Teil B – Beratungsfelder
5 Teamarbeit – Zur Psychodynamik psychosozialer Organisationen3
Einführung
Realitätserfordernisse, die sich aus der System-Umwelt-Beziehung einer Organisation ergeben, und die Bedürfnisse von Mitarbeitern in Teams sind nicht immer unmittelbar in Einklang miteinander zu bringen. Ansprüche an die Qualität therapeutischer Arbeit aber auch die eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen im Umgang mit Autorität und Autonomie prägen maßgeblich das Verhältnis von Mitarbeitern und Teams zu der Leitung, der Organisation und ihrer Primäraufgabe – und bergen teils großes Konfliktpotential in sich. Offenheit für Lernerfahrungen und ein bewusst reflektierendes Selbstmanagement der Mitarbeiter in ihrer Rolle können hier helfen, dass sich Teams nicht in dysfunktionalen Abwehrmechanismen verlieren.
Lernziele
• Einige Folgen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens kritisch einordnen können
• Die Strategie von Teams als offene Systeme kennenlernen
• Das Spannungsverhältnis zwischen Beharrungstendenzen und Veränderungswünschen im Detail verstehen
• Das Konzept des Selbstmanagements in der Rolle kennen
• Zentrale Themen identifizieren können, die Konfliktpotential in Teams bergen
• Die Rolle von Führung in Teams einordnen können
5.1 Die Krise der Zusammenarbeit in psychosozialen Organisationen
Die rapiden Veränderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen haben in den letzten Jahren zu einer allgemeinen Krisenstimmung in psychosozialen Organisationen geführt: das Bestreben nach einer guten Qualität der therapeutischen Arbeit steht in einem Spannungsverhältnis zu dem ökonomischen Zwang, Kosten zu sparen und Rendite zu erwirtschaften. Die allgemeine Verdichtung der Arbeit bedroht gewohnte Freiräume und führt zu einem Anstieg von Belastungsgefühlen, die Arbeitsbeziehung zwischen Leitung und Mitarbeitern wird zusehends angespannter.
Die Forderung nach raschem Wandel kollidiert in psychosozialen Organisationen mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Stabilität – dies entspricht einem strukturellen Dilemma: aufgrund der Natur der Arbeit helfender Berufe, die als »Stabilisierung von destabilisierten Systemen« definiert werden kann, sowie der lebensgeschichtlichen und psycho-strukturellen Prägung vieler Helfer, finden wir in psychosozialen Teams häufig ein Übergewicht der Werte von Kontinuität, Stabilität und Binnenorientierung auf die eigene Organisation. Demgegenüber kommt es zu einer Unterbewertung der Ausrichtung an den Anforderungen der Umwelt, also der Kontext- und Veränderungsorientierung.
Während Teams in Profit-Organisationen der Wirtschaft daran gewöhnt sind, dass ihr Überleben direkt an den ökonomischen Erfolg ihres Produktes oder ihrer Dienstleistung am Markt gekoppelt ist, definieren sich psychosoziale Teams tendenziell mehr über ihren therapeutischen Erfolg bei der betreuten Klientel.
Der wirtschaftliche Kontext des Trägers erscheint demgegenüber als lästige bis aufdringliche, auf jeden Fall aber misstrauisch beäugte »Störvariable« gegenüber der »eigentlichen« helfenden Tätigkeit. Aufgrund der Ökonomisierung des Gesundheitswesens, des zunehmenden Kosten- und Konkurrenzdruckes und der damit notwendigen aktiven Einbeziehung des ökonomischen Denkens, wird eine solche Haltung aber immer dysfunktionaler – eine einseitige wirtschaftliche Orientierung, die nicht die spezielle Arbeitsweise »helfender Arbeit« berücksichtigt, hat jedoch eine ebenso destruktive Wirkung, da sie sinnvolle Arbeitszusammenhänge zerreißt!
Im Umgang mit diesem Dilemma können wir eine ausgeprägte Spaltungsneigung als Abwehr finden, die vor allem zwischen Leitung und Mitarbeitern, Verwaltung und therapeutischem Bereich agiert wird.
Zur Abwendung dieser Spaltungsgefahr plädieren wir für eine integrierende organisationale Grundhaltung, die die unterschiedlichen Einflussgrößen zu balancieren versucht und sich an den Grundsätzen einer »Lernenden Organisation« (Senge 1990) orientiert. Diese reagiert mit der Fähigkeit zur Selbststeuerung bzw. zum Selbstmanagement auf den unterschiedlichen Ebenen der Organisation auf das oben beschriebene Dilemma. Damit rückt die Fähigkeit, durch Erfahrung zu lernen (Bion, 1962), ins Zentrum der Überlebensfähigkeit von psychosozialen Organisationen.
