1Das triadische Prinzip
1.1Das Ordnungsprinzip der Triade
»Das Wesen der Abstraktion besteht […] im Vorgang des Ausziehens einer Invarianz, das heißt im lustvoll-spannungslösenden Finden einer versteckten Gemeinsamkeit in einem zunächst heterogenen Durcheinander« (Ciompi 1997, Pos. 6058 f.).
Menschen interagieren mit ihrer Umwelt über den ganzen Körper, mit dem sie unablässig Informationen senden und aufnehmen. Das geschieht so selbstverständlich, wie der Atem kommt und geht, nur mit einer ganz anderen Geschwindigkeit. Die mit Bauch, Herz und Kopf verknüpften Redewendungen zeigen, dass es eine unwillkürliche und geradezu natürliche Auffassung über die Aufteilung des Körpers in diese drei Regionen und die mit ihnen unmittelbar verknüpften Kompetenzen und Bedürfnisse gibt. Wenn jemand sagt, etwas sei nicht gerade eine Herzensangelegenheit, dann bezieht er sich auf das Herz. Er hat ein Unterscheidungsvermögen und sagt damit zugleich, dass es sehr wohl auch Herzensangelegenheiten gibt. Und die Aussage: »Ich bin ganz und gar kopfgesteuert« besagt zugleich, dass es noch etwas anderes gibt, sonst würde sie sich nicht auf den Kopf beziehen. Und wenn jemand bedauert, dass er nicht auf seinen Bauch gehört hat, dann hat er offensichtlich auf etwas anderes gehört.
Tatsächlich ermöglicht der Fokus auf diese drei Filter und die an sie gekoppelten Kernbedürfnisse eine körperorientierte Ausdifferenzierung des in beide Richtungen strömenden Informationsflusses. Durch die Unterschiedsbildung wird das zugrunde liegende Ordnungsprinzip erkennbar und so mehr über das Gesamtgeschehen erfahren. Ähnlich wie bei einer chemischen Analyse: Indem die einzelnen Elemente beachtet und untersucht werden, bekommt man ein besseres Verständnis für den Stoff als Ganzes.
Durch diese natürliche Differenzierung können alltägliche und auch spezielle Erfahrungen von Menschen in der Triadenarbeit aufgefächert werden. Das Ergebnis ist ein Mehr an Information, wobei im Mittelpunkt immer die Körperreaktion steht.
Die Reflexion darüber, welche Rolle wohl dem einzelnen Zentrum im Leben einer Person zukam, zukommt oder zukommen sollte und wie die mit ihm verknüpften Werte repräsentiert sind, ist so gut wie immer hilfreich und erhellend.
Im Beratungssetting finden es die meisten Menschen interessant, darüber nachzudenken, wie das Zusammenspiel ihrer drei Zentren funktioniert, und sie haben aufgrund ihrer Lebenserfahrung durchaus Thesen dazu. Damit wird vorab das Kernbedürfnis nach Überblick und Orientierung abgedeckt, und es erhöht sich die Bereitschaft, das Kopf-Zentrum zu verlassen und in die Erfahrung zu gehen.
Ein häufiger Kommentar zum ersten Triaden-Erlebnis lautet: »Das konnte ich mir nicht vorstellen!«, was meist für Heiterkeit auf beiden Seiten sorgt, da Minuten zuvor darüber gesprochen wurde, dass es um eine Erfahrung geht, die man zuvor in dieser Art und Weise noch nicht gemacht hat. Die eigentliche Ironie dabei ist, dass ja der Körper Zeit seines Lebens hauptsächlich unwillkürlich und spontan agiert. Vielen Menschen wird erst durch die Triaden-Arbeit bewusst, dass sie Körper sind.
