Non-Stop-Wachstum seit einem Vierteljahrhundert
Der Bauer Hanns Courth
Auf der Arbeit nennen sie ihn nur „das Erdferkel“. Der kompakte und stämmige Mann lichtet wild wuchernde Brombeerbüsche, hebt schlammige Gruben aus und befreit künftiges Saatland von altem Wurzelbestand. In sauberen Kleidern sieht man Friedhelm K.1 höchstens sonntags – und erkennt ihn dann kaum wieder. Gut möglich, dass er sich im Sonntagsanzug auch selbst fremd vorkommt. Aber darüber lässt sich nur spekulieren. Würde man ihn fragen, sähe er sein Gegenüber wahrscheinlich nur fragend an. „Sich selbst fremd vorkommen“ – das ist für K. keine Kategorie. Über solche Dinge denkt er nicht nach. Friedhelm K. ist ein Mann der Praxis, einer, der anpacken kann und nicht viele Worte macht. In der Schule hat ihm das eher geschadet und mit seinen Zeugnissen konnte er lange keinen Job finden. Auch eine klassische Ausbildung kann er nicht vorweisen. Aus dem Team von Bauer Courth aber ist der kräftige junge Mann seit Jahren nicht mehr weg zu denken. Das „Erdferkel“ ist eigentlich sogar ein „Ehrenferkel“, erzählt sein Arbeitgeber, ein Ehrentitel, den ihm die anderen verliehen haben. Denn K. kann, was seine Kollegen nicht können. Als sie im vergangenen Sommer den zum Teil verwilderten Garten einer Kundin für die Neugestaltung vorbereiten sollten, traute sich an die dornigen und widerborstigen Wildsträucher, die seit Jahrzehnten dort gewuchert hatten, keiner so recht heran. Friedhelm K. freute sich regelrecht auf die Aufgabe und machte sich mit Motorsäge, Motorsense und Spitzhacke an die Arbeit. Nach nur einem Vormittag war der unliebsame Job erledigt, K. erschöpft und die Kundin glücklich.
„Jeder Mensch hat seine ganz besonderen Fähigkeiten, und die gilt es zu erkennen“, erklärt Bauer Hanns Courth (77). Der Mann, der das sagt, hat nicht etwa eine pädagogische Hochschule besucht, sondern die höhere Landbauschule in Brühl. Als er 1981 den Hof seines Vaters im Kölner Norden übernahm – über 200 Hektar Getreideanbau, dazu eine große Schweinezucht –, da zeichneten sich die Probleme schon ab. Der Preisverfall bei den Erzeugnissen, steigende Auflagen und die immer näher rückende Besiedlung machten dem Hof zu schaffen. Nach ein paar Jahren war klar: Fünf Angestellte würde er von den mageren Erträgen nicht mehr lange finanzieren können. „Damals hab’ ich meinen Leuten gesagt: Entweder ich muss euch jetzt alle vor die Tür setzen und alleine weitermachen, oder wir lassen uns was einfallen.“ Und dieser Einfall hieß: Abschaffung der Schweinezucht, stattdessen Papier und Dreck auf städtischen Freiflächen aufsammeln. Denn dem Chef und seinem Team war klar: Wenn das alte Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, muss eben ein neues her. Was Bauer Courth damals noch nicht ahnte: Die Kontakte zur Stadt, der Auftraggeberin für die Müllentsorgung, sollten sich noch anderweitig bezahlt machen. Die Müllsammler mit Landwirtschafts-Know-how mauserten sich zu Garten- und Landschaftsbauern.
