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Die Literarisierung einer neuen Krankheitserfahrung
HIV/AIDS in der deutschen autobiographischen und autofiktionalen Literatur
- 312 Seiten
- German
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Die Literarisierung einer neuen Krankheitserfahrung
HIV/AIDS in der deutschen autobiographischen und autofiktionalen Literatur
Über dieses Buch
Die literarische Darstellung von Krankheit ist kein neues Phänomen. Die Unterscheidung zwischen 'gesund' und 'krank' hat es in der Literatur schon immer gegeben. Trotzdem hat das Schreiben über Aids als jüngste literarisierte Krankheit einen ganz besonderen Stellenwert. Das vorliegende Werk untersucht die Genese der deutschen Aids-Literatur, verdeutlicht den Einfluss sowohl anderer Krankheitsliteraturen als auch Aids-Literaturen auf sie und beschäftigt sich mit der Frage, ob die deutschen Aids-Autobiographien als eigenständiges Genre betrachtet werden können, vergleichbar mit dem bekannteren Genre des Aids-Romans in Frankreich.
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Information
1 EINLEITUNG
In seinem 1989 veröffentlichten Werk Gesund oder krank? äußerte der Literaturwissenschaftler Anz die Vermutung, dass auch Aids bald zur literarischen Krankheit avancieren würde.1 Nur zwei Jahre zuvor hatte er noch auf die Schwierigkeiten einer Literarisierung von Aids aufgrund der mit dieser Krankheit assoziierten Moralvorstellungen hingewiesen.2 Zur selben Zeit machte auch Umberto Eco auf die Probleme bei der Ästhetisierung dieser „venerische[n] Krankheit“ aufmerksam, die „den Widerstand gegen die Anpassung an die Normen bezeugt.“3 Allerdings schloss er die Möglichkeit einer Literarisierung von Aids nicht grundsätzlich aus, sondern stimmte Anz‘ Vermutung zu, indem er meinte, „daß die Kunst Gesichter und Geschichten präsentieren wird, in denen die Anzeichen einer tragisch-sublimen Immunschwäche zu erkennen sind.“ (ebd.) Diese Annahme erwies sich als gerechtfertigt, denn Aids ist trotz aller von Anz und Eco erwähnten Schwierigkeiten in mehreren westlichen Ländern in unterschiedlichen Formen literarisiert worden.
Meine Neugier in Bezug auf die deutsche Aids-Literatur wurde 2001 zunächst durch die Lektüre der autofiktionalen Aids-Werke des französischen Schriftstellers Hervé Guibert geweckt, auf die ich zufällig während eines Aufenthalts in Paris stieß. Kurz darauf wurden anlässlich des zehnten Todestages des 1991 verstorbenen Schriftstellers und Fotografen im französischen Fernsehen ein Interview mit ihm sowie der von ihm kurz vor seinem Tod gedrehte Film La Pudeur ou l’impudeur gesendet. Von Freunden und einem Buchhändler wurden mir dann auch die Aids-Werke anderer französischen Schriftsteller wie Dominique Fernandez und Yves Navarre empfohlen. Dadurch verfestigte sich das anfängliche Interesse an Aids als literarischem Thema und es stellte sich die Frage, wie es in anderen Ländern literarisiert wurde. Eine Recherche nach Aids-Werken aus den USA und aus Deutschland in verschiedenen Buchhandlungen ergab sehr schnell, dass von den Ersteren eine Reihe von Veröffentlichungen erschienen waren, von deutschen Aids-Romanen oder -Autobiographien allerdings niemand gehört zu haben schien. Einzig in den Berliner schwulen Buchläden waren die Werke erhältlich. Mein Forschungsinteresse an der deutschen Aids-Literatur begründete sich entsprechend zunächst aus ihrer relativen Unbekanntheit sowie dem daraus zu schließenden Fazit, dass Aids als literarisches Thema in Deutschland im Vergleich zu Frankreich und den USA einen anderen Stellenwert innehatte.
