1. Vorüberlegungen
1.1. Egoismus und Nicht-Egoismus des Individuums
1.1.1. Wollen und Nicht-Wollen
1.1.1.1. Wollen – zweckgerichtetes Tun – Egoismus
1.1.1.1.1. Ursprung des Wollens: Bedürfnis/Mangelempfinden
(1) Wollen ist nicht anders denkbar, als dass der Wollende immer die Befriedigung seiner Bedürfnisse will.8 Bzw. – da ein Bedürfnis nichts anderes ist als die Kehrseite eines Mangelempfindens9 – die Beseitigung eines Mangelempfindens, das er hat.10
(2) Da das Gegenteil von Mangelempfinden Wohlbefinden ist – oder weniger behäbig: Lust, Glück –, kann man dies auch etwas salopper formulieren: Es ist undenkbar, dass ein Mensch irgendetwas wollen kann, mit dem er nicht auf eine Steigerung seines eigenen Wohlbefindens abzielt. Bzw. seiner eigenen Lust, seines eigenen Glücks.11
(3) Insofern ist alles Wollen egoistisch und jeder wollende Mensch ein Egoist.12
(4) Das ist er auch dann, wenn sein Wollen altruistisch ist: Ein Altruist ist ein Egoist mit einem Bedürfnis, das nur durch die Befriedigung der Bedürfnisse anderer befriedigt werden kann.13 Dazu später.14
1.1.1.1.2. Ziele – Mittel
(1) Etwas zu wollen heißt, ein Ziel erreichen zu wollen. Willentliches Tun ist das Mittel, mit dem man dieses Ziel erreichen will. Man verfolgt mit ihm also einen Zweck. D.h.: Es ist ziel- oder zweckgerichtetes Tun.
(2) Die Unterscheidung zwischen Zielen und Mitteln ist allerdings nicht eindeutig, da es Ziele gibt, die auch Mittel sind, und Mittel, die insofern auch Ziele sind, als willentlich das Ziel angestrebt werden muss, sie zur Verfügung zu haben und einzusetzen.15
(3) In diesem Sinne kann man auch zwischen Zielen, Zwischenzielen und Endzielen unterscheiden. Dabei ist das Erreichen von Zwischenzielen Mittel zum Erreichen weitergehender Ziele. Endziele hingegen sind solche, die nicht auch Zwischenziele sind, sondern rein um ihrer selbst willen angestrebt werden.16
(4) Entsprechend dieser Differenzierung von Mitteln und Zielen kann man auch bei Bedürfnissen zwischen Mittel-, Ziel- und Endbedürfnissen unterscheiden: Erstere sind Bedürfnisse nach Mitteln zur Befriedigung von Zielbedürfnissen, Endbedürfnisse sind solche Zielbedürfnisse, deren Befriedigung ein Endziel ist.17
(5) Ob bzw. inwiefern es Endbedürfnisse überhaupt gibt, wird hier nicht ausdiskutiert.18 Eins ist sicher das Bedürfnis nach Glück (bzw. Lust). Allerdings ein bloß Abstraktes (oder Formales)19, nämlich der Endpunkt, auf den das ebenso bloß formale Lustprinzip hinausläuft. Dabei bleibt offen, worin das jeweilige Glück unterschiedlicher Menschen inhaltlich-konkret besteht.20 Fraglich ist also, ob es auch Endbedürfnisse gibt, deren Inhalt konkret formuliert werden kann.21 Wenn nicht, stellt sich die weitere Frage, ob speziell Glück überhaupt einer derartigen inhaltlichen Konkretisierung bedarf oder ob es nicht sein eigener Inhalt ist. Dagegen spricht, dass es nur negativ als Abwesenheit von Mangelempfinden definierbar ist. Andererseits wird diesseits aller begrifflichen Formulierbarkeit doch jeder positiv wissen – oder zumindest ahnen –, was mit Glück gemeint ist.
(6) Bleibt noch zu erwähnen, dass hier unter Wollen bzw. willentlichem Tun immer bewusstes Wollen bzw. Tun verstanden wird (weil es immer um das absichtliche Anstreben eines Ziels geht und Absicht Bewusstheit impliziert).22
(7) Diese Bewusstheit impliziert auch, dass dem Wollenden das Bedürfnis bewusst ist, das er gerade befriedigen will. Nicht unbedingt bewusst ist ihm hingegen seine gesamte komplexe Bedürfnisstruktur.23
1.1.1.2. Denken – zweckgerichtetes Tun – Egoismus
(1) Denken ist ein Mittel zur Mittelfindung.