Der Umgang mit der Spannung zwischen Spaltung und Integration angesichts widersprüchlicher Anforderungen und die Notwendigkeit für Mitglieder dieser Organisationen, eine Spannungstoleranz gegenüber dem Dilemma zwischen Qualität und Wirtschaftlichkeit zu erzielten statt einseitig gegen ökonomische Vorgaben anzukämpfen, sollen in der Folge näher ausgeführt werden.
Im psychosozialen Bereich ist die Arbeit vor allem in Teams organisiert – daher werden wir uns auf den Umgang von Teams mit der Notwendigkeit, durch Erfahrung zu lernen, und deren Dynamik zwischen Wandel und Stabilität konzentrieren.
5.2 Teams und Organisationen als offene Systeme
Forster (1981, S. 144) definiert die Organisationsform Team folgendermaßen: »Unter einem Team soll eine kleine, funktionsgegliederte Arbeitsgruppe mit gemeinsamer Zielsetzung, relativ intensiven wechselseitigen Beziehungen, einem ausgeprägten Gemeinschaftsgeist sowie einem relativ starken Gruppenzusammenhalt unter den Mitgliedern und damit einer spezifischen Arbeitsform verstanden werden.« Arbeitsteilig, multiprofessionell und in vielen Fällen partizipationsorientiert sollen komplexe Aufgaben bewältigt und gemeinsames Lernen organisiert werden.
Gemeinsame Arbeit findet im Team angesichts von Aufgaben statt, die durch die Organisation gesetzt werden müssen. Um welche Aufgaben handelt es sich dabei?
Beim Team z. B. einer Klinik, einer psychosozialen Beratungsstelle oder eines ambulanten Dienstes, geht es zunächst um die gemeinsame, aber rollenverteilte Betreuung von Klienten oder Patienten, um die Verteilung von Ressourcen, und in vielen Fällen und in wachsendem Maße um die Erwirtschaftung einer Rendite oder zumindest einer Kostendeckung. Wichtige Aufgaben eines Teams sind weiterhin die angemessene Vertretung der Institution nach außen, die Organisation von Fortbildung und Qualifikation und schließlich die Entwicklung und Überprüfung von Prozessen des Arbeitsablaufes, der Qualitätssicherung, der Entscheidungsfindung und der Konfliktregelung.
Für die Bewältigung all dieser Aufgaben sind Entwicklung und Lernen notwendig. Aus organisationsdynamischer Sicht ist institutionelles und Team-bezogenes Lernen ein Prozess, in dem Individuen in einer strukturierten und aufgabenbezogenen Gruppe im Kontext einer Gesamtorganisation durch Erfahrungen lernen. Dabei werden neue, handlungsrelevante Informationen ins System importiert, bewertet und dann entweder übernommen, modifiziert oder zurückgewiesen. Dadurch werden Prozesse, Strukturen und Handlungsmaximen des Systems fortwährend entwickelt und verändert.
Lernen garantiert also das Überleben, denn jedes System, vom Individuum bis zur Organisation, ist nur dann lebensfähig, wenn es einen ständigen Entwicklungs- und Wachstumsprozess erlaubt und damit eine aktive Adaptation an sich verändernde Umwelterfordernisse leistet. Aktive Adaptation meint dabei: sich an veränderte Umstände anpassen, aber auch im Rahmen der Möglichkeiten aktiv auf die organisationalen und Umweltbedingungen einwirken.
In meiner psychoanalytisch-systemischen Perspektive, die auf dem so genannten
Tavistock-Modell (
Kap. 1) basiert, werden solche lernfähigen Systeme als offene, d. h. zur Umwelt hin
offene Systeme definiert, die in der Lage sind, Information in sich aufzunehmen, weiterzuentwickeln und veränderte Handlungsweisen hervorzubringen. Solche offenen Systeme, also Individuen oder Gruppen, die über funktionale
Grenzen bzw. Filter gegenüber den spezifischen Umwelten verfügen, sind in der Lage,
durch Erfahrung zu lernen (Bion, 1962). Sie verfügen über ein
antizipierendes Denken und eine hohe Aufmerksamkeit nach außen, gegenüber dem
Kontext ihrer Arbeit. Dieser Kontext bzw. die Rahmenbedingungen der Arbeit konstituieren sich aus den relevanten Umwelten der Organisation, wie z. B. dem Markt mit den Wettbewerbern. Eine solche antizipierende Haltung den Rahmenbedingungen gegenüber fördert rasches Reagieren auf neue Entwicklungen und ermöglicht Neugier, Kreativität und Motivation.
5.3 Der Konflikt zwischen Stabilität und Veränderung
Dieser auf Veränderung ausgerichtete ständige Lern- und Adaptationsvorgang steht in einem naturgemäßen Konflikt mit den Beharrungskräften jedes Systems, sei es das Individuum, die Gruppe, das Team oder die Organisation.
