C. Schuldrecht
I. Schuldrecht AT
1. Begriff des Schuldverhältnisses
Im 2. Buch des BGB ist das Recht der Schuldverhältnisse geregelt. Das Schuldrecht gliedert sich in einen Allgemeinen Teil (§§ 241 – 432 BGB), der für alle Schuldverhältnisse geltende Regelungen enthält und in einen Besonderen Teil (§§ 433 – 853 BGB), der einzelne typisierte Schuldverhältnisse regelt.
Schuldverhältnis bedeutet, dass eine Person (Gläubiger) von einer anderen Person (Schuldner) eine Leistung verlangen kann (§ 241 I BGB). Dieses Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, wird auch als Anspruch bezeichnet (§ 194 BGB). Daneben besteht nach § 241 II BGB die Pflicht, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Rücksicht zu nehmen.
Sind beide Parteien sowohl Schuldner als auch Gläubiger von Leistungen, die sich gegenseitig bedingen, so liegt ein gegenseitiges Schuldverhältnis (Synallagma) vor. Dies trifft z.B. auf den Kaufvertrag zu.
Werden über einen bestimmten oder unbestimmten Zeitraum wiederkehrende Leistungen geschuldet, so liegt ein Dauerschuldverhältnis vor (z.B. Dienstvertrag §§ 611 ff. BGB, Mietvertrag §§ 535 ff. BGB).
Im Rahmen eines Schuldverhältnisses werden Haupt- und Nebenpflichten begründet. Hauptpflichten sind diejenigen, die im Mittelpunkt des Schuldverhältnisses stehen, z.B. die Pflicht des Verkäufers zur Übergabe und Übereignung des Kaufgegenstandes (§ 433 I S. 1 BGB) und die Pflicht des Käufers zur Bezahlung des Kaufpreises (§ 433 II BGB).
Nebenpflichten können sich zum einen aus dem Schuldverhältnis ergeben (z.B. Abnahme des Kaufgegenstandes § 433 II BGB) oder aus den §§ 241 II, 242 BGB. Nach § 241 II BGB verpflichtet das Schuldverhältnis die Beteiligten, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Rücksicht zu nehmen (Schutzpflichten). § 242 BGB begründet die Pflicht, alles zu unterlassen, was die Erfüllung der schuldrechtlichen Pflicht gefährdet (Leistungstreuepflicht).
Beispiel:
Ein Möbelmarkt liefert dem Kunden Möbel, trifft diesen jedoch nicht an. Der Möbellieferant darf nun die Möbel nicht einfach vor der Tür des Kunden abstellen.
Bei den schuldrechtlichen Pflichten ist weiterhin zwischen Primär- und Sekundärpflichten zu unterscheiden. Die Primärpflichten ergeben sich unmittelbar aus dem jeweiligen Schuldverhältnis (z.B. die Pflicht des Verkäufers zur Übergabe und Übereignung des Kaufgegenstandes § 433 I S. 1 BGB, Pflicht des Vermieters zur Überlassung der Mietsache § 535 I BGB, Pflicht des Käufers/Mieters zur Bezahlung §§ 433 II, 535 II BGB). Bei Störung des Schuldverhältnisses können die Primärpflichten durch Sekundärpflichten, insbesondere Schadensersatzpflichten (v.a. nach § 280 BGB)33 ersetzt werden.
2. Zustandekommen von Schuldverhältnissen
Ein Schuldverhältnis kann auf drei Wegen zustande kommen:34
- durch Rechtsgeschäft, insbesondere durch Vertrag § 311 I BGB (z.B. Kaufvertrag §§ 433 ff. BGB, Mietvertrag §§ 535 ff. BGB, Werkvertrag §§ 631 ff. BGB u.s.w.), ausnahmsweise durch einseitiges Rechtsgeschäft (z.B. Auslobung § 657 BGB)
- durch ein vorvertragliches Verhältnis § 311 II BGB (Pflichten nach § 241 II BGB)
- durch Gesetz (Geschäftsführung ohne Auftrag §§ 677 ff. BGB, ungerechtfertigte Bereicherung §§ 812 ff. BGB, unerlaubte Handlung §§ 823 ff. BGB).
3. Leistungsmodalitäten
Ist ein Rechtsgeschäft wirksam zustande gekommen, so besteht ein Schuldverhältnis, d.h. nach § 241 I BGB hat der Gläubiger die Berechtigung, vom Schuldner eine Leistung zu verlangen. Gegenstand der Leistung kann insbesondere Übereignung oder Überlassung einer Sache, eine Dienstleistung, das Verschaffen eines Rechts oder ein Unterlassen sein.
Wird eine Sache geschuldet, so ist zwischen Stück- und Gattungsschuld zu unterscheiden:
| Gattungsschuld | Die Sache ist ihrer Art nach bestimmt, geschuldet werden Sachen mittlerer Art und Güte § 243 I BGB |
| Stückschuld | Die Sache ist individuell bestimmt, geschuldet wird eine konkrete Sache |
Aus einer Gattungsschuld kann durch Konkretisierung eine Stückschuld werden § 243 II BGB.
Konkretisierung tritt ein, wenn der Schuldner das seinerseits zur Leistung erforderliche getan hat. Welche Voraussetzungen hierfür erfüllt sein müssen, hängt von der Schuldart in Bezug auf den Leistungsort ab (s.u.).