Heute – fast 30 Jahre später – haben im Unternehmen „Bauer Courth“ 45 Menschen einen Arbeitsplatz und ein gesichertes Auskommen. Sie bewirtschaften nach wie vor 220 Hektar Land, bauen Mais und Getreide an – je zur Hälfte für die Lebensmittel- und Biogas-Produktion. Unter demselben Markendach führen sie einen höchst erfolgreichen Betrieb für Garten- und Landschaftsbau inklusive eigener Schreinerei, der mittlerweile neben den öffentlichen Aufträgen von der Stadt auch für Privatpersonen aktiv ist. Längst ist „Bauer Courth“ in Köln und Umgebung zu einer Marke geworden, die für Qualität und Innovation steht, aber auch für soziales Engagement aus persönlicher Überzeugung. Es ist die Geschichte eines Erfolgs nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in menschlicher Hinsicht. Denn für Bauer Hanns Courth ist ganz klar: „Das ergänzt sich nicht nur. Das gehört zusammen.“
Erklärt man dem unscheinbaren Mann im karierten Flanellhemd, dass die herkömmliche Betriebswirtschaft einen solchen Zusammenhang keineswegs vorsieht, schaut er nur ungläubig. Die Betriebswirtschaft, sagt er dann, könne ihm – bei allem Respekt – gestohlen bleiben. Er selbst versucht dieser Tage seinen Ruhestand anzutreten und hat den Betrieb an seinen Sohn Martin (33) übergeben. Dabei hinterlässt er ihm große Fußspuren, denn das Unternehmen „Bauer Courth“ kann etwas vorweisen, das längst nicht jeder nach BWL-Regeln geführte Betrieb vorweisen kann: ein Vierteljahrhundert ununterbrochenes Wachstum. Nicht ein einziges Jahresergebnis war schlechter als das vorhergehende, die Mitarbeiterzahl hat sich in dieser Zeit fast verzehnfacht, immer wieder sind im Laufe der Jahre neue Geschäftsbereiche hinzugekommen – zuletzt stieg „Bauer Courth“ im großen Stil in die Wildsamen- und Wildpflanzenproduktion ein und ist heute einer der ganz wenigen Betriebe, die Saatgut für Kornblumen, Margeriten und Co. anbieten. Wäre das Unternehmen 1995 als Start-up an die Börse gegangen – der Namensgeber wäre heute möglicherweise Multimillionär.
Der Clou an der Sache aber ist: Genau das wollte und will Hanns Courth nicht werden. Geld, sagt er, spiele für ihn keine Rolle – und wenn, dann nur als Mittel zum Zweck. Gut leben könnten er und seine Familie heute von den Erträgen, müssten sich um ihr Auskommen auch jetzt im Alter keine Sorgen machen. Mehr habe er nie gewollt. „Wozu?“, fragt er und sieht sein Gegenüber lange und durchdringend an. Man kann sich dann vorstellen, dass bei diesem Blick – einer Mischung aus Naivität und erfahrungsbasierter Lebensweisheit – selbst eingefleischte Finanzkapitalisten ins Grübeln kommen: Wohin führt es eigentlich, wenn sich der Drang nach Kapitalvermehrung nur noch selbst ernährt, wenn er kein Ziel außerhalb seiner selbst mehr hat?
Für einen „Rheinischen Kapitalisten“ und Wirtschaftsbürger wie Hanns Courth war immer klar, dass die Regeln der Ökonomie kein Eigenleben führen, sondern eingebettet sein müssen in das Ganze des Lebens. Zwar würde er selbst das so niemals sagen. „Das ist mir zu kompliziert“, würde er einwenden und eher noch ein Beispiel dafür bringen, was seine Form der Betriebswirtschaft von der Mathematik der McKinsey-Jünger in großen Unternehmen unterscheidet. Vor ein paar Jahren etwa fragte ihn sein Sohn, ob er im Betrieb nicht einen Freund unterbringen könne. Orgelbauer sei der von Beruf und als solcher seit geraumer Zeit arbeitslos. Die Antwort von Bauer Courth, dessen Portfolio schon damals breit aufgestellt war, aber definitiv keine Musikinstrumente umfasste: „Sicher findet sich da was.“ Und: „Wo zehn satt werden, da ist am Tisch auch Platz für elf“ – das glatte Gegenteil also von betriebswirtschaftlichem Effizienzdenken. Erst als der Orgelbauer schon auf der Gehaltsliste stand, stellte sich schließlich heraus, wie sich sein Lohn künftig finanzieren ließ: Der Mann verstand und versteht sich aufs Schreinerhandwerk und in den Gärten, die Bauer Courth mit seinem Team versorgt, gibt es Holzschuppen, die repariert oder umgebaut werden sollen. Außerdem suchte ein Großkunde von Courth händeringend nach Leuten, die zu fairen Preisen Spielgeräte auf Kinderspielplätzen in Schuss halten – die Stadt Köln. Mit dem neuen Mann an Bord konnte er sich auch auf diese Ausschreibungen bewerben, holte den Zuschlag und zimmerte daraus eine neue, tragende Säule im Geschäft von „Bauer Courth“.