Diese Beharrungskräfte tendieren dazu, Energie nur sparsam zu verbrauchen und an einmal gefundenen Lösungen möglichst festzuhalten. Systemtheoretisch gesehen ist das durchaus sinnvoll: Systeme sollen sich bei kleinen Schwankungen und Veränderungen der Umwelt nicht sofort grundsätzlich in Frage stellen, sondern durch eine gewisse Robustheit kleinere Irritationen auch aussteuern können.
Aus der Fähigkeit, an bewährten Abläufen und Ritualen festhalten zu können, entsteht auch die Identität eines Systems, sei es das Individuum, die Gruppe, das Team oder die Organisation. Identität entsteht aus der Erfahrung von Kontinuität über Zeit und unterschiedliche Situationen hinweg.
Um eine solche Identität zu erleben, auszudrücken und zu behaupten, müssen Geschäftsprozesse, die Verständigung über zentrale Werte und die Organisation des beruflichen Alltages durch Wiederholungen zu Mustern werden. Diese wiedererkennbaren Muster konstituieren eine Erwartungssicherheit, basale Orientierung und eine sinnvolle Abgrenzung von der Umwelt – »wir als Team« oder Organisation im Unterschied zur Umwelt!
Gerade in psychosozialen Teams aber kommt es häufig zu einer Überbewertung der Stabilität gegenüber der Notwendigkeit und Fähigkeit sich zu verändern – sicher auch als Ausdruck der zentralen Aufgabe vieler Teams, sich um destabilisierte Menschen oder Systeme zu kümmern, also Stabilität in Systeme wieder einzuführen!
Diese Art der helfenden Arbeit braucht naturgemäß ein hohes Maß an Stabilität und Kontinuität, um den emotionalen Aufruhr und die oft extremen Spannungen, die mit dem Klientensystem ins therapeutische System importiert werden, halten und verarbeiten zu können.
Die zunächst funktionalen Beharrungskräfte können dann aber einen dysfunktionalen Charakter gewinnen, wenn sie die notwendige Anpassung behindern – wir wissen aus klinischen Erfahrungen, wie verhängnisvoll es sein kann, wenn aus Gründen der Angstabwehr oder der Charakterpathologie auch angesichts von Leiden an einmal gefundenen Lösungen rigide festgehalten werden muss! Es kommt dann zu einer Unfähigkeit, durch Erfahrung zu lernen und die sich verändernde Realität anzuerkennen.
Untersucht man genauer diese allgegenwärtige Dialektik von Bereitschaft und Widerstand zu Lernen, so findet man zunächst eine neurobiologisch sinnvolle und vorgegebene Lust zu lernen. Kognitiv-emotionales Lernen wird oft begleitet von Erregung, Neugier und dem befriedigenden Gefühl der Erweiterung des Wissens und der Kompetenzen.
Demgegenüber meldet sich aber sofort, bei Einzelnen und sozialen Systemen, die Angst vor Veränderung. Sie macht sich bemerkbar als eine Angst vor dem Verlust bisheriger Sicherheiten, vor Überforderung, aber auch vor dem Verlust angestammter Kompetenzen, Nischen und Privilegien. Diese Angst, bedrohlichen Erscheinungen »ins Auge zu sehen« und die Verführung, »wegzuschauen«, führen in Teams häufig zu einer unzureichenden Verarbeitung der Ängste, die aus der Natur der Arbeit selbst entstehen. Diese werden dann durch Rituale und psychosoziale Abwehrmechanismen (vgl. Menzies-Lyth, 1960, Hirschhorn, 1988) wie z. B. Entemotionalisierung, Diffusion von Verantwortung, aber auch Spaltung und Projektion in Schach gehalten.
In einer psychiatrischen Klinik z. B. geht es bei diesen Ängsten, die nicht primär neurotischer Natur sind, sondern aufgrund der spezifischen Arbeit ins System importiert werden, um die Angst vor Verrücktheit und Kontrollverlust, in forensischen Einrichtungen häufig um die Angst vor Gewalttätigkeit und Schädigung, »wenn man nicht immer aufpasst«, in Krisenberatungsstellen um die Ängste vor Suizid, Überforderung und quälender Ohnmacht.
Wenn wir also über
Bedingungen einer gelingenden gemeinsamen Entwicklung und einer erfolgreichen Arbeit im Team nachdenken, so können wir hier schon erkennen, dass ein Team ein Klima braucht, in dem die Lust, sich zu entwickeln, unterstützt wird und in dem
Ängste erlebt und überwunden werden können (
Kap. 4).
5.4 Organisationskultur und Primäraufgabe
Welche anderen
Faktoren der Organisationskultur (
K...