Frauenliebe
  1. 524 Seiten
  2. German
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eBook - ePub

Über dieses Buch

Der Band "Frauenliebe" enthält die Erzählungen "Die unsichtbaren Schlingen" und "Der Ragusaner" sowie den Roman "Frauenliebe". Der Band ist mit einem Stellenkommentar versehen, enthält "Dokumente zur Wirkungsgeschichte", ein Verzeichnis der Abkürzungen, ein Kapitel mit "Bilddokumenten zur Wirkungsgeschichte", eine "Wirkungsgeschichtliche Skizze", "Editorische Anmerkungen", "Textkritische Eingriffe", "Drucknachweise", ein Literaturverzeichnis und die "Inhaltsübersicht zu den bisher erschienenen Bänden".

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Information

Jahr
2016
ISBN drucken
9783741210488
eBook-ISBN:
9783741229596

WERKE UND SCHRIFTEN III, 4

CAROLINE DE LA MOTTE FOUQUÉ

LILERARISCH-ERZÄHLERISCHES

DIE UNSICHTBAREN SCHLINGEN

DIE UNSICHTBAREN SCHLINGEN.

Wahrhaftig, lachte Arnold, einen schmalen Bergpfad mit rückgewendetem Kopfe leichtfüßig voraneilend, wahrhaftig, Victor! Dein Einfall, kurz vor der Hochzeit die unbeschnittenen Flügel noch einmal so recht frei über Berg und Thal hinausheben zu wollen, entzückt mich, je weniger ich diese lebendige Beweglichkeit in Dir zu finden hoffte.
Du hast mich, entgegnete jener, etwas langsamer mit dem Eisengezackten Stabe nachklimmend, durch Deine Reiseschilderungen unwiderstehlich angelockt, und so wenig auch Julie damit zufrieden war, ich mußte dem unruhigen Jugendblute zum letzten male den Willen thun, und recht wie Einer, der noch nicht sein Leben erkannt und die Bestimmung gewählt hat, ohne Zweck und Absicht mit Dir Feld und Wald durchstreifen. Ich, setzte er, die schwarzen Tannenzweige auseinanderbiegend, hinzu, dessen Zukunft wie eine helle Eone deutlich und bekannt vor mir aufgedeckt ist, ich täusche mich gern mit Spielen der Phantasie, und mache mir selbst glauben, ich folge unter geheimnißvoller Decke einem unbekannten Schicksale.
Beide standen jetzt, durch den schlängelnden Pfad geleitet, auf der Spitze eines weißgezackten Felsens. Um, und neben und unter ihnen lag es wie ein erstarrtes Meer. Ungeheure Steinlagen in rundlich grauen Massen thürmten und ballten sich zusammen. Schroff und steil abgeschnitten ragten einzelne Höhen hervor, indeß lange Feldreihen gleich wogenden Wellen einanderhingen. Farb- und formlos von dem nächtigen Dunkel der Kiefern umhüllt, breitete sich eine regungslose Natur von Victors staunend entzücktem Blicke aus. Alles, rief er, die Arme verschlungen, auf dem eingesteckten Stabe gelehnt, alles ist hier noch Nacht und Geheimniß! unerforscht schlummern die Quellen des Daseins in der Tiefe Schoos, nur das ferne Wollen des Baches weckt die Ahndung von Leben und verborgenem Umtrieb der Stoffe. Unendliche Räthsel! wer entziffert Euch!
Das schwerste von allen, sagte Arnold, indem er die Augen spähend umhersandte, ist mir, wie wir aus dem Labyrinth wieder herausfinden sollen. Deiner Grille zufolge haben wir uns ohne Führer hinaufgewagt; bis hierher ist es gegangen, doch wie weiter? Laß doch! entgegnete Victor, was thut es denn auch, wenn wir uns eine Weile durch das Dickigt hindurchwinden und mit den alten Steinriesen verkehren müssen, ihr schauerlich, stummer Ernst giebt der Seele so vieles zu denken! Mich ängstet aber jede Ungewißheit, unterbrach ihn Arnold, ich will sehen wohin der Weg geht! Ohne Aussicht auf ein Ziel, giebt es keinen ruhigen Genuß für mich!