Beispiel:
Ein Kunde bestellt bei einem Kfz-Händler einen Neuwagen bestimmten Typs und bestimmter Ausstattung. Hier liegt zunächst eine Gattungsschuld vor, § 243 I BGB. Hat der Händler das Fahrzeug beschafft, für den Kunden bereitgestellt und dem Kunden mitgeteilt, das Fahrzeug stehe zur Abholung bereit, tritt Konkretisierung ein (§ 243 II BGB), so dass der Händler nur noch dieses Fahrzeug schuldet.
In vielen Fällen kann sich nach dem BGB ein Schadensersatzanspruch ergeben. In Betracht kommen z.B. Schadensersatzansprüche aus einer fehlerhaften Abwicklung eines Schuldverhältnisses (§ 280 BGB) oder aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB). Art und Umfang des Schadensersatzes ergeben sich aus den §§ 249 ff. BGB.
Als primäre Art der Schadensersatzleistung kommt nach § 249 I BGB zunächst die Naturalherstellung in Betracht. Ersatzweise kann eine Geldentschädigung erfolgen. Diese ist für folgende Fälle vorgesehen:
- bei Körperschaden oder Sachbeschädigung auf Verlangen des Gläubigers § 249 II BGB
- bei unmöglicher Naturalherstellung § 251 I BGB
Beispiel: Das durch einen Unfall geschädigte Fahrzeug ist irreparabel zerstört.
- auf Verlangen des Schuldners, wenn die Naturalherstellung einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordert § 251 II BGB
Beispiel: Das durch einen Unfall geschädigte Fahrzeug könnte repariert werden, dafür würden aber Kosten in doppelter Höhe des Wiederbeschaffungswertes anfallen.
Der Umfang des Schadensersatzes umfasst die Vermögenseinbuße des Geschädigten. Ein Liebhaberwert bleibt grundsätzlich unberücksichtigt. Der Schadensersatzanspruch umfasst auch den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB). Immaterielle Schäden können nur in den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen geltend gemacht werden. Dies betrifft insbesondere die Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung (§ 253 BGB).
Trifft den Geschädigten ein Mitverschulden am Schaden, so mindert sich sein Schadensersatzanspruch entsprechend (§ 254 I BGB). Ebenfalls zu einer Schadensersatzminderung führt ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nach § 254 II BGB.
Obwohl nur der Schuldner zur Leistung verpflichtet ist, kann Person des Leistenden normalerweise jeder sein (§ 267 BGB), es sei denn es wurde vertraglich etwas anderes bestimmt oder es liegt eine höchstpersönliche Schuld vor (z.B. beim Dienstvertrag, § 613 BGB).
Der Leistungsort, also der Ort an dem die Leistungshandlung vorzunehmen ist, kann sich aus vertraglicher Vereinbarung, den Umständen des Schuldverhältnisses oder aus dem Gesetz ergeben. Im Zweifel ist der Wohn- oder Geschäftssitz des Schuldners Leistungsort (§ 269 BGB).
Vom Leistungsort zu unterscheiden ist der Erfolgsort, d.h. der Ort an dem der Erfolg der Leistung eintritt. Nach den möglichen Kombinationen von Leistungs- und Erfolgsort lassen sich drei Schuldarten unterscheiden:
- Holschuld (Leistungs- und Erfolgsort beim Schuldner)
- Bringschuld (Leistungs- und Erfolgsort beim Gläubiger)
- Schickschuld (Leistungsort beim Schuldner, Erfolgsort beim Gläubiger)
Die Bedeutung der Unterscheidung liegt vor allem in der Frage des Risikoübergangs und der Anforderungen an eine Konkretisierung einer Gattungsschuld.35
Eine besondere Regelung wird für Geldschulden getroffen: Geld ist mangels einer anderen Vereinbarung auf Kosten und Risiko des Schuldners an den Wohnsitz des Gläubigers zu übermitteln (§ 270 BGB).
Auch die Leistungszeit kann beliebig vereinbart werden, im Zweifel ist die Schuld sofort fällig und erfüllbar (§ 271 BGB). Die Fälligkeit regelt dabei die Frage, wann der Schuldner leisten muss, die Erfüllbarkeit ab wann er leisten darf. Bedeutung hat die Leistungszeit insbesondere im Zusammenhang mit Verspätung der Leistung und der Möglichkeit einer Aufrechnung.
Beispiel:
Installateur Röhrich aus Hamburg schließt am 1.7. mit dem Sanitärgroßhändler Groß in Erfurt einen Vertrag über die Lieferung von 10 Waschtischen der Marke „Galaktika“ in der Farbe Silbergrau für je 105 € ab. Im Vertrag heißt es u.a. „Erfüllungsort ist Hamburg“. Welche Schuldart liegt vor? Wann und wo ist die Leistung zu erbringen?
Da 10 Waschbecken einer bestimmten Marke, also keine individuell bestimmten Stücke vereinbart worden sind, schuldet Groß Stücke mittlerer Art und Güte, es liegt gemäß § 243 I BGB also eine Gattungsschuld vor.
Vertraglich ist als Erfüllungsort (= Leistungsort) der Sitz des Gläubigers der Waschtische vereinbart, da Röhrich gemäß § 433 I S. 1 BGB von Groß Übergabe und Übereignung verlangen kann. Eine solche vertragliche Vereinbarung ist gemäß § 269 BGB auch zulässig. Somit liegt eine Bringschuld vor.
Da keine vertragliche Vereinbarung getr...