1.1 Gibt es eine deutsche Aids-Literatur?
1992 veröffentlichte der Literaturkritiker und Welt-Redakteur Tilman Krause einen Beitrag Wo bleibt der deutsche Aids-Roman? im Publikationsorgan der Deutschen Aids-Hilfe D.A.H. Aktuell, in dem er die Bedeutung von Aids für den Literaturbetrieb folgendermaßen thematisierte:
„Aids hat das Leben in der westlichen Welt verändert. Nicht nur, daß die Medizin einen Autoritätsverlust erlebt, den man angesichts der fortgeschrittenen Möglichkeiten dieser Disziplin nicht für möglich gehalten hätte. Auch körperliches Leiden, körperlicher Verfall in der brutalsten und offensichtlichsten Form haben wieder Einzug in eine Gesellschaft gehalten, die geglaubt hatte, Schmerz und Hinfälligkeiten des Menschen zu beherrschen, das Kreatürliche unter Kontrolle halten zu können.“4
Aufgrund dieser Veränderungen habe das erworbene Immunschwäche-Syndrom „eine Kulturrevolution ausgelöst, deren Ausmaße wir noch gar nicht abschätzen können.“ (ebd.) Ferner macht Krause auf die umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Thema Aids in der französischen und US-amerikanischen schwulen Literatur aufmerksam, denn in Frankreich habe sich „eine neue literarische Gattung herausgebildet, der Aids-Roman“ (ebd.), während Aids in den USA seit Jahren im Theater und zunehmend auch im Film thematisiert werde. Angesichts dieses breiten Spektrums an künstlerischen Verarbeitungsformen in Frankreich und den USA stellt er die Frage, wie deutsche Künstler und Intellektuelle auf Aids reagieren würden. Dass er die Aussichten in diesem Bereich als trübe beurteilt, wird anhand seiner Antwort deutlich, denn sie heißt: „Überhaupt nicht.“ (ebd.)
Er wirft den deutschen Schriftstellern vor, dass sie das Thema Aids verdrängen und sich in ergebnislose Debatten über die Literarisierbarkeit von Aids flüchten würden, denn sie seien Opfer der angeblich typisch deutschen Unfähigkeit, „Zeugnisse des veränderten Lebens“ (ebd.) zu schaffen. Ferner sei die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit „eine Schwachstelle deutscher Geistigkeit.“(ebd.) Diese „typisch deutsche“ Unfähigkeit erläutert er folgendermaßen:
„Das mühsame Trachten nach Tiefsinn, der Ehrgeiz, um jeden Preis sinnstiftend oder formal innovativ zu wirken, kurz, das Streben nach ‚Höherem‘ und überzeitlicher Bedeutung, die schneidende Verachtung gegenüber der angeblichen Banalität des Beobachtens sind Mentalitätsmuster, die sich hierzulande beharrlich über Jahrzehnte halten.“ (ebd.)
Als weitere Gründe für das Ausbleiben einer deutschen literarischen Reaktion auf Aids nennt Krause die „Berührungsängste deutscher Intellektuelle gegenüber der Homosexualität“ (Krause 1992: 55) sowie die Vorurteile der sogenannten Normalbevölkerung in Deutschland, die er als „homophob wie nirgends sonst in Westeuropa“ (ebd.) beschreibt. In Frankreich andererseits sei „der Anteil homosexueller Kollegen ein anderer beziehungsweise ihr Selbstbewußtsein ein ausgeprägteres“ (ebd.), weshalb es in Frankreich eine längere Tradition der schwulen Literatur gäbe, in die das Thema Aids reibungslos aufgenommen würde.