Er ließ sich bei diesen Worten, auf ausgerissenen Sandhöhlungen, von Stein zu Stein hingleitend, in die enge Schluft hinunter. Hier rieselte auf röthlich gelbem Lehmgrunde ein kristallener Wasserstreifen, der schäumend von der Höhe, in gebrochenen Absätzen, zwischen eckigen Felsstücken an halb entblößten, schiefgebogenen Baumwurzeln herabstürzte. Große Büschel Vergißmeinicht und würziger Pfeffermünze schossen aus dem moorigen Grunde durch, die Spalten und Klüfte der Steine. Der weiße Gischt des Baches hing sich wie Silberflocken an ihre grünen Stiele und säuselnd wiegten sich die blauen Blumen auf den hüpfenden Wellchen.
Hierher! rief Arnold zu dem ernstversunkenen Victor hinaufgewendet, das lebendige Element führt zu Lebendigen. Zögernd stief jener hinab. Unwillkührlich bliebt er mal auf mal stehen und sahe in die wilde Untiefen zurück. Drauf half er sich, an schlanken Baumwipfeln gehalten, mühsam die schroffe Bergwand entlängs, trat dann bequem auf duftigem Klee an des Baches Rand, und ließ sich, einen Augenblick aufathmend, von der duftigen Frische, anwehen. Du eilst gewaltig, sagte er bald lachend Arnolds Arm fassend, was suchst Du nur so unstät? Bewohnlichen Raum, entgegnete jener, Menschen und menschliches Treiben. Die verschlossene Einöde drückt auf mich zurück, sie erinnert etwas peinlich an eine einsame verwilderte Zukunft, der ich ohnfehlbar entgegen sehe. Gestehe ich es Dir, fuhr er, seinen Schritt anhaltend, fort, der Eintritt in Deine bequeme, wohleingerichtete und in derselben Ordnung fortlaufende Thätigkeit, Deine bestimmte Beziehung zur Welt, ja der Anblick der schönen sanften Julie, die ihren warmen Lichtschein so bewußtlos in das Leben hineinträgt und nichts will, als wohlthun und erfreun, Victor, das Alles ließ mich den Zweck- und mittellosen Zustand eines Abentheurers, der nichts ist, nichts kann und vielleicht nichts soll, als rastlos suchen ohne jemals zu finden, drückend fühlen. Ich bin ein häuslich ansiedelnder Mensch, und gleichwohl schleudern mich meine Verhältnisse verwirrend umher, und ich folge dem Winke des Schicksals auch, denn mir thut es niemals wohl, allzu lange auf einem Flecke zu verweilen.
Victor drückte ihm theilnehmend die Hand, indem er nachdenklich sagte: Du öffnest mir da eine Stelle in Deinem Innern, wohin ich noch niemals drang. Wer ahndete die Sehnsucht nach Bleibendem in Dir! Seit vier Jahren, da wir auf der Universität von einander schieden, begegnete ich Dir immer nur auf der Flucht von Einem Unternehmen zum Andern, stets Neues wollend, stets mit Anderm beschäftigt. Ja, ja, lachte Arnold, ich habe mich selbst schon tüchtig im Leben zum Besten gehabt! Doch, plötzlich ernster werdend, setzte er hinzu, glaube mir, Victor, ohne Heimath, ohne Vaterhaus, ohne Familienliebe, ist der Mensch wie ein entwurzelter Baum, er faßt nirgend bleibend ein. Ich bin in die Welt hineingefallen, auf Schulen groß, auf Universitäten alt geworden, und fühle wie ein Greis meine Augen unter dem Hinsehen auf die verhüllte Lebenssonne feucht werden.
