Teil II
Blicke hinter den Schleier: Vermutungen zur wirklichen Geschichte
1. Die Wurzeln der Sarmaten
Eines der Hauptziele dieses Buches ist es, den Lesern – und darunter vielleicht sogar dem einen oder anderen akademischen Historiker in Deutschland! – begreiflich zu machen, dass das Königsgeschlecht der Merowinger sarmatischer Abstammung war. Daher ist zu Beginn dieses Teils II eine kurze Erläuterung der Wurzeln dieses Volkes notwendig. Eine ausführliche Darstellung enthält der Band 1 dieser Buchreihe: Sarmaten - unbekannte Väter Europas, sodass hier nur sehr knappe Informationen den Leser aufklären sollen.
Das Volk der Sarmaten trat erst vor frühestens 3000 Jahren in Erscheinung, aber es darf durchaus in einem Zug mit den Germanen, den Kelten oder den Slawen genannt werden, die auch nicht älter sind und der gleichen Wurzel entstammen. Doch auch Griechen und Römer, Perser und Inder waren einst weitere oder nähere Verwandte. Denn alle diese Völker waren biologischgenetisch, vor allem aber auch sprachlich und kulturell Nachkommen einer kleinen Menschengruppe irgendwo in den Weiten Innerasiens, zwischen Kasachstan und dem Pamir, vor mindestens 15 000 Jahren.
Im Laufe dieser langen Zeit haben sich aus einer Sprache „Ur-Indoeuropäisch“ immer mehr Dialekte, dann verschiedene Sprachen entwickelt, die aber ein Fachmann doch als einst zusammengehörig erkennen kann. Auch genetisch und kulturell wiesen die Menschen aus dieser Wurzel vor mehreren tausend Jahren eine noch viel engere Zusammengehörigkeit auf als heute.
In den letzten 6000 Jahren haben sich Nachkommen davon über ganz Europa verteilt und vor allem sprachlich die Herrschaft übernommen, ja zu einem erheblichen Umfang über die ganze Erde. Aber das ist eine andere Geschichte, meist erst der letzten 500 Jahre.
Von Innerasien aus trat ein Teil dieser „Indoeuropäer“ nach Süden über die Pässe des Pamir und des Himalaya eine Wanderung an, sie wurden zu den hellhäutigen Eroberern des indischen Subkontinents. Ein winziger Rest davon, das nur noch 2000 Menschen zählende Volk der Minaro, blieb in den Himalaya-Bergen hängen und hat bis heute genetische und kulturelle Eigenarten ihrer Vorfahren erhalten.
Andere Menschen dieser Sprachgruppe wanderten in verschiedenen Wellen und nur in kleinen Gruppen nach Nordwesten und machten die Alt-Einwohner fast ganz Europas zu Sprechern ihrer jeweiligen Sprache. Als man im 19. Jahrhundert diese sprachlichen Zusammenhänge entdeckte, nannte man die Sprachenfamilie „indogermanisch“ oder richtiger „indoeuropäisch“.
Die direkten Vorfahren der Sarmaten gehörten zu den Menschen, die aus dieser Sprach- und Kulturgruppe in Innerasien zurückgeblieben waren. Enge sprachliche, kulturelle und genetische Verwandte waren die alten Inder, die alten Perser und verschiedene Steppenvölker im heutigen Südrussland und Kasachstan, vor allem die Kimmerier und die Skythen.
Ebenfalls im südlichen Innerasien, aber weit entfernt und isoliert von diesen Indoeuropäern, entwickelten sich zur gleichen Zeit die Vorfahren der späteren Hunnen, Türken und Mongolen. Aber die waren sowohl genetisch wie sprachlich und kulturell ein völlig anderer Menschenschlag als die alten Indoeuropäer. Dieser Unterschied zeigte sich vor allem beim ersten gewaltsamen Zusammentreffen der beiden Gruppen, als nämlich im 5. Jahrhundert nach Christi Geburt die Hunnen plötzlich im Abendland auftauchten.
