Wanda
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Wanda

  1. 220 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

Gerhart Johann Robert Hauptmann (geboren 15. November 1862 in Ober Salzbrunn (Szczawno-Zdrój) in Schlesien; gestorben 6. Juni 1946 in Agnetendorf (Agnieszków) in Schlesien) war ein deutscher Dramatiker und Schriftsteller. Er gilt als der bedeutendste deutsche Vertreter des Naturalismus, hat aber auch andere Stilrichtungen in sein Schaffen integriert. 1912 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

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Information

Zweites Buch

Erstes Kapitel

Am ersten Oktober schritten zwei gutgekleidete Männer auf den Freiburger Bahnhof in Breslau zu, um über Berlin, Frankfurt, Basel, Mailand nach Florenz und Rom zu reisen. Es waren Paul Haake und Willi Maack.
Der Bildhauer hatte arbeitsreiche Monate hinter sich. In Atelierräumen, welche die Stadt seinen bisherigen hinzufügen mußte, standen große Tonfiguren, die augenblicklich in Gips abgeformt wurden. Auf Kosten der Stadt ging er nun nach Rom, wo ihm, ebenfalls auf Betreiben des Magistrats, staatliche Arbeitsräume zur Verfügung gestellt waren.
Die Reise des Architekten war nur auf etwa sechs Wochen geplant. Er gedachte viel zu zeichnen, noch mehr zu sehen von italienischer Architektur und Kunst, während in seinen Büros seine Pläne zu einigen umfangreichen öffentlichen Bauten, die man ihm anvertraut hatte, durch tüchtige Bauführer ausgearbeitet wurden. Mit dem Zustande seines Freundes durfte der Architekt wohl zufrieden sein. Es waren Werke entstanden, die ihn beglückten und zur Bewunderung hinrissen. Es sollten in Rom die Entwürfe und Modelle zu einem Monumentalbrunnen während des kommenden Winters ausgeführt werden, einem Werk, das man auf dem Platze hinter dem Breslauer Universitätsgebäude aufzustellen gedachte. Es ist natürlich, daß sich die beiden in Tatkraft blühenden Männer beim Antritt einer Künstlerfahrt, bei der sich Arbeit und Genuß unlöslich verbanden, in überschäumender Laune zeigten. Und wirklich kamen sie während der ersten Eisenbahnstunde aus dem Lachen nicht heraus.
Trotzdem war dem Bildhauer Haake nicht eben ganz so zumute, wie er sich nach außen den Anschein gab. Während des letzten Vierteljahres hatte er mit bewunderungswürdiger Zähigkeit hauptsächlich durch Arbeit gegen ein nagendes Etwas in seinem Innern gekämpft. Seine Angelegenheiten waren längst wiederum in Ordnung gekommen. Keine Rede davon, daß er sich in der Kleidung vernachlässigt oder im Trinken übernommen hätte.
Der vertierte Säufer Paul Haake hätte getrost zehn Schritt von dem heutigen auf dem Prellstein sitzen können, ohne daß man in dem einen und andern die gleiche Persönlichkeit erkannt haben würde. Im Anfang hatte er selbst gegen einen Rückfall den Riegel durch ein Ehrenwort vorgeschoben, das er dem treuen Freunde gab, obgleich es dieser nicht haben wollte. Trat wirklich ein Rückfall ein, dachte Maack, warum sollte das Bewußtsein eines gebrochenen Ehrenwortes den Schwachen vor sich selbst noch verächtlicher, seine abermalige Rehabilitierung fast unmöglich machen?! Aber an alles das dachte man schließlich nicht mehr. Es schien eben nur ein festes und ganz bestimmtes Gleis zu geben, auf dem sich das Leben des Bildhauers vorwärtsbewegte. Willi würde geschworen haben, der Bildhauer wisse beinah von den Ursachen, Umständen und Folgeerscheinungen seiner Entgleisung nichts mehr.