Unwillkührlich hatten die flüchtig hingesprochenen Worte tief in dem Innern beider Jünglinge angeschlagen. Schweigend gingen sie neben einander fort. Victor empfand mit Rührung, daß er alles besitze was jenem fehle, ja, daß ihn das Geschick vielleicht allzuweich gebettet, die eröffnete Lebensbahn gar zu glatt geebnet habe, das mühelose Gelingen übersättigte ihn fast, ohne jenem unruhigen Reiz zu stillen, der geheim und dumpf in ihm arbeitete und doch der Seele seinen einzigen deutlichen Wunsch gab. In diesem Nebel flimmernder, loser Gedanken folgte er dem Bach, der bald in wilder Kraft die Berge auseinander gedrängt zu haben, bald in ihrem engen Schooße verbüßt zuseyn, schien. Oft rauschte er, von schwarzen Tannenwänden eingeklemmt, unter überhängenden Klippen, ungesehen, tiefer in die dunkelsten Windungen des Thales hinunter. Kaum in der Breite eines Fußes zog sich der schmale Uferrand entlängs, und ungleich, auf Steine oder in das Wasser tretend, arbeitete sich der Wanderer durch die schmale Schluft. Doch jetzt plötzlich sich biegend, dehnte das Gebirge seine zackige Felsreihen auseinander, breit wie ein Strom stürzte der Bach über herabgerollte Steine, Welle an Welle gedrängt, schäumend und rollend zwischen Smaragdgrünen, glatt geschorenen Wiesen fort. Eine kurze Strecke weiter trieb das gewaltige Wasser eine Mühle. Roth gedeckt sahe das Müllerhäuschen hinter Weinranken hervor. Vier hohe Rosenstöcke haben ihre blühende Kronen über die überbauete Thür hinaus. In der Weinlaube saß die Müllerin, einen blonden Knaben auf dem Schooß, vor ihr die niedlichen, schwarz und weiß getollten Hühnchen, verstreuete Gerste vom Estrich pickend. Seitwärts in den Bach hineingefahren stand ein Wagen mit weißem linnenen Plane überdeckt, zwei Schimmel davor, denen das klare Wasser kühlend an den plätschernden Füßen hin und wieder schlug. Der Müller, wie der Führer des Wagens, trugen die bestäubten Säcke emsig auf schmaler Stiege hinunter über die Brücke, und stellten sie reihenweise zum bessern Ueberzählen auf den Rasen. In einem angebaueten Brettschuber stand der Vater des Müllers in schneeweißen Hemdsermeln und geblümtem Westchen, die krumme Sichel, mit der er noch das letzte Stückchen Gras abzuschneiden gedachte, auf dem Schleifsteine schärfend. Hoch über ihnen, unter den Bäumen, den Felsen hinauf, weideten buntgefleckte Rinder und Schafe und Ziegen, die ihre Glöckchen mit jedem Schritte schüttelten und wunderbar lockenden Ton weit durch das Thal schickten. Eiliger schritten nun die beiden Wanderer, in ihren kurzen grünen Jacken, die schön gearbeiteten englischen Gewehre leicht über die Schultern gehängt, auf dem kühn gewundenen weißlichem Kiespfade der Mühle zu. Von der Anstrengung des Gehens höher geröthet, glüheten ihnen die jugendlichen Wangen und das große weit überschauende Auge in ungewöhnlichem Glanze. Victor hielt sein kleines Sammetbaret unter dem Arm und ließ Licht und Luft mit den blonden duftigen Locken und über die schneeweiße Stirn spielen. Sanft glitt das: Gott grüß Euch! des geschäftigen Greises und der Müllerin freundliches: Willkommen! über seine Seele. Liebreich senkte er die tiefblauen, von dunkeln Wimpern überschatteten Augen zu dem Knaben, der ihm, halb verschämt, halb schelmisch, das Gesichtchen an der Mutter Schürze gedrückt, widerstrebend die kleine rundliche Hand reichte. Er sahe gern in lachende Kinderaugen, doch rührten sie stets wehmüthig an sein Herz. Die Frühlingsfülle barg noch alle bittere Kämpfe der Zukunft, und immer dachte er: wie viel Thränen, ihr armen schönen Augen, preßt euch vielleicht das Leben noch aus! Auch jetzt blickte er seufzend von dem Knaben weg, und ernster zogen sich die sanft geschweiften schwärzlichen Augenbraunen zusammen, als ihm Arnold, auf die Schulter klopfend, neckend zuflüsterte: Du liebkosest wohl in jedem dieser kleinen Wesen Deine eigne zukünftige Vaterfreude? –