Das der Triade innewohnende Ordnungsprinzip ermöglicht eine von Inhalten relativ abstinente Prozessarbeit. Es macht Hypothesen oder Konstruktionen des Beraters oder des Klienten selbst weitgehend überflüssig, weil es über den Körper automatisch Form annimmt. Indem bei der Aufstellung die drei Zentren räumlich dargestellt und so aktiv getrennt werden, können komplexe psychische Phänomene besser verortet und auch geordnet werden (siehe Abb. 2).
Darüber hinaus bieten sich folgende Vorteile:
•Bauch, Herz und Kopf als zentrale Begriffe zu nutzen, holt die Menschen in ihrer Erfahrungswelt ab.
•Die triadische Perspektive verringert automatisch das Risiko eines Entweder-oder.
•Die drei Zentren bieten eine ausreichende Differenzierung bei gleichzeitiger Überschaubarkeit.
•Bauch, Herz und Kopf dienen als embodimentale Magneten für das, was der Körper ausdrücken möchte.
Meine Erfahrung ist, dass die meisten Menschen wie selbstverständlich und ohne Mühe diese triadische Strukturierung übernehmen und auch ganz organisch anwenden. Der embodimentale Zugang zu ihren Themen scheint das »Sesam, öffne dich« zu sein, da er unmittelbar anschlussfähig an das eigene Erleben ist.
Abb. 2: Die Triade als Ordnungssystem
1.2Die drei Kernbedürfnisse Beziehung – Sicherheit – Autonomie
Jedes der Kernbedürfnisse ist im jeweiligen Körperzentrum implizit vorhanden bzw. wird dort körperlich generiert (siehe Abb. 3).
Jeder Mensch kann das an sich selbst erfahren:
Wenn er ganz mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung ins Herz, sprich den Brustbereich geht, dann fühlt er, dass das Herzzentrum für Gefühle zuständig ist. Diese entstehen automatisch, sobald man mit etwas oder mit jemandem in Kontakt und dadurch auch in Beziehung ist.
Wenn der Mensch ganz mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung in den Kopf geht, dann fängt er unwillkürlich an, sich zu orientieren. Das Kopfzentrum möchte Sicherheit erzeugen, indem es versucht, in den Strom der Sinneseindrücke und der kognitiven Informationen Überblick und Orientierung zu bringen.
Abb. 3: Die Kernbedürfnisse
Wenn er ganz mit der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung im Bauch ist, dann spürt er seine eigene räumliche Grenze. Das Bauchzentrum ist darauf angelegt, Raum und Autonomie zu behaupten und sich dadurch Handlungsspielraum zu verschaffen.
Der Begriff Kernbedürfnis soll verdeutlichen, dass Beziehung, Sicherheit und Autonomie auch fundamentale Ressourcen sind. Bedürfnis wird hier also nicht primär als Mangel verstanden, sondern zugleich als Antrieb und Motivation.
Jedes der drei Kernbedürfnisse steht für sich und ergibt doch ohne die jeweils beiden anderen keinen Sinn, ähnlich den drei ungemischten Grundfarben: Erst durch die Mischung von Rot, Blau und Gelb entsteht ein lebendiges Farbenspektrum.
Das einzelne Kernbedürfnis kann man sich als Kontinuum mit zwei Polen vorstellen. Alle drei bilden entsprechend den sie erzeugenden Körperzentren Bauch, Herz und Kopf eine Triade (siehe Abb. 4). Um einen rein kognitiven Zugang zu dieser embodimental geprägten Triade zu erleichtern, wird für die nachstehende Erläuterung die Reihenfolge Beziehung – Sicherheit –Autonomie gewählt.