Im Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres, in der heutigen Ukraine, Südrussland und dem westlichen Kasachstan, lösten sich im 1. Jahrtausend vor Chr. mehrere Völker als Herren ab, die sprachlich, kulturell und genetisch ganz eng verwandt waren und eben von diesen „Ur-Indo-Europäern“ abstammten. Sie hatten gelernt, dass die massenhaft dort grasenden Wildpferde nicht nur zum Ziehen von Wagen nützlich waren, sondern vor allem auch zum Reiten. Sie wurden sehr bald zu berittenen Hirten von Großvieh (Rindern, Schafen). Aus der Antike sind ihre Namen überliefert: Kimmerier und Skythen.
Die Skythen als die Eroberer und Nachfolger der Kimmerier gerieten bald in enge Nachbarschaft und einen gewissen Kulturaustausch mit den Griechen, die rund um das Schwarze Meer schon im 1. Jahrtausend vor Chr. kleine Handelsstädte gründeten. Die griechischen Geographen nannten die ganze Weite Osteuropas bis hinauf zur Ostsee und dem Weißen Meer „Skythia“.
Was für die Griechen in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende die Skythen waren, das wurden etwa ab 100 v. Chr. und in den Jahrhunderten danach die Sarmaten . Sie hatten als ursprünglich etwas „primitivere“ Verwandte der Skythen deren Siedlungsgebiet vom Osten her erobert und die Überreste dieses Volkes zu ihren Knechten gemacht. In den folgenden Jahrhunderten hatten die Römer dort mit den Sarmaten zu tun. Römische Geographen nannten nun ganz Osteuropa „Sarmatia“, doch bis ins Mittelalter wurden „Skythia“ und „Sarmatia“ immer verwechselt, die Begriffe meinten ja auch die gleiche Gegend.
Doch bereits im 1. oder sogar 2. Jahr tausend vor Chr. müssen Vorfahren der Griechen und der Sarmaten, aber auch anderer früher Völker indoeuropäischer Sprache benachbart und in einem gewissen Kultur- und Sprach-Austausch gelebt haben. Vermutlich hielten sie sich damals noch nördlich des Schwarzen Meeres und im Nordteil der Balkan-Halbinsel auf
Sprachwissenschaftler („Indogermanisten“) haben übrigens die Jahrtausende zwischen der Sprachphase des „Ur-Indoeuropäischen“ und den ersten schriftlich überlieferten Worten indoeuropäischer Sprachen (Hethitisch, Griechisch, Alt-Indisch = Sanskrit, Lateinisch usw.) großzügig aus ihren Forschungen ausgespart. Wenn es keine schriftlichen Quellen dafür gibt, muss man ja auch nicht darüber nachdenken …
Doch genau in diese Zeit, um das Jahr 1300 v. Chr., dürfte der legendäre „Krieg um Troja“ gefallen sein, den wohl wirklich Griechen gegen die damals weit berühmte Stadt an den Dardanellen, am Übergang von Mittelmeer zum Schwarzen Meer, austrugen. Und Vorfahren der Sarmaten müssen in relativer Nähe dazu gelebt haben.
Gab es damals tatsächlich irgendwelche Zusammenhänge zwischen diesem Volk und Troja? Haben sich unverstandene Bruchstücke einer Erinnerung daran in den Gedächtnissen sarmatischer Adliger gehalten, als sie im frühen Königreich der Franken von Historikern zu ihrer Geschichte befragt wurden (siehe Kap. I. 3)?
Erst im frühen 7. Jahrhundert nach der Zeitwende wurde bewusst die „Mär“ erfunden, die Frankenkönige seien Nachkommen der aus Troja geflüchteten Helden. Näheres über die Gründe und die Art der Verbreitung dieser „Mär“ wird im Kapitel II. 24 berichtet. Aber vielleicht hatte selbst diese bewusste Erfindung einige Körnchen Realität in sich. Ein paar dieser „Körnchen“ müssen hier kurz erwähnt werden.
