Die Beziehung zwischen Patient und Therapeut steht - unabhängig vom jeweiligen Behandlungskonzept - im Mittelpunkt jeder Therapie und wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Oftmals nicht reflektiert, wohl aber von großer Bedeutung, sind in diesem Zusammenhang Geschlechtsidentitäten sowie sexuelle Orientierungen und Präferenzen. Mit dem Ziel, Therapeuten zu sensibilisieren, diese Persönlichkeitsdimensionen auf Patienten- und Therapeutenseite zu beachten und in der Behandlung konstruktiv damit umzugehen, wird im Buch diskutiert, wie die Einflüsse auf die Beziehungsgestaltung bei Cis- und Transidentität, Homo-, Bi- und Heterosexualität sowie bei der pädophilen Präferenz aussehen.
Häufig gestellte Fragen
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Erste Vorlesung Einführende Überlegungen: Die Grundlagen der therapeutischen Beziehungsgestaltung, die sexuellen Orientierungen und die Identitäten
Unabhängig vom Behandlungskonzept steht im Mittelpunkt jeder Therapie die Beziehung zwischen Patient*in und Therapeut*in. In einigen Therapiekonzepten, so in den psychodynamischen Therapien und in der Personzentrierten Psychotherapie, wird die Beziehungsdimension explizit reflektiert und im therapeutischen Prozess gezielt eingesetzt. In anderen Therapiemodellen wird sie weniger thematisiert. Immer aber verläuft der therapeutische Prozess über die Beziehungsebene (zur Bedeutung der therapeutischen Beziehung in verschiedenen Therapieformen s. Staats2, Tishby & Wiseman3 und Fiedler4).
Dabei hat es sich zur Förderung der Behandlungsmotivation und zum Aufbau eines tragfähigen Arbeitsbündnisses als hilfreich erwiesen, die persönlichen Eigenschaften der Patient*innen, zu denen auch ihre Symptome und die unter Umständen dysfunktionalen bisherigen Copingstrategien gehören, als Kompetenzen zu würdigen5. Es gilt anzuerkennen, dass diese Mechanismen in der Vergangenheit hilfreiche Strategien waren und es den Patient*innen ermöglicht haben, ihr Leben wenigstens einigermaßen zu bewältigen. Sie stellen insofern Erhaltungsmechanismen im Sinne Mahlers6 dar. Eine solche therapeutischen Haltung, die nicht primär von einer die Pathologie betonenden, sondern von einer salutogenetischen Sicht7 ausgeht, ist Ausdruck einer prinzipiellen Wertschätzung der Patient*innen und stellt eine den therapeutischen Beziehungsaufbau tragende Basis dar.
Eine besondere Rolle spielt die Beziehungsdynamik in der Psychoanalytischen Psychotherapie und den von ihr abgeleiteten Therapieformen. Hier sind es vor allem die Konzepte der Übertragung8, der Gegenübertragung9 und der Realbeziehung sowie die Modelle der therapeutischen Allianz10 und des Arbeitsbündnisses11, mit denen die Beziehungsdynamik konzeptualisiert worden ist (
Kasten 1).
Die Übertragung
Übertragungen sind nach Freud12
»Neuauflagen, Nachbildungen von Regungen und Phantasien, die während des Vordringens der Analyse erweckt und bewusst gemacht werden sollen, mit einer für die Gattung charakteristischen Ersetzung einer früheren Person durch die Person des Arztes. Um es anders zu sagen: eine ganze Reihe früherer psychischer Erlebnisse wird nicht als vergangen, sondern als aktuelle Beziehung zur Person des Arztes wieder lebendig. Es gibt solche Übertragungen, die sich im Inhalt von ihrem Vorbilde in gar nichts bis auf die Ersetzung unterscheiden. Das sind also, um in dem Gleichnis zu bleiben, einfache Neudrucke, unveränderte Neuauflagen. Andere sind kunstvoller gemacht, sie haben eine Milderung ihres Inhaltes (…) erfahren und vermögen selbstbewusst zu werden, indem sie sich an irgendeine geschickt verwertete reale Besonderheit an der Person oder in den Verhältnissen des Arztes anlehnen. Das sind also Neubearbeitungen, nicht mehr Neudrucke«.
Mit der Differenzierung zwischen »Neuauflagen« und »Neubearbeitungen« weist Freud auf eine für das Verständnis der interaktionellen Dynamik zwischen den Professionellen und den Patient*innen wichtige Tatsache hin: Es gibt Menschen, die Übertragungen in der Art von »unveränderten Neuauflagen« ausbilden. Das heißt, sie projizieren die in der Kindheit mit wichtigen Bezugspersonen gemachten Erfahrungen gleichsam eins zu eins auf die Therapeut*innen und lassen dabei deren reale Person und ihre individuelle Lebenssituation weitgehend außer Acht.