(2) Und zwar ein zweckmäßiges, weil es ausgehend von der Hypothese, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben24, mittels einer Wenn-dann-Schlussfolgerung eine Voraussage über die Wirkung eines Ereignisses ermöglicht. Damit weiß ein Denkender, welche Ursache er herstellen muss – d.h., welches Mittel er anwenden muss – damit die von ihm beabsichtigte Wirkung eintritt.25
(3) Denkend werden also die Beziehungen zwischen Ursachen und Wirkungen erfasst. D.h.: Denken ist kausales Denken.26 Bzw. nur dies wird hier als Denken bezeichnet.27 Sich denkend zu irren ist nicht irrational.28
(4) Da Denken ein Mittel zur Mittelfindung ist29, geht ihm das Setzen und damit das Erreichen-wollen eines Ziels voraus.
(5) D.h. zum einen, dass der Ort, an dem Denken stattfindet, stets die Distanz zwischen einer Ausgangssituation und einem gesetzten Ziel ist. Wo diese Distanz nicht existiert, kann es nicht stattfinden.
(6) Und es heißt zum anderen, dass mittels Denken über Mittel entschieden wird und nicht über Ziele.30
(7) Folglich können auch nur Mittel und keine Ziele rational kritisiert werden.31
(8) Die Anwendung von Mitteln, um ein Ziel zu erreichen, ist zweckgerichtetes Tun. Entsprechend ist dies auch die Suche nach diesen Mitteln, also Denken.32
(9) Außerdem ist der Versuch, denkend Tun zu verstehen33, stets der Versuch, es als Mittel im Hinblick auf ein Ziel zu verstehen, also als rationales zweckgerichtetes Tun.34
(10) Zweckgerichtetes Tun ist gewolltes, also egoistisches Tun.35 Also ist Denken erstens selbst egoistisches Tun und zweitens ist mittels Denken Tun nur als egoistisches begreifbar.36
(11) Letzteres anders gesagt: Rational versteht man einen Menschen nur als rational entscheidenden Egoisten.37
(12) Und umgekehrt: Will man jemanden rational davon überzeugen, in einer bestimmten Weise zu handeln, muss man zu ihm als Egoisten reden: Man muss ihn davon überzeugen, dass eben dieses Handeln das zweckmäßigste Mittel zum Erreichen seines Ziels ist, d.h. zur Befriedigung seines Bedürfnisses.
1.1.1.3. Nicht-Wollen – zweckfreies Tun – Nicht-Egoismus
1.1.1.3.1. Selbstbezogenheit zweckfreien Tuns
a) Unterschiede zwischen zweckfreiem und zweckgerichtetem Tun
(1) Da alles Wollen egoistisch ist, kann ein nicht-egoistischer Mensch nur ein nicht(s)-wollender sein.38
(2) Wer nichts will, d.h., wer mit seinem Tun kein Ziel erreichen will, tut das, was er tut, zweckfrei.39
(3) Während also der Egoist als ein (etwas) Wollender stets zweckgerichtet handelt, ist der Nicht-Egoist als ein Nichts(s)-Wollender ein zweckfrei Handelnder.
(4) Mit zweckgerichtetem Tun will man ein Bedürfnis befriedigen bzw. ein Mangelempfinden beseitigen. Infolgedessen sind bei zweckgerichtetem Tun zu unterscheiden: Erstens eine als mangelhaft empfundene Ausgangssituation, zweitens eine von dieser Ausgangssituation unterschiedene Zielsituation, in der dieses Mangelempfinden beseitigt sein soll und die schließlich – unabhängig davon, ob es beseitigt worden ist – zu einer Ergebnissituation wird, sowie drittens das Tun als Mittel, um von der Ausgangssituation zum Ziel zu gelangen. Mit dem Tun wird also ein Ziel angestrebt, das außerhalb dieses Tuns liegt.40
(5) Mit zweckfreiem Tun wird hingegen kein Ziel angestrebt, das außerhalb dieses Tuns liegt. D.h., dass höchstens noch das Tun selbst Ziel des Tuns sein kann.41 Oder korrekter: Es ist in Bezug auf dieses Tun gar nicht mehr sinnvoll, überhaupt noch von einem Ziel zu reden, weil das Ziel im Tun selbst immer (schon) erreicht ist42, also als solches gar nicht mehr existiert.
(6) Anders gesagt: Zweckfreies Tun ist sein eigenes Ergebnis.43 Damit ist es zugleich auch seine eigene Ausgangssituation und das Mittel, mit dem es erreicht wird.44
(7) Wie sich zeigen wird, sieht deshalb – salopp gesagt – die Welt in zweckf...