Woher kannte wohl der griechische Dichter der „Ilias“, Homer, den Namen des Königs der Trojaner, Priamos? Homer lebte mindestens 400 Jahre nach den Ereignissen, die er so poetisch und zugleich lebendig beschrieb. Hatte er vielleicht zufällig den Namen eines zeitgenössischen Skythen- oder Sarmatenkönigs weit im Norden gehört und verwendete ihn als Namen für „seinen“ König von Troja? Denn dieser Name „Priamos“ taucht ja ziemlich beharrlich in der „fränkischen Königsliste“ und anderen „fränkischen“ Quellen auf (Fredegar und Liber historiae Francorum, Kap. I.3).
Ein mögliches anderes „Körnchen“: Bei Homer heißt der Prinz, der durch sein Urteil angeblich erst den zehnjährigen Krieg zwischen Griechen und Trojanern auslöste, Alexander. In anderen Quellen lautet der Name Paris. Dieser Name „Aleksandru von Wiluscha“ taucht erstaunlicherweise auf einer Tonscherbe aus der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. auf – also der möglichen Zeit des „trojanischen Krieges“ -, die man vor einigen Jahrzehnten in der Hauptstadt des Hethiterreiches, Hattuscha, gefunden hat. (W)Ilion war der eigentliche Name der umkämpften Stadt, Troas der Name der Landschaft darum herum. Fachleute nehmen an, dieser „Aleksandru“ sei so etwas wie ein trojanischer Lokalfürst im hethitischen Reich gewesen. Der Name ist also in der Region mindestens tausend Jahre älter als der des berühmten Alexanders des Großen.
Doch noch mehr als 2000 Jahre später erinnerten sich sächsische Adlige (aus sarmatischem Stamm!) im heutigen Niedersachsen daran, dass sie Nachkommen eines gewissen Alexander gewesen seien (siehe hierzu im Einzelnen Band 3 dieser Reihe: Herzogs Widukinds Geheimnis – Sarmaten bildeten den Adel der Sachsen.) Der Historiker Widukind von Corvey hat das im Jahr 975 n. Chr. in seiner „Sachsengeschichte“ ausdrücklich niedergeschrieben. Das sind alles merkwürdige Zusammenhänge.
Auch die von Fredegar (s. Kap. I.3) aufgeschriebene Erinnerung an eine Teilung irgendwelcher sarmatischen Vorfahren in „Frigier“ (Phryger?) und Makedonen, und der „Frigier“ wiederum in „Franken“ und „Torker“ könnten verblasste Erinnerungen an Vorgänge unter den Vorfahren vor anderthalb Jahrtausenden im Nordteil der Balkanhalbinsel gewesen sein.
Zurück zu dem Pferdehirtenvolk der Sarmaten, das um Christi Geburt die Steppen der Ukraine und Südrusslands mit seinen Rinder- und Schafsherden langsam durchzog. Diese Hirten waren keine gewalttätigen Eroberer und Plünderer wie die Hunnen, die später aus Innerasien über Osteuropa hervorbrechen sollten. Nach allem, was man weiß, muss den sarmatischen Hirten an einem friedlichen Tauschhandel mit den ansässigen Bauern der Gegend gelegen gewesen sein: Getreide und Gemüse, Flachs und Eier gegen Milch, Käse, Kälbchen, Wolle und Schafe.
Innerhalb ihres Volkes kannten die Sarmaten eine biologische Grenze zwischen den adligen Familien und dem einfachen Leuten. Es gab ein ganz strikt gehandhabtes Heiratsverbot zwischen beiden „Kasten“. Dennoch waren diese Volksschichten durch ein religiöses Gebot eng miteinander verschweißt: mehrere Familien aus der „unteren Kaste“ schworen einem Adligen lebenslange Treue und Gefolgschaft; der wiederum hatte nun verantwortlich für seine Schwurgenossen zu sorgen und sich auch um ihr Wohlergehen zu kümmern. Dieses längst aus anderen Quellen erschlossene Gesetz der alten Sarmaten wird bestätigt durch die Bräuche bei ihren „Nachkommen“ noch im 21. Jahrhundert, den Minaros im Himalaya (s. S. →).