Mittlerweile arbeiten neben dem Orgelbauer bis zu vier weitere Mitarbeiter in diesem Geschäftsbereich. „Mich motiviert nicht das Geld. Mich motiviert die Aufgabe“, sagt Bauer Courth – und je ungewöhnlicher die ist, umso höher ist die Motivation. „Geht nicht gibt’s nicht. Wir haben uns im Gegenteil regelrecht spezialisiert auf schwierige Jobs“, erklärt er und erinnert sich daran, wie ihn vor vielen Jahren einmal jemand fragte, ob er auch ein Flugfeld mähen könne. „Ich hab natürlich zugesagt, aber in Wirklichkeit hatte ich keine Ahnung, wie wir das schaffen sollen.“ Zum Schluss lief dann aber auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im Hunsrück doch alles glatt. „Manches muss man einfach angehen, die Lösung findet sich dann“, sagt Courth heute.
Voraussetzung ist freilich, dass die Mitarbeiter den Abenteuergeist ihres Chefs teilen und sich an der Suche nach einer guten Lösung aktiv beteiligen. Und genau an dieser Stelle kommen die sogenannten leistungsgeminderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Spiel, die schwer Vermittelbaren und Behinderten, die Bauer Courth beschäftigt. Denn nicht selten sind es deren besondere Begabungen und Charaktereigenschaften, die gerade bei schwierigen Aufgaben äußerst hilfreich sind. Durchsetzungsstärke, Leistungswille, Ausdauer und Beharrlichkeit etwa sind bei ihnen oft besonders ausgeprägt – oder auch das Orientierungsvermögen wie im Falle von Bettina W.: Die geistig behinderte Mitarbeiterin kennt sowohl die ländliche Umgebung des Hofes als auch die Straßen und Sträßchen der umliegenden Städte wie aus dem Effeff. Ganz ohne Navigationsgerät findet sie auf Anhieb den kürzesten Weg zum Kunden – auch und gerade dann, wenn der etwas kompliziert ist. „Wo andere ewig suchen, bringt Bettina unsere Mannschaft schnell ans Ziel“, erzählt Hanns Courth. „Das spart Zeit und Kosten, vor allem aber freuen sich unsere Kunden, wenn wir pünktlich sind.“ Ebenso freuen sie sich, wenn zur Pflege ihres Gartens stets derselbe Mitarbeiter erscheint, Holger M. zum Beispiel. Der 35-Jährige hat mit einer Alkoholsucht zu kämpfen, gewöhnt sich nur schwer an neue Umgebungen und arbeitet am allerliebsten dort, wo er schon einmal war. Gleichzeitig legt er großen Wert auf Ordnung: „Einer unserer Leute wollte ihn bei einem Einsatz mal dazu überreden, die Arbeit nur oberflächlich zu erledigen. Dem hat er gesagt: ‚Nein! Wenn du mit mir arbeitest, dann muss alles ganz ordentlich gemacht werden.‘“
Wo andere nur zähneknirschend ihre gesetzlich vorgeschriebene Behinderten-Quote erfüllen und um Geringqualifizierte einen großen Bogen machen, ist Bauer Courth deshalb besonders interessiert an der Zusammenarbeit. Schon vor der gesetzlichen Verpflichtung zahlte er seinen Mitarbeitern den heutigen Mindestlohn und setzt sich seit Jahren dafür ein, dass jeder, dem ein Schwerbehindertenausweis zustehen würde, diesen auch erhält. Denn er weiß: Der Ausweis macht den Betroffenen das Leben in vieler Hinsicht leichter – von der Freifahrt mit dem öffentlichen Personennahverkehr bis zur Wohnungssuche. Für ihn als Unternehmer steigt zwar – trotz staatlicher Zuschüsse – mit jedem anerkannten Behinderten im Betrieb das unternehmerische Risiko, denn natürlich genießen Menschen mit Behinderung einen besonderen Kündigungsschutz. Aber es bedeutet eben auch einen besonderen Gewinn: für seine Kunden, für das Unternehmen, für den betreffenden Mitarbeiter, für das Team und nicht zuletzt für die Gesellschaft insgesamt. Drei Teammitglieder haben derzeit – dank Bauer Courths Hilfe – einen Schwerbehinderten-Ausweis, für zwei weitere bemüht sich der eigentlich schon pensionierte Chef-Bauer gerade darum. Schon das ist eine Quote von über zehn Prozent – vorgeschrieben sind fünf Prozent. Zählt man die auf dem freien Arbeitsmarkt schwer vermittelbaren Mitarbeiter hinzu, die den Behindertenstatus aus rein formalen Gründen nur knapp verpassen, liegt der Anteil der Geringqualifizierten im Team von Bauer Courth bei rund zehn Prozent. „Man macht doch so ein Unternehmen nicht, um den Gewinn zu maximieren“, sagt Hanns Courth. „Man macht das, um selbst ein Auskommen zu haben und dabei zugleich etwas Sinnvolles zu tun – für alle, die damit zu tun haben, Kunden genauso wie Mitarbeiter.“
Dass sie so etwas in der großen Wirtschaft als Stakeholder-Ansatz bezeichnen – im Unterschied zum reinen Shareholder-Ansatz, wo es vor allem darum geht, dass die Kapitalgeber vom Unternehmen profitieren –, das interessiert Bauer Courth höchstens am Rande. Er folgt mit seinem Unternehmen keiner expliziten Theorie und will keinen „Ansatz“ durchexerzieren. Er folgt dem, was er auch sonst im Leben für richtig hält und wenn es dabei doch einmal zu Konflikten kommt, folgt er der Stimme seines Gewissens.
Ausgerechnet bei einem Kunden aus dem „horizontalen Gewerbe“, wie Bauer Courth sagt, habe es mal Beschwerden über einen seiner Mitarbeiter gegeben. Zusammen mit anderen hatte der die Gartenanlage des „Sauna-Clubs“ neu gestaltet. Nachdem allerdings durch die Rechnung transparent geworden war, dass es sich um einen behinderten Mitarbeiter gehandelt hatte, klingelte bei Bauer Courth das Telefon. Der Chef des Etablissements beschwerte sich: „Den wollen wir hier aber nicht noch mal wiedersehen.“ Zum Schein zeigte sich Bauer Courth damals zunächst gesprächsbereit: „Also gut, wenn Sie meinen Mitarbeiter nicht sehen wollen, dann kommt der auch nicht mehr.“ Und erst nach einer Pause, in der sich der Kunde bereits erleichtert für das Entgegenkommen bedankte, schob er gelassen seine Pointe nach: „Aber die anderen kommen dann auch nicht mehr.“ Denn eins ist klar, sagt der Erfolgsbauer aus Köln: „Meine Überzeugungen lass’ ich mir nicht abkaufen – für kein Geld der Welt.“
„Kein Kunde hat je einen Cent verloren“
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