Ueberall ward es ihm schwül und eng in der Weinlaube so nahe vor dem kleinen Häuschen, dessen geöffnete Thür nach dem Heerde mit allem Geräthe, wie dem ganzen Getreibe der Wirthschaft, hineinsehen ließ. Die Müllerin hatte den Kleinen auf die Erde gesetzt, um ihren Gästen Brot und Milch zu holen. Aber der Knabe wand sich um ihre Knie und weinte ängstlich. Die arme Frau, mit beiden Händen Geschirr tragend, wußte nicht aus noch ein, sie wollte dem kleinen Schreier enteilen, und wandte sich rasch; da fiel das Kind auf die sandbestreuten Steine und ritzte sich Arm und Stirn blutig. Mein Gott! rief Arnold, auf ihn zustürzend. Die Müllerin lächelte verlegen, stellte alles in der Hand habende verworren hin, und sagte, mal auf-, mal zurücksehend, still nur, still! ich komme gleich: Doch trostlos schluchzte jener, und immer geängsteter betrieb die Mutter ihre kleinen Geschäfte. Dazu das mechanische Klappern der Mühle und der eintönige Ruf Innen beim Aufziehen und Wiegen der Säcke. Victor war unruhig aufgestanden. Er lehnte gedankenvoll an den Rosenbäumen, die säuselnd ihre herabfallenden Blätter auf ihn niederstreueten, während Arnold, den Knaben auf dem Arm, der angenehmen Hausfrau zur Hand gegangen war, und durch scherzende Unterhaltung aus der augenblicklichen Verwirrung hinaushalf. Der alte Vater war auch herangetreten. Er zog grüßend sein Mützchen und lächelte treuherzig zu des fremden Herrn munterm Benehmen. Ei! rief er, dem blonden Enkel auf des bräunlich glühenden Jünglings Arm behaglich zunickend, ei, der Herr hat den Schick schon weg, der Herr muß bald freien. Nicht, Vater, entgegnete Arnold, der da, setzte er, auf Victor zeigend, hinzu, steht mit einem Fuße im Ehestande, sehr nur, wie ernst und nachdenklich er aussieht. So, so, lächelte der Alte, nu, da sehnt er sich wohl nach der Braut, daß er so trübselig ist.
Victor’n trat das Blut heiß in die Wangen. Es war als fasse ihn wer bei den Schultern, und ihn aufrüttelnd, rufe es in sein Ohr: »nein, nein, Unglücklicher, Du sehnst Dich nicht, ihr Andenken ängstet Dich!« Er überschrie zwar die Stimme und ging mit unruhiger Hast in den Scherz des Alten ein, dem er zuletzt noch, durch Rede und Gegenrede gesteigert, voll raschem Eifer, ein reizendes Bild der holden Julie entwarf; doch als er sich nun selbst auf solche Weise die sanften, rührenden Züge ausmalte, und das liebe Gesichtchen ihn, wie vor ihm stehend, ansahe, überfiel ihn eine Angst, daß er nicht bleiben konnte. Er zupfte den träumenden Arnold mehrmals am Arm, und drängte ihn endlich, in der Verwirrung tausenderlei durch einander scherzend, von der treuherzigen Familie und dem reizend friedlichen Häuschen weg.
Es schien, beide hätten jetzt ihre Natur gewechselt. Victors Blut wallte rascher; er ging mit mächtigen Schritten voran, als wolle er der innern Unsicherheit entlaufen. Thor! rief er endlich, durch die schnellere Bewegung gereizt und beflügelt, was marterst Du Dich, eine Beklemmung zu entziffern und Wolken zu zerstreuen, die der gestörte Umlauf des Blutes, der Druck der Berge, Ermüdung, und Gott weiß was? erzeugt haben können! Mir ist schon wieder viel besser und leichter! Wie hängt doch der Mensch von äußern Einflüßen ab! Die schroffe Melancholie der Gegend war meiner fast Herr geworden!