In Wahrheit hatte aber der ununterbrochene Kampf mit sich selbst weder das Bild Wandas noch die Erlebnisse mit dem Zirkus Flunkert abschwächen oder gar auslöschen können. Die Nächte, besonders im Anfang, ließen das alles mitunter mit der Wirkung völliger Schlaflosigkeit aufflackern. Auch gab die schweigsame Arbeit am nassen Ton leider viel Zeit zu Grübelei. Die Art, wie er dies alles vor Willi und jedermann zu verbergen verstand, grenzte an Verschlagenheit. Wenn der Architekt sich zu dem munteren, offenen und gesprächigen Wesen seines früher so zurückhaltenden Freundes innerlich gratulierte, wußte er nicht, daß er gerade hierin noch das hartnäckigste Symptom des alten Übels vor sich hatte. Und nun, als der Zug mit den beiden Freunden ins Rollen kam, steigerte sich das Wesen Haakes zu nie dagewesenen Ausbrüchen tollster Lustigkeit, die Willi zu gleichen Tollheiten hinrissen, ohne daß er auch nur im entferntesten die verzweifelte Stimmung ahnte, die ihnen zugrunde lag und die sie verhüllen sollten. Jede Minute, sagte sich Haake, reißt mich weiter und weiter von Wanda fort! Jetzt atme ich wenigstens die Luft der gleichen Provinz mit ihr – der Zirkus befand sich derzeit in Schlesien –, und wenn es nichts anderes sein kann, und ehe ich an gebrochenem Herzen zugrunde gehe, kann ich sie hier im Verlauf von wenigen Stunden erreichen. Bald aber bin ich aus der Provinz, aus Preußen, aus Deutschland heraus, und selbst wenn ich nicht wollte, muß ich die Kleine ihrem Schicksal überlassen. Überhaupt: warum spiele ich diese Komödie? Was ist mir dies alles als ein Scheinleben? Warum lasse ich mich durch meine Arbeit, durch die Erfolge meines Fleißes, meines Schuftens in Verpflichtungen verstricken, die mich von meinem wahren Dasein lostrennen, mich zum Beispiel jetzt ins Ausland reißen, um mich in Rom, in der Fremde, in der Ferne festzubinden? Ich werde in Italien an einen Marterpfahl festgebunden sein, und durch jede Schönheit, die ich empfinde, wird sich meine Marter vertausendfachen. Dies wird darum geschehen, weil ich jeden Eindruck mit dem vergleichen werde, der er sein würde, falls Wanda an meiner Seite wäre. Weshalb war sie denn nicht an meiner Seite? Warum konnte sie denn nicht an meiner Seite sein? Ich werde die Hochzeitspärchen, die Hochzeitsreisenden in Italien sehen. Alles war doch so nahe gerückt! Warum war es gerade mir nicht vergönnt, was hier jeder genießt und was im Grunde so billig ist wie Brombeeren? – Eigentlich war Paul Haake inmitten der Exaltation seines Übermuts nicht weit davon entfernt, aus dem Kupee zu springen. Er wollte diese verruchte und lügenhafte Art, zu sein, nicht mehr mitmachen. War man denn auf der Welt, damit man sich und andere betrog? Sich selbst noch mehr als die anderen betrog, nämlich betrog um das wahre Leben?
Diese Kleine ließ sich ja auch kein X für ein U machen. Sah ihr Leben auch äußerlich noch so armselig, noch so mühselig aus: weil sie es liebte, ließ sie sich irgendein anderes dafür nicht aufschwatzen. Und was mich, Paul Haake, betrifft, wenn ich nur ihren Rockzipfel schwenken sehe, so gebe ich die ganze hochgelobte Sonne und Kunst Italiens dafür hin! Sie betrügt mich, saugt mich aus, verrät mich an diese Bestie von einem Kunstreiter, stopft ihm die Taschen mit meinen Goldstücken voll, läßt sich von ihm prügeln, gibt sich ihm preis, würde sich auf seinen Befehl wem immer preisgeben. Aber schließlich, man hört sie sprechen, sieht sie schreiten, sieht mit zitterndem Herzen ihre rührende Ängstlichkeit auf dem Seil und kann sie doch hie und da einmal auch im Arm halten. Schade, daß einem ohne Arbeit das Geld immer so schnell knapp werden muß.

