewusstsein als auch Kommunikation sind auf sich selbst ausgerichtete Systeme, die ihre jeweiligen Außenseiten als Fremdreferenz mitführen. Das Bewusstsein unterscheidet sich selbstreferentiell von seiner Fremdreferenz Kommunikation und die Kommunikation unterscheidet sich selbstreferentiell von ihrer Fremdreferenz Bewusstsein. Kommunikation und Bewusstsein grenzen sich durch je eigene Operationsweisen als unterschiedliche Systeme aus ihrer jeweiligen Umwelt aus.123
Der Begriff der Sünde kann sich demnach auf die eine oder andere Systemreferenz beziehen. Im Hinblick auf das Bewusstseins ist Sünde, die als solche sowohl erkannt als auch nicht erkannt werden kann124, dann entweder Irrtum oder Bosheit125, im Hinblick auf Kommunikation ist Sünde dagegen am besten als Widerspruch zu titulieren, der ebenfalls als solcher erkennbar als auch nicht erkennbar ist. In beiden Fällen kommt es auf den Beobachter an, der das eine oder andere aufgrund einer von ihm getroffenen Unterscheidung bezeichnet.
Für das Bewusstsein fällt der Sündenbegriff – oder in klassischer Terminologie: das Sündenbewusstsein – im streng operativen Sinne aus, da sich kein Bewusstsein von außen beobachten kann und mithin keine externen Kriterien aufbieten kann, um sich von sich selbst zu distanzieren und auf diese Weise für die eigenen Operationen einen Dauer-Irrtum anzunehmen. Bis auf Ausnahmen kann sich in diesem Sinne kein Bewusstsein als grundlegend ,sündig‘ erkennen.126 Falls es dann für ein Bewusstsein dennoch zu einer Sündenerkenntnis kommen sollte, handelt es sich dabei um eine Attribution durch die Kommunikation. Wenn das Bewusstsein etwas von Sünde weiß, dann durch die Kommunikation. Dies entspricht im Übrigen einem nicht unbedeutenden Strange theologischer Überlegungen, der neben der Gnade auch die Sünde extern angeliefert sein lässt.
Insofern Sünde also (ausschließlich) kommunikativ konstituierbar bzw. konstituiert erscheint, ist die Frage nach der Sünde in der Kommunikation eine interessantere und ergiebigere Problemstellung als die Frage nach der Sünde im Bewusstsein. Generalisiert gesprochen kann Sünde durch kommunikative Abweichung oder Negation bzw. durch den Begriff des Widerspruchs127 gekennzeichnet werden.
Es ist leicht verständlich zu machen, dass Abweichung, Widerspruch oder Negation innerhalb eines Perfektionsansatzes negativ und damit als Sünde konnotiert wurden. Innerhalb eines Possibilitätsansatzes kommen stattdessen zwei Effekte zum Tragen, die diesen Sündenbegriff verunmöglichen. Zum einen werden nicht länger Abweichungen usw. als erklärungsbed...
Inhaltsverzeichnis
- Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Operation und Beobachtung
- Üben – Eine Form der Selbstreferenz
- Zum Begriff der Spiritualität
- Beten
- Sünde
- Glück und Zufriedenheit
- Involvement und Desinvolvement
- Reden und Schweigen
- Rationale Mystik
- Träume(n) – Zehn Thesen
- Impressum