Wirklich hatten sie sich der Flußseite des Gebirges indeß genähert. Eine weite Umsicht auf reiche Felder, Wiesen, den Strom, schöne Thaldörfer und ein nahe liegendes Bergstädtchen, that sich plötzlich wie hinter aufwärts gezogenem Vorhange auseinander. Man sahe von der Höhe in die Straßen des sauber gehaltenen, nett gebaueten Oertchens hinein. Drüben nach den fast zur Ebne gewordenen Thalrändern führte eine schöne Brücke über den Strom. Kärrner und leichte Frachtwagen fuhren hinüber, jetzt auch eine wohlgeformte Reisekutsche, mit vier starken Postpferden bespannt. Der Postillon stieß in sein Horn, denn jenseits machte der Weg eine jähe Krümmung an dem Ufer entlängs; leicht, daß dort ein anderes Fuhrwerk ihm hindernd entgegen kam. Der schlanke Bursche, der, so geschickt im Sattel sitzend, das Horn an die Lippen hielt, mochte wohl zugleich im Städtchen einem hübschen Kinde Lebewohl zurufen, denn wehmüthig wie Abschied und Trennung schmolzen die hallenden Töne in einander. Jetzt war es gethan, er schwang die lange Peitsche, und rüstig trabte er fort, bog dann rechts um den Abhang, und verschwand hinter buschigen Gärten. Die Reisenden, sagte Arnold, übernachteten gewiß da unten auf dem Markt in der goldenen Sonne, die so gewaltig ihre Strahlen umhersendet, die wirkliche leihet ihr eben jetzt ihren Glanz; sieh nur, wie sie leuchtet. Und von hier aus, file Victor, an die Reisenden denkend, ein, machten sie dann ihre Streifzüge durch das Gebürge. So waren sie am Ende heute schon mit uns auf demselben Wege, wir hätten ihnen begegnen können, vielleicht waren wir am Ende ganz nahe, und ein Zufall hielt uns nur getrennt. Warum sie auch grade jetzt abreisen? und wer sie wohl seyn mögen? – Wie kommt Dir die Neugier? fragte Arnold befremdend. Ich weiß nicht, entgegnete jener, es fiel mir so ein. Auch ist es wohl nichts Seltenes, daß uns das Leben etwas Schönes im Vorbeigehen entführt. So ein verschlossener, schnell dahin rollender Reisewagen übt stets eine geheimnißvolle Magie über unsre Einbildungskraft, ein neckendes Räthsel, dem unwillkührlich Sinn und Gedanken nachfliegen. Wer sieht hier nicht menschliche Gestalten und menschliche Zustände, und wer reist nicht für eine Weile mit den Reisenden? –
Ich nicht, entgegnete Arnold, denn ich bin müde und hungrig, und wünschte, wir sehen lieber mit leiblichen Augen, was in jenem materiellen Sonnenreiche zu finden ist, statt mit vergeblichen Wünschen der gelben Batarde nachzujagen, aus der uns vielleicht ein paar reiche Juden aber ein junger hoffnungsvoller reisender Jüngling nebst Hofmeister angähnen. Komm nur, komm! sieh doch, wie der Wirth der Sonne schon hoffend in die weit geöffnete Thür tritt, hinter ihm guckt auch ein schlankes Mädchen, die reichen braunen Locken aus der Stirn streichend, auf die Straße; laß sie nicht vergeblich warten!
Er machte sich sofort auf den Weg, indem er, unter vielem Lachen, Vixtors vergeblicher Sehnsucht spottete und ihren Gegenstand in die possenhafteste Wirklichkeit hinüber zog. So langten sie in dem Städtchen an. Es war schon hoch am Tage. Die Leute feierten bereits von der Arbeit. Vor allen Häusern saßen und standen Ausruhende. Am Eingang eines Gäßchens brannte den beiden Wanderern die mächtige Sonne, so wie die hochgelbe, vom Zugwinde gehobene, Nanquin Jacke ihres Inhabers, bereits in die Augen. Der wohlhabende Mann that einen Schritt vorwärts über die Schwelle, zog die Mütze, und erwiederte das flüchtige: Ihr Diener, Ihr Diener! der beiden Hereintretenden mit höflicher Selbstzufriedenheit, trat dann in das Haus, öffnete das Billardzimmer, und sagte, ein paar Stühle abstäubend: darf ich bitten, hier so lange zu pausiren, bis oben alles in gehöriger Ordnung ist? Arnold warf sich auch sogleich in den nächsten Stuhl, legte Flinte und Jagdtasche auf den Tisch, rief nach Wein und was sonst noch Gutes allhier zu haben sey, und schickte sich zu behaglichem Genusse an; doch Victor’n war es hier unhäuslich, die Durchgehenden, Hineinsehenden, oder gar zur Abendparthie allgemach Eintreffenden waren ihm störend. Er stand noch immer auf