Jeanne d’Arc
(1410 bis 1431)
Von Gott berufen, durch Stimmen belehrt, wird ein junges Mädchen aus seiner „natürlichen“ Lebensweise herausgeholt, um die jahrzehntelange Besatzung von Frankreich durch die Engländer zu brechen. Diese Stimmen schicken sie zum König, der - obwohl legitimer Thronerbe - gezwungen ist, ein privates Leben zu führen. Sie, ein junges Mädchen aus Domrémy, sollte Orléans befreien und den König nach Reims zur Krönung führen, so lautete ihr Auftrag.
Jugend in Domrémy
Das Leben von Jeanne begann in dörflicher Umgebung, in einer Zeit großer politischer Spannungen. Domrémy liegt im Tal der Maas, an der Grenze zwischen Champagne und Lothringen an einer sehr wichtigen Straße. Die geographische Lage des Dorfes erlaubte seinen Bewohnern kein friedliches Leben, weil der Ort immer wieder von marodierenden Räuberbanden oder regulären Königstruppen heimgesucht wurde. Um sich zu schützen, mieteten die Bauern ein verfallenes Schloss auf einer Insel des Flusses, sodass sie bei drohenden Überfällen ihr Vieh in den Burghof zu treiben und ihre Familien in Sicherheit bringen konnten. Trotzdem kam es vor, dass bei überraschenden Überfällen die Dorfleute um ihr Vieh und ihre gesamten Vorräte gebracht wurden.
Geboren wurde Jeanne um 1410 als viertes Kind einer Bauernfamilie in einem Haus, das nahe an der Dorfkirche lag und bis heute steht.
Abb. 2: Geburtshaus von Jeanne d’Arc
Insgesamt waren sie fünf Geschwister, zwei ältere Brüder, eine ältere Schwester und ein jüngerer Bruder. Jeanne besuchte nie eine Schule und konnte – wie fast alle Bauernkinder der damaligen Zeit - weder lesen noch schreiben. Die Mutter lehrte sie das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und das Ave-Maria. Ergänzt wurde ihr religiöses Wissen durch die Tradition der Heiligenlegenden und der liturgischen Feiern zum Kirchenjahr.
In den späteren Verhören bezeichnet sie sich zwar selbst als Hirtin, fügte aber gleichzeitig hinzu, dass sie lieber zu Hause war und sich freute, wenn andere das Vieh hüteten. Auch behauptete sie voll Stolz, dass es keine Frau in Rouen gäbe, mit der sie sich im Nähen nicht messen könne. Von einem Kind der Nachbarn wurde sie als überaus lieb und als „admirable bonne“ beschrieben. Auch berichtete das gleiche Mädchen, dass sich Jeanne vor allem im Haus beschäftigte und nicht mit dem Vieh auf die Weide ging. Sie fluchte nie, sondern begnügte sich mit den Worten „sauns faute“ (selbstverständlich) als Kraftausdruck. Während ihrer kurzen militärischen Laufbahn benutzte sie die Phrase „por mon martin“ (in etwa „bei meinem Esel“). Übereinstimmend berichteten die Kameraden ihrer Kindheit und Jugend, dass sie auffallend beweglich und kräftig war: Ein körperlicher Vorzug, den sie bei ihren späteren weiten Ritten und im kriegerischen Alltag gut brauchen konnte.
Ein Stück östlich des eigentlichen Dorfs befindet sich ein waldbedeckter Hügel, der im Prozess von Jeanne eine verhängnisvolle Rolle spielen sollte. Hier entsprang eine Quelle, der magische Kräfte zugeschrieben und die für den Sitz von Naturgeistern gehalten wurde. Jeanne kannte die Überlieferung, betonte aber ausdrücklich, dass sie an die Zaubermacht dieser Feen niemals geglaubt habe. Auch eine mächtige Buche stand auf diesem Hügel, deren gewaltige Äste sich bis zum Boden senkten. Dort feierten die Bauern am vierten Fastensonntag „Laetare“ ein Fest. Dabei aßen sie ihre mitgebrachten Speisen und tranken aus der nahen Quelle, während die jungen Leute feierten und tanzten, bis die Nacht anbrach. Der Sage nach war unter einem Haselstrauch des Hügels auch eine Alraune verborgen. Wer es wagte, sie aus dem Boden zu ziehen, konnte damit rechnen, reich zu werden.