Meines Erachtens sind Krauses Feststellungen, die auch Härle und Popp (1993) als „fragwürdig-pauschal“5 bezeichneten, nicht ohne Weiteres zuzustimmen. Zum einen kamen nach dem Erscheinen von Krauses Artikel in Deutschland mehrere Aids-Werke heraus, weswegen seine Urteile im Rückblick unhaltbar geworden sind. Zum anderen berücksichtigt er in seinem Beitrag offensichtlich nur zwei der deutschen Aids-Werke: Napoleon Seyfarths Schweine müssen nackt sein (1991) und Mario Wirz‘ Es ist spät, ich kann nicht atmen. Ein nächtlicher Bericht (1992), obwohl Aids in Deutschland schon seit 1987 in der Literatur widergespiegelt wurde. Eine große Anzahl von Aids-Romanen und -Autobiographien, die zwischen 1987 und 1997 in Deutschland veröffentlicht wurden, stehen als Beweis für die Tatsache, dass Aids in Deutschland sowohl in der Fiktion als auch im autobiographischen Bereich umfangreich dargestellt wurde. Zwar gab es in Frankreich und den Vereinigten Staaten mehr Prominente, die an Aids erkrankten und ihre Aids-Erfahrung literarisch aufarbeiteten, weshalb die Aids-Literatur in diesen Ländern seitens der Literaturkritiker und des Massenlesepublikums größere Beachtung fand. Jedoch mangelte es auch in Deutschland nicht an Repräsentationen von Aids, obgleich diese von relativ unbekannten Autoren und zum Teil als Erstlingswerke verfasst wurden. Des Weiteren wurde Aids in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich, wo es eine größere Anzahl von Aids-Romanen gab, gleich von Anfang an überwiegend autobiographisch thematisiert. Demzufolge stellt sich die Frage, ob die deutschen Aids-Autobiographien als eigenständiges Genre betrachtet werden können, vergleichbar mit dem bekannteren Genre des Aids-Romans in Frankreich. Dass diese Frage bejaht werden kann, wird im Laufe dieser Arbeit gezeigt.
Seit dem Beginn der 2000er Jahre sind in verschiedenen Ländern eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten zur Literarisierung von Aids erschienen. Jedoch haben sich die Literarisierung der Krankheit einerseits und andererseits das akademische Interesse daran seit dem Auftreten von Aids gewandelt. Nach dem anfänglich großen Interesse am Thema in den 1980er und 1990er Jahren, als die HIV-Infizierung noch einem Todesurteil glich und Aids als ein unüberschaubares und rätselhaftes Phänomen wahrgenommen wurde, nahm die Zahl der literarischen Werke über Aids bis zum Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts rapide ab und in den letzten fünfzehn Jahren sind keine neuen Texte mehr erschienen. Die Ursache dafür liegt vor allem im Umgang mit Aids, der sich aufgrund der Entwicklung neuer und wirksamerer Medikamente wesentlich geändert hat. Entsprechend verringerte sich auch die Zahl der Forschungsarbeiten über Aids. In jüngster Zeit gibt es allerdings ein erneutes akademisches Interesse am Thema Aids, da es nun mehr als dreißig Jahre zurückliegt, dass die ersten Fälle von HIV auftraten und Aids erstmals literarisch dargestellt wurde. Dass dieser Zeitraum eine erneute und distanziertere Auseinandersetzung mit dem Thema Aids ermöglicht, zeigen die vielen internationalen und interdisziplinären Aids-Tagungen der letzten Jahre. Ferner hat auch die Kunstszene in mehreren Ländern eine Wiederkehr des Interesses an Aids erlebt: 2015 wurden im Dresdner Hygiene-Museum Aids-Plakate, Medienberichterstattungen und Kunstwerke über Aids ausgestellt, um anhand des historischen Blicks auf die Krankheit ihre Kulturgeschichte zu erzählen. Auf US-amerikanischen und europäischen Bühnen werden Aids-Theaterstücke wiederaufgeführt. Sogar in Hollywood wurde das Thema Aids 2013 wieder aufgegriffen.6
1.2 Forschungsstand