Zweites Kapitel

Schließlich gelangte Paul Haake nach Florenz, er gelangte nach Rom. In Florenz besuchten die Freunde den großen Bildhauer Adolf Hildebrand, dessen Grundsätze jedoch Paul Haake sich nicht zu eigen machen konnte. Zwar las er manchmal im Winckelmann und verehrte die Denkmäler griechischer Kunst, aber seine Bildnerschaft hatte, man könnte sagen, eine rohe Ursprünglichkeit, die sich als michelangeleske Größe mißverstand. Maack verstärkte dies Mißverständnis. Die Sagrestia nuova mit den Werken des erhabenen Demiurgen in Marmor wurde in Ehrfurcht besucht, das Haus des Meisters wurde besucht, und die Freunde hatten nach reichlichem Chiantigenuß die erhabensten Träume, in denen der alte Mann mit dem eingeschlagenen Nasenbein, Michelangelo, erschien und sie selbst sowie ihre Unternehmungen guthieß und segnete. Hinwiederum blieb Paul Haake mitunter plötzlich, etwa auf der Viale dei Colli, wo man den herrlichen Blick über die Stadt genießt, wie angegossen stehen, verwirrte und verwickelte sich in unverständliche Sätze während der Erörterung irgendeiner Kunstfrage, so daß Willi Maack nicht wußte, was mit ihm geschehen war. Das Geschehnis war innerlich. Der Bildhauer hatte einen schlanken Menschen mit gewichstem Schnurrbart in enganschließendem rosafarbenem Trikot erblickt, wie er sich lachend auf einem Trapez schaukelte, dessen Leinen sich in dem glücklichen Himmel Italiens verloren. –
In Rom wurden die empfänglichen Sinne und Seelen der Künstler noch stärker hingenommen. Haake bezog sogleich sein Atelier in der Villa Strohl-Fern. Den Arbeitsraum umgab ein herrlicher Garten auf einem der sieben Hügel, dem Monte Pincio, von dem aus man die Ewige Stadt mit der Peterskuppel unter sich sah. Nun mußten denn doch die mit schlechtem Wetter, Straßenkot und Straßenstaub, mit Stallgeruch und Wagenschmiere, verlausten Bierfilzen, Dünsten von Schnaps und Lagerbier, schmutziger Bettwäsche verbundenen heimatlichen Eindrücke einigermaßen zurücktreten. Aber auch hier meldete sich mitunter jählings die Sehnsucht danach, die sich durch das natürliche Gefühl des Heimwehs sogar verstärkt hatte.
Nach Verlauf eines Monats aber erklärte Haake, er begreife nicht, wie man als Künstler woanders als in Rom zu leben vermöchte. Der Plastiker, sagte er, befinde sich außerhalb Italiens geradezu in einem Zustand der Ausgeschlossenheit. Daran änderten auch in Deutschland etwa die hie und da aufgesammelten Kunstwerke nichts, die man nach und nach über die Alpen geschafft habe. Hier in Rom atme man in der Atmosphäre der bildenden Kunst, wenn auch eine neuere italienische Bildhauerei nicht vorhanden sei. Der Atem der Kirche, der Atem des Altertums, in ihr aufgegangen, sei pure Belebung, pure Nahrung für den künstlerischen Schöpfergeist. Nur um Aufträge einzuheimsen und etwa das fertige Werk aufzustellen, werde er noch in Deutschland zu sehen sein.