1.2.1Herz – Beziehung
Das Herzzentrum steht für Gefühle und es kann genauso nicht nicht fühlen, wie der Kopf nicht nicht denken kann. Es gibt den interessanten Irrglauben, man könne Gefühle außen vor lassen und auf der sogenannten Sachebene bleiben. Doch selbst eine Tabelle oder eine Statistik beinhaltet immer eine Auswahl, sie kann eben nicht die Wirklichkeit abbilden und enthält neben dem Glaubenskonstrukt dahinter auch einen emotionalen Aspekt. Gefühle sind das Bindemittel im Kontakt zu etwas oder jemandem und bilden damit auch den Bezugsrahmen für diesen Kontakt. Ob es sich um einen Menschen handelt oder ein Tier, einen Gegenstand oder eine Landschaft: Darauf bezogen kann man nur dann sein, wenn es einen Kontakt dazu gibt, und den stellt ein Gefühl her. Man findet z. B. irgendetwas schön oder hässlich und kann auch beschreiben, warum, aber jede Beschreibung ist untrennbar an ein Gefühl gekoppelt. Auch das Bedürfnis, sich selbst in Beziehung zur Welt wahrzunehmen, kann nur durch Gefühle erfüllt werden.
Abb. 4: Die Pole der Zentren
Zugleich sind Gefühle Motivatoren, um mit jemandem oder mit etwas in Kontakt zu treten. Man trifft sich eher mit Menschen, die man mag, und geht eher dort spazieren, wo es einem gefällt. Die Motivation muss aber nicht unbedingt positiv sein: Wenn man sich über jemanden ärgert, möchte man ihm gerne seine Meinung sagen, und auch ein Schüler, der den ganzen Nachmittag lang über einen Lehrer schimpft, ist intensiv in Kontakt mit der nichts ahnenden Person und setzt sich in Beziehung zu ihr.
Die Herzpole: Versteckte versus flutende Gefühle
Gefühle werden meist mehr oder weniger automatisch adaptiert. Situativ wägt man ab, unwillkürlich oder durchaus bewusst, wie sehr man seine Gefühle zeigt, ob im Umgang mit nahen oder weniger nahen Menschen, bei der Arbeit, der Erziehung von Kindern oder auch im Kontakt mit sich selbst. Man verhält sich vermeintlich oder tatsächlich und aus gutem Grund angemessen, obwohl man sich anders fühlt, das heißt, man kann seine Gefühle teilweise oder ganz verstecken. Wenn dies jemand dauerhaft und in hohem Maße tut, gilt er als gefühllos. Tatsächlich ist er seine Gefühle nicht los, sondern er hat sie so gut vor sich selbst versteckt, dass er keinen Zugang mehr zu ihnen hat. Somit steht ihm die Ressource Beziehung nur noch begrenzt zur Verfügung.
Am anderen Pol wird man von seinen Gefühlen so überwältigt, dass einem die Steuerungsfähigkeit abhandenkommt. Mit Ausnahme von intimen oder besonders ergreifenden Erlebnissen werden Gefühlsüberflutungen von einem selbst oder von anderen als eher unangenehm erlebt. Die Kontrolle darüber ist sehr unterschiedlich ausgeprägt und Menschen, die hier ein geringes Maß an Kontrolle besitzen, leiten daraus gerne ab, dass man seine Gefühle besser »wegsperrt ohne Wasser und Brot« (so das Originalzitat einer Klientin). Entsprechend dem Staudammeffekt brechen sie dann, in einem womöglich unpassenden Moment, umso heftiger wieder hervor, wodurch oftmals gerade das Kernbedürfnis Beziehung verlorengeht.
Das Herzzentrum kann nur dann gut ausbalanciert arbeiten, wenn es mit den beiden anderen Zentren kooperiert. Steuerungsfähigkeit entsteht hier, wenn man sich in seinen Gefühlen orientiert und ihnen einen adäquaten Raum lässt.
1.2.2Kopf – Sicherheit
Das Kopfzentrum ist für das Aufnehmen, das Verwalten und auch das Rekapitulieren kognitiver Informationen zuständig. Deren Verarbeitung erfolgt über Vorstellungen, die dabei helfen sollen, Orientierung und Überblick zu bekommen. Deshalb ist es ganz natürlich und auch notwendig, dass man projiziert, entsprechend einem Projektor, der ein Bild an die Wand wirft. Ohne Projektion ist es z. B....