dem Sprunge, und verlangte wiederholt nach dem angewiesenen Zimmer; endlich, als er das zierliche Hausjüngferchen, ein paar weiße Ueberzüge auf dem Arm, das große Bund Schlüssel in dem Curt der knappen schwarzen Taffent-Schürze eingehakt, die Siege hinauf gehen sahe, eilte er ihr nach, und trat, durch ihr bescheidenes Stehenbleiben gleichsam gezwungen, zuerst in ein geräumiges, helles Zimmer, welches gleichwohl noch bewohnt zu seyn schien; denn außer dem umherstehenden Geräth, den verschobenen Stühlen, einem auf dem Tisch liegenden Damenhandschuh, nebst Bleistifte beschriebenen Pergamenttäfelchen, feiner Scheere und Papier mit getrockneten Blumen, sahe Victor ganz deutlich bei seiner Annäherung im gegenüber hängenden Spiegel, eine feine weibliche Gestalt in himmelblauem Shawl und leichtem weißen Basthut, zu einer andern Thür hinaus schlüpfen, ja, was noch mehr war, jene wandte, zurücksehend, den Kopf, und große dunkle Augen, von dichten schwarzen Locken beschattet, hoben sich grüßend zu ihm auf. Mein Gott! rief Victor, zu dem hinter ihm stehenden Mädchen gekehrt, wie habe ich mich hieher verirrt? dies ist einer Dame Zimmer, was wird diese von mir denken? Ei, lachte die Kleine, die ist ja nun fort, und Ihnen ist die Wohnung durch ihre Abreise geräumt. Fort? – wiederholte Victor, so verließ sie eben das Gemach, um nicht wiederzukehren? Nun freilich, freilich, entgegnete Jene, das paßt sich just eben, und war unserm Herrn eine rechte Freude, daß Sie sogleich das bequeme Zimmerchen einnehmen konnten. Kamen Sie ein halbes Stündchen früher, so ging es nicht! Aber hören Sie, es ist Ihnen doch Schade, daß Sie die schöne Frau nicht gesehen haben. Ich habe sie gesehen, versicherte Victor. So, erwiederte die Jungfer; ei, da sind Sie ihr wohl begegnet? Victor sahe sie befremdend an, indem er sagte: nun, das wissen Sie ja. Wie sollte ich auch, fiel sie lachend ein; ist mir’s doch unbekannt, ob der gnädige Herr vom Gebirge herunter oder von der Flußseite kommen? Was, um Himmels Willen, hat das hiermit zu thun, unterbrach sie Victor, ich sahe die Dame hier im Hause. I! bewahre, rief das Mädchen, fast erschrocken, da müßte es mit ihr spuken; Sie sind nur so eben gekommen, und vor einem kleinen Stündchen sahe ich die gnädige Frau in die prächtige gelbe Reise-Kutsche einsteigen, und die Straße hinabrollen, der Postilion blies noch gar schön, eh sie auf die Brücke kamen. Ja, ja, setzte sie betheurend hinzu, als Victor sie unter zweifelhaftem Staunen schweigend anstarrte, das ist gewiß wahr. Ei, nun Du mein Gott! lachte sie spottend, was müssen Sie denn da gesehen haben? Außer der dicken Madame unten und der Köchin und mir, ist doch eben jetzt niemand hier im Hause.
Victor’n starben die Worte auf der Zunge. Er hatte nicht das Herz etwas zu erwiedern, da die Kleine, mit den Ueberzügen zu dem Gardinen-Bett gehend, noch immer heimlich vor sich kicherte. Zögernd sah er auf den Spiegel und an den Wänden des Zimmers umher, vielleicht daß irgend ein Gemälde die Täuschung veranlaßte; allein auf den überweißten Mauern spielten nur die Regenbogenlichter der untergehenden Sonne, welche durch das halbgeöffnete, im Winde hin und her wankende, Fenster ihre gebrochene Strahlen farbig zurückwarf, sonst war alles leer und unverziert und an keinen Widerschein im Spiegel zu denken.
Gedankenvoll war Victor an den Tisch getreten. Unwillkührlich faßte er nach den Pergamentäfelchen; Zahlen und einzelne verwischte Worte standen unleserlich darauf geschrieben. Die Namen Hamburg und London brachte er endlich heraus. Der angenehme Duft des daneben liegenden dänischen Handschuhs zog ihn bald stärker an, er hob ihn leise vom Tisch, ihm war, als fühle er noch die warmen Finger unter der zurückgelassenen Hülle vibriren. Schüchtern von dem geschäftigen Mädchen abgewendet, steckte er den Handschuh zwischen Hemd und Gilet in den Busen. Eine heimlich zitternde Gluth goß sich in dem Augenblick über sein Herz. Er fühlte es heftig schlagen ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Motto
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