Eine andere Art von Übertragung folgt dem Muster von »Neubearbeitungen«. Diese Übertragungen bedienen sich der realen Person der Professionellen und ihrer besonderen Merkmale, ihrer Lebenssituation und, wie zu zeigen sein wird, auch ihrer sexuellen Orientierung und Identität. Das heißt: Es gibt gewisse Ähnlichkeiten zwischen den frühen Bezugspersonen und den heutigen Interaktionspartner*innen, und an diese heftet sich die Übertragung. Bei diesen Neubearbeitungen sind sich die Patient*innen häufig der Tatsache bewusst, dass die Übertragungsbeziehung einen »Als-ob«-Charakter besitzt und die auftauchenden Fantasien und Empfindungen nicht Abbild der Realität sind.
Mit dem Hinweis auf die »Neubearbeitungen« hat Freud bereits angedeutet, dass die Übertragung nicht lediglich als eine Projektion verstanden werden kann, die sich auf ein*en passiv, anonym bleibende*n Therapeut*in richtet. Der/die Therapeut*in ist vielmehr selbst Mitgestalter*in der Übertragung. Diese Sicht ist vor allem im Rahmen der Objektbeziehungstheorie13 weiter ausgearbeitet worden.
Ein für das Verständnis der Übertragung wichtiger Aspekt ist die Erkenntnis, dass nicht historische Personen (Mutter, Vater oder andere nahe Bezugspersonen) übertragen werden, sondern verinnerlichte Bilder dieser Bezugspersonen und ihrer Beziehung zu den Patient*innen. Diese inneren Beziehungsmuster sind der Kern der Übertragung, und sie sind es, die in der Übertragung externalisiert werden. Insofern kann man sagen, dass sich in den professionellen Kontakten zwischen den Behandelnden und ihren Patient*innen die interpersonelle Ebene aus den Interaktionsmustern der frühen Erfahrungswelt des Kindes gestaltet.
Dabei ist wichtig, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass die Professionellen als selbst agierende Interaktionspartner*innen eine wichtige Rolle in der Behandlungs- und Beratungssituation spielen und die Übertragung von ihnen ausgelöst wird (zur Rolle der Analytiker*innen und ihres Einflusses auf die Übertragung s. auch Bettighofer14). Mit Gill15 kann man sagen, dass die Übertragung »ein Amalgam aus Vergangenheit und Gegenwart« ist, bei dem Patient*in und Therapeut*in gleichwertige Beteiligte sind. Insofern kann man alles, was sich in der Interaktion zwischen Therapeut*innen und Patient*innen in der Behandlung abspielt, als Geschehen auf einer Bühne mit Patient*in und Therapeut*in als Darstellende des sich abspielenden Dramas verstehen16, eine Sicht, die dem Modell des »szenischen Verstehens« von Lorenzer17 entspricht.
Die Behandelnden werden in der Übertragung zu einer Projektionsfläche, an der aus der Kindheit stammende Ängste, Wünsche und Konflikte wiedererlebt und abgehandelt werden. Die Professionellen werden in diesem Prozess zu Repräsentanten früherer Bezugspersonen. In dieser Dynamik liegt eine große Chance, da die nun im Hier und Jetzt der Therapie aktualisierten Konflikte mit den beiden heute daran beteiligten Personen, Therapeut*in und Patient*in, erlebt und bearbeitet werden können. Die Verwendung des Übertragungskonzepts führt dazu, der interaktionellen Dimension besondere Beachtung zu schenken. Dies gilt nicht nur für die psychoanalytischen Therapieformen, sondern letztlich für alle Therapiemodelle, unabhängig davon, ob diese Dimension, wie im Übertragungskonzept, konzeptualisiert ist oder nicht.
Wir können mit Ermann18 die Übertragung als zirkulären Prozess verstehen, in dem sich das Übertragungsgeschehen von zwei Seiten aus entwickelt: Zum einen nimmt der/die Patient*in sich selbst, den/die Analytiker*in und die gesamte therapeutische Situation mit den Sinnen der Kindheit wahr und fühlt und verhält sich dementsprechend. Zum anderen bringt er/sie durch projektiv-identifikatorische Prozesse den/die Analytiker*in dazu, auf dieser Ebene mitzuschwingen, sich selbst entsprechend zu erleben und sich auf identifikatorischer Ebene mit den Kinderaugen zu sehen.
Im Rahmen der psychoanalytischen Theorie sind für die verschiedenen psychischen Störungen spezifische Übertragungsdispositionen beschrieben worden. Daneben entwickeln sich in Behan...
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Inhalt
Vorwort
Erste Vorlesung Einführende Überlegungen: Die Grundlagen der therapeutischen Beziehungsgestaltung, die sexuellen Orientierungen und die Identitäten
Zweite Vorlesung Heterosexualitäten, Cis*identitäten, Bisexualiäten