Festzuhalten bleibt also, dass es eine ganze Reihe von Untersuchungen zum Thema Aids gibt. Dabei waren die Forschungsarbeiten in den Anfangsjahren vor allem von der Tendenz geprägt, Aids aus einem soziologischen Blickwinkel zu untersuchen.7 Die literarischen Aids-Werke wurden als eine reine Informationsquelle behandelt und der literarische Aspekt an diesen Werken weitestgehend vernachlässigt. Diese Tendenz hält in vielen zeitgenössischen Forschungsarbeiten weiter an. An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an und macht es sich zur Aufgabe, die trotz der intensiven Beschäftigung mit dem Thema Aids noch bestehende Forschungslücke zu schließen. Aids soll in dieser Untersuchung nicht als ein soziologisches, sondern als ein literarisches Phänomen betrachtet werden. Dazu wird nicht die Erfahrung von Aids selbst in den Mittelpunkt gestellt, sondern die literarische Darstellung dieser Erfahrung. Zwar ist Aids in jüngster Zeit auch teilweise als literarischer Topos erforscht worden, aber ein Forschungsrückstand besteht in wesentlichen Aspekten weiterhin. Erstens unterscheiden die meisten Forscher nicht zwischen fiktionalen und autobiographischen Aids-Werken.8 Im Gegensatz dazu wird in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass eine Erfahrung am eigenen Leib von einer Erfahrung aus zweiter Hand unterschieden werden muss, zumal die Erstere eine Grenzerfahrung bildet, die den Betroffenen einerseits mit dem Tod und andererseits mit den Grenzen ihrer Erzählbarkeit konfrontiert. Zweitens gibt es kaum Forschungsarbeiten, die sich ausschließlich mit den deutschen literarischen Aids-Werken beschäftigen, obwohl die amerikanische und französische Aids-Literatur von zahlreichen Forschern und Literaturkritikern sehr ausführlich untersucht worden ist. Mit einem differenzierten Forschungsansatz, der sich hauptsächlich auf die deutschen autobiographischen Aids-Werke konzentriert, soll diese Forschungslücke geschlossen werden.
1.3 Das Korpus
In der vorliegenden Arbeit werden sieben Werke untersucht, die als repräsentativ für die deutschen Aids-Autobiographien angesehen werden können. Diese sind Josef Gabriels Verblühender Mohn. Aids – die letzten Monate einer Beziehung (1987), Helmut Zanders Der Regenbogen. Tagebuch eines Aidskranken (1988), Napoleon Seyfarths Schweine müssen nackt sein. Ein Leben mit dem Tod (1991), Mario Wirz‘ Es ist spät, ich kann nicht atmen. Ein nächtlicher Bericht (1992) und Biographie eines lebendigen Tages (1994), Markus Commerçons AIDS. Mein Weg ins Leben (1994) und Bernd Aretz‘ Notate. Aus dem Leben eines HIV-infizierten schwulen Mannes (1997). Darüber hinaus gibt es weitere Aids-Autobiographien, die allerdings in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden, da ein größeres Korpus von Primärtexten den Rahmen dieser Arbeit sprengen und nicht wesentlich zur theoretischen Argumentation beitragen würde.
Da die Wahrnehmung und Darstellung von Aids als eine Grenzerfahrung den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit darstellen, werden zur Analyse nur solche Werke ausgewählt und in das zu untersuchende Korpus einbezogen, in denen die eigene HIV-Infizierung und gegebenenfalls die eigene Aids-Erkrankung des Autors den Schreibanlass bilden. Die einzige Ausnahme stellt Gabriels tagebuchartiges Werk Verblühender Mohn dar, in dem der Ich-Erzähler im gesamten Verlauf der Erzählung davon überzeugt ist, dass er wie sein Partner HIV-positiv ist, obwohl sein Serostatus nach zwei Blutuntersuchungen mit zwei unterschiedlichen Testergebnissen noch nicht feststeht. Erst auf der letzten Seite des Werks stellt er sich letztendlich als HIV-negativ heraus. Ferner werden ausschließlich nur die in der Ich-Erzählperspektive geschriebenen Werke berücksichtigt, die von der Identität des Autors, des Ich-Erzählers und der Hauptfigur gekennzeichnet sind, während alle Aids-Romane, Aids-Gedichte und kurzen Aids-Erzählungen ausgeschlossen werden, in denen in der dritten Person von der HIV-Infizierung und Aids-Erkrankung einer fiktiven Figur erzählt wird. Des Weiteren werden bei der Gestaltung des Korpus die Erscheinungsdaten der ausgewählten Werke in Betracht gezogen. Gabriels Werk verkörpert die erste Literarisierung von Aids überhaupt in Deutschland, während Aretz‘ Notate die letzte literarische Veröffentlichung zu Aids in Deutschland bildet. Somit werden im untersuchten Korpus die verschiedenen Stufen und Tendenzen in der Literarisierung von Aids in Deutschland widergespiegelt.
