1. Vorwort:
Prostitution gilt Vielen zu recht als negatives Phänomen. Nicht selten werden insbesondere moralische wie normative1 Vorbehalte gegen diesen Berufsstand ins Feld geführt – doch ist dies nicht ein Widerspruch? Zum einen erfolgt eine gesellschaftliche Tabuisierung und damit einhergehend Jener, welche diese Dienstleistung in Anspruch nehmen. Zugleich verkauft sich ein jeder von uns tagtäglich und das von Kindesbeinen an. Ob in der Schule, dem beruflichen Umfeld, in Konkurrenz mit den Kollegen, im Freundeskreis mittels ‚social media’2, es findet ein permanenter Wettkampf um die besten Erinnerungen und die meisten Likes statt, oder es geht gar um die Frage, welcher Rentner sich welche Pflege geschweige denn welche Form der Bestattung leisten kann.
Nachfolgend sollen anhand der schematischen Lebensmomente eines Menschen die einzelnen ‚Stadien’ - wie ich sie nenne - der alltäglichen Prostitution nachgezeichnet werden, vom Beginn der Kindheit, über die Jugend bis hin zum Ableben eines Menschen. Mir geht es hierbei keinesfalls um eine wie auch immer geartete Verharmlosung bzw. Bagatellisierung von Prostitution! Es steht für mich nicht zur Diskussion, dass dieses ‚Gewerbe’, richtigerweise, ein solch negativ-konnotiertes 3 Image hat und die Ausbeutung von Männern wie Frauen, zum Zwecke des eigenen Lusttriebs nicht zu rechtfertigen ist.4 Und doch möchte ich jeden Leser kritisch mit der Frage konfrontieren, ob dieses Verhalten nicht halbherzig ist. Warum neigen wir dazu, diese Handlungen moralisch in Frage zu stellen, wo wir doch täglich exakt das Gleiche tun und zwar von Anfang bis Ende unseres Lebens? Ist es nicht nur folgerichtig, wenn wir uns auch selbst in den Blick nehmen, anstelle wir lediglich Moral und Anstand, Sitte wie Tugend im Anderen gelebt sehen möchten?
Dieses Buch liefert gewiss keine allseits gültigen Antworten auf all die hier aufgeworfenen Fragen, aber es soll dazu beitragen eine Debatte anzuregen, ob eine solche Doppelmoral nicht der eigentliche Skandal im Alltag jedes Einzelnen von uns ist.
2. Stadien der täglichen ‚Prostitution:’
Der von mir betrachtete Prozess fängt bereits an, noch bevor der Sprössling das Licht der Welt erblickt hat. So werden bereits mit der Namensgebung gewisse ‚Erwartungen’ respektive Mutmaßungen an das Kind herangetragen. Ein Beispiel: Nehmen wir an, dass Kind soll den Namen Kevin bekommen. Schon allein diese Absicht, geäußert beispielsweise im engsten Freundeskreis, gibt den werdenden Eltern den Rat, besser einen anderen Namen zu wählen, da ‚Kevins’ Weg sofort fest zu stehen scheint. Er wird gewiss Karriere machen, jedoch mit dem Ergebnis, dass sein Werdegang lediglich nach ‚Unten’, in den sozialen Abstieg führt. Nicht selten wird dem Namen Kevin (gleiches gilt für dessen Pendant5 Ronny) fehlendes Sozialverhalten unterstellt. Er wird also unfähig sein, sich gesellschaftlich zurechtzufinden und einzig für ‚einfache Arbeit’ brauchbar erscheinen. Diese, keinesfalls selten zu Tage tretenden theoretischen Charakterzüge, bringen die Eltern dazu, sich unter Umständen anders zu entscheiden. Was ist dieser Fall anderes als sozialer Druck, welcher mit dem Hintergrund stattfindet, dass Kevin sich (aufgrund seines Rufes als Solcher) nicht im Wettstreit mit anderen Kindern (später Erwachsenen) beruflich wie gesellschaftlich wird behaupten können! Bereits hier tritt diese ‚Prostitution’, nämlich der Verkauf des Menschen als Ware (über seine noch zu entwickelnden Fähigkeiten), zu Tage.
Auch dem Neugeborenen geht es indes nicht besser. Kaum auf der Welt, schon tritt es in einen ‚Wettstreit der Mütter und Großmütter’ ein. So beginnt alsbald die Frage unter den frischgebackenen Eltern und Anderen darüber, welches Kind denn jetzt eigentlich das Süßeste unter den Kandidaten ist. Schwere Geschosse werden aufgefahren, ob nun in Form möglichst einzigartiger Kleidung, dem Kinderwagen mit diversen technischen Raffinessen 6 oder einer Unmenge von Spielsachen. Hier tritt sie nun zum ersten Mal in Erscheinung, die Welt der Social Media. Mit Hilfe dieser Netzwerke wird nun der geografische Rahmen des Wettbewerbs erheblich erweitert. Nun geht es nicht mehr um den sichtbaren Konkurrenzkampf mit den Nachbarn, sondern jetzt können alle Nutzer des Netzwerks die Schönheit meines Kindes beurteilen. Je mehr Likes7 man bekommt, umso besser das Selbstwertgefühl und desto größer ist die Bestätigung, dass das Kind der oder die Schönste ist. Das ich somit ein weiteres Mal mein Kind gewissermaßen veräußere, der Netzgemeinde ‚anbiete’ und mir erhoffe, dass es möglichst stark ‚nachgefragt’ wird, ist schon Nahe an dem, was eingangs mit dem Begriff des körperlichen Verkaufs eines Menschen bezeichnet wurde.