Sicher waren die Leute ihrer Umgebung mit vielen alten magischen Formeln bestens vertraut – doch galt das nicht nur für Domrémy - sondern für die meisten ländlichen Gebiete der damaligen Zeit.
In dieser Welt hörte Jeanne im Alter von 13 Jahren plötzlich „eine Stimme“. Dazu heißt es im Protokoll:
Hierauf erklärte sie, dass sie im Alter von dreizehn Jahren eine göttliche Stimme gehört habe, die ihr helfen und sie führen wollte. Zuerst war sie sehr erschrocken. Sie hörte diese Stimme gegen zwölf Uhr mittags, im Sommer, im Garten ihres Vaters; Jeanne hatte am Tage vorher nicht gefastet. Sie hörte die Stimme von rechts, von der Seite der Kirche her; es kam selten vor, dass sie die Stimme hörte, ohne gleichzeitig ein Licht zu sehen. Dieses leuchtete stets von der gleichen Seite, von der sie die Stimmen hörte; und in der Regel war das Licht sehr stark. Als sie dann nach Frankreich kam, hörte sie die Stimmen oft.2
Das ist das entscheidende Dokument. So begannen nach ihren eigenen Worten, die sie nie widerrief, ihre Offenbarungen. Später fügte sie noch Einzelheiten hinzu:
Sie sagte auch, dass sie, wenn sie sich im Wald befand, oft hörte, wie ihr die Stimmen entgegenkamen. Und sie meinte, dass es eine edle Stimme wäre und glaubte, dass diese Stimme von Gott gesandt sei; nachdem sie diese dreimal gehört hatte, erkannte sie, dass es die Stimme eines Engels gewesen war. Sie sagte ferner, dass diese Stimme sie stets beschützte und dass sie genau verstand, was sie sagte.
Diese Schilderung erinnert an spätere Zeiten, als die Muttergottes Kindern erschien (La Salette, Lourdes, Fatima), die an große Einsamkeit gewöhnt waren und ihre einzige Bildung aus dem Katechismus bezogen.
Es ist wichtig, das Bild der ersten Offenbarung Jeannes festzuhalten: tiefe Stille im väterlichen Garten, eine Stimme, ein Lichtschein und einige moralische Ratschläge. Später berichtete sie neue Einzelheiten: sie erzählte von der Begegnung mit der Hl. Katharina und der Hl. Margarete, betonte aber, dass sich ihr zuallererst der Erzengel Michael gezeigt habe. Er war es, den sie im Alter von dreizehn Jahren sah und hörte. Er war jedoch nicht allein, sondern von himmlischen Heerscharen umgeben.
Auf die Frage der Richter, ob sie wirklich Michael und seine Engel gesehen habe, antwortete sie: „Ich sah sie mit eigenen Augen so deutlich wie ich euch sehe. Und als sie verschwanden, weinte ich; und ich hätte es gerngehabt, wenn sie mich mitgenommen hätten.“
Diese traurigen Worte Jeannes erinnern an die Worte von Petrus (Lk 9,33) „Herr lass uns drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Moses und eine für Elias!“ Auch bei ihm war ein ähnliches Gefühl entstanden…
Um die Bedeutung dieser Erscheinungen für Jeanne besser verstehen zu können, werden im Folgenden die Legenden dieser Heiligen kurz skizziert:
Katharina war Tochter des Königs Costus von Zypern. Als der Sohn des römischen Kaisers die schöne, hochgebildete und reiche Frau heiraten wollte, sah diese in einem Spiegel, dass ihr der Bewerber nicht an Adel, Schönheit, Reichtum und Weisheit entspreche. Auch andere Männer wies sie stolz ab. Als ihr ein Einsiedler von Jesus Christus erzählte, erkannte sie in ihm ihren richtigen Bräutigam.
Sie ließ sich taufen und erlebte in einer Vision, wie das Jesuskind ihr den Verlobungsring an den Finger steckte. Als der römische Kaiser Maxentius während eines Militärzugs in die Stadt auch von den Christen heidnische Opfer verlangte, weigerte sich Katharina und bestand darauf, ihr Recht und ihre besseren Argumente in einer Diskussion zu beweisen.