Etwa um die Zeitenwende (Christi Geburt) verlagerte sich das Wohngebiet der Sarmaten – richtiger die Weiden ihrer Herden – langsam nach Westen, in das heutige Rumänien, Ungarn, Kroatien und Serbien. Von Osten her sollen nördlich des Schwarzen Meeres primitivere Völker aus der Verwandtschaft nachgedrängt haben, Massageten und Saken.
Hier in Südosteuropa kamen die Sarmaten in Kontakt mit zwei Völkern, die später sehr bestimmend für sie wurden, die Römer und die Germanen. Das Römische Reich betrachtete schon ab der Zeit des Kaisers Augustus den ganzen unteren Lauf der Donau als seine Nordgrenze und befestigte sie mit zahlreichen Kastellen. Das war der so genannte „Donau-Limes“. Kriegerische Auseinandersetzungen über die Donau hinüber zwischen den Nachbarn blieben nicht aus.
Noch folgenreicher war die Einwanderung von Germanen aus dem Norden etwa ab der Zeitenwende. Goten, Vandalen, Quaden, Markomannen und andere drängten damals in die Region zwischen unterer Donau und Don. Ob es zwischen den Einwanderern und den einheimische Sarmaten größere Kämpfe gegeben hat, ist nicht bekannt. Der Adel der Goten übernahm bald von den Sarmaten das Reiterkriegertum und war am Ende, in der Völkerwanderungszeit, in seinen archäologischen Hinterlassenschaften nicht mehr von den Sarmaten zu unterscheiden.
Das Volk der Sarmaten hatte sich in den Jahrhunderten seiner Existenz in verschiedene Stämme geteilt. Anfangs waren deren Anführer wohl auch Befehlshaber von Heereseinheiten in Kämpfen zwischen eben diesen Stämmen. Später in der Völkerwanderungszeit stellten diese Stämme vermutlich nicht mehr als Erinnerungen an gemeinsame Kulte und Traditionen dar.
Zu den wichtigsten dieser sarmatischen Stämme gehörten die Alanen, allerdings entwickelten diese sich bald zu einem eigenen Volk und hatten ab dem 4. Jahrhundert Schicksale, die sie von den übrigen Sarmaten unterschieden. Im Kapitel II. 4 wird von ihnen noch einmal kurz die Rede sein.
Andere bekannte Stämme waren die Roxolanen, die Jazygen und die Torker. Zu diesen und ihren unterschiedlichen Schicksalen siehe die anderen Bände dieser Buchreihe. Denn sie alle hatten erheblichen Einfluss auf die Geschichte verschiedener Regionen im heutigen Deutschland vor, während und nach der Hunnenzeit (5. Jahrhundert n. Chr.).
Die Nachbarschaft von Römern und Sarmaten an der unteren Donau war nicht immer von Kriegen geprägt. Es gab auch lange Phasen friedlichen Handels über den Fluss hinweg. Im Laufe der Zeit boten sich immer wieder sarmatische Krieger als Söldner den Römern an und wurden mit Begeisterung angenommen. Denn dieses Volk hatte eine unvergleichliche Kampftechnik entwickelt. Als geschickte Reiter traten sie nun in Regimentern schwer gepanzerter Krieger und Pferde an. Wenn ein solches Regiment von 500 Kriegern in vollem Galopp und mit vorwärts ragenden langen Lanzen auf den Gegner zu raste, hatte der Feind meist keine Chancen mehr.
„Draco“ (Drache) hießen bei den Sarmaten solche Militäreinheiten, nach dem Windsack hinter einem „Drachenkopf“ aus Metall (siehe Abbildung), der dem Anführer wie eine Fahne an einer Stange v...