2.1 Die Kindheit – Kindergarten:
Schon in dieser Zeit erfolgen erste gedankliche Experimente über die Zukunft des Kindes und dessen spätere Entwicklung. Wächst das Kind beispielsweise zweisprachig auf? Hat es in jungen Jahren bereits erkennbare, einzigartige Fähigkeiten, wie das Zeichnen, erste Anzeichen logischen Denkens oder ein Talent für einen bestimmten Sport oder eine Kunst? All diese Punkte können dazu beitragen, dass schon die Kindheit mit einem gewissen Grad an Druck beginnt, aus dem Talent eine Berufung erwachsen zu lassen. Der Blick auf die spätere Konkurrenzsituation des Sprösslings fördert ein solch kategoriales Verständnis von Begabung.8 Diese zielt einzig darauf ab, im Haifischbecken des immanenten Wettkampfes bestehen zu können. Davon ausgenommen ist sicherlich der wünschenswerte Fall einer freien kindlichen Entwicklung, innerhalb derer das Kind selbst seine Fertigkeiten und Freuden zu entdecken weiß und von elterlicher Seite keinerlei Zwang (auch psychologisch) ausgeübt wird, jedoch zweifelsfrei die Ausnahme vom wirtschaftlich orientierten Lebenszyklus unserer Gesellschaft darstellt. In diesem Zusammenhang kann sich ebenso eine äußerst gefährliche Entwicklung einstellen – man projiziert eigene Träume und Wünsche auf das Kind! Die Gefahr besteht in zweierlei Hinsicht: Erstens wird mit der Sehnsucht eigens verfehlter Ziele auf das Kind zu übertragen, diesem jedweder Freiraum zur Entwicklung und Umsetzung eigener Ziele, Wünsche und Träume genommen. Es durchläuft den Prozess der ‚Veräußerung’ des Ichs in beschleunigter Art und Weise, in dem es noch nicht einmal die Chance erhält zu fragen ‚Was möchte ich? Wer bin ich?’ Stattdessen kommt einzig jener Effekt zum Tragen, das Kind zu einer idealisierten Kopie des eigenen Ichs zu transformieren. 9 Diese Form der besonderen Knechtschaft - man findet sich einerseits stets mit der Idiotie10 des eigenen Scheiterns in Gestalt des Kindes konfrontiert und unterwirft dieses zugleich seiner ‚Logik’ und Sichtweise eines perfekten Lebens – kann man mit Recht als eine der wohl moralisch, als auch menschlich Widerwärtigsten betrachten!
Doch selbst, wenn man sich auf die Talente, die man im eigenen Sprössling zu erkennen und gleichfalls zu fördern müssen glaubt, begrenzt, so dienen jene Fertigkeiten, doch weniger dem Spaß und der Unterhaltung, dem Ausgleich des Kindes, als vielmehr um seiner späteren Verwertung, insofern ihm diese in beruflichen Auseinandersetzungen von Nutzen sein werden, oder den Eltern zu wechselseitiger Konkurrenz. Nun ist es nicht primär das Aussehen, über das man mit den Menschen weltweit im ‚Netz’ um das Hübscheste unter allen Kindern dieser Sonne wetteifert, sondern mit den Nachbarn um das scheinbar ‚Talentierteste’ unter ihnen. Natürlich lässt sich auch hier einwenden, dass die sozialen Medien an dieser Stelle ebenso wirken können, um den Radius des Wettkampfs erheblich zu vergrößern. Das Prinzip, sich selbst und damit auch das Kind über den Erfolg zu definieren und mit ihm - gleich einem Statussymbol - hofieren11 zu können, bleibt gleich. Dieser Prozess färbt selbstredend auch auf das betroffene Kind ab, das von diesem Moment an, sein Seelenheil von den Bewertungen seiner Umgebung abhängig macht und sich in den Dienst eines lebenslänglichen Konkurrenzkampfes stellt. Das insbesondere die sozialen Netzwerke den Drang hin zu einer ständigen Wettkampflogik12 unter Kindern und Jugendlichen möglich machen, wird spätestens mit Beginn des Grundschulalters sichtbar.
Doch auch die Wahl der Kindertagesstätte ist keineswegs so banal, wie man vielleicht zu denken geneigt wäre. Vielmehr sehen sich auch hier die Eltern einer großen Anzahl an Kriterien gegenüber, die ihrem Kind die möglichst ‚idealen Bedingungen’ für die Entfaltung der eingangs beschrieben Fertigkeiten bieten sollen. Angefangen mit der Anzahl der Betreuer*innen, über deren Qualifikationen, bis zum Preis für eine Unterbringung. Hierbei ist insbesondere Letzteres ins Auge zu fassen, denn hier fin...