Der Kaiser lud fünfzig der besten Philosophen ein, die aber allesamt gegen die kluge Argumentation Katharinas nicht aufkamen und sich danach zum Christentum bekehrten. Sie ließen sich taufen und wurden daraufhin vom Kaiser verbannt.
Abb. 3: Hl. Katharina von Alexandrien
Daraufhin bot er Katharina an, sie zur Frau zu nehmen. Als sie sich weigerte, ließ er sie auspeitschen und ins Gefängnis werfen.
Im Kerker brachte ihr eine weiße Taube Nahrung und ein Engel tröstete sie, worauf sich auch die Wachmannschaft bekehrte. Schließlich sollte Katharina gerädert und gevierteilt werden, doch die Räder brachen und töteten stattdessen die Folterer. Dieses Wunder brachte das Volk, die Garde und die Kaiserin auf ihre Seite. Als seine eigene Frau sich zur Macht des Christengottes bekannte, ließ der Kaiser Katharina die Brüste abreißen und seine Frau und die von ihr bekehrten Garden umbringen. Wenig später ließ er Katharina enthaupten. Doch aus ihrer Halswunde strömte kein Blut, sondern Milch. Engel ergriffen ihren Leib und entführten sie auf den Berg Sinai, wo das um 550 entstandene Kloster des brennenden Dornbusches (2. Mose 3, 2 – 4) nun nach ihr benannte wurde. So die Legende.
Vom 12. Jahrhundert an wurde Katharina von den Kreuzrittern zur Patronin erwählt, als überweltliche Schlachtenhelferin angerufen und nun auch im Abendland verehrt. Ab dem 13. Jahrhundert war Katharina, nach Maria die am meisten verehrte Heilige und wurde eine der „Vierzehn Nothelfer.“ Wohl keiner anderen Heiligen trug man so viele Patronate an wie ihr, während das ursprüngliche Ritterpatronat zunehmend in Vergessenheit geriet
Abb.4: Die Hl. Magarete von Antiochien
Margareta - in der Ostkirche ist Marina der gebräuchliche Name - ist auch eine legendäre Märtyrerin. Sie soll die Tochter eines heidnischen Priesters gewesen sein, die von ihrer Amme heimlich im christlichen Glauben erzogen wurde. Als ihr Vater dies bemerkte, verstieß er seine Tochter und denunzierte sie beim Stadtpräfekten Olibrius. Sie floh, wurde aber gefunden und vor Gericht gestellt. Als die hübsche Angeklagte Olibrius als Ehemann ablehnte, wurde sie mit Fackeln angesengt und in siedendem Öl gekocht, blieb aber unverletzt. Das Volk war von diesen Wundern so beeindruckt, dass sich viele von ihnen nun offen zum Christengott bekannten. Daraufhin wurden die Neugetauften enthauptet, wie auch Margareta
Eine andere Legende berichtet von ihrer Begegnung mit dem Teufel in Gestalt eines Drachen. Als sie im Gefängnis zu Gott betete und ihn bat, er solle sie den Feind sehen lassen, gegen den sie zu kämpfen habe, erschien ein gewaltiger Drache, der sie zu verschlingen drohte. Margareta machte das Kreuzzeichen, und der Drache verschwand. Diese Begegnung wurde zum weitverbreiteten Inhalt der bildlichen Darstellung von Margarete: Sie selbst hält ein Kreuz in der Hand und an einer Kette, zu ihren Füßen, ein Drache.
Diese naiven Legenden standen in einem seltsamen und tiefen Bezug zu Jeannes späterem Leben. Auch Jeanne wird einer großen Schar von Richtern allein gegenüberstehen, ohne Beistand, schutzlos, wie Katharina, und sie wird sich verzweifelt zur Wehr setzen, um von den rauen Henkersknechten nicht vergewaltigt zu werden. Auch Jeanne wird, wie die beiden Heiligen, ihre Keuschheit wahren und lieber sterben, als ihrem Glauben - ihren Stimmen - abzuschwören.