Später konnte er sehen, wie dieses Hockenbleiben in Rom eigentlich keinem deutschen Künstler recht bekam. Da waren Kollegen, die ein halbes Jahrhundert in der Ewigen Stadt versessen und nichts anderes erreicht hatten, als daß sie die Größenempfindung, welche ihnen die Ewige Stadt einflößte, auf sich und ihre Kunst bezogen, die entweder nie vorhanden gewesen oder im Sybaritismus des Kunstgesprächs hinter der Chiantiflasche untergegangen war.
Eines Tages besuchte die Ateliers in der Villa Strohl-Fern eine Frau Ingeström mit zwei schönen Töchtern. Meister Haake, den man ihr als einen aufgehenden Stern am Himmel deutscher Kunst gerühmt hatte, und seine Arbeiten gefielen ihr. Sie besprach mit ihm ein Grabmal für ihren verstorbenen Mann und ließ eine Büste der ältesten Tochter für ihren Bräutigam modellieren. Zwischen der jüngeren, die meist den Sitzungen beiwohnte, Carola Ingeström, und dem Meister bahnte sich mehr und mehr eine wärmere Beziehung an, die schließlich zu einem geheimen Einverständnis der beiden führte. Die Familie war schwedisch. Die junge Dame sprach Deutsch und Schwedisch mit gleicher Ungezwungenheit. Sie war jung, wohlerzogen, reizvoll und verständig, hatte Erfahrungen in Ateliers und im Umgang mit Malkasten und mit Staffelei.
Frau Ingeström war eine aufgeklärte Frau, und wo sie es nicht gewesen wäre, hätte sie, als Mitglied eines kunstliebenden Hauses, den Adel des Künstlers neben dem Geburtsadel anerkannt. Ohne etwas dafür und dagegen zu reden, ließ es deshalb die noch immer schöne, hochgewachsene Dame zu, wenn man öfter und öfter Carola und Meister Haake zusammen sah, ja, schließlich wurde sie selbst samt den Töchtern in den Museen, Restaurants und Cafés fast nur noch in seiner Begleitung gesichtet.
Als Willi Maack, um sich vom Fortgang der Arbeiten Haakes zu überzeugen, etwa Anfang März in Rom für kurze Zeit auftauchte, wurde er den drei Damen vorgestellt und konnte seinem Freunde von ganzem Herzen zu dem geradezu unerhörten Schwein, das er hatte, gratulieren. Was er alsdann aus verschiedenen Quellen über die Familie Ingeström erfuhr, schien ihm das Glück seines Freundes ins Märchenhafte zu steigern. Sie besaß einen Reichtum an Ländereien und Fabrikbetrieben, der, selbst wenn er in drei Teile zerfiel, dem einzelnen Teilhaber keine Beschränkungen auferlegte. Erstaunlich zu sehen, welchen fast unbedingten Einfluß der untersetzte, breitschultrige Paul Haake auf Mutter und Töchter ausübte. Und auch als der junge Marquis Saintpierre, Deutscher aus einer französischen Flüchtlingsfamilie und Bräutigam der älteren Schwester, erschien, ein junger Mensch von leidenschaftlicher Kunstliebe, blieb diese Sachlage unberührt. Das Auge der Frau Ingeström ruhte mit Wohlgefallen auf diesem volkstümlich breiten, vierschrötig zuverlässigen Mann, der wahrscheinlich ganz der Rechte war, um den gestürzten Pfeiler des Hauses, den verstorbenen Gatten, in allen praktischen Anliegen zu ersetzen. Die Zufriedenheit Willi Maacks, der den Neid in bezug auf Paul Haake nicht kannte, war vollkommen: seine Konsolidierung als Mensch und Mann, seine Entwicklung als Bildhauer, sein Eintritt in diese alte Familie gingen sogar über das hinaus, was Willi je für den Freund gewünscht und erhofft hatte.