1.3.1 Grenzen der Einbeziehung: Der Ausschluss der weiblichen und heterosexuellen Perspektive
Augenfällig bei diesem Korpus ist der Ausschluss sowohl von Aids-Autorinnen als auch von heterosexuellen Aids-Autoren. Dies beruht weniger auf einer bewussten Entscheidung der Verfasserin als auf den konkreten Gegebenheiten bei der Literarisierung von Aids. Weltweit ist Aids in literarischen Werken fast ausschließlich von homosexuellen Männern dargestellt worden, weil die Krankheit viele Jahre lang nur in Verbindung mit schwulen Männern wahrgenommen und daher als ‚Schwulenseuche‘ bezeichnet wurde. Dies trifft auch auf Deutschland zu: Es gibt keine einzige von einem heterosexuellen HIV-Positiven verfasste deutsche Aids-Autobiographie. Was autobiographische Darstellungen der Aids-Erfahrung von Frauen angeht, gibt es nur vier Werke von deutschen Aids-Autorinnen. In Elisabeth Brockmanns Weinen kannst du, wenn ich tot bin (1993) beschäftigt sich die Ich-Erzählerin mit den letzten Tagen ihres Freundes, der an Aids stirbt. In Anatol Feids und Natascha Wegners Trotzdem hab‘ ich meine Träume. Die Geschichte von einer, die leben will (1990) berichtet die Ich-Erzählerin zwar von ihrer eigenen HIV-Infizierung, aber es handelt sich um ein Werk der Jugendliteratur, dessen Ziel in erster Linie die Aufklärung jugendlicher Leser über die Gefahren des Drogenmissbrauchs ist. Marita Pfeiffer, die das Werk AIDS hat mir das Leben gerettet. Meine Jahre zwischen Edelstrich und Drogensumpf (1993) verfasst hat, versucht ebenfalls hauptsächlich ihren Lesern Mut zu machen, der Verlockung Droge möglichst zu widerstehen. Die Autorin Sonja Auras stellt ihre durch die HIV-Infizierung unterbrochene Karriere als Ärztin in den Mittelpunkt ihres Werks Ich bin Ärztin und HIV-positiv: Eine junge Frau kämpft gegen Ausgrenzung und mächtige Interessen (1994).9
Diese Werke werden in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt, da sie im Vergleich zu den Werken homosexuellen Aids-Autoren einen ganz eigenen Diskurs über Aids entwickeln und entsprechend eine neue Perspektive eröffnen, die im Rahmen einer eigenständigen Arbeit über die weibliche Ansicht über Aids untersucht werden könnte. Die unterschiedlichen Darstellungsweisen in den Werken schwuler Aids-Autoren und Aids-Autorinnen werden schon beim ersten Hinsehen deutlich. Der grundlegende Unterschied offenbart sich in der Erörterung der Frage „Warum Ich?“, die sich die genannten Aids-Autorinnen stellen und damit offenbaren, dass sie sich als unschuldige Opfer betrachten. Von den schwulen Aids-Autoren wird diese Frage nicht gestellt. Sie sehen sich historisch als Außenseiter, die gemeinsam eine bedrohte Gemeinschaft bilden, der immer wieder die Schuld an allem zugeschrieben wird. Ferner ist die weibliche Perspektive auch daher nicht zu vereinbaren mit der schwulen Perspektive, weil in den Werken der Aids-Autorinnen k...
Inhaltsverzeichnis
- Hinweise
- Inhaltsverzeichnis
- Danksagung
- 1. Einleitung
- 2. Literarische Darstellungen verschiedener Krankheiten
- 3. Die Entstehung der Aids-Literatur
- 4. Thematische Analyse der deutschen Aids-Autobiographien
- 5. Form und Erzählstruktur autobiographischer Aids-Werke
- 6. Zusammenfassung und Ausblick
- Bibliographie
- Impressum