Das erste, was die Stimmen Jeanne auftrugen, war nicht mehr und nicht weniger, als dass sie ein gutes Mädchen sein und fleißig beten solle. Diesem Auftrag gehorchte sie mit großem Eifer, wie ihre Eltern und Gefährtinnen bezeugten. So wird von Henri Arnolin, einem Priester, berichtet, dass Jeanne während der Fastenzeit dreimal beichtete, und er sie beobachtete, wie sie in der Kirche vor dem Kruzifix kniete mit dem Gesicht am Boden. Oder wie sie ein anders Mal unbeweglich mit gefalteten Händen kniete, das Gesicht und die Augen auf das Kreuz oder eine Statue der seligen Jungfrau gerichtet.
Gleichzeitig kümmerte sich das junge Mädchen immer wieder um die Armen und Kranken und war überhaupt – wie ihre kleine Spielgefährtin es ausdrückte – „so überaus gut.“ Dieser Eifer ging so weit, dass man sie hindern musste, das eigene Bett herzugeben, weil sie auf dem Boden schlafen wollte. Wenn die Leute in Domrémy sie wegen ihrer vielen frommen Übungen hänselten, wurde sie verlegen und rot. Auch war der Pfarrer des Ortes nüchtern genug, um sie trotz ihrer wunderbaren Erlebnisse vor Übertreibungen zu warnen.
Jeanne hörte die Stimmen im väterlichen Garten, im Wald und an der Quelle. Manchmal wartete sie auch vergeblich auf sie. Sie kamen aber wieder, wenn die Kirchenglocken läuteten, die Jeanne taub für den Lärm des Tages machten. So und nicht anders sollte wohl das Glockengeläute auch auf alle Christen wirken. Als der Mesner das Abendläuten immer wieder zu unregelmäßigen Zeiten begann, versprach sie ihm Kuchen, wenn er genau zur richtigen Stunde läutete. Auch begann sie sich vom Spiel ihrer Gefährtinnen zurückzuziehen und vermied es, unter der Buche zu tanzen. Es scheint auch, dass sie ab dieser Zeit keine Lust mehr hatte herumzustreifen und das Vieh zu hüten, sondern sich ihren häuslichen Pflichten mit großem Eifer widmete. Die Jungen trieben ihre Späße mit ihr, weil sie, die früher so fröhlich mit ihnen um die Wette lief, so schrecklich fromm geworden war. Sie litt unter den Hänseleien und weinte, wenn sie alleingelassen wurde; dennoch hielt sie tapfer durch.
Jeanne war aber auch eine starke, klare und gesunde Natur, die mit ihrer Nüchternheit und soldatischen Haltung ihre Umgebung nicht selten beeindruckte, obwohl ihre innere Entwicklung eine typisch mystische war. Hinter ihrem ungewöhnlichen Lebenslauf liegt eine seelische Entwicklung, die in ihren Hauptzügen jener gleicht, die von den großen Mystikern beschrieben wird, deren Handlungsspielraum nicht so spektakulär, sondern enger und stiller war. Im Gebet wird der Mystiker immer tiefer in die Beziehung zu Gott hineingeführt, um sich schließlich ganz in seiner Liebe zu „verlieren“, wie der Apostel Paulus schreibt: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir (Gal 2,20b). Durch die völlige Hingabe an die Liebe Gottes entsteht im Menschen der Wunsch zur Christusnachfolge, die sich an seinem opferreichen Leben orientiert. Askese und Verzicht auf die Dinge der Welt erweisen sich als eine Ausdrucksform. Ein Leben ohne Familie, im Dienst der Menschen, die arm und bedürftig sind, eine andere.
Jeanne verbrachte viel Zeit im Gebet, das nach Zeugenaussagen starke Ähnlichkeit hatte mit dem inneren Beten der Mystiker, die sehr genau beschrieben, wie sich der innere Dialog mit Gott anfühlt. Sie verzichtete auf das Vergnügen ihrer Jugendgespielen und gelobte ihrem Heiland Keuschheit bzw. Jungfräulichkeit.
Mit dem Keuschheitsgelübde antwortete sie auch auf die Begegnung mit ihren heiligen Vorbildern, die ihr vorlebten,...