Drittes Kapitel

So standen die Dinge, als eines Tages im Café Aragno, wo Paul Haake diesmal allein seine Tasse Schwarzen nahm, ein Mensch am Nachbartisch sich erhob und ihn mit großer Freude begrüßte. Haake wußte nicht gleich, wer wohl das geschniegelte Herrchen sein mochte, als er sich ihm, seine Unsicherheit bemerkend, als Baron Dagobert von Römerscheid in Erinnerung brachte.
»Dagobert von Römerscheid?«
»Ja, aber ich will Ihnen gleich sagen, ich lebe hier inkognito. Ich bin hier in einer geheimen Mission und habe mir von Seiten der Regierung einen Paß erwirkt, der auf einen Kunsthistoriker Egon Schmidt lautet. Ich sage Ihnen das, lieber Professor, weil Sie mich unter einem anderen Namen kennen, der mein wahrer Name ist, und weil mir doch einigermaßen daran liegen muß, nicht verraten zu werden.«
»O bitte, bitte, richtig, ja, ich erinnere mich!«
»Erlauben Sie, daß ich ein bißchen bei Ihnen Platz nehme?«
Was sollte Haake dawider tun? Nein, diese Begegnung war ihm nicht angenehm.
»Also, ich heiße Egon Schmidt. Es ist besser, damit Sie es nicht vergessen, Sie haben die Güte und nehmen hier meine Visitenkarte. Es ist übrigens nicht so ohne mit meinen kunstgeschichtlichen Kenntnissen. Sie sind weit über den Durchschnitt hinaus. Ich genieße die hohe Protektion eines Kardinals und werde vornehmen Ausländern sozusagen als Gentleman-Cicerone attachiert. Sie wissen, daß ich fünf Sprachen perfekt und sogar etwas Russisch spreche.
Ich habe hier einen Schritt getan, den mir freilich meine Familie nie verzeihen wird. Nämlich ich habe konvertiert, ich bin zum katholischen Glauben übergetreten. Daher auch meine Verbindung zum Vatikan und meinem Protektor, dem Kardinal. Der nüchterne Protestantismus genügte mir nicht. Was soll man mit diesem laisser-faire, laisser-aller anfangen, wenn man sich an etwas anschließen, an etwas anklammern will? Ich will mich durchaus an etwas anklammern. Ich muß geführt, gelenkt, ermutigt, getröstet und absolviert werden, wenn es nötig ist. Ich muß mich auf etwas stützen können. Auf was aber kann man sich stützen, wenn nicht auf eine Macht, auf eine immer und überall zuverlässige Macht? Die protestantische Kirche ist keine Macht, die katholische Kirche ist eine Macht. Weil Christus arm war unter Menschen, muß deshalb die Kirche, deren Grund- und Eckstein er ist, deren göttlicher Inhalt, König und Kaiser er ist, dürftig, hinfällig, armselig und ohnmächtig sein? Ich will die Glorie Jesu Christi, Herr Professor, nicht aber den Pauperismus dieser mesquinen evangelischen Betstundenfrömmigkeit.
Sehen Sie, nicht nur meine Familie, die Welt hat mich vielfach mißverstanden und verfolgt. Obgleich ich so viele Sprachen spreche, Kenntnisse und Erfahrungen genug habe, um drei Lehrstühle an deutschen Universitäten über und über damit auszustatten, dichtet mir meine Familie Unzurechnungsfähigkeit und Schwachsinn an, und der Geistliche unseres Patronats nahm mich weder als Christ noch sonstwie für voll. Hier in Rom werde ich durch diese allmächtige Kirche sofort für voll genommen. Um mich elenden Menschen zu gewinnen, hat sich ein Jesuitenpriester monatelang, und zwar täglich, innig bemüht. Ich habe den Zugang zu Kardinälen, zu Bischöfen. Ich habe vor dem Heiligen Stuhl gekniet und den Fuß des Heiligen Vaters küssen dürfen. Denken Sie, was es bedeutet, und wie es einen durchrieseln und erheben muß, wenn man aus diesem heiligen Munde die Worte hört: Mein Sohn! Und ob ich Urkunden gefälscht, Perlenketten und Juwelen aus der Kassette meiner Mutter entwendet hätte, der Papst, der Vertreter Gottes auf Erden, würde mich nichtsdestoweniger seinen Sohn nennen! Hätte ich Einbrüche, Überfälle, ja Morde begangen, er würde zu mir sagen: Mein Sohn!«
Der einstige, vielleicht nur so genannte Baron, jetzt Egon Schmidt, hatte sich nicht nur im Namen, sondern auch sonst verändert. Auf gute Kleidung und saubere Wäsche hatte er immer nach Kräften gehalten. Seine Art aber und sein Wesen waren erregter und belebter geworden, ähnlich der eines Wasservogels, den man zuletzt auf einem stehenden Wassertümpel bei stehender Luft erblickt und der nun auf einen freien, großen, schnell fließenden Strom geraten ist, mit dem er schwimmt und flattert, während stromauf, vom Meere her, frische Luftwellen ihm entgegenschlagen. Was er sagte, war schließlich nicht uninteressant, und so nahm es Haake gefangen. Er vergaß darüber, was ihm anfangs besonders peinlich war, daß er in diesem Menschen einen Zeugen seiner tiefsten Erniedrigungen vor sich hatte.
Seine Gegenwart blieb ihm trotzdem fatal, und er fragte sich jetzt, ob es gut wäre, wenn er mit ihm gesehen würde. Er schlug deshalb vor, das Lokal zu wechseln, obgleich er oder gerade weil er jeden Augenblick den Eintritt der Damen Ingeström befürchtete, mit denen er verabredet war. Der Vorschlag, ein behagliches Kneipchen aufzusuchen, das Zahlen und Verlassen des prismenglitzernden, von den Geräuschen des Servierens kl...

Inhaltsverzeichnis

  1. Erstes Buch
  2. Zweites